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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

einen Brunnen in der Mitte des Platzes legte." An dieser Stelle versammeln
sich Abends nach der Schlacht die bevorzugten Offiziere Garibaldis. und es ist
ein eigner Genuß, sie dabei mit Ricarda Huch zu belauschen. Freilich ist es
nicht leicht, durch das ganze Werk den Faden der Ereignisse immer fest zu
halten, um so mehr, da man das Buch am besten nicht hintereinander, sondern
wie edeln Wein schluckweise, dann und wann in Absätzen, genießen sollte. Wir
dürfen vertrauen, daß Ricarda Huch auf der Höhe bleibt, die sie in ihrer noch
so jungen dichterischen Laufbahn erklommen hat, und von der sie bisher selten
genug herabstieg. Und man darf begierig sein, ob es ihr gelingt, in den noch
verheißnen zwei Bänden den Reiz und die Farbenpracht dieses ersten fest¬
zuhalten.

Aus dem reichen, weichen Süden in den kargen, harten Norden, von
Ricarda Huch zu Jakob Knudsen. Dieser dänische Erzähler ist bisher in Deutsch¬
land nicht bekannt geworden, und es ist verdienstlich, daß uns sein Hauptwerk,
der Roman "Anders Hjarmsted", in einer von Hermann Kiy besorgten Über¬
setzung nun vorgestellt wird (Leipzig, Johannes von Schalscha - Ehrenfeld).
Diesem Bauern Anders Hjarmsted sitzt der ererbte Starrsinn des unbeugsamen
Rechtsuchers im Blute. Ohne Not, nnr dem Recht zuliebe, fängt er Streit mit
seinem mächtigen Nachbarn an, dessen Tochter er obendrein liebt. Und als ihm
durch schurkischen Trug jeder Weg zur Gerechtigkeit verrammelt wird, greift er
Zum Hammer und erschlägt nacheinander den Adjunkten des Hardesvogts und
den Gefanguenwärter. In der Nacht zwischen den beiden Katastrophen, den
eignen Tod vor Augen, läßt er sich durch den Pfarrer, dem er sich offenbart,
mit der Geliebten trauen. Es ist sehr schwer, solche Szenen ohne falsche
Sentimentalität zu geben -- Knudsen ist es gelungen. In einer merkwürdig
knappen und zusammengefaßten Sprache zieht alles vorüber. Aber allerdings,
of Große reckt sich das Bild dieses Menschen nie. Und wenn dänische Beurteiler
das Werk unserm Michael Kohlhaas vergleichen, so können wir Deutsche uns
den Vergleich nicht aneignen. Abgesehen davon, daß wir dem Genius Hein¬
richs von Kleist ohnehin nicht leicht Parallelen zu finden wissen, liegt der
Unterschied auch im Gesichtskreis. Der Knudsens ist bei all seinen Gaben eng.
wie gemeinhin in kleinen Kulturvölkern. Es ist aber etwas andres, ob man
zu einem großen, weit über die Welt herrschenden Volke gehört oder zu einem,
das in bescheidnen Umkreise sein nationales Dasein lebt. Vielleicht liegt auch
der tiefste Unterschied in den so verwandten Genien Hebbels und Ibsens darin.
Der große Deutsche wuchs deshalb so hoch über den großen Normeger hinaus,
weil er das riesige Angebinde der deutschen Kultur mitbekam, das sich der
Skandiuave -- bezeichnend genug -- in langen Jahren aus zweiter Hand an¬
zueignen bemüht war.

Wenn sich ein andrer, eben deutsch erschienener dänischer Roman, "Hans
im Glück" von Henrik Pontoppidan (Leipzig, Insel-Verlag) trotz diesen Gegen¬
sätzen wohl in die Nähe eines deutschen Meisterwerks, des "Grünen Heinrichs"


Neue Romane und Novellen

einen Brunnen in der Mitte des Platzes legte." An dieser Stelle versammeln
sich Abends nach der Schlacht die bevorzugten Offiziere Garibaldis. und es ist
ein eigner Genuß, sie dabei mit Ricarda Huch zu belauschen. Freilich ist es
nicht leicht, durch das ganze Werk den Faden der Ereignisse immer fest zu
halten, um so mehr, da man das Buch am besten nicht hintereinander, sondern
wie edeln Wein schluckweise, dann und wann in Absätzen, genießen sollte. Wir
dürfen vertrauen, daß Ricarda Huch auf der Höhe bleibt, die sie in ihrer noch
so jungen dichterischen Laufbahn erklommen hat, und von der sie bisher selten
genug herabstieg. Und man darf begierig sein, ob es ihr gelingt, in den noch
verheißnen zwei Bänden den Reiz und die Farbenpracht dieses ersten fest¬
zuhalten.

Aus dem reichen, weichen Süden in den kargen, harten Norden, von
Ricarda Huch zu Jakob Knudsen. Dieser dänische Erzähler ist bisher in Deutsch¬
land nicht bekannt geworden, und es ist verdienstlich, daß uns sein Hauptwerk,
der Roman „Anders Hjarmsted", in einer von Hermann Kiy besorgten Über¬
setzung nun vorgestellt wird (Leipzig, Johannes von Schalscha - Ehrenfeld).
Diesem Bauern Anders Hjarmsted sitzt der ererbte Starrsinn des unbeugsamen
Rechtsuchers im Blute. Ohne Not, nnr dem Recht zuliebe, fängt er Streit mit
seinem mächtigen Nachbarn an, dessen Tochter er obendrein liebt. Und als ihm
durch schurkischen Trug jeder Weg zur Gerechtigkeit verrammelt wird, greift er
Zum Hammer und erschlägt nacheinander den Adjunkten des Hardesvogts und
den Gefanguenwärter. In der Nacht zwischen den beiden Katastrophen, den
eignen Tod vor Augen, läßt er sich durch den Pfarrer, dem er sich offenbart,
mit der Geliebten trauen. Es ist sehr schwer, solche Szenen ohne falsche
Sentimentalität zu geben — Knudsen ist es gelungen. In einer merkwürdig
knappen und zusammengefaßten Sprache zieht alles vorüber. Aber allerdings,
of Große reckt sich das Bild dieses Menschen nie. Und wenn dänische Beurteiler
das Werk unserm Michael Kohlhaas vergleichen, so können wir Deutsche uns
den Vergleich nicht aneignen. Abgesehen davon, daß wir dem Genius Hein¬
richs von Kleist ohnehin nicht leicht Parallelen zu finden wissen, liegt der
Unterschied auch im Gesichtskreis. Der Knudsens ist bei all seinen Gaben eng.
wie gemeinhin in kleinen Kulturvölkern. Es ist aber etwas andres, ob man
zu einem großen, weit über die Welt herrschenden Volke gehört oder zu einem,
das in bescheidnen Umkreise sein nationales Dasein lebt. Vielleicht liegt auch
der tiefste Unterschied in den so verwandten Genien Hebbels und Ibsens darin.
Der große Deutsche wuchs deshalb so hoch über den großen Normeger hinaus,
weil er das riesige Angebinde der deutschen Kultur mitbekam, das sich der
Skandiuave — bezeichnend genug — in langen Jahren aus zweiter Hand an¬
zueignen bemüht war.

Wenn sich ein andrer, eben deutsch erschienener dänischer Roman, „Hans
im Glück" von Henrik Pontoppidan (Leipzig, Insel-Verlag) trotz diesen Gegen¬
sätzen wohl in die Nähe eines deutschen Meisterwerks, des „Grünen Heinrichs"


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[0421] Neue Romane und Novellen einen Brunnen in der Mitte des Platzes legte." An dieser Stelle versammeln sich Abends nach der Schlacht die bevorzugten Offiziere Garibaldis. und es ist ein eigner Genuß, sie dabei mit Ricarda Huch zu belauschen. Freilich ist es nicht leicht, durch das ganze Werk den Faden der Ereignisse immer fest zu halten, um so mehr, da man das Buch am besten nicht hintereinander, sondern wie edeln Wein schluckweise, dann und wann in Absätzen, genießen sollte. Wir dürfen vertrauen, daß Ricarda Huch auf der Höhe bleibt, die sie in ihrer noch so jungen dichterischen Laufbahn erklommen hat, und von der sie bisher selten genug herabstieg. Und man darf begierig sein, ob es ihr gelingt, in den noch verheißnen zwei Bänden den Reiz und die Farbenpracht dieses ersten fest¬ zuhalten. Aus dem reichen, weichen Süden in den kargen, harten Norden, von Ricarda Huch zu Jakob Knudsen. Dieser dänische Erzähler ist bisher in Deutsch¬ land nicht bekannt geworden, und es ist verdienstlich, daß uns sein Hauptwerk, der Roman „Anders Hjarmsted", in einer von Hermann Kiy besorgten Über¬ setzung nun vorgestellt wird (Leipzig, Johannes von Schalscha - Ehrenfeld). Diesem Bauern Anders Hjarmsted sitzt der ererbte Starrsinn des unbeugsamen Rechtsuchers im Blute. Ohne Not, nnr dem Recht zuliebe, fängt er Streit mit seinem mächtigen Nachbarn an, dessen Tochter er obendrein liebt. Und als ihm durch schurkischen Trug jeder Weg zur Gerechtigkeit verrammelt wird, greift er Zum Hammer und erschlägt nacheinander den Adjunkten des Hardesvogts und den Gefanguenwärter. In der Nacht zwischen den beiden Katastrophen, den eignen Tod vor Augen, läßt er sich durch den Pfarrer, dem er sich offenbart, mit der Geliebten trauen. Es ist sehr schwer, solche Szenen ohne falsche Sentimentalität zu geben — Knudsen ist es gelungen. In einer merkwürdig knappen und zusammengefaßten Sprache zieht alles vorüber. Aber allerdings, of Große reckt sich das Bild dieses Menschen nie. Und wenn dänische Beurteiler das Werk unserm Michael Kohlhaas vergleichen, so können wir Deutsche uns den Vergleich nicht aneignen. Abgesehen davon, daß wir dem Genius Hein¬ richs von Kleist ohnehin nicht leicht Parallelen zu finden wissen, liegt der Unterschied auch im Gesichtskreis. Der Knudsens ist bei all seinen Gaben eng. wie gemeinhin in kleinen Kulturvölkern. Es ist aber etwas andres, ob man zu einem großen, weit über die Welt herrschenden Volke gehört oder zu einem, das in bescheidnen Umkreise sein nationales Dasein lebt. Vielleicht liegt auch der tiefste Unterschied in den so verwandten Genien Hebbels und Ibsens darin. Der große Deutsche wuchs deshalb so hoch über den großen Normeger hinaus, weil er das riesige Angebinde der deutschen Kultur mitbekam, das sich der Skandiuave — bezeichnend genug — in langen Jahren aus zweiter Hand an¬ zueignen bemüht war. Wenn sich ein andrer, eben deutsch erschienener dänischer Roman, „Hans im Glück" von Henrik Pontoppidan (Leipzig, Insel-Verlag) trotz diesen Gegen¬ sätzen wohl in die Nähe eines deutschen Meisterwerks, des „Grünen Heinrichs"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/421>, abgerufen am 05.06.2024.