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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Kulturbilder aus den Balkanstaaten

von König Carol zu seinem fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum ge¬
stifteten Universitätsbibliothek in Bukarest hervorragen.

Die Wißbegierde und geistige Regsamkeit unter den bessern Teilen der
hauptstädtischen Bevölkerung kommt besonders deutlich zum Ausdruck in den
öffentlichen Vortragszyklen, die während des Winters von Universitätspro¬
fessoren im Athenäum zu Bukarest und im "Parnaß" zu Athen gehalten
werden, und die für die Hebung der geistigen Bildung von hoher Bedeu¬
tung sind.

Weniger eng ist die Fühlung der großen Masse mit der Kunst, der bil¬
denden wie der darstellenden, was ja von allen aus der byzantinischen Kultur¬
sphäre hervorgegangnen Völkern gilt. Das erkennt man sofort an den öffentlichen
Denkmälern dieser Städte, soweit sie nicht, wie das des Zaren Alexanders
des Zweiten in Sofia, von fremden Künstlern herrühren. Man merkt, daß
es an künstlerischen Traditionen fehlt, ohne die es gerade in der bildenden
Kunst nicht geht. Im übrigen haben die wenigen Künstler, die diese Völker
bisher hervorgebracht haben, nicht nur ihre Ausbildung im Auslande, besonders
in Paris, erhalten, sondern leben auch größtenteils dort. So hat auch die
Kunstschule in Bukarest, von den andern Städten zu schweigen, nur geringe
Bedeutung.

Mehr Sinn und Begabung zeigt sich für das Theater und die Schauspiel¬
kunst. Etwas schauspielerische Neigung haben ja alle diese Völker. So haben
auch Bukarest und Athen je zwei große moderne Theater, die allen An¬
forderungen an Einrichtung und Ausstattung genügen. Freilich müssen sie
bei der geringen Entwicklung der heimischen Dramendichtung ihr Repertoire
größtenteils durch Übersetzungen aus fremden Literaturen decken, wobei die
französische und die deutsche miteinander am stärksten rivalisieren. Man kann
jedoch mit Befriedigung feststellen, daß sich in den letzten Jahren eine ent¬
schiede Wendung zugunsten des Deutschen vollzogen hat, besonders in Athen,
wo im letzten Winter drei Viertel der im Königlichen Theater aufgeführten
Stücke deutsche waren, meist von Goethe, Grillparzer, Hauptmann. Auffallend
ist die Vorliebe sowohl der Rumänen wie der Griechen für Sudermann, speziell
für die "Heimat", was jedenfalls beweist, daß sie für geschickte Bühneneffekte
empfänglich sind. Auch in Belgrad haben in den letzten zwanzig Jahren die
deutschen Bühnendichter die französischen überholt.




So macht sich in den Hauptstädten des Balkans die stille Wirkung der
deutschen Kulturarbeit immer stärker geltend, ja man kann sagen: was in
ihnen an geistigem Lebensinhalt angesammelt worden ist, geht vorwiegend auf
deutschen Einfluß zurück, ganz abgesehen von dem starken deutschen Element
in der Bevölkerung Bukarests und Belgrads (etwa 20 Prozent). Im öffent¬
lichen Leben und Treiben und in der äußern Erscheinung freilich kommt das


Kulturbilder aus den Balkanstaaten

von König Carol zu seinem fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum ge¬
stifteten Universitätsbibliothek in Bukarest hervorragen.

Die Wißbegierde und geistige Regsamkeit unter den bessern Teilen der
hauptstädtischen Bevölkerung kommt besonders deutlich zum Ausdruck in den
öffentlichen Vortragszyklen, die während des Winters von Universitätspro¬
fessoren im Athenäum zu Bukarest und im „Parnaß" zu Athen gehalten
werden, und die für die Hebung der geistigen Bildung von hoher Bedeu¬
tung sind.

Weniger eng ist die Fühlung der großen Masse mit der Kunst, der bil¬
denden wie der darstellenden, was ja von allen aus der byzantinischen Kultur¬
sphäre hervorgegangnen Völkern gilt. Das erkennt man sofort an den öffentlichen
Denkmälern dieser Städte, soweit sie nicht, wie das des Zaren Alexanders
des Zweiten in Sofia, von fremden Künstlern herrühren. Man merkt, daß
es an künstlerischen Traditionen fehlt, ohne die es gerade in der bildenden
Kunst nicht geht. Im übrigen haben die wenigen Künstler, die diese Völker
bisher hervorgebracht haben, nicht nur ihre Ausbildung im Auslande, besonders
in Paris, erhalten, sondern leben auch größtenteils dort. So hat auch die
Kunstschule in Bukarest, von den andern Städten zu schweigen, nur geringe
Bedeutung.

Mehr Sinn und Begabung zeigt sich für das Theater und die Schauspiel¬
kunst. Etwas schauspielerische Neigung haben ja alle diese Völker. So haben
auch Bukarest und Athen je zwei große moderne Theater, die allen An¬
forderungen an Einrichtung und Ausstattung genügen. Freilich müssen sie
bei der geringen Entwicklung der heimischen Dramendichtung ihr Repertoire
größtenteils durch Übersetzungen aus fremden Literaturen decken, wobei die
französische und die deutsche miteinander am stärksten rivalisieren. Man kann
jedoch mit Befriedigung feststellen, daß sich in den letzten Jahren eine ent¬
schiede Wendung zugunsten des Deutschen vollzogen hat, besonders in Athen,
wo im letzten Winter drei Viertel der im Königlichen Theater aufgeführten
Stücke deutsche waren, meist von Goethe, Grillparzer, Hauptmann. Auffallend
ist die Vorliebe sowohl der Rumänen wie der Griechen für Sudermann, speziell
für die „Heimat", was jedenfalls beweist, daß sie für geschickte Bühneneffekte
empfänglich sind. Auch in Belgrad haben in den letzten zwanzig Jahren die
deutschen Bühnendichter die französischen überholt.




So macht sich in den Hauptstädten des Balkans die stille Wirkung der
deutschen Kulturarbeit immer stärker geltend, ja man kann sagen: was in
ihnen an geistigem Lebensinhalt angesammelt worden ist, geht vorwiegend auf
deutschen Einfluß zurück, ganz abgesehen von dem starken deutschen Element
in der Bevölkerung Bukarests und Belgrads (etwa 20 Prozent). Im öffent¬
lichen Leben und Treiben und in der äußern Erscheinung freilich kommt das


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[0268] Kulturbilder aus den Balkanstaaten von König Carol zu seinem fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläum ge¬ stifteten Universitätsbibliothek in Bukarest hervorragen. Die Wißbegierde und geistige Regsamkeit unter den bessern Teilen der hauptstädtischen Bevölkerung kommt besonders deutlich zum Ausdruck in den öffentlichen Vortragszyklen, die während des Winters von Universitätspro¬ fessoren im Athenäum zu Bukarest und im „Parnaß" zu Athen gehalten werden, und die für die Hebung der geistigen Bildung von hoher Bedeu¬ tung sind. Weniger eng ist die Fühlung der großen Masse mit der Kunst, der bil¬ denden wie der darstellenden, was ja von allen aus der byzantinischen Kultur¬ sphäre hervorgegangnen Völkern gilt. Das erkennt man sofort an den öffentlichen Denkmälern dieser Städte, soweit sie nicht, wie das des Zaren Alexanders des Zweiten in Sofia, von fremden Künstlern herrühren. Man merkt, daß es an künstlerischen Traditionen fehlt, ohne die es gerade in der bildenden Kunst nicht geht. Im übrigen haben die wenigen Künstler, die diese Völker bisher hervorgebracht haben, nicht nur ihre Ausbildung im Auslande, besonders in Paris, erhalten, sondern leben auch größtenteils dort. So hat auch die Kunstschule in Bukarest, von den andern Städten zu schweigen, nur geringe Bedeutung. Mehr Sinn und Begabung zeigt sich für das Theater und die Schauspiel¬ kunst. Etwas schauspielerische Neigung haben ja alle diese Völker. So haben auch Bukarest und Athen je zwei große moderne Theater, die allen An¬ forderungen an Einrichtung und Ausstattung genügen. Freilich müssen sie bei der geringen Entwicklung der heimischen Dramendichtung ihr Repertoire größtenteils durch Übersetzungen aus fremden Literaturen decken, wobei die französische und die deutsche miteinander am stärksten rivalisieren. Man kann jedoch mit Befriedigung feststellen, daß sich in den letzten Jahren eine ent¬ schiede Wendung zugunsten des Deutschen vollzogen hat, besonders in Athen, wo im letzten Winter drei Viertel der im Königlichen Theater aufgeführten Stücke deutsche waren, meist von Goethe, Grillparzer, Hauptmann. Auffallend ist die Vorliebe sowohl der Rumänen wie der Griechen für Sudermann, speziell für die „Heimat", was jedenfalls beweist, daß sie für geschickte Bühneneffekte empfänglich sind. Auch in Belgrad haben in den letzten zwanzig Jahren die deutschen Bühnendichter die französischen überholt. So macht sich in den Hauptstädten des Balkans die stille Wirkung der deutschen Kulturarbeit immer stärker geltend, ja man kann sagen: was in ihnen an geistigem Lebensinhalt angesammelt worden ist, geht vorwiegend auf deutschen Einfluß zurück, ganz abgesehen von dem starken deutschen Element in der Bevölkerung Bukarests und Belgrads (etwa 20 Prozent). Im öffent¬ lichen Leben und Treiben und in der äußern Erscheinung freilich kommt das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/268>, abgerufen am 26.05.2024.