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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Russische Gastfreundschaft in Transkaspien

ihres von der Heimat entfernten Garnisonorts verbindet, sind sie als gute
Soldaten des Zaren ebenso bereit, gegen Unordnungen einzuschreiten. Die
Kasaken deswegen als rohe Schergen der Polizeigewalt um allen Kredit zu
bringen, ist darum ein ganz törichtes Unterfangen des gedankenlosen west¬
europäischen Liberalismus. Übrigens scheint die nicht ganz unbegreifliche
Mißstimmung der niedern Volksschichten gegen die Kasaken in Rußland selbst
deren Neigung für den Polizeihilfsdienst der bisherige,, staatlichen Ordnung
stellenweise etwas abgeschwächt zu haben.

Doch zurück von dieser Abschweifung! Dem Entgegenkommen, womit
unsern Wünschen entsprochen wurde, zollten wir unsern herzlichsten Dank, und
wir konnten nur bitten, uns die Störung der Gemütlichkeit am Sonnabend
Nachmittag nicht nachzutragen. Das Mißverhältnis zwischen der berittnen
Truppe und uns Besichtigenden zu Fuß und im Wagen verhinderte eine
intimere Annäherung, ermöglichte aber dafür unsern Rückzug so rechtzeitig,
daß wir nach einiger Mühe bei der Toilette annähernd zur befohlnen Zeit
beim Kommandierenden eintrafen.

Es waren höchst anregende Stunden, die wir an diesem und dem
folgenden Abend in dem gastlichen Hause verbringen durften, anregend vor
allem durch die offnen Mitteilungen des Hausherrn über die politischen Ver¬
hältnisse im Kaukasus und ans seinem vorgeschobnen Posten. Da bei den
vielfachen Berührungen mit Afghanistan und Persien, insbesondre dem un¬
ruhigen Chorassan die Verwicklungen nie recht enden, so ist auch die politische
Verantwortlichkeit des Gebietschefs keine geringe. Seine Truppen siud größten¬
teils auf dem Kriegsfuß oder wenigstens auf erhöhtem Etat und jederzeit
kriegsbereit. Von feiten der Engländer, deren Offiziere häufig Transkaspien
bereisen, versah man sich nichts gutes. Ebenso war man sich darüber klar,
daß die von Kaukasien und aus der Mandschurei eintreffenden ungünstigen
Nachrichten -- zu der Zeit unsrer Anwesenheit bahnte sich die Entscheidung
der Schlachten bei Mulden an, und die Situation wurde vou Exzellenz U.
für unhaltbar angesehen -- beunruhigend einwirken müßten. Unordnungen
wurden besonders von seiten der Armenier befürchtet; sie sind ja auch in¬
zwischen im persischen Meschhed zum Ausbruch gekommen. Unter den mit uns
geladner Gästen beanspruchte unsre Aufmerksamkeit ein Ingenieur, der viel in
Persien gereist war, ferner der Polizeimeister von Aschabad, ein Stabs¬
kapitän P., dessen besondrer Fürsorge wir anscheinend anvertraut waren, und
der schon genannte Oberst v. H., der aus seiner belebten militärischen Ver¬
gangenheit in Petro-Alexandrowsk, Kuldsha, Audishan, Taschkend und Shmeriuka
mit einem Hauch von Heimweh zu erzählen verstand, und dessen Gattin Nnssisch-
Zentralasien an seiner Seite gründlich kennen gelernt hatte. Die Unterhaltung
war vielsprachig. Die jungen Damen des Hauses haben eine ausgezeichnete
Erziehung erhalten und beherrschen Deutsch, Französisch und Englisch wie das
Russische "ud ihre Muttersprache! das Polnische, Auch hier war es schwer,


Russische Gastfreundschaft in Transkaspien

ihres von der Heimat entfernten Garnisonorts verbindet, sind sie als gute
Soldaten des Zaren ebenso bereit, gegen Unordnungen einzuschreiten. Die
Kasaken deswegen als rohe Schergen der Polizeigewalt um allen Kredit zu
bringen, ist darum ein ganz törichtes Unterfangen des gedankenlosen west¬
europäischen Liberalismus. Übrigens scheint die nicht ganz unbegreifliche
Mißstimmung der niedern Volksschichten gegen die Kasaken in Rußland selbst
deren Neigung für den Polizeihilfsdienst der bisherige,, staatlichen Ordnung
stellenweise etwas abgeschwächt zu haben.

Doch zurück von dieser Abschweifung! Dem Entgegenkommen, womit
unsern Wünschen entsprochen wurde, zollten wir unsern herzlichsten Dank, und
wir konnten nur bitten, uns die Störung der Gemütlichkeit am Sonnabend
Nachmittag nicht nachzutragen. Das Mißverhältnis zwischen der berittnen
Truppe und uns Besichtigenden zu Fuß und im Wagen verhinderte eine
intimere Annäherung, ermöglichte aber dafür unsern Rückzug so rechtzeitig,
daß wir nach einiger Mühe bei der Toilette annähernd zur befohlnen Zeit
beim Kommandierenden eintrafen.

Es waren höchst anregende Stunden, die wir an diesem und dem
folgenden Abend in dem gastlichen Hause verbringen durften, anregend vor
allem durch die offnen Mitteilungen des Hausherrn über die politischen Ver¬
hältnisse im Kaukasus und ans seinem vorgeschobnen Posten. Da bei den
vielfachen Berührungen mit Afghanistan und Persien, insbesondre dem un¬
ruhigen Chorassan die Verwicklungen nie recht enden, so ist auch die politische
Verantwortlichkeit des Gebietschefs keine geringe. Seine Truppen siud größten¬
teils auf dem Kriegsfuß oder wenigstens auf erhöhtem Etat und jederzeit
kriegsbereit. Von feiten der Engländer, deren Offiziere häufig Transkaspien
bereisen, versah man sich nichts gutes. Ebenso war man sich darüber klar,
daß die von Kaukasien und aus der Mandschurei eintreffenden ungünstigen
Nachrichten — zu der Zeit unsrer Anwesenheit bahnte sich die Entscheidung
der Schlachten bei Mulden an, und die Situation wurde vou Exzellenz U.
für unhaltbar angesehen — beunruhigend einwirken müßten. Unordnungen
wurden besonders von seiten der Armenier befürchtet; sie sind ja auch in¬
zwischen im persischen Meschhed zum Ausbruch gekommen. Unter den mit uns
geladner Gästen beanspruchte unsre Aufmerksamkeit ein Ingenieur, der viel in
Persien gereist war, ferner der Polizeimeister von Aschabad, ein Stabs¬
kapitän P., dessen besondrer Fürsorge wir anscheinend anvertraut waren, und
der schon genannte Oberst v. H., der aus seiner belebten militärischen Ver¬
gangenheit in Petro-Alexandrowsk, Kuldsha, Audishan, Taschkend und Shmeriuka
mit einem Hauch von Heimweh zu erzählen verstand, und dessen Gattin Nnssisch-
Zentralasien an seiner Seite gründlich kennen gelernt hatte. Die Unterhaltung
war vielsprachig. Die jungen Damen des Hauses haben eine ausgezeichnete
Erziehung erhalten und beherrschen Deutsch, Französisch und Englisch wie das
Russische »ud ihre Muttersprache! das Polnische, Auch hier war es schwer,


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[0432] Russische Gastfreundschaft in Transkaspien ihres von der Heimat entfernten Garnisonorts verbindet, sind sie als gute Soldaten des Zaren ebenso bereit, gegen Unordnungen einzuschreiten. Die Kasaken deswegen als rohe Schergen der Polizeigewalt um allen Kredit zu bringen, ist darum ein ganz törichtes Unterfangen des gedankenlosen west¬ europäischen Liberalismus. Übrigens scheint die nicht ganz unbegreifliche Mißstimmung der niedern Volksschichten gegen die Kasaken in Rußland selbst deren Neigung für den Polizeihilfsdienst der bisherige,, staatlichen Ordnung stellenweise etwas abgeschwächt zu haben. Doch zurück von dieser Abschweifung! Dem Entgegenkommen, womit unsern Wünschen entsprochen wurde, zollten wir unsern herzlichsten Dank, und wir konnten nur bitten, uns die Störung der Gemütlichkeit am Sonnabend Nachmittag nicht nachzutragen. Das Mißverhältnis zwischen der berittnen Truppe und uns Besichtigenden zu Fuß und im Wagen verhinderte eine intimere Annäherung, ermöglichte aber dafür unsern Rückzug so rechtzeitig, daß wir nach einiger Mühe bei der Toilette annähernd zur befohlnen Zeit beim Kommandierenden eintrafen. Es waren höchst anregende Stunden, die wir an diesem und dem folgenden Abend in dem gastlichen Hause verbringen durften, anregend vor allem durch die offnen Mitteilungen des Hausherrn über die politischen Ver¬ hältnisse im Kaukasus und ans seinem vorgeschobnen Posten. Da bei den vielfachen Berührungen mit Afghanistan und Persien, insbesondre dem un¬ ruhigen Chorassan die Verwicklungen nie recht enden, so ist auch die politische Verantwortlichkeit des Gebietschefs keine geringe. Seine Truppen siud größten¬ teils auf dem Kriegsfuß oder wenigstens auf erhöhtem Etat und jederzeit kriegsbereit. Von feiten der Engländer, deren Offiziere häufig Transkaspien bereisen, versah man sich nichts gutes. Ebenso war man sich darüber klar, daß die von Kaukasien und aus der Mandschurei eintreffenden ungünstigen Nachrichten — zu der Zeit unsrer Anwesenheit bahnte sich die Entscheidung der Schlachten bei Mulden an, und die Situation wurde vou Exzellenz U. für unhaltbar angesehen — beunruhigend einwirken müßten. Unordnungen wurden besonders von seiten der Armenier befürchtet; sie sind ja auch in¬ zwischen im persischen Meschhed zum Ausbruch gekommen. Unter den mit uns geladner Gästen beanspruchte unsre Aufmerksamkeit ein Ingenieur, der viel in Persien gereist war, ferner der Polizeimeister von Aschabad, ein Stabs¬ kapitän P., dessen besondrer Fürsorge wir anscheinend anvertraut waren, und der schon genannte Oberst v. H., der aus seiner belebten militärischen Ver¬ gangenheit in Petro-Alexandrowsk, Kuldsha, Audishan, Taschkend und Shmeriuka mit einem Hauch von Heimweh zu erzählen verstand, und dessen Gattin Nnssisch- Zentralasien an seiner Seite gründlich kennen gelernt hatte. Die Unterhaltung war vielsprachig. Die jungen Damen des Hauses haben eine ausgezeichnete Erziehung erhalten und beherrschen Deutsch, Französisch und Englisch wie das Russische »ud ihre Muttersprache! das Polnische, Auch hier war es schwer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/432>, abgerufen am 16.05.2024.