Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
^einiatsehnsncht

Ein süßes, blondhaariges, junges Geschöpf, sagte Maria, als spräche sie zu
sich selbst. Ich sehe sie noch -- so duftig zart in ihrem ganz einfachen weißen
Kleide, eiuen Zweig blaßrotcr Rosen an der Brust. Schüchtern wie ein Kind kam
sie aufs Podium, aber dann, bei den ersten Klavierakkorden, vergaß sie Publikum
und Schüchternheit und die ganze Welt -- und gab und gab mit vollen Händen
von ihrem Reichtum. Wir waren damals in einer kleinen Stadt im Posenschen,
wohin sich selten eine musikalische Größe verirrte, nud das Publikum klatschte und
schrie vor Entzücken -- sie mußte immer und immer wieder heraus aufs Podium
nud verbeugte sich, lächelte unter Tränen und war glückselig über die Begeisterung
der guten Kleinstädter.

Er stand und blickte auf die Frau nieder, auf ihr schönes bewegliches Gesicht,
in demi sich alle Güte, Größe und Wärme ihres Herzens spiegelte. Ihre Worte
taten ihm unbeschreiblich Wohl, er fühlte, daß sie ihm ihre Teilnahme beweisen, ihm
in dieser Stunde etwas Liebes tun wollte -- und zum erstenmal erwachte etwas
Wie Haß und Zorn in ihm gegen den Mann, der ihr Glück und den Frieden
seines Hauses seinen überstrengcn starren Grundsätzen opferte.

Aber es war nicht dieses Gefühl allein, was ihm die Lippen schloß.

Wie merkwürdig, daß Sie es waren, der dieses kleine Lied komponiert hatte,
an das ich so oft gedacht, und das doch wie in eine Versenkung meines Gedächt¬
nisses hinnbgerutscht war, fuhr Maria fort. Ich erkannte es auf den ersten Ton --
und ich möchte fast glauben, es sei Ihr bestes.

Mein bestes, ich weiß es Wohl, sagte er langsam. Ich bin seitdem reifer ge¬
worden, bin in vielem gewachsen -- aber in dem Liede gab ich meine Jngend.
Ich hab es nie drucken lassen -- es gehörte ihr, der Toten. Zufällig kam mirs
dieser Tage in die Finger -- nach Jahren --, da spielte und sang ichs für Sie.
Was die andern sagen, ist mir gleich, Ihr Urteil wollt ich hören.

So dank ich Ihnen noch einmal und von Herzen! Sie haben mir viel ge¬
geben, damals und heute -- mein Freund! Sie wußte selbst nicht warum --
aber die vertraute Anrede, die sie sich halb im Scherz von den Kindern angewöhnt
hatte, wäre ihr in diesem Augenblick nicht über die Lippen gegangen.

Er half ihr sich aus dem tiefen Schaukelstuhl aufrichten, und ehe sie sichs
versah, beugte er sich über ihre Hände und küßte sie. Maria! sagte er leise,
leidenschaftlich.

Sie zuckte zusammen -- aber sie ließ ihm die Hände noch für die Dauer
eines Augenblicks, in ihren Ohren klang es mit seiner Stimme wie ein Lied aus
ferner, ferner Zeit:-

(Fortsetzung folgt)




^einiatsehnsncht

Ein süßes, blondhaariges, junges Geschöpf, sagte Maria, als spräche sie zu
sich selbst. Ich sehe sie noch — so duftig zart in ihrem ganz einfachen weißen
Kleide, eiuen Zweig blaßrotcr Rosen an der Brust. Schüchtern wie ein Kind kam
sie aufs Podium, aber dann, bei den ersten Klavierakkorden, vergaß sie Publikum
und Schüchternheit und die ganze Welt — und gab und gab mit vollen Händen
von ihrem Reichtum. Wir waren damals in einer kleinen Stadt im Posenschen,
wohin sich selten eine musikalische Größe verirrte, nud das Publikum klatschte und
schrie vor Entzücken — sie mußte immer und immer wieder heraus aufs Podium
nud verbeugte sich, lächelte unter Tränen und war glückselig über die Begeisterung
der guten Kleinstädter.

Er stand und blickte auf die Frau nieder, auf ihr schönes bewegliches Gesicht,
in demi sich alle Güte, Größe und Wärme ihres Herzens spiegelte. Ihre Worte
taten ihm unbeschreiblich Wohl, er fühlte, daß sie ihm ihre Teilnahme beweisen, ihm
in dieser Stunde etwas Liebes tun wollte — und zum erstenmal erwachte etwas
Wie Haß und Zorn in ihm gegen den Mann, der ihr Glück und den Frieden
seines Hauses seinen überstrengcn starren Grundsätzen opferte.

Aber es war nicht dieses Gefühl allein, was ihm die Lippen schloß.

Wie merkwürdig, daß Sie es waren, der dieses kleine Lied komponiert hatte,
an das ich so oft gedacht, und das doch wie in eine Versenkung meines Gedächt¬
nisses hinnbgerutscht war, fuhr Maria fort. Ich erkannte es auf den ersten Ton —
und ich möchte fast glauben, es sei Ihr bestes.

Mein bestes, ich weiß es Wohl, sagte er langsam. Ich bin seitdem reifer ge¬
worden, bin in vielem gewachsen — aber in dem Liede gab ich meine Jngend.
Ich hab es nie drucken lassen — es gehörte ihr, der Toten. Zufällig kam mirs
dieser Tage in die Finger — nach Jahren —, da spielte und sang ichs für Sie.
Was die andern sagen, ist mir gleich, Ihr Urteil wollt ich hören.

So dank ich Ihnen noch einmal und von Herzen! Sie haben mir viel ge¬
geben, damals und heute — mein Freund! Sie wußte selbst nicht warum —
aber die vertraute Anrede, die sie sich halb im Scherz von den Kindern angewöhnt
hatte, wäre ihr in diesem Augenblick nicht über die Lippen gegangen.

Er half ihr sich aus dem tiefen Schaukelstuhl aufrichten, und ehe sie sichs
versah, beugte er sich über ihre Hände und küßte sie. Maria! sagte er leise,
leidenschaftlich.

Sie zuckte zusammen — aber sie ließ ihm die Hände noch für die Dauer
eines Augenblicks, in ihren Ohren klang es mit seiner Stimme wie ein Lied aus
ferner, ferner Zeit:-

(Fortsetzung folgt)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300947"/>
          <fw type="header" place="top"> ^einiatsehnsncht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1861"> Ein süßes, blondhaariges, junges Geschöpf, sagte Maria, als spräche sie zu<lb/>
sich selbst. Ich sehe sie noch &#x2014; so duftig zart in ihrem ganz einfachen weißen<lb/>
Kleide, eiuen Zweig blaßrotcr Rosen an der Brust. Schüchtern wie ein Kind kam<lb/>
sie aufs Podium, aber dann, bei den ersten Klavierakkorden, vergaß sie Publikum<lb/>
und Schüchternheit und die ganze Welt &#x2014; und gab und gab mit vollen Händen<lb/>
von ihrem Reichtum. Wir waren damals in einer kleinen Stadt im Posenschen,<lb/>
wohin sich selten eine musikalische Größe verirrte, nud das Publikum klatschte und<lb/>
schrie vor Entzücken &#x2014; sie mußte immer und immer wieder heraus aufs Podium<lb/>
nud verbeugte sich, lächelte unter Tränen und war glückselig über die Begeisterung<lb/>
der guten Kleinstädter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1862"> Er stand und blickte auf die Frau nieder, auf ihr schönes bewegliches Gesicht,<lb/>
in demi sich alle Güte, Größe und Wärme ihres Herzens spiegelte. Ihre Worte<lb/>
taten ihm unbeschreiblich Wohl, er fühlte, daß sie ihm ihre Teilnahme beweisen, ihm<lb/>
in dieser Stunde etwas Liebes tun wollte &#x2014; und zum erstenmal erwachte etwas<lb/>
Wie Haß und Zorn in ihm gegen den Mann, der ihr Glück und den Frieden<lb/>
seines Hauses seinen überstrengcn starren Grundsätzen opferte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1863"> Aber es war nicht dieses Gefühl allein, was ihm die Lippen schloß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1864"> Wie merkwürdig, daß Sie es waren, der dieses kleine Lied komponiert hatte,<lb/>
an das ich so oft gedacht, und das doch wie in eine Versenkung meines Gedächt¬<lb/>
nisses hinnbgerutscht war, fuhr Maria fort. Ich erkannte es auf den ersten Ton &#x2014;<lb/>
und ich möchte fast glauben, es sei Ihr bestes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1865"> Mein bestes, ich weiß es Wohl, sagte er langsam. Ich bin seitdem reifer ge¬<lb/>
worden, bin in vielem gewachsen &#x2014; aber in dem Liede gab ich meine Jngend.<lb/>
Ich hab es nie drucken lassen &#x2014; es gehörte ihr, der Toten. Zufällig kam mirs<lb/>
dieser Tage in die Finger &#x2014; nach Jahren &#x2014;, da spielte und sang ichs für Sie.<lb/>
Was die andern sagen, ist mir gleich, Ihr Urteil wollt ich hören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1866"> So dank ich Ihnen noch einmal und von Herzen! Sie haben mir viel ge¬<lb/>
geben, damals und heute &#x2014; mein Freund! Sie wußte selbst nicht warum &#x2014;<lb/>
aber die vertraute Anrede, die sie sich halb im Scherz von den Kindern angewöhnt<lb/>
hatte, wäre ihr in diesem Augenblick nicht über die Lippen gegangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1867"> Er half ihr sich aus dem tiefen Schaukelstuhl aufrichten, und ehe sie sichs<lb/>
versah, beugte er sich über ihre Hände und küßte sie. Maria! sagte er leise,<lb/>
leidenschaftlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1868"> Sie zuckte zusammen &#x2014; aber sie ließ ihm die Hände noch für die Dauer<lb/>
eines Augenblicks, in ihren Ohren klang es mit seiner Stimme wie ein Lied aus<lb/>
ferner, ferner Zeit:-</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_11" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1869"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] ^einiatsehnsncht Ein süßes, blondhaariges, junges Geschöpf, sagte Maria, als spräche sie zu sich selbst. Ich sehe sie noch — so duftig zart in ihrem ganz einfachen weißen Kleide, eiuen Zweig blaßrotcr Rosen an der Brust. Schüchtern wie ein Kind kam sie aufs Podium, aber dann, bei den ersten Klavierakkorden, vergaß sie Publikum und Schüchternheit und die ganze Welt — und gab und gab mit vollen Händen von ihrem Reichtum. Wir waren damals in einer kleinen Stadt im Posenschen, wohin sich selten eine musikalische Größe verirrte, nud das Publikum klatschte und schrie vor Entzücken — sie mußte immer und immer wieder heraus aufs Podium nud verbeugte sich, lächelte unter Tränen und war glückselig über die Begeisterung der guten Kleinstädter. Er stand und blickte auf die Frau nieder, auf ihr schönes bewegliches Gesicht, in demi sich alle Güte, Größe und Wärme ihres Herzens spiegelte. Ihre Worte taten ihm unbeschreiblich Wohl, er fühlte, daß sie ihm ihre Teilnahme beweisen, ihm in dieser Stunde etwas Liebes tun wollte — und zum erstenmal erwachte etwas Wie Haß und Zorn in ihm gegen den Mann, der ihr Glück und den Frieden seines Hauses seinen überstrengcn starren Grundsätzen opferte. Aber es war nicht dieses Gefühl allein, was ihm die Lippen schloß. Wie merkwürdig, daß Sie es waren, der dieses kleine Lied komponiert hatte, an das ich so oft gedacht, und das doch wie in eine Versenkung meines Gedächt¬ nisses hinnbgerutscht war, fuhr Maria fort. Ich erkannte es auf den ersten Ton — und ich möchte fast glauben, es sei Ihr bestes. Mein bestes, ich weiß es Wohl, sagte er langsam. Ich bin seitdem reifer ge¬ worden, bin in vielem gewachsen — aber in dem Liede gab ich meine Jngend. Ich hab es nie drucken lassen — es gehörte ihr, der Toten. Zufällig kam mirs dieser Tage in die Finger — nach Jahren —, da spielte und sang ichs für Sie. Was die andern sagen, ist mir gleich, Ihr Urteil wollt ich hören. So dank ich Ihnen noch einmal und von Herzen! Sie haben mir viel ge¬ geben, damals und heute — mein Freund! Sie wußte selbst nicht warum — aber die vertraute Anrede, die sie sich halb im Scherz von den Kindern angewöhnt hatte, wäre ihr in diesem Augenblick nicht über die Lippen gegangen. Er half ihr sich aus dem tiefen Schaukelstuhl aufrichten, und ehe sie sichs versah, beugte er sich über ihre Hände und küßte sie. Maria! sagte er leise, leidenschaftlich. Sie zuckte zusammen — aber sie ließ ihm die Hände noch für die Dauer eines Augenblicks, in ihren Ohren klang es mit seiner Stimme wie ein Lied aus ferner, ferner Zeit:- (Fortsetzung folgt)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/448>, abgerufen am 15.05.2024.