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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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mobilen preußischen Armee, zwischen Rumburg und Friedland auf einer kurzen
Front von kaum 45 Kilometern Ausdehnung von West nach Ost, in engster
Aufstellung versammelt. Später ist von militärischer Seite (zum Beispiel von
Lettow-Vorbeck) eine solche Anhäufung auf engem Raume entschieden getadelt
worden, denn sie war bei der Schwäche der Österreicher -- einige Husaren-
schwadronen und eine Batterie --, die man freilich nicht genügend erkundet
hatte, weil die Kriegserklärung erst am Vormittag des 22. Juni bei den Vor¬
posten übergeben wurde, durchaus nicht gerechtfertigt und führte für Verpflegung
und Marsch zu großen Unbequemlichkeiten. Die Oberlausitz wußte ein Lied
davon zu singen.

Die Requisitionen gingen aber'zunächst noch weiter fort. Am Montag
(25. Juni) Vormittags verlangte ein Artillerieoffizier, der mit vier Unteroffi¬
zieren im Rathaussaale erschien. Heu und Stroh für die 800 Pferde und
900 Mann von vier Munitionskolonnen, was schlechterdings nicht mehr voll¬
ständig zu beschaffen war; gegen Mittag kamen sie an in einer unabsehbaren
Kolonne, deren Vorübermarsch wohl eine halbe Stunde dauerte. Etwas später
forderte ein Hauptmann der Artillerie in sehr höflichem, fast bedauerndem Tone
Fourage für 56 Mann. Die Stimmung war aber sehr gereizt, und es kam
SU einer heftigen Szene, die uns recht deutlich zum Bewußtsein brachte, daß
wir den Feind im Lande hatten. Als nämlich einer der Stadträte in etwas
zu Pathetischem Tone gegen die neue Zumutung protestierte, ließ ihn der
Hauptmann zunächst ruhig reden; sobald er aber erklärte, man forderte nur
..Menschlichkeit", brauste der andre zornig auf, stieß seine Säbelscheide auf den
Boden und rief ihm zu: "Schweigen Sie, ich bin in Feindesland! Wir
haben uns immer human benommen, wie Sie es bei Ihren Freunden, den
Österreichern, nicht finden würden, und Ihr Bürgermeister hat das Geld
Zum Kriege gegen uns mit bewilligt, wir wissen das recht wohl." Uns flog
sozusagen das Feuer von den Augen, bis endlich ein andrer Herr vom Rate
die rechten Worte fand: wir seien nicht Freunde der Österreicher, wir wüßten,
daß wir zum Norden gehörten. Schließlich glich sich die Sache friedlich aus,
und man trennte sich mit Hündeschütteln. Übrigens fanden die Offiziere, die
requirieren mußten, ein solches Kommando meist selbst sehr peinlich, wie mir
^ner offen sagte dem ich eine Tabakslieferung vermitteln mußte. Da diese
Notstünde 'fortdauerten, so erschien an diesem Tage auf Bitten des Bürger¬
meisters der Amtshauptmann von Gutschmid in Zittau. um die Leitung des
südlichen Teils seines Amtsbezirks für einige Zeit zu übernehmen, spater
vorübergehend auch der Kreisdirektor von Nostitz-Wallwitz aus Bautzen. der
nachmalige Minister des Junern. Das feste und gewandte Auftrete" dieser
Herren wirkte entschieden günstig und brachte mehr Ordnung in das Lieferungs-
Seschüft. Im übrigen war das Schlimmste überwunden. Die großen Durch¬
märsche waren offenbar vorüber, die Stadt erhielt noch am 25. ^um als
Etappen- und Lazarettort eine Kompagnie als Garnison und en.en Stadt-


vor vierzig Jahre»

mobilen preußischen Armee, zwischen Rumburg und Friedland auf einer kurzen
Front von kaum 45 Kilometern Ausdehnung von West nach Ost, in engster
Aufstellung versammelt. Später ist von militärischer Seite (zum Beispiel von
Lettow-Vorbeck) eine solche Anhäufung auf engem Raume entschieden getadelt
worden, denn sie war bei der Schwäche der Österreicher — einige Husaren-
schwadronen und eine Batterie —, die man freilich nicht genügend erkundet
hatte, weil die Kriegserklärung erst am Vormittag des 22. Juni bei den Vor¬
posten übergeben wurde, durchaus nicht gerechtfertigt und führte für Verpflegung
und Marsch zu großen Unbequemlichkeiten. Die Oberlausitz wußte ein Lied
davon zu singen.

Die Requisitionen gingen aber'zunächst noch weiter fort. Am Montag
(25. Juni) Vormittags verlangte ein Artillerieoffizier, der mit vier Unteroffi¬
zieren im Rathaussaale erschien. Heu und Stroh für die 800 Pferde und
900 Mann von vier Munitionskolonnen, was schlechterdings nicht mehr voll¬
ständig zu beschaffen war; gegen Mittag kamen sie an in einer unabsehbaren
Kolonne, deren Vorübermarsch wohl eine halbe Stunde dauerte. Etwas später
forderte ein Hauptmann der Artillerie in sehr höflichem, fast bedauerndem Tone
Fourage für 56 Mann. Die Stimmung war aber sehr gereizt, und es kam
SU einer heftigen Szene, die uns recht deutlich zum Bewußtsein brachte, daß
wir den Feind im Lande hatten. Als nämlich einer der Stadträte in etwas
zu Pathetischem Tone gegen die neue Zumutung protestierte, ließ ihn der
Hauptmann zunächst ruhig reden; sobald er aber erklärte, man forderte nur
..Menschlichkeit", brauste der andre zornig auf, stieß seine Säbelscheide auf den
Boden und rief ihm zu: „Schweigen Sie, ich bin in Feindesland! Wir
haben uns immer human benommen, wie Sie es bei Ihren Freunden, den
Österreichern, nicht finden würden, und Ihr Bürgermeister hat das Geld
Zum Kriege gegen uns mit bewilligt, wir wissen das recht wohl." Uns flog
sozusagen das Feuer von den Augen, bis endlich ein andrer Herr vom Rate
die rechten Worte fand: wir seien nicht Freunde der Österreicher, wir wüßten,
daß wir zum Norden gehörten. Schließlich glich sich die Sache friedlich aus,
und man trennte sich mit Hündeschütteln. Übrigens fanden die Offiziere, die
requirieren mußten, ein solches Kommando meist selbst sehr peinlich, wie mir
^ner offen sagte dem ich eine Tabakslieferung vermitteln mußte. Da diese
Notstünde 'fortdauerten, so erschien an diesem Tage auf Bitten des Bürger¬
meisters der Amtshauptmann von Gutschmid in Zittau. um die Leitung des
südlichen Teils seines Amtsbezirks für einige Zeit zu übernehmen, spater
vorübergehend auch der Kreisdirektor von Nostitz-Wallwitz aus Bautzen. der
nachmalige Minister des Junern. Das feste und gewandte Auftrete» dieser
Herren wirkte entschieden günstig und brachte mehr Ordnung in das Lieferungs-
Seschüft. Im übrigen war das Schlimmste überwunden. Die großen Durch¬
märsche waren offenbar vorüber, die Stadt erhielt noch am 25. ^um als
Etappen- und Lazarettort eine Kompagnie als Garnison und en.en Stadt-


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[0479] vor vierzig Jahre» mobilen preußischen Armee, zwischen Rumburg und Friedland auf einer kurzen Front von kaum 45 Kilometern Ausdehnung von West nach Ost, in engster Aufstellung versammelt. Später ist von militärischer Seite (zum Beispiel von Lettow-Vorbeck) eine solche Anhäufung auf engem Raume entschieden getadelt worden, denn sie war bei der Schwäche der Österreicher — einige Husaren- schwadronen und eine Batterie —, die man freilich nicht genügend erkundet hatte, weil die Kriegserklärung erst am Vormittag des 22. Juni bei den Vor¬ posten übergeben wurde, durchaus nicht gerechtfertigt und führte für Verpflegung und Marsch zu großen Unbequemlichkeiten. Die Oberlausitz wußte ein Lied davon zu singen. Die Requisitionen gingen aber'zunächst noch weiter fort. Am Montag (25. Juni) Vormittags verlangte ein Artillerieoffizier, der mit vier Unteroffi¬ zieren im Rathaussaale erschien. Heu und Stroh für die 800 Pferde und 900 Mann von vier Munitionskolonnen, was schlechterdings nicht mehr voll¬ ständig zu beschaffen war; gegen Mittag kamen sie an in einer unabsehbaren Kolonne, deren Vorübermarsch wohl eine halbe Stunde dauerte. Etwas später forderte ein Hauptmann der Artillerie in sehr höflichem, fast bedauerndem Tone Fourage für 56 Mann. Die Stimmung war aber sehr gereizt, und es kam SU einer heftigen Szene, die uns recht deutlich zum Bewußtsein brachte, daß wir den Feind im Lande hatten. Als nämlich einer der Stadträte in etwas zu Pathetischem Tone gegen die neue Zumutung protestierte, ließ ihn der Hauptmann zunächst ruhig reden; sobald er aber erklärte, man forderte nur ..Menschlichkeit", brauste der andre zornig auf, stieß seine Säbelscheide auf den Boden und rief ihm zu: „Schweigen Sie, ich bin in Feindesland! Wir haben uns immer human benommen, wie Sie es bei Ihren Freunden, den Österreichern, nicht finden würden, und Ihr Bürgermeister hat das Geld Zum Kriege gegen uns mit bewilligt, wir wissen das recht wohl." Uns flog sozusagen das Feuer von den Augen, bis endlich ein andrer Herr vom Rate die rechten Worte fand: wir seien nicht Freunde der Österreicher, wir wüßten, daß wir zum Norden gehörten. Schließlich glich sich die Sache friedlich aus, und man trennte sich mit Hündeschütteln. Übrigens fanden die Offiziere, die requirieren mußten, ein solches Kommando meist selbst sehr peinlich, wie mir ^ner offen sagte dem ich eine Tabakslieferung vermitteln mußte. Da diese Notstünde 'fortdauerten, so erschien an diesem Tage auf Bitten des Bürger¬ meisters der Amtshauptmann von Gutschmid in Zittau. um die Leitung des südlichen Teils seines Amtsbezirks für einige Zeit zu übernehmen, spater vorübergehend auch der Kreisdirektor von Nostitz-Wallwitz aus Bautzen. der nachmalige Minister des Junern. Das feste und gewandte Auftrete» dieser Herren wirkte entschieden günstig und brachte mehr Ordnung in das Lieferungs- Seschüft. Im übrigen war das Schlimmste überwunden. Die großen Durch¬ märsche waren offenbar vorüber, die Stadt erhielt noch am 25. ^um als Etappen- und Lazarettort eine Kompagnie als Garnison und en.en Stadt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/479>, abgerufen am 15.05.2024.