Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Baku Wovon durch die Septemberunruhen v, I. etwa zwei Drittel mit einer täglichen Auf die Einziehung des armenische" Kirchenvermögens hin waren durch Baku Wovon durch die Septemberunruhen v, I. etwa zwei Drittel mit einer täglichen Auf die Einziehung des armenische» Kirchenvermögens hin waren durch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300824"/> <fw type="header" place="top"> Baku</fw><lb/> <p xml:id="ID_1323" prev="#ID_1322"> Wovon durch die Septemberunruhen v, I. etwa zwei Drittel mit einer täglichen<lb/> Förderung von etwa 15000 Tonnen zerstört worden sind. Schon 1898 betrug<lb/> die Naphthaausbeute 8 Millionen Tonnen, die zu 1,5 Millionen Tonnen Kerassin<lb/> (Petroleum), 164000 Tonnen Schmieröl und 3,9 Millionen Tonnen Mahut ver¬<lb/> arbeitet wurden. Zwei Drittel der Produktion von Kerassin gelangten zur Aus¬<lb/> fuhr. Die schnelle Entwicklung der Petroleumindustrie hatte einen starken Zuzug<lb/> von Arbeitern zur Folge gehabt und außer fleißigen russischen Bauern und Klein¬<lb/> bürgern auch die eingeborne Bevölkerung angelockt. Kann diese nun schon an<lb/> sich nicht als besonders friedlich bezeichnet werden, so mußten die unausbleib¬<lb/> lichen Lohnbewegungen unter einer so verschieden zusammengesetzten Arbeiter¬<lb/> bevölkerung zu schweren Störungen der Ruhe führe». Durch Nachgeben der<lb/> Arbeitgeber war jedoch immer noch dem Ärgsten vorgebeugt worden, aber die<lb/> Begehrlichkeit wurde größer. Als sich die inzwischen erstarkten politischen und<lb/> nationalen Instinkte endlich nicht mehr zügeln ließen, fanden sie auf dem so<lb/> vorbereiteten Boden zunächst die Möglichkeit, sich in verderbenbringender Weise<lb/> zu entwickeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1324" next="#ID_1325"> Auf die Einziehung des armenische» Kirchenvermögens hin waren durch<lb/> die armenischen Revolutionskomitees an mehreren Orten Unruhen angezettelt<lb/> worden, die blutig unterdrückt werden mußten. Vorerst verhielt sich der stärkste<lb/> Teil der kaukasischen Bevölkerung, die Mohammedaner, völlig teilnahmlos, aber<lb/> sie sahen sehr bald ihren Vorteil und die Möglichkeit, jahrhundertealten Haß,<lb/> religiösen und politischen Antagonismus zum Austrag zu bringen und dabei<lb/> mit der Regierung gut Freund zu bleiben. Denn wo der Islam einmal seinen<lb/> Frieden mit dem russischen Eroberer geschlossen und sich ihm unterworfen hat,<lb/> hält er treu zu ihm. Die Armenier aber, die sich für die politische Unterdrückung<lb/> durch rücksichtslose Ausbeutung der wirtschaftlich schwachen Mohammedaner ge¬<lb/> rächt haben, hatten sich durch ihre revolutionäre Propaganda und die Polemik<lb/> der vou ihnen beherrschten Zeitungen jede Sympathie bei den Glaubensverwandten<lb/> verscherzt und die Behörden geradezu in das feindliche Lager gedrängt, indem<lb/> sie deren Vertreter, die Träger der Exekutivgewalt und die Offiziere, auf ihre<lb/> Weise zum Tode verurteilten, worauf die staatliche Autorität nur durch ebenso<lb/> bündige Gegenerklärung antworten konnte. Daß die russischen Machthaber, die<lb/> Behörden, den Konflikt geschürt hätten, ist ein Märchen, daß sie für die menschlich<lb/> angenehmem Tataren mehr Sympathie hatten, ist nach dem vorher gesagten<lb/> begreiflich, daß sie als tsrtii AMckMtW zur Seite gestanden hätten, ist unwahr¬<lb/> scheinlich, weil in einem Lande wie Kaukasien allzu unpolitisch. Daß sie es aber<lb/> unterlassen haben, durch rechtzeitige Maßregeln dem offnen Ausbruch der Feind¬<lb/> seligkeiten vorzubeugen, daß sie keine Truppen herangezogen haben und offenbar<lb/> überrascht worden sind, anch nicht den nötigen Schneid zeigten, ist ihr Fehler,<lb/> wenn man so will, ihr Verbrechen. Die Ermordung des reichen Tataren Babcijesf,<lb/> über deren Ursache nicht ganz saubere Nachrichten verbreitet worden sind, gab<lb/> die letzte Veranlassung zu den Metzeleien vom 19. bis zum 21. Februar 1905,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0325]
Baku
Wovon durch die Septemberunruhen v, I. etwa zwei Drittel mit einer täglichen
Förderung von etwa 15000 Tonnen zerstört worden sind. Schon 1898 betrug
die Naphthaausbeute 8 Millionen Tonnen, die zu 1,5 Millionen Tonnen Kerassin
(Petroleum), 164000 Tonnen Schmieröl und 3,9 Millionen Tonnen Mahut ver¬
arbeitet wurden. Zwei Drittel der Produktion von Kerassin gelangten zur Aus¬
fuhr. Die schnelle Entwicklung der Petroleumindustrie hatte einen starken Zuzug
von Arbeitern zur Folge gehabt und außer fleißigen russischen Bauern und Klein¬
bürgern auch die eingeborne Bevölkerung angelockt. Kann diese nun schon an
sich nicht als besonders friedlich bezeichnet werden, so mußten die unausbleib¬
lichen Lohnbewegungen unter einer so verschieden zusammengesetzten Arbeiter¬
bevölkerung zu schweren Störungen der Ruhe führe». Durch Nachgeben der
Arbeitgeber war jedoch immer noch dem Ärgsten vorgebeugt worden, aber die
Begehrlichkeit wurde größer. Als sich die inzwischen erstarkten politischen und
nationalen Instinkte endlich nicht mehr zügeln ließen, fanden sie auf dem so
vorbereiteten Boden zunächst die Möglichkeit, sich in verderbenbringender Weise
zu entwickeln.
Auf die Einziehung des armenische» Kirchenvermögens hin waren durch
die armenischen Revolutionskomitees an mehreren Orten Unruhen angezettelt
worden, die blutig unterdrückt werden mußten. Vorerst verhielt sich der stärkste
Teil der kaukasischen Bevölkerung, die Mohammedaner, völlig teilnahmlos, aber
sie sahen sehr bald ihren Vorteil und die Möglichkeit, jahrhundertealten Haß,
religiösen und politischen Antagonismus zum Austrag zu bringen und dabei
mit der Regierung gut Freund zu bleiben. Denn wo der Islam einmal seinen
Frieden mit dem russischen Eroberer geschlossen und sich ihm unterworfen hat,
hält er treu zu ihm. Die Armenier aber, die sich für die politische Unterdrückung
durch rücksichtslose Ausbeutung der wirtschaftlich schwachen Mohammedaner ge¬
rächt haben, hatten sich durch ihre revolutionäre Propaganda und die Polemik
der vou ihnen beherrschten Zeitungen jede Sympathie bei den Glaubensverwandten
verscherzt und die Behörden geradezu in das feindliche Lager gedrängt, indem
sie deren Vertreter, die Träger der Exekutivgewalt und die Offiziere, auf ihre
Weise zum Tode verurteilten, worauf die staatliche Autorität nur durch ebenso
bündige Gegenerklärung antworten konnte. Daß die russischen Machthaber, die
Behörden, den Konflikt geschürt hätten, ist ein Märchen, daß sie für die menschlich
angenehmem Tataren mehr Sympathie hatten, ist nach dem vorher gesagten
begreiflich, daß sie als tsrtii AMckMtW zur Seite gestanden hätten, ist unwahr¬
scheinlich, weil in einem Lande wie Kaukasien allzu unpolitisch. Daß sie es aber
unterlassen haben, durch rechtzeitige Maßregeln dem offnen Ausbruch der Feind¬
seligkeiten vorzubeugen, daß sie keine Truppen herangezogen haben und offenbar
überrascht worden sind, anch nicht den nötigen Schneid zeigten, ist ihr Fehler,
wenn man so will, ihr Verbrechen. Die Ermordung des reichen Tataren Babcijesf,
über deren Ursache nicht ganz saubere Nachrichten verbreitet worden sind, gab
die letzte Veranlassung zu den Metzeleien vom 19. bis zum 21. Februar 1905,
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