Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Baku

deren noch frische Spuren wir zu verfolgen in der Lage waren. Man kann dem
Finanzminister Koküwzeff also wohl Recht geben, wenn er sagt, daß die Un¬
ruhen in Baku auf national-religiöser Grundlage beruhen, freilich einen sozia¬
listischen Beigeschmack haben. Seitdem damals wieder einige Ordnung geschafft
worden ist, mag sich das freilich geändert haben. Wie überall, wo es im trüben
zu fischen gibt, werden sich die Emissäre der roten Propaganda in Massen ein¬
gefunden haben. Ich möchte darauf schwören, daß im Nachbarabteil neben uns
eine solche dunkle Persönlichkeit, schwarz, finster, unsteten Auges, in zweifelhafter
Eleganz und mit einer ebenso zweifelhaften Frau versehen, auf Parteikosten Baku
zustrebte. Die Ermordung des Gouverneurs, des Fürsten Nakaschidse, die Zer¬
störung der Bohrtürme und der GeWerke und die Angriffe auf Angehörige andrer
Nationalitäten kann man sich nur durch das Überhandnehmen solcher Umtriebe
erklären, nachdem im Februar nur ganz wenig Russen und Ausländer und nur
zufällig ums Leben gekommen waren.

Bei unsrer Anwesenheit, acht Tage nach dem ersten Blutbad, war trotz den
mit Unterstützung der höchsten geistlichen Würdenträger beider Konfessionen unter-
nommnen Beschwichtigungsversuchen die Stimmung begreiflicherweise nervös er¬
regt. Zwar waren die Spuren der Zerstörungen größtenteils beseitigt worden, aber
viele Luder blieben geschlossen, und die Straßen waren leer. Nur von fern
sahen wir ein Menschengedränge, und Se. hatte zu seiner Freude etwas von dem
"Bunt" zu sehen bekommen. Sein Rosselenker war jedoch weniger neugierig
gewesen und davongejagt. Ähnlich war es unserm Konsul ergangen, als er uns
auf dem Bahnhof einholen wollte. Plötzlich war sein Kutscher "heidi", was sein
Gaul laufen wollte, in ganz unbekannte Stadtgegenden gerast und hatte seineu
Fahrgast unter Verzicht auf allen Lohn zum Verlassen des Wagens bewogen.
Was war passiert? Irgendein Unglücksmensch hatte einen Schuß mit oder ohne
Absicht abgefeuert und dadurch eine Schar Neugieriger, müßige Gaffer und dunkle
Existenzen, zusammengelockt. Kaum hatten die Trambahnkutscher der nächsten
Linien, fast nur Armenier, das gesehen, als sie hielten, umspannten und in ar¬
menische Stadtteile zurückjagten, natürlich auf die hinter ihnen folgenden Wagen
zu, die die Panik aufnahmen. Nach dem Erlebten und Erzählten -- auch die
in dem Hause eines Armeniers liegende Wohnung des Konsuls hatte einige
Schüsse abbekommen, und einige Leichname waren ein paar Stunden dem Hause
gegenüber liegen geblieben -- konnten wir unserm liebenswürdigen Gastfreunde
nicht verdenken, daß er uns bat, unsern Besuch abzukürzen und am Abend weiter¬
zufahren. Auch von einem Herumstreifen zu Fuß oder zu Wagen mußte er
aus dienstlichen Gründen dringend abraten, da bei der allgemeinen Aufregung
kein Mensch dafür bürgen konnte, daß das Blutbad nicht wieder von neuem
beginnen, oder irgendein Strolch uns anzufallen sich bemüßigt fühlen würde.
Bei so leidenschaftlicher Parteinahme, wie sie sich gezeigt hatte, Hütte eine Ab¬
wehr zu allem möglichen führen können, und es ist, wenn sich die Behörden
schwach zeigen, auch der Einfluß eines Konsuls beschränkt. Das geringe Ver-


Baku

deren noch frische Spuren wir zu verfolgen in der Lage waren. Man kann dem
Finanzminister Koküwzeff also wohl Recht geben, wenn er sagt, daß die Un¬
ruhen in Baku auf national-religiöser Grundlage beruhen, freilich einen sozia¬
listischen Beigeschmack haben. Seitdem damals wieder einige Ordnung geschafft
worden ist, mag sich das freilich geändert haben. Wie überall, wo es im trüben
zu fischen gibt, werden sich die Emissäre der roten Propaganda in Massen ein¬
gefunden haben. Ich möchte darauf schwören, daß im Nachbarabteil neben uns
eine solche dunkle Persönlichkeit, schwarz, finster, unsteten Auges, in zweifelhafter
Eleganz und mit einer ebenso zweifelhaften Frau versehen, auf Parteikosten Baku
zustrebte. Die Ermordung des Gouverneurs, des Fürsten Nakaschidse, die Zer¬
störung der Bohrtürme und der GeWerke und die Angriffe auf Angehörige andrer
Nationalitäten kann man sich nur durch das Überhandnehmen solcher Umtriebe
erklären, nachdem im Februar nur ganz wenig Russen und Ausländer und nur
zufällig ums Leben gekommen waren.

Bei unsrer Anwesenheit, acht Tage nach dem ersten Blutbad, war trotz den
mit Unterstützung der höchsten geistlichen Würdenträger beider Konfessionen unter-
nommnen Beschwichtigungsversuchen die Stimmung begreiflicherweise nervös er¬
regt. Zwar waren die Spuren der Zerstörungen größtenteils beseitigt worden, aber
viele Luder blieben geschlossen, und die Straßen waren leer. Nur von fern
sahen wir ein Menschengedränge, und Se. hatte zu seiner Freude etwas von dem
„Bunt" zu sehen bekommen. Sein Rosselenker war jedoch weniger neugierig
gewesen und davongejagt. Ähnlich war es unserm Konsul ergangen, als er uns
auf dem Bahnhof einholen wollte. Plötzlich war sein Kutscher „heidi", was sein
Gaul laufen wollte, in ganz unbekannte Stadtgegenden gerast und hatte seineu
Fahrgast unter Verzicht auf allen Lohn zum Verlassen des Wagens bewogen.
Was war passiert? Irgendein Unglücksmensch hatte einen Schuß mit oder ohne
Absicht abgefeuert und dadurch eine Schar Neugieriger, müßige Gaffer und dunkle
Existenzen, zusammengelockt. Kaum hatten die Trambahnkutscher der nächsten
Linien, fast nur Armenier, das gesehen, als sie hielten, umspannten und in ar¬
menische Stadtteile zurückjagten, natürlich auf die hinter ihnen folgenden Wagen
zu, die die Panik aufnahmen. Nach dem Erlebten und Erzählten — auch die
in dem Hause eines Armeniers liegende Wohnung des Konsuls hatte einige
Schüsse abbekommen, und einige Leichname waren ein paar Stunden dem Hause
gegenüber liegen geblieben — konnten wir unserm liebenswürdigen Gastfreunde
nicht verdenken, daß er uns bat, unsern Besuch abzukürzen und am Abend weiter¬
zufahren. Auch von einem Herumstreifen zu Fuß oder zu Wagen mußte er
aus dienstlichen Gründen dringend abraten, da bei der allgemeinen Aufregung
kein Mensch dafür bürgen konnte, daß das Blutbad nicht wieder von neuem
beginnen, oder irgendein Strolch uns anzufallen sich bemüßigt fühlen würde.
Bei so leidenschaftlicher Parteinahme, wie sie sich gezeigt hatte, Hütte eine Ab¬
wehr zu allem möglichen führen können, und es ist, wenn sich die Behörden
schwach zeigen, auch der Einfluß eines Konsuls beschränkt. Das geringe Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300825"/>
          <fw type="header" place="top"> Baku</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1325" prev="#ID_1324"> deren noch frische Spuren wir zu verfolgen in der Lage waren. Man kann dem<lb/>
Finanzminister Koküwzeff also wohl Recht geben, wenn er sagt, daß die Un¬<lb/>
ruhen in Baku auf national-religiöser Grundlage beruhen, freilich einen sozia¬<lb/>
listischen Beigeschmack haben. Seitdem damals wieder einige Ordnung geschafft<lb/>
worden ist, mag sich das freilich geändert haben. Wie überall, wo es im trüben<lb/>
zu fischen gibt, werden sich die Emissäre der roten Propaganda in Massen ein¬<lb/>
gefunden haben. Ich möchte darauf schwören, daß im Nachbarabteil neben uns<lb/>
eine solche dunkle Persönlichkeit, schwarz, finster, unsteten Auges, in zweifelhafter<lb/>
Eleganz und mit einer ebenso zweifelhaften Frau versehen, auf Parteikosten Baku<lb/>
zustrebte. Die Ermordung des Gouverneurs, des Fürsten Nakaschidse, die Zer¬<lb/>
störung der Bohrtürme und der GeWerke und die Angriffe auf Angehörige andrer<lb/>
Nationalitäten kann man sich nur durch das Überhandnehmen solcher Umtriebe<lb/>
erklären, nachdem im Februar nur ganz wenig Russen und Ausländer und nur<lb/>
zufällig ums Leben gekommen waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1326" next="#ID_1327"> Bei unsrer Anwesenheit, acht Tage nach dem ersten Blutbad, war trotz den<lb/>
mit Unterstützung der höchsten geistlichen Würdenträger beider Konfessionen unter-<lb/>
nommnen Beschwichtigungsversuchen die Stimmung begreiflicherweise nervös er¬<lb/>
regt. Zwar waren die Spuren der Zerstörungen größtenteils beseitigt worden, aber<lb/>
viele Luder blieben geschlossen, und die Straßen waren leer. Nur von fern<lb/>
sahen wir ein Menschengedränge, und Se. hatte zu seiner Freude etwas von dem<lb/>
&#x201E;Bunt" zu sehen bekommen. Sein Rosselenker war jedoch weniger neugierig<lb/>
gewesen und davongejagt. Ähnlich war es unserm Konsul ergangen, als er uns<lb/>
auf dem Bahnhof einholen wollte. Plötzlich war sein Kutscher &#x201E;heidi", was sein<lb/>
Gaul laufen wollte, in ganz unbekannte Stadtgegenden gerast und hatte seineu<lb/>
Fahrgast unter Verzicht auf allen Lohn zum Verlassen des Wagens bewogen.<lb/>
Was war passiert? Irgendein Unglücksmensch hatte einen Schuß mit oder ohne<lb/>
Absicht abgefeuert und dadurch eine Schar Neugieriger, müßige Gaffer und dunkle<lb/>
Existenzen, zusammengelockt. Kaum hatten die Trambahnkutscher der nächsten<lb/>
Linien, fast nur Armenier, das gesehen, als sie hielten, umspannten und in ar¬<lb/>
menische Stadtteile zurückjagten, natürlich auf die hinter ihnen folgenden Wagen<lb/>
zu, die die Panik aufnahmen. Nach dem Erlebten und Erzählten &#x2014; auch die<lb/>
in dem Hause eines Armeniers liegende Wohnung des Konsuls hatte einige<lb/>
Schüsse abbekommen, und einige Leichname waren ein paar Stunden dem Hause<lb/>
gegenüber liegen geblieben &#x2014; konnten wir unserm liebenswürdigen Gastfreunde<lb/>
nicht verdenken, daß er uns bat, unsern Besuch abzukürzen und am Abend weiter¬<lb/>
zufahren. Auch von einem Herumstreifen zu Fuß oder zu Wagen mußte er<lb/>
aus dienstlichen Gründen dringend abraten, da bei der allgemeinen Aufregung<lb/>
kein Mensch dafür bürgen konnte, daß das Blutbad nicht wieder von neuem<lb/>
beginnen, oder irgendein Strolch uns anzufallen sich bemüßigt fühlen würde.<lb/>
Bei so leidenschaftlicher Parteinahme, wie sie sich gezeigt hatte, Hütte eine Ab¬<lb/>
wehr zu allem möglichen führen können, und es ist, wenn sich die Behörden<lb/>
schwach zeigen, auch der Einfluß eines Konsuls beschränkt. Das geringe Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] Baku deren noch frische Spuren wir zu verfolgen in der Lage waren. Man kann dem Finanzminister Koküwzeff also wohl Recht geben, wenn er sagt, daß die Un¬ ruhen in Baku auf national-religiöser Grundlage beruhen, freilich einen sozia¬ listischen Beigeschmack haben. Seitdem damals wieder einige Ordnung geschafft worden ist, mag sich das freilich geändert haben. Wie überall, wo es im trüben zu fischen gibt, werden sich die Emissäre der roten Propaganda in Massen ein¬ gefunden haben. Ich möchte darauf schwören, daß im Nachbarabteil neben uns eine solche dunkle Persönlichkeit, schwarz, finster, unsteten Auges, in zweifelhafter Eleganz und mit einer ebenso zweifelhaften Frau versehen, auf Parteikosten Baku zustrebte. Die Ermordung des Gouverneurs, des Fürsten Nakaschidse, die Zer¬ störung der Bohrtürme und der GeWerke und die Angriffe auf Angehörige andrer Nationalitäten kann man sich nur durch das Überhandnehmen solcher Umtriebe erklären, nachdem im Februar nur ganz wenig Russen und Ausländer und nur zufällig ums Leben gekommen waren. Bei unsrer Anwesenheit, acht Tage nach dem ersten Blutbad, war trotz den mit Unterstützung der höchsten geistlichen Würdenträger beider Konfessionen unter- nommnen Beschwichtigungsversuchen die Stimmung begreiflicherweise nervös er¬ regt. Zwar waren die Spuren der Zerstörungen größtenteils beseitigt worden, aber viele Luder blieben geschlossen, und die Straßen waren leer. Nur von fern sahen wir ein Menschengedränge, und Se. hatte zu seiner Freude etwas von dem „Bunt" zu sehen bekommen. Sein Rosselenker war jedoch weniger neugierig gewesen und davongejagt. Ähnlich war es unserm Konsul ergangen, als er uns auf dem Bahnhof einholen wollte. Plötzlich war sein Kutscher „heidi", was sein Gaul laufen wollte, in ganz unbekannte Stadtgegenden gerast und hatte seineu Fahrgast unter Verzicht auf allen Lohn zum Verlassen des Wagens bewogen. Was war passiert? Irgendein Unglücksmensch hatte einen Schuß mit oder ohne Absicht abgefeuert und dadurch eine Schar Neugieriger, müßige Gaffer und dunkle Existenzen, zusammengelockt. Kaum hatten die Trambahnkutscher der nächsten Linien, fast nur Armenier, das gesehen, als sie hielten, umspannten und in ar¬ menische Stadtteile zurückjagten, natürlich auf die hinter ihnen folgenden Wagen zu, die die Panik aufnahmen. Nach dem Erlebten und Erzählten — auch die in dem Hause eines Armeniers liegende Wohnung des Konsuls hatte einige Schüsse abbekommen, und einige Leichname waren ein paar Stunden dem Hause gegenüber liegen geblieben — konnten wir unserm liebenswürdigen Gastfreunde nicht verdenken, daß er uns bat, unsern Besuch abzukürzen und am Abend weiter¬ zufahren. Auch von einem Herumstreifen zu Fuß oder zu Wagen mußte er aus dienstlichen Gründen dringend abraten, da bei der allgemeinen Aufregung kein Mensch dafür bürgen konnte, daß das Blutbad nicht wieder von neuem beginnen, oder irgendein Strolch uns anzufallen sich bemüßigt fühlen würde. Bei so leidenschaftlicher Parteinahme, wie sie sich gezeigt hatte, Hütte eine Ab¬ wehr zu allem möglichen führen können, und es ist, wenn sich die Behörden schwach zeigen, auch der Einfluß eines Konsuls beschränkt. Das geringe Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/326>, abgerufen am 16.05.2024.