Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Moritz Lazarus Lebenserinnerungen

hiiinanitärer Bestrebungen; ferner hat er es durch eine ganz hervorragende Be¬
weglichkeit des Geistes, durch ein ungewöhnliches Maß von Liebenswürdigkeit
und durch einen nie ermattenden Idealismus verstanden, mit den verschiedensten
Kreisen unsers Volkes, vor allem mit einer sehr großen Zahl seiner Dichter
und Denker in enge, für beide Teile fruchtbare Beziehungen zu treten. Des¬
halb war es ein aussichtsreiches Unternehmen, wenn sich Lazarus zweite Gattin
Rabida Lazarus und sein früherer Schüler Professor Alfred Leicht vereinigt
haben, um aus den reichen Erinnerungen und Briefschaften Lazarus eine Aus¬
lese herauszugeben. Der stattliche Band ist eine der interessantesten Publikationen
des Jahres 1906 geworden.*)

Es ist sehr angenehm, unterhaltend und lehrreich, in dem Buche zu lesen
^ dafür sorgt schon die künstlerisch abgerundete Form der meisten zwanglos
aneinander gereihten Essays, aus denen es besteht --, aber es ist sehr schwer,
dem Buche gegenüber einen kritischen Standpunkt zu gewinnen. Zunächst möchte
man wissen, wie Frau Rabida Lazarus und Alfred Leicht die Arbeit unter¬
einander verteilt hatten. Das Vorwort läßt uns über diesen Punkt nicht klar
sehen; ich habe deshalb bei Alfred Leicht brieflich angefragt und erfahren, daß
die erste Fassung der meisten Kapitel von Frau Lazarus, die Schlußredaktion
von beiden Herausgebern stamme. "Wir haben derartig alles gemeinsam ver¬
arbeitet, daß sich der Anteil gar nicht mehr einem jeden zumessen läßt; jeder
Satz ist das Produkt unsrer Besprechung." Trotzdem glaube ich mutmaßen zu
dürfen, daß die Teile des Buches, die auf Erzählungen und Diktate" vou
Lazarus beruhen, mehr vou Frau Lazarus redigiert sind, daß aber die aus den
Briefschaften und wissenschaftlichen Arbeiten herangezognen Belege und Er¬
gänzungen mehr Alfred Leicht zu verdanken sind. Frau Rabida Lazarus ist
offenbar eine sehr begabte Frau (sie hat mit zwanzig Jahren einen dramatischen
Versuch unter Laubes Direktion auf die Bühne des Wiener.Hofburgtheaters ge¬
bracht und ist in erster Ehe mit dem jung verstorbnen Feuilletonisten der
Vossischen Zeitung, Dr. Remy, verheiratet gewesen). Sie hat viel Geist und
Temperament, aber -- echt weiblich -- auch viel subjektives Empfinden in den
Stoff hineingetragen; Professor Leicht, der sich schon durch sehr sorgfältige
Arbeiten zur Geschichte Meißens und durch die Ausgabe von Lazarus "Päda¬
gogischen Briefen" sowie durch die Broschüre "Lazarus. der Begründer der Völker¬
psychologie" bekannt gemacht hat. vertritt mehr das Prinzip der objektiven
Forschung.

Das Buch will weder ein Geschichtswerk noch irgendwie eine Biographie
°es Mannes sein, dessen Andenken es gewidmet ist, sondern es soll vor allein
d'e Erinnerungen festhalten, die Lazarus von seinen bedeutendern Zeitgenossen



" ') Moritz Lazarus Lebenserinnerungen. Bearbeitet von Rabida Lazarus und
Alfred Leicht. Mit einem Titelbild. IV und 631 Seiten. Großoktav, Berlin. Georg Reimer.
^"6> Pr^z ungebunden 12 Mark.
Grenzboten IV 1SW ^
Moritz Lazarus Lebenserinnerungen

hiiinanitärer Bestrebungen; ferner hat er es durch eine ganz hervorragende Be¬
weglichkeit des Geistes, durch ein ungewöhnliches Maß von Liebenswürdigkeit
und durch einen nie ermattenden Idealismus verstanden, mit den verschiedensten
Kreisen unsers Volkes, vor allem mit einer sehr großen Zahl seiner Dichter
und Denker in enge, für beide Teile fruchtbare Beziehungen zu treten. Des¬
halb war es ein aussichtsreiches Unternehmen, wenn sich Lazarus zweite Gattin
Rabida Lazarus und sein früherer Schüler Professor Alfred Leicht vereinigt
haben, um aus den reichen Erinnerungen und Briefschaften Lazarus eine Aus¬
lese herauszugeben. Der stattliche Band ist eine der interessantesten Publikationen
des Jahres 1906 geworden.*)

Es ist sehr angenehm, unterhaltend und lehrreich, in dem Buche zu lesen
^ dafür sorgt schon die künstlerisch abgerundete Form der meisten zwanglos
aneinander gereihten Essays, aus denen es besteht —, aber es ist sehr schwer,
dem Buche gegenüber einen kritischen Standpunkt zu gewinnen. Zunächst möchte
man wissen, wie Frau Rabida Lazarus und Alfred Leicht die Arbeit unter¬
einander verteilt hatten. Das Vorwort läßt uns über diesen Punkt nicht klar
sehen; ich habe deshalb bei Alfred Leicht brieflich angefragt und erfahren, daß
die erste Fassung der meisten Kapitel von Frau Lazarus, die Schlußredaktion
von beiden Herausgebern stamme. „Wir haben derartig alles gemeinsam ver¬
arbeitet, daß sich der Anteil gar nicht mehr einem jeden zumessen läßt; jeder
Satz ist das Produkt unsrer Besprechung." Trotzdem glaube ich mutmaßen zu
dürfen, daß die Teile des Buches, die auf Erzählungen und Diktate» vou
Lazarus beruhen, mehr vou Frau Lazarus redigiert sind, daß aber die aus den
Briefschaften und wissenschaftlichen Arbeiten herangezognen Belege und Er¬
gänzungen mehr Alfred Leicht zu verdanken sind. Frau Rabida Lazarus ist
offenbar eine sehr begabte Frau (sie hat mit zwanzig Jahren einen dramatischen
Versuch unter Laubes Direktion auf die Bühne des Wiener.Hofburgtheaters ge¬
bracht und ist in erster Ehe mit dem jung verstorbnen Feuilletonisten der
Vossischen Zeitung, Dr. Remy, verheiratet gewesen). Sie hat viel Geist und
Temperament, aber — echt weiblich — auch viel subjektives Empfinden in den
Stoff hineingetragen; Professor Leicht, der sich schon durch sehr sorgfältige
Arbeiten zur Geschichte Meißens und durch die Ausgabe von Lazarus „Päda¬
gogischen Briefen" sowie durch die Broschüre „Lazarus. der Begründer der Völker¬
psychologie" bekannt gemacht hat. vertritt mehr das Prinzip der objektiven
Forschung.

Das Buch will weder ein Geschichtswerk noch irgendwie eine Biographie
°es Mannes sein, dessen Andenken es gewidmet ist, sondern es soll vor allein
d'e Erinnerungen festhalten, die Lazarus von seinen bedeutendern Zeitgenossen



„ ') Moritz Lazarus Lebenserinnerungen. Bearbeitet von Rabida Lazarus und
Alfred Leicht. Mit einem Titelbild. IV und 631 Seiten. Großoktav, Berlin. Georg Reimer.
^"6> Pr^z ungebunden 12 Mark.
Grenzboten IV 1SW ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300964"/>
          <fw type="header" place="top"> Moritz Lazarus Lebenserinnerungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1928" prev="#ID_1927"> hiiinanitärer Bestrebungen; ferner hat er es durch eine ganz hervorragende Be¬<lb/>
weglichkeit des Geistes, durch ein ungewöhnliches Maß von Liebenswürdigkeit<lb/>
und durch einen nie ermattenden Idealismus verstanden, mit den verschiedensten<lb/>
Kreisen unsers Volkes, vor allem mit einer sehr großen Zahl seiner Dichter<lb/>
und Denker in enge, für beide Teile fruchtbare Beziehungen zu treten. Des¬<lb/>
halb war es ein aussichtsreiches Unternehmen, wenn sich Lazarus zweite Gattin<lb/>
Rabida Lazarus und sein früherer Schüler Professor Alfred Leicht vereinigt<lb/>
haben, um aus den reichen Erinnerungen und Briefschaften Lazarus eine Aus¬<lb/>
lese herauszugeben. Der stattliche Band ist eine der interessantesten Publikationen<lb/>
des Jahres 1906 geworden.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1929"> Es ist sehr angenehm, unterhaltend und lehrreich, in dem Buche zu lesen<lb/>
^ dafür sorgt schon die künstlerisch abgerundete Form der meisten zwanglos<lb/>
aneinander gereihten Essays, aus denen es besteht &#x2014;, aber es ist sehr schwer,<lb/>
dem Buche gegenüber einen kritischen Standpunkt zu gewinnen. Zunächst möchte<lb/>
man wissen, wie Frau Rabida Lazarus und Alfred Leicht die Arbeit unter¬<lb/>
einander verteilt hatten. Das Vorwort läßt uns über diesen Punkt nicht klar<lb/>
sehen; ich habe deshalb bei Alfred Leicht brieflich angefragt und erfahren, daß<lb/>
die erste Fassung der meisten Kapitel von Frau Lazarus, die Schlußredaktion<lb/>
von beiden Herausgebern stamme. &#x201E;Wir haben derartig alles gemeinsam ver¬<lb/>
arbeitet, daß sich der Anteil gar nicht mehr einem jeden zumessen läßt; jeder<lb/>
Satz ist das Produkt unsrer Besprechung." Trotzdem glaube ich mutmaßen zu<lb/>
dürfen, daß die Teile des Buches, die auf Erzählungen und Diktate» vou<lb/>
Lazarus beruhen, mehr vou Frau Lazarus redigiert sind, daß aber die aus den<lb/>
Briefschaften und wissenschaftlichen Arbeiten herangezognen Belege und Er¬<lb/>
gänzungen mehr Alfred Leicht zu verdanken sind. Frau Rabida Lazarus ist<lb/>
offenbar eine sehr begabte Frau (sie hat mit zwanzig Jahren einen dramatischen<lb/>
Versuch unter Laubes Direktion auf die Bühne des Wiener.Hofburgtheaters ge¬<lb/>
bracht und ist in erster Ehe mit dem jung verstorbnen Feuilletonisten der<lb/>
Vossischen Zeitung, Dr. Remy, verheiratet gewesen). Sie hat viel Geist und<lb/>
Temperament, aber &#x2014; echt weiblich &#x2014; auch viel subjektives Empfinden in den<lb/>
Stoff hineingetragen; Professor Leicht, der sich schon durch sehr sorgfältige<lb/>
Arbeiten zur Geschichte Meißens und durch die Ausgabe von Lazarus &#x201E;Päda¬<lb/>
gogischen Briefen" sowie durch die Broschüre &#x201E;Lazarus. der Begründer der Völker¬<lb/>
psychologie" bekannt gemacht hat. vertritt mehr das Prinzip der objektiven<lb/>
Forschung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1930" next="#ID_1931"> Das Buch will weder ein Geschichtswerk noch irgendwie eine Biographie<lb/>
°es Mannes sein, dessen Andenken es gewidmet ist, sondern es soll vor allein<lb/>
d'e Erinnerungen festhalten, die Lazarus von seinen bedeutendern Zeitgenossen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_39" place="foot"> &#x201E; ') Moritz Lazarus Lebenserinnerungen. Bearbeitet von Rabida Lazarus und<lb/>
Alfred Leicht. Mit einem Titelbild. IV und 631 Seiten. Großoktav, Berlin. Georg Reimer.<lb/>
^"6&gt; Pr^z ungebunden 12 Mark.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1SW ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] Moritz Lazarus Lebenserinnerungen hiiinanitärer Bestrebungen; ferner hat er es durch eine ganz hervorragende Be¬ weglichkeit des Geistes, durch ein ungewöhnliches Maß von Liebenswürdigkeit und durch einen nie ermattenden Idealismus verstanden, mit den verschiedensten Kreisen unsers Volkes, vor allem mit einer sehr großen Zahl seiner Dichter und Denker in enge, für beide Teile fruchtbare Beziehungen zu treten. Des¬ halb war es ein aussichtsreiches Unternehmen, wenn sich Lazarus zweite Gattin Rabida Lazarus und sein früherer Schüler Professor Alfred Leicht vereinigt haben, um aus den reichen Erinnerungen und Briefschaften Lazarus eine Aus¬ lese herauszugeben. Der stattliche Band ist eine der interessantesten Publikationen des Jahres 1906 geworden.*) Es ist sehr angenehm, unterhaltend und lehrreich, in dem Buche zu lesen ^ dafür sorgt schon die künstlerisch abgerundete Form der meisten zwanglos aneinander gereihten Essays, aus denen es besteht —, aber es ist sehr schwer, dem Buche gegenüber einen kritischen Standpunkt zu gewinnen. Zunächst möchte man wissen, wie Frau Rabida Lazarus und Alfred Leicht die Arbeit unter¬ einander verteilt hatten. Das Vorwort läßt uns über diesen Punkt nicht klar sehen; ich habe deshalb bei Alfred Leicht brieflich angefragt und erfahren, daß die erste Fassung der meisten Kapitel von Frau Lazarus, die Schlußredaktion von beiden Herausgebern stamme. „Wir haben derartig alles gemeinsam ver¬ arbeitet, daß sich der Anteil gar nicht mehr einem jeden zumessen läßt; jeder Satz ist das Produkt unsrer Besprechung." Trotzdem glaube ich mutmaßen zu dürfen, daß die Teile des Buches, die auf Erzählungen und Diktate» vou Lazarus beruhen, mehr vou Frau Lazarus redigiert sind, daß aber die aus den Briefschaften und wissenschaftlichen Arbeiten herangezognen Belege und Er¬ gänzungen mehr Alfred Leicht zu verdanken sind. Frau Rabida Lazarus ist offenbar eine sehr begabte Frau (sie hat mit zwanzig Jahren einen dramatischen Versuch unter Laubes Direktion auf die Bühne des Wiener.Hofburgtheaters ge¬ bracht und ist in erster Ehe mit dem jung verstorbnen Feuilletonisten der Vossischen Zeitung, Dr. Remy, verheiratet gewesen). Sie hat viel Geist und Temperament, aber — echt weiblich — auch viel subjektives Empfinden in den Stoff hineingetragen; Professor Leicht, der sich schon durch sehr sorgfältige Arbeiten zur Geschichte Meißens und durch die Ausgabe von Lazarus „Päda¬ gogischen Briefen" sowie durch die Broschüre „Lazarus. der Begründer der Völker¬ psychologie" bekannt gemacht hat. vertritt mehr das Prinzip der objektiven Forschung. Das Buch will weder ein Geschichtswerk noch irgendwie eine Biographie °es Mannes sein, dessen Andenken es gewidmet ist, sondern es soll vor allein d'e Erinnerungen festhalten, die Lazarus von seinen bedeutendern Zeitgenossen „ ') Moritz Lazarus Lebenserinnerungen. Bearbeitet von Rabida Lazarus und Alfred Leicht. Mit einem Titelbild. IV und 631 Seiten. Großoktav, Berlin. Georg Reimer. ^"6> Pr^z ungebunden 12 Mark. Grenzboten IV 1SW ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/465>, abgerufen am 09.06.2024.