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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Gastfreundschaft in Lrausl'aspien

daß der Kasak eine schöne Erscheinung zu Pferde ist, obgleich sein Aufputz
ein bißchen theatralisch ist, und die Haltung seines Pferdes nach unsern Be¬
griffen meist alles zu wünsche" übrig läßt. Da das Pferdematerial billig ist,
lohnt es ihm nicht, mühselig seinem Tier Gänge anzureiten, die dessen
Gebrauchsfähigkeit ans längere Zeit verbürgen. Hohe Nase ist ihm gleichgiltig.
Die ergänzende Einwirkung von Sporn und Zügel hält er für überflüssig, und
die Kandare kennt er nicht. Dagegen verwendet er die offizielle zur Uniform
gehörende Nagaikn, eine kurze Peitsche mit festem Stiel und beweglichem, leder-
umsponnenem Ochsenziemer oder Ledergeflecht, um sein Pferd zur Höchstleistung
anzutreiben und -- sich gelegentlich Platz zu machen. Die Pferdepslege ist
nicht viel wert, die Fütterung unregelmäßig und auf Erziehung zur Genüg¬
samkeit berechnet. Im Bedarfsfall muß sich das Tier sein bißchen Futter
selbst zusammensuchen, und darum wird es Nachts, an den Fesseln gekoppelt,
losgelassen. Trotzdem verlangt und findet der Kasak hündische Anhänglichkeit
bei seinem Tier. Was er ihm zumutet, geht weit über das hinaus, was
Anatomie und Reitinstruktion für möglich halten. So ists zum Beispiel mit
der Dshigitowka. Dshigit ist allgemein die Bezeichnung für einen schneidigen
Reiter. Wer ein solcher sein will, muß auf dem galoppierenden Pferde auch
im Gelände quer sitzen, knien, liegen, stehn, schießen, an der Seite hängen,
ferner in der Bewegung auf und ab springen, Gegenstünde vom Boden auf¬
nehmen und Kunststücke machen können, die in den Zirkus gehören. Solche
Kenntnisse und ein Pferd, das sie sich gefalle,: läßt, bringt der dienstpflichtige
lunga Kasak mit. Findigkeit ist ihm eigen, und so könnte er ein vorzüglicher
Kavallerist werden, wenn seine militärische Ausbildung sachgemäßer wäre.
Immerhin stehn die Kasaken im Aufklärungsdienst, im Gefecht zu Fuß und
Kampf gegen irreguläre Reiterei auf ziemlich hoher, von der russischen
Kavallerie selbst neidlos zuerkannter Stufe russischer Vollkommenheit. Was
uns die zur Vorführung befohlne Ssotnje gezeigt hat, entsprach dem eben
Gesagten insofern, als das Dshigitiercu ein sehr hübsches, militärisch wertloses
V'it, das Reiten ein forsches Naturreiten und die Handhabung der Waffen
Hieb und Stich ebenso mangelhaft war wie die Haltung des Pferdes.
Unter diesem Fehler litt auch die Geschlossenheit des Exerzierens. Die Attacke
wurde trotz des Gebrülls aus rauhen Kehlen zu keinem Akt imponierender
kavalleristischer Tätigkeit, weil die Gangart unklar war, und darum erst recht
die Geschlossenheit fehlte, der Chok aber in einem Tempo erfolgte, das kaum
den Namen eines starken Galopps verdient.

Famose, verläßliche Gesellschaft übrigens, diese Kasaken! Treu dem Zaren
ergeben, dessen Vorfahren ihnen durch Ansiedlung an den Grenzen und
wancherlei Vorrechte eine materiell gesicherte, ihren Neigungen entsprechende
Existenz gegeben haben, sind sie eine immer kriegsbereite Landwehr und in
den stehenden Regimentern im ganzen eine vorzügliche Truppe in der Hand
wichtiger Führer. Weil sie keine Interessengemeinschaft mit der Bevölkerung


Russische Gastfreundschaft in Lrausl'aspien

daß der Kasak eine schöne Erscheinung zu Pferde ist, obgleich sein Aufputz
ein bißchen theatralisch ist, und die Haltung seines Pferdes nach unsern Be¬
griffen meist alles zu wünsche» übrig läßt. Da das Pferdematerial billig ist,
lohnt es ihm nicht, mühselig seinem Tier Gänge anzureiten, die dessen
Gebrauchsfähigkeit ans längere Zeit verbürgen. Hohe Nase ist ihm gleichgiltig.
Die ergänzende Einwirkung von Sporn und Zügel hält er für überflüssig, und
die Kandare kennt er nicht. Dagegen verwendet er die offizielle zur Uniform
gehörende Nagaikn, eine kurze Peitsche mit festem Stiel und beweglichem, leder-
umsponnenem Ochsenziemer oder Ledergeflecht, um sein Pferd zur Höchstleistung
anzutreiben und — sich gelegentlich Platz zu machen. Die Pferdepslege ist
nicht viel wert, die Fütterung unregelmäßig und auf Erziehung zur Genüg¬
samkeit berechnet. Im Bedarfsfall muß sich das Tier sein bißchen Futter
selbst zusammensuchen, und darum wird es Nachts, an den Fesseln gekoppelt,
losgelassen. Trotzdem verlangt und findet der Kasak hündische Anhänglichkeit
bei seinem Tier. Was er ihm zumutet, geht weit über das hinaus, was
Anatomie und Reitinstruktion für möglich halten. So ists zum Beispiel mit
der Dshigitowka. Dshigit ist allgemein die Bezeichnung für einen schneidigen
Reiter. Wer ein solcher sein will, muß auf dem galoppierenden Pferde auch
im Gelände quer sitzen, knien, liegen, stehn, schießen, an der Seite hängen,
ferner in der Bewegung auf und ab springen, Gegenstünde vom Boden auf¬
nehmen und Kunststücke machen können, die in den Zirkus gehören. Solche
Kenntnisse und ein Pferd, das sie sich gefalle,: läßt, bringt der dienstpflichtige
lunga Kasak mit. Findigkeit ist ihm eigen, und so könnte er ein vorzüglicher
Kavallerist werden, wenn seine militärische Ausbildung sachgemäßer wäre.
Immerhin stehn die Kasaken im Aufklärungsdienst, im Gefecht zu Fuß und
Kampf gegen irreguläre Reiterei auf ziemlich hoher, von der russischen
Kavallerie selbst neidlos zuerkannter Stufe russischer Vollkommenheit. Was
uns die zur Vorführung befohlne Ssotnje gezeigt hat, entsprach dem eben
Gesagten insofern, als das Dshigitiercu ein sehr hübsches, militärisch wertloses
V'it, das Reiten ein forsches Naturreiten und die Handhabung der Waffen
Hieb und Stich ebenso mangelhaft war wie die Haltung des Pferdes.
Unter diesem Fehler litt auch die Geschlossenheit des Exerzierens. Die Attacke
wurde trotz des Gebrülls aus rauhen Kehlen zu keinem Akt imponierender
kavalleristischer Tätigkeit, weil die Gangart unklar war, und darum erst recht
die Geschlossenheit fehlte, der Chok aber in einem Tempo erfolgte, das kaum
den Namen eines starken Galopps verdient.

Famose, verläßliche Gesellschaft übrigens, diese Kasaken! Treu dem Zaren
ergeben, dessen Vorfahren ihnen durch Ansiedlung an den Grenzen und
wancherlei Vorrechte eine materiell gesicherte, ihren Neigungen entsprechende
Existenz gegeben haben, sind sie eine immer kriegsbereite Landwehr und in
den stehenden Regimentern im ganzen eine vorzügliche Truppe in der Hand
wichtiger Führer. Weil sie keine Interessengemeinschaft mit der Bevölkerung


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[0431] Russische Gastfreundschaft in Lrausl'aspien daß der Kasak eine schöne Erscheinung zu Pferde ist, obgleich sein Aufputz ein bißchen theatralisch ist, und die Haltung seines Pferdes nach unsern Be¬ griffen meist alles zu wünsche» übrig läßt. Da das Pferdematerial billig ist, lohnt es ihm nicht, mühselig seinem Tier Gänge anzureiten, die dessen Gebrauchsfähigkeit ans längere Zeit verbürgen. Hohe Nase ist ihm gleichgiltig. Die ergänzende Einwirkung von Sporn und Zügel hält er für überflüssig, und die Kandare kennt er nicht. Dagegen verwendet er die offizielle zur Uniform gehörende Nagaikn, eine kurze Peitsche mit festem Stiel und beweglichem, leder- umsponnenem Ochsenziemer oder Ledergeflecht, um sein Pferd zur Höchstleistung anzutreiben und — sich gelegentlich Platz zu machen. Die Pferdepslege ist nicht viel wert, die Fütterung unregelmäßig und auf Erziehung zur Genüg¬ samkeit berechnet. Im Bedarfsfall muß sich das Tier sein bißchen Futter selbst zusammensuchen, und darum wird es Nachts, an den Fesseln gekoppelt, losgelassen. Trotzdem verlangt und findet der Kasak hündische Anhänglichkeit bei seinem Tier. Was er ihm zumutet, geht weit über das hinaus, was Anatomie und Reitinstruktion für möglich halten. So ists zum Beispiel mit der Dshigitowka. Dshigit ist allgemein die Bezeichnung für einen schneidigen Reiter. Wer ein solcher sein will, muß auf dem galoppierenden Pferde auch im Gelände quer sitzen, knien, liegen, stehn, schießen, an der Seite hängen, ferner in der Bewegung auf und ab springen, Gegenstünde vom Boden auf¬ nehmen und Kunststücke machen können, die in den Zirkus gehören. Solche Kenntnisse und ein Pferd, das sie sich gefalle,: läßt, bringt der dienstpflichtige lunga Kasak mit. Findigkeit ist ihm eigen, und so könnte er ein vorzüglicher Kavallerist werden, wenn seine militärische Ausbildung sachgemäßer wäre. Immerhin stehn die Kasaken im Aufklärungsdienst, im Gefecht zu Fuß und Kampf gegen irreguläre Reiterei auf ziemlich hoher, von der russischen Kavallerie selbst neidlos zuerkannter Stufe russischer Vollkommenheit. Was uns die zur Vorführung befohlne Ssotnje gezeigt hat, entsprach dem eben Gesagten insofern, als das Dshigitiercu ein sehr hübsches, militärisch wertloses V'it, das Reiten ein forsches Naturreiten und die Handhabung der Waffen Hieb und Stich ebenso mangelhaft war wie die Haltung des Pferdes. Unter diesem Fehler litt auch die Geschlossenheit des Exerzierens. Die Attacke wurde trotz des Gebrülls aus rauhen Kehlen zu keinem Akt imponierender kavalleristischer Tätigkeit, weil die Gangart unklar war, und darum erst recht die Geschlossenheit fehlte, der Chok aber in einem Tempo erfolgte, das kaum den Namen eines starken Galopps verdient. Famose, verläßliche Gesellschaft übrigens, diese Kasaken! Treu dem Zaren ergeben, dessen Vorfahren ihnen durch Ansiedlung an den Grenzen und wancherlei Vorrechte eine materiell gesicherte, ihren Neigungen entsprechende Existenz gegeben haben, sind sie eine immer kriegsbereite Landwehr und in den stehenden Regimentern im ganzen eine vorzügliche Truppe in der Hand wichtiger Führer. Weil sie keine Interessengemeinschaft mit der Bevölkerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/431>, abgerufen am 05.06.2024.