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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

Volk" mit und ließ sie sofort anschlagen. Ehrlich und schlicht setzte sie die
Ursachen lind das nationale Ziel dieses Krieges auseinander und versicherte
zum Schlüsse, seine Truppen kämen nicht als "Feinde der Bevölkerung". Sie
tat in diesem Augenblick gar keine Wirkung. Während nun die Truppen
auf dem Markte biwakierten, und der Bürgermeister die ganze Nacht durch
auf dem Rathause festgehalten wurde, gingen Eilboten nach den umliegenden
Dörfern ab, um ihren Anteil an den Lieferungen und den Wagen beizutreiben,
zugleich wurden die Staatskassen weggenommen, soweit sie nicht schon in
Sicherheit gebracht worden waren. Es war für die ganze Stadt eine höchst
unruhige Nacht. Die Fenster der Häuser mußten erleuchtet sein, noch in
der elften Stunde ritt ein starkes Husnrenkommando ein, auf dem Markte und
ni den angrenzenden Straßen wurden die eintreffenden Lieferungen abge¬
nommen, die Wagen aufgefahren. Erst um sieben Uhr des nächsten Morgens
ging eine lange Kolonne von 65 Wagen nach Löbau ab, beladen mit Stroh,
Heu, Hafer, trocknem Gemüse, Kaffee, Tabak, Salz, Mehl, Brot, Branntwein,
Bier und Wein. Kaum war diese Lieferung fort, da brachten die in der
Nacht eingerückten Husaren, dieselben, die ich am Nachmittage an der Kreuz-
kirche sah, eine zweite schwere Requisition von Leder, Flanell, Tuch und
Leinwand für die siebente Division Frcmseeky, die von Görlitz im Anmarsch war,
und durch deren Vorposten ich in denselben Stunden fuhr, dieselbe, die vier¬
zehn Tage später im Swiepwalde bei Königgrätz so heldenmütig gegen zwei
österreichische Armeekorps standhielt. Am Morgen des 19. Juni rückten noch
zwei Kompagnien vom zweiten Magdeburgischen Infanterieregiment Ur. 27
ein nud lagerten auf dein Markte; am Nachmittage wurde auch der Bahnhof
von preußischen Eisenbahn- und Telegraphenbeamten in Besitz genommen und
dnrch Anschlag, unterzeichnet: "Der General der Kavallerie, Friedrich Carl,
Prinz von Preußen" der Kriegszustand proklamiert. Daß diese Plakate ab¬
gerissen wurden, war eine bare Dummheit; als ob das etwas an der Lage
hätte andern können!

Aber so war die Stimmung in der Masse, auch bei den Gebildeten mit
wenigen Ausnahmen: keineswegs österreichisch, aber sächsisch, schlechthin nur
sächsisch, ohne Ahnung davon, daß dieser Kampf um die Zukunft Deutsch¬
lands geführt werde, daß es noch etwas Höheres gebe als die Erhaltung un¬
beschränkter kleinstaatlicher Souveränität, gegenüber Preußen aber blinde Ab¬
neigung, wurzelnd in verjährten Groll, wieder belebt durch die Vorgänge
^'r letzten Jahre und beflissen genährt durch die Beustische Presse, und auf
der andern Seite blinde sinnlose Angst. Manche Hausfrau auch gebildeten
Standes versteckte ihr Silber und ihr bestes Leinenzeug, als ob sie plün¬
dernde Kosaken oder Baschkiren zu erwarten Hütte, nicht die erste Armee
des gesitteten Europas, und indem man "requirieren" mit "rekrutieren" ver¬
wechselte, und dazu eine dunkle Erinnerung an die gewaltsamen Rekru¬
tierungen Friedrichs des Großen in der geängsteten, mißtrauischen Volksseele


vor vierzig Jahren

Volk" mit und ließ sie sofort anschlagen. Ehrlich und schlicht setzte sie die
Ursachen lind das nationale Ziel dieses Krieges auseinander und versicherte
zum Schlüsse, seine Truppen kämen nicht als „Feinde der Bevölkerung". Sie
tat in diesem Augenblick gar keine Wirkung. Während nun die Truppen
auf dem Markte biwakierten, und der Bürgermeister die ganze Nacht durch
auf dem Rathause festgehalten wurde, gingen Eilboten nach den umliegenden
Dörfern ab, um ihren Anteil an den Lieferungen und den Wagen beizutreiben,
zugleich wurden die Staatskassen weggenommen, soweit sie nicht schon in
Sicherheit gebracht worden waren. Es war für die ganze Stadt eine höchst
unruhige Nacht. Die Fenster der Häuser mußten erleuchtet sein, noch in
der elften Stunde ritt ein starkes Husnrenkommando ein, auf dem Markte und
ni den angrenzenden Straßen wurden die eintreffenden Lieferungen abge¬
nommen, die Wagen aufgefahren. Erst um sieben Uhr des nächsten Morgens
ging eine lange Kolonne von 65 Wagen nach Löbau ab, beladen mit Stroh,
Heu, Hafer, trocknem Gemüse, Kaffee, Tabak, Salz, Mehl, Brot, Branntwein,
Bier und Wein. Kaum war diese Lieferung fort, da brachten die in der
Nacht eingerückten Husaren, dieselben, die ich am Nachmittage an der Kreuz-
kirche sah, eine zweite schwere Requisition von Leder, Flanell, Tuch und
Leinwand für die siebente Division Frcmseeky, die von Görlitz im Anmarsch war,
und durch deren Vorposten ich in denselben Stunden fuhr, dieselbe, die vier¬
zehn Tage später im Swiepwalde bei Königgrätz so heldenmütig gegen zwei
österreichische Armeekorps standhielt. Am Morgen des 19. Juni rückten noch
zwei Kompagnien vom zweiten Magdeburgischen Infanterieregiment Ur. 27
ein nud lagerten auf dein Markte; am Nachmittage wurde auch der Bahnhof
von preußischen Eisenbahn- und Telegraphenbeamten in Besitz genommen und
dnrch Anschlag, unterzeichnet: „Der General der Kavallerie, Friedrich Carl,
Prinz von Preußen" der Kriegszustand proklamiert. Daß diese Plakate ab¬
gerissen wurden, war eine bare Dummheit; als ob das etwas an der Lage
hätte andern können!

Aber so war die Stimmung in der Masse, auch bei den Gebildeten mit
wenigen Ausnahmen: keineswegs österreichisch, aber sächsisch, schlechthin nur
sächsisch, ohne Ahnung davon, daß dieser Kampf um die Zukunft Deutsch¬
lands geführt werde, daß es noch etwas Höheres gebe als die Erhaltung un¬
beschränkter kleinstaatlicher Souveränität, gegenüber Preußen aber blinde Ab¬
neigung, wurzelnd in verjährten Groll, wieder belebt durch die Vorgänge
^'r letzten Jahre und beflissen genährt durch die Beustische Presse, und auf
der andern Seite blinde sinnlose Angst. Manche Hausfrau auch gebildeten
Standes versteckte ihr Silber und ihr bestes Leinenzeug, als ob sie plün¬
dernde Kosaken oder Baschkiren zu erwarten Hütte, nicht die erste Armee
des gesitteten Europas, und indem man „requirieren" mit „rekrutieren" ver¬
wechselte, und dazu eine dunkle Erinnerung an die gewaltsamen Rekru¬
tierungen Friedrichs des Großen in der geängsteten, mißtrauischen Volksseele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/367>, abgerufen am 04.06.2024.