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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

ausgetauscht. Gegen elf Uhr dampften sie wegen der starken Steigung nach
Dransfeld hinauf in zwei getrennten Zügen nach Kassel ab. Die Mannschaften
sagten, sie gingen nach Frankfurt, die Offiziere wußten, daß ihr Ziel Böhmen
sei. Am Morgen des 14., des Donnerstags folgten Trains und Kavallerie,
grüne Windischgrätzdragoner, am Nachmittage Khevenhüller-Jnfanterie, Deutsch¬
böhmen von Pilsen und Eger. Noch ahnte kein Mensch, daß diese Truppen
schon Bundesgenossen der Hannoveraner gegen Preußen seien.

Da brachten die Morgenblätter die Meldung, Hannover habe sich angesichts
des preußischen Bundesreformplans (in dem König Georg, wie er selbst sagte,
eine Mediatisierung der Bundesfürsten sah) auf Österreichs Seite gestellt, und
als ich gegen Abend mit einem Bekannten aus dein Waitzischen Seminar von
dessen Wohnung wegging, kommt uns ein andrer Genosse, ein Badener, in
größter Aufregung entgegen mit der Nachricht, der österreichische Antrag auf
Mobilisierung der Bundestruppen sei soeben mit neun gegen sechs Stimmen
angenommen worden, Baden habe sich der Abstimmung enthalten, Hannover
habe für Österreich gestimmt. Das hatte denn doch kein Mensch im Lande
für möglich gehalten. Wir eilten alle aufs Museum, wo wir Näheres zu
finden hofften; jetzt hatten wir den Krieg, und zwar den Krieg im Lande.
Denn daß sich Preußen diese herausfordernde Abstimmung Hannovers nicht
bieten lassen werde, war doch selbstverständlich; der Einmarsch preußischer
Truppen stand also stündlich bevor, und schon gab man der Befürchtung
Ausdruck, nun werde wohl Hannover "übergeschluckt" werden. Noch am
Morgen des Freitag gingen österreichische Militärzüge durch, Jäger und
Artillerie. Niemand schien daran zu denken, sie in Hannover festzuhalten.
Nachmittags jagten sich die Nachrichten. In das Waitzische Seminar brachte
ein Mitglied die Kunde, die Preußen seien bei Harburg über die Elbe gegangen,
alle in Holstein verfügbaren Truppen seien im Vormärsche nach Hannover.
Das Schicksal Hannovers und Deutschlands stand auf der Schneide des
Schwerts. Was kounte uns da die mittelalterliche Fabel vom trojanischen
Ursprung der Franken interessieren, die im Seminar verhandelt wurde! Nach
dem Schlüsse, den wir erleichtert begrüßten, eilten wir auf das Museum.
Dort standen Depeschen angeschlagen vom Einmarsch der Preußen und vom
Antrage N. von Vennigsens in der zweiten Kammer, den König um die Ent¬
lassung des Ministeriums Waten) und um die Annahme der preußische",
Bundesreform zu bitten. Wir ahnten, daß das vergeblich sein werde, und in
der Tat, als wir noch darüber debattierten, trat der mir befreundete Famulus
von E. Curtius, bleich vor Erregung, herein und meldete, die hannöverschen
Garden kämen noch heute Nacht im Rückzug auf Kassel hier durch. Unmittelbar
danach sagte ein Ausrufer in den Straßen der Stadt die Einquartierung an;
die Hausbesitzer wurden aufgefordert, während der Nacht ihr Haus offen zu
halten. Wir saßen zu etwa zwanzig zusammen, davon war ein einziger Preuße,
doch den Sieg Preußens wünschten wir allesamt, Nord- und Süddeutsche.


vor vierzig Jahren

ausgetauscht. Gegen elf Uhr dampften sie wegen der starken Steigung nach
Dransfeld hinauf in zwei getrennten Zügen nach Kassel ab. Die Mannschaften
sagten, sie gingen nach Frankfurt, die Offiziere wußten, daß ihr Ziel Böhmen
sei. Am Morgen des 14., des Donnerstags folgten Trains und Kavallerie,
grüne Windischgrätzdragoner, am Nachmittage Khevenhüller-Jnfanterie, Deutsch¬
böhmen von Pilsen und Eger. Noch ahnte kein Mensch, daß diese Truppen
schon Bundesgenossen der Hannoveraner gegen Preußen seien.

Da brachten die Morgenblätter die Meldung, Hannover habe sich angesichts
des preußischen Bundesreformplans (in dem König Georg, wie er selbst sagte,
eine Mediatisierung der Bundesfürsten sah) auf Österreichs Seite gestellt, und
als ich gegen Abend mit einem Bekannten aus dein Waitzischen Seminar von
dessen Wohnung wegging, kommt uns ein andrer Genosse, ein Badener, in
größter Aufregung entgegen mit der Nachricht, der österreichische Antrag auf
Mobilisierung der Bundestruppen sei soeben mit neun gegen sechs Stimmen
angenommen worden, Baden habe sich der Abstimmung enthalten, Hannover
habe für Österreich gestimmt. Das hatte denn doch kein Mensch im Lande
für möglich gehalten. Wir eilten alle aufs Museum, wo wir Näheres zu
finden hofften; jetzt hatten wir den Krieg, und zwar den Krieg im Lande.
Denn daß sich Preußen diese herausfordernde Abstimmung Hannovers nicht
bieten lassen werde, war doch selbstverständlich; der Einmarsch preußischer
Truppen stand also stündlich bevor, und schon gab man der Befürchtung
Ausdruck, nun werde wohl Hannover „übergeschluckt" werden. Noch am
Morgen des Freitag gingen österreichische Militärzüge durch, Jäger und
Artillerie. Niemand schien daran zu denken, sie in Hannover festzuhalten.
Nachmittags jagten sich die Nachrichten. In das Waitzische Seminar brachte
ein Mitglied die Kunde, die Preußen seien bei Harburg über die Elbe gegangen,
alle in Holstein verfügbaren Truppen seien im Vormärsche nach Hannover.
Das Schicksal Hannovers und Deutschlands stand auf der Schneide des
Schwerts. Was kounte uns da die mittelalterliche Fabel vom trojanischen
Ursprung der Franken interessieren, die im Seminar verhandelt wurde! Nach
dem Schlüsse, den wir erleichtert begrüßten, eilten wir auf das Museum.
Dort standen Depeschen angeschlagen vom Einmarsch der Preußen und vom
Antrage N. von Vennigsens in der zweiten Kammer, den König um die Ent¬
lassung des Ministeriums Waten) und um die Annahme der preußische»,
Bundesreform zu bitten. Wir ahnten, daß das vergeblich sein werde, und in
der Tat, als wir noch darüber debattierten, trat der mir befreundete Famulus
von E. Curtius, bleich vor Erregung, herein und meldete, die hannöverschen
Garden kämen noch heute Nacht im Rückzug auf Kassel hier durch. Unmittelbar
danach sagte ein Ausrufer in den Straßen der Stadt die Einquartierung an;
die Hausbesitzer wurden aufgefordert, während der Nacht ihr Haus offen zu
halten. Wir saßen zu etwa zwanzig zusammen, davon war ein einziger Preuße,
doch den Sieg Preußens wünschten wir allesamt, Nord- und Süddeutsche.


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[0311] vor vierzig Jahren ausgetauscht. Gegen elf Uhr dampften sie wegen der starken Steigung nach Dransfeld hinauf in zwei getrennten Zügen nach Kassel ab. Die Mannschaften sagten, sie gingen nach Frankfurt, die Offiziere wußten, daß ihr Ziel Böhmen sei. Am Morgen des 14., des Donnerstags folgten Trains und Kavallerie, grüne Windischgrätzdragoner, am Nachmittage Khevenhüller-Jnfanterie, Deutsch¬ böhmen von Pilsen und Eger. Noch ahnte kein Mensch, daß diese Truppen schon Bundesgenossen der Hannoveraner gegen Preußen seien. Da brachten die Morgenblätter die Meldung, Hannover habe sich angesichts des preußischen Bundesreformplans (in dem König Georg, wie er selbst sagte, eine Mediatisierung der Bundesfürsten sah) auf Österreichs Seite gestellt, und als ich gegen Abend mit einem Bekannten aus dein Waitzischen Seminar von dessen Wohnung wegging, kommt uns ein andrer Genosse, ein Badener, in größter Aufregung entgegen mit der Nachricht, der österreichische Antrag auf Mobilisierung der Bundestruppen sei soeben mit neun gegen sechs Stimmen angenommen worden, Baden habe sich der Abstimmung enthalten, Hannover habe für Österreich gestimmt. Das hatte denn doch kein Mensch im Lande für möglich gehalten. Wir eilten alle aufs Museum, wo wir Näheres zu finden hofften; jetzt hatten wir den Krieg, und zwar den Krieg im Lande. Denn daß sich Preußen diese herausfordernde Abstimmung Hannovers nicht bieten lassen werde, war doch selbstverständlich; der Einmarsch preußischer Truppen stand also stündlich bevor, und schon gab man der Befürchtung Ausdruck, nun werde wohl Hannover „übergeschluckt" werden. Noch am Morgen des Freitag gingen österreichische Militärzüge durch, Jäger und Artillerie. Niemand schien daran zu denken, sie in Hannover festzuhalten. Nachmittags jagten sich die Nachrichten. In das Waitzische Seminar brachte ein Mitglied die Kunde, die Preußen seien bei Harburg über die Elbe gegangen, alle in Holstein verfügbaren Truppen seien im Vormärsche nach Hannover. Das Schicksal Hannovers und Deutschlands stand auf der Schneide des Schwerts. Was kounte uns da die mittelalterliche Fabel vom trojanischen Ursprung der Franken interessieren, die im Seminar verhandelt wurde! Nach dem Schlüsse, den wir erleichtert begrüßten, eilten wir auf das Museum. Dort standen Depeschen angeschlagen vom Einmarsch der Preußen und vom Antrage N. von Vennigsens in der zweiten Kammer, den König um die Ent¬ lassung des Ministeriums Waten) und um die Annahme der preußische», Bundesreform zu bitten. Wir ahnten, daß das vergeblich sein werde, und in der Tat, als wir noch darüber debattierten, trat der mir befreundete Famulus von E. Curtius, bleich vor Erregung, herein und meldete, die hannöverschen Garden kämen noch heute Nacht im Rückzug auf Kassel hier durch. Unmittelbar danach sagte ein Ausrufer in den Straßen der Stadt die Einquartierung an; die Hausbesitzer wurden aufgefordert, während der Nacht ihr Haus offen zu halten. Wir saßen zu etwa zwanzig zusammen, davon war ein einziger Preuße, doch den Sieg Preußens wünschten wir allesamt, Nord- und Süddeutsche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/311>, abgerufen am 05.06.2024.