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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Minnesang und Satire

die unzähligen Ritterromane meist romanischer Herkunft, die Menge minder¬
wertiger Lyrik, die im Dunkel der Nacht wieder verschwunden ist, so verstehn
wir, daß auch ein so scharfsinniger Mann wie der spanische Krautjunker Don
Quixote von der Mancha über solcher Lektüre zum Narren geworden ist. Denn
diese rein auf die krankhaften Instinkte einer verbildeten Leserwelt berechneten
Werke wimmeln von den furchtbarsten Abenteuern, gegen die die alten Helden,
selbst der robuste Dietrich Schwächlinge sind, von Zauberern, gegen die der
berüchtigte Klingsor ein Stümper ist. Da häufte sich Mord, Verführung, Ver¬
zauberung, Erlösung, alles ins Riesenhafte gesteigert oder verzerrt, den völligen
Mangel jeder Poesie mußte eine pikante Darstellung verkleistern, und oft mußten
für diese Ausgeburten der rohesten Phantasie die edeln alten Helden ihre bisher
ehrenwerten Namen hergeben. Also mißhandelt traten sie einen neuen Zug
durch die Welt an, triefend von Treue, Liebenswürdigkeit und Tapferkeit,
während sich ihre Feinde als Bösewichter produzierten, von Verrat, Gemeinheit,
Teufelei und nur lose versteckter Feigheit strotzend. Waren auch die romanischen
Länder weitaus die ersten in dieser Mode, so mag sie doch auch in Deutsch¬
land weithin den Geschmack beherrscht haben. Und wenn die einen wohl in
heiligem Zorn gewünscht haben, all den Schund gleich gefährlichen Ketzerbüchern
den Flammen übergeben zu können oder den schlechten Geschmack wenigstens
von den Höfen zu verbannen (Walther von der Vogelweide: vurclsn ir als
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usus ion si >vo1 An, Zannsn ist s'von Iisr dskomem), so sahen andre darin
eben eine von den Szenen der besten Komödie der Welt, des menschlichen Lebens
und suchten den Gegner mit seinen eignen Waffen zu schlagen.

So entstand ein "Gegensang". Der größte dieser Satiriker ist freilich kein
Deutscher, sondern der spanische Steuereinnehmer Cervantes, den sein eignes
Leben über jede Torheit lachen gelehrt hatte, und dem es die innere Freiheit
dem Leben selber gegenüber gegeben hat, die des wahren Humors Mutter ist.
So sind seiner Muse Kinder unsterblich geworden. Der letzte fahrende Ritter,
Don Quixote, der treue Schildknappe Sancho Pansa, die vortreffliche Dulcinea
von Toboso und das Rößlein Rosincmte haben ihre Berufsgenossen ältern
Adels überlebt. In Deutschland sind es wesentlich Lyriker, die durch ihren
Spott den alten Minnesang, der sich ziemlich ausgelebt hatte, vollends unmög¬
lich machten, ohne freilich gleichwertiges Neues an dessen Stelle setzen zu
können. Aber zwei bedeutendere epische Werke können wir doch zu dieser Gruppe
stellen, allerdings nicht ohne deren Verfasser gröblich zu beleidigen, die völlig
ernst gemeinte Bücher schrieben und nur der undankbaren Nachwelt im Lichte
der Komik erscheinen. Der eine, wenigstens ein Dichter und sogar ein Lyriker
von Gottes Gnaden, Ulrich von Liechtenstein, treibt es in seiner Lebens¬
beschreibung, Frauendienst betitelt, in ritterlichen Kampfes- und Liebesabenteuern
fast über die Grenze hinaus, wo wir noch ernsthaft bleiben können. Zwar ist
sein Buch, das in die einst wenig reiche Reihe der oontsssionss zählt, recht


Minnesang und Satire

die unzähligen Ritterromane meist romanischer Herkunft, die Menge minder¬
wertiger Lyrik, die im Dunkel der Nacht wieder verschwunden ist, so verstehn
wir, daß auch ein so scharfsinniger Mann wie der spanische Krautjunker Don
Quixote von der Mancha über solcher Lektüre zum Narren geworden ist. Denn
diese rein auf die krankhaften Instinkte einer verbildeten Leserwelt berechneten
Werke wimmeln von den furchtbarsten Abenteuern, gegen die die alten Helden,
selbst der robuste Dietrich Schwächlinge sind, von Zauberern, gegen die der
berüchtigte Klingsor ein Stümper ist. Da häufte sich Mord, Verführung, Ver¬
zauberung, Erlösung, alles ins Riesenhafte gesteigert oder verzerrt, den völligen
Mangel jeder Poesie mußte eine pikante Darstellung verkleistern, und oft mußten
für diese Ausgeburten der rohesten Phantasie die edeln alten Helden ihre bisher
ehrenwerten Namen hergeben. Also mißhandelt traten sie einen neuen Zug
durch die Welt an, triefend von Treue, Liebenswürdigkeit und Tapferkeit,
während sich ihre Feinde als Bösewichter produzierten, von Verrat, Gemeinheit,
Teufelei und nur lose versteckter Feigheit strotzend. Waren auch die romanischen
Länder weitaus die ersten in dieser Mode, so mag sie doch auch in Deutsch¬
land weithin den Geschmack beherrscht haben. Und wenn die einen wohl in
heiligem Zorn gewünscht haben, all den Schund gleich gefährlichen Ketzerbüchern
den Flammen übergeben zu können oder den schlechten Geschmack wenigstens
von den Höfen zu verbannen (Walther von der Vogelweide: vurclsn ir als
gr6?.<M Iiövs be-nouiön, «las vasr lülos ng,oQ afin vnter in!n; disn Mbürsn
usus ion si >vo1 An, Zannsn ist s'von Iisr dskomem), so sahen andre darin
eben eine von den Szenen der besten Komödie der Welt, des menschlichen Lebens
und suchten den Gegner mit seinen eignen Waffen zu schlagen.

So entstand ein „Gegensang". Der größte dieser Satiriker ist freilich kein
Deutscher, sondern der spanische Steuereinnehmer Cervantes, den sein eignes
Leben über jede Torheit lachen gelehrt hatte, und dem es die innere Freiheit
dem Leben selber gegenüber gegeben hat, die des wahren Humors Mutter ist.
So sind seiner Muse Kinder unsterblich geworden. Der letzte fahrende Ritter,
Don Quixote, der treue Schildknappe Sancho Pansa, die vortreffliche Dulcinea
von Toboso und das Rößlein Rosincmte haben ihre Berufsgenossen ältern
Adels überlebt. In Deutschland sind es wesentlich Lyriker, die durch ihren
Spott den alten Minnesang, der sich ziemlich ausgelebt hatte, vollends unmög¬
lich machten, ohne freilich gleichwertiges Neues an dessen Stelle setzen zu
können. Aber zwei bedeutendere epische Werke können wir doch zu dieser Gruppe
stellen, allerdings nicht ohne deren Verfasser gröblich zu beleidigen, die völlig
ernst gemeinte Bücher schrieben und nur der undankbaren Nachwelt im Lichte
der Komik erscheinen. Der eine, wenigstens ein Dichter und sogar ein Lyriker
von Gottes Gnaden, Ulrich von Liechtenstein, treibt es in seiner Lebens¬
beschreibung, Frauendienst betitelt, in ritterlichen Kampfes- und Liebesabenteuern
fast über die Grenze hinaus, wo wir noch ernsthaft bleiben können. Zwar ist
sein Buch, das in die einst wenig reiche Reihe der oontsssionss zählt, recht


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[0604] Minnesang und Satire die unzähligen Ritterromane meist romanischer Herkunft, die Menge minder¬ wertiger Lyrik, die im Dunkel der Nacht wieder verschwunden ist, so verstehn wir, daß auch ein so scharfsinniger Mann wie der spanische Krautjunker Don Quixote von der Mancha über solcher Lektüre zum Narren geworden ist. Denn diese rein auf die krankhaften Instinkte einer verbildeten Leserwelt berechneten Werke wimmeln von den furchtbarsten Abenteuern, gegen die die alten Helden, selbst der robuste Dietrich Schwächlinge sind, von Zauberern, gegen die der berüchtigte Klingsor ein Stümper ist. Da häufte sich Mord, Verführung, Ver¬ zauberung, Erlösung, alles ins Riesenhafte gesteigert oder verzerrt, den völligen Mangel jeder Poesie mußte eine pikante Darstellung verkleistern, und oft mußten für diese Ausgeburten der rohesten Phantasie die edeln alten Helden ihre bisher ehrenwerten Namen hergeben. Also mißhandelt traten sie einen neuen Zug durch die Welt an, triefend von Treue, Liebenswürdigkeit und Tapferkeit, während sich ihre Feinde als Bösewichter produzierten, von Verrat, Gemeinheit, Teufelei und nur lose versteckter Feigheit strotzend. Waren auch die romanischen Länder weitaus die ersten in dieser Mode, so mag sie doch auch in Deutsch¬ land weithin den Geschmack beherrscht haben. Und wenn die einen wohl in heiligem Zorn gewünscht haben, all den Schund gleich gefährlichen Ketzerbüchern den Flammen übergeben zu können oder den schlechten Geschmack wenigstens von den Höfen zu verbannen (Walther von der Vogelweide: vurclsn ir als gr6?.<M Iiövs be-nouiön, «las vasr lülos ng,oQ afin vnter in!n; disn Mbürsn usus ion si >vo1 An, Zannsn ist s'von Iisr dskomem), so sahen andre darin eben eine von den Szenen der besten Komödie der Welt, des menschlichen Lebens und suchten den Gegner mit seinen eignen Waffen zu schlagen. So entstand ein „Gegensang". Der größte dieser Satiriker ist freilich kein Deutscher, sondern der spanische Steuereinnehmer Cervantes, den sein eignes Leben über jede Torheit lachen gelehrt hatte, und dem es die innere Freiheit dem Leben selber gegenüber gegeben hat, die des wahren Humors Mutter ist. So sind seiner Muse Kinder unsterblich geworden. Der letzte fahrende Ritter, Don Quixote, der treue Schildknappe Sancho Pansa, die vortreffliche Dulcinea von Toboso und das Rößlein Rosincmte haben ihre Berufsgenossen ältern Adels überlebt. In Deutschland sind es wesentlich Lyriker, die durch ihren Spott den alten Minnesang, der sich ziemlich ausgelebt hatte, vollends unmög¬ lich machten, ohne freilich gleichwertiges Neues an dessen Stelle setzen zu können. Aber zwei bedeutendere epische Werke können wir doch zu dieser Gruppe stellen, allerdings nicht ohne deren Verfasser gröblich zu beleidigen, die völlig ernst gemeinte Bücher schrieben und nur der undankbaren Nachwelt im Lichte der Komik erscheinen. Der eine, wenigstens ein Dichter und sogar ein Lyriker von Gottes Gnaden, Ulrich von Liechtenstein, treibt es in seiner Lebens¬ beschreibung, Frauendienst betitelt, in ritterlichen Kampfes- und Liebesabenteuern fast über die Grenze hinaus, wo wir noch ernsthaft bleiben können. Zwar ist sein Buch, das in die einst wenig reiche Reihe der oontsssionss zählt, recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/604>, abgerufen am 16.05.2024.