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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Minnesang und Satire

interessant, und wie edle Perlen ziehen sich durch das ganze hindurch die
"Büchlein", Liebeslieder, die er der Geliebten zusendet. Man kann sich dem Reiz
ihrer Innigkeit und Schlichtheit nicht entziehen. Um so schlimmer ist das andre.
Was er alles getan haben will, um die Liebe der spröden Dame zu gewinnen,
deren Gemahl natürlich so wenig eine Rolle spielt wie die "herzliebe" Gemahlin
Ulrichs, das berechtigt uus, sein Werk als unbeabsichtigte Satire zu bezeichnen.
Und wenn sich schließlich sein Schwager glücklich preist, in ihm den vollkommensten
Liebenden gesehen zu haben, können wir uns jedenfalls hier des Lächelns nicht
erwehren. Das zweite Werk ist der Teuerdank, hinter dem die Autorität des
letzten Ritters, des Kaisers Maximilian steht. Das ist eine höchst trockne, jeder
Poesie bare allegorische Verherrlichung der Ritteridenle, der das Leben des
Kaisers selbst zugrunde liegt. Ein Pfaffe, Melchior Pfinzing. hat das Werk
offenbar nach kaiserlicher Inspiration gedichtet und mochte ordentlich stolz sein
auf die Menge von Moral, die er in seinem Buche niedergelegt hat, ohne zu
merken, daß es darob zur Satire wurde.

Unter den Lyrikern, die bewußt dem überzarten Minnesang mit seinen
IsWeKön blicken unä Aros^lioder riuve einen Gegensang an die Seite stellten,
ragen zwei besonders hervor, die zwei verschiedne Richtungen der Satire ver¬
körpern, Steinmar und Neidhart von Reuental. Steinmar stellt der Zartheit
der Modelyrik teils eine absichtlich recht derbe, teils eine bekannte Wendungen
übertreibende und ins Lächerliche ziehende Weise entgegen. Sein Herbstlicd
zeigt die erste Art. Nachdem er erst Minnesang und Minne von sich gewiesen
(ich. vsis vol, W i8t ein altss rnkre, Äg,2 ein arme8 rninnerlin ist reokt ein
warteräre), preist er die Genüsse des Herbstes in den üppigsten Farben. Er
fordert den Wirt auf:

LvÄü <1u un" gist, äas vüi'of vol.
b"s, ain in^n ma,of sol,
as,ü in uns ohl'as sin liiiM,
nah AöMn ufm trunlcs sin durst.
g,I"s rauon von sinsr brunst
unä ass avr rasn, ol-Spiess,
6^2 ör vssns, as>-i ör kasts IsoKs,
svkstts, ä^IZ äsr multa uns als sin anotsks srnsolm . . .
^Vn't, äuron inioü sin stiÄ2S ßÄt,
äMut sonaLo uns s-Uhr M,
rnanöASi' Iianus spi^s.
viuos, usr vol ti-ibs sin rat
moi'vt ut avr stiÄlZv xefe.
Uinsn finna ion xi'iss.

Die andre Art, die an sich boshafter ist, zeigen Bilder wie die bekannten: vor
Minneschrecken laues ich mich, wie eine Ente tauchet sich, die schnelle Falken
jagen in einem Bache; oder: wie ein sperriges, schreiendes Ferkel in einem Sacke,
so gebärde sich sein Herz in der Brust. Ähnlich spottend sagt ein Gedrut: hätt


Minnesang und Satire

interessant, und wie edle Perlen ziehen sich durch das ganze hindurch die
„Büchlein", Liebeslieder, die er der Geliebten zusendet. Man kann sich dem Reiz
ihrer Innigkeit und Schlichtheit nicht entziehen. Um so schlimmer ist das andre.
Was er alles getan haben will, um die Liebe der spröden Dame zu gewinnen,
deren Gemahl natürlich so wenig eine Rolle spielt wie die „herzliebe" Gemahlin
Ulrichs, das berechtigt uus, sein Werk als unbeabsichtigte Satire zu bezeichnen.
Und wenn sich schließlich sein Schwager glücklich preist, in ihm den vollkommensten
Liebenden gesehen zu haben, können wir uns jedenfalls hier des Lächelns nicht
erwehren. Das zweite Werk ist der Teuerdank, hinter dem die Autorität des
letzten Ritters, des Kaisers Maximilian steht. Das ist eine höchst trockne, jeder
Poesie bare allegorische Verherrlichung der Ritteridenle, der das Leben des
Kaisers selbst zugrunde liegt. Ein Pfaffe, Melchior Pfinzing. hat das Werk
offenbar nach kaiserlicher Inspiration gedichtet und mochte ordentlich stolz sein
auf die Menge von Moral, die er in seinem Buche niedergelegt hat, ohne zu
merken, daß es darob zur Satire wurde.

Unter den Lyrikern, die bewußt dem überzarten Minnesang mit seinen
IsWeKön blicken unä Aros^lioder riuve einen Gegensang an die Seite stellten,
ragen zwei besonders hervor, die zwei verschiedne Richtungen der Satire ver¬
körpern, Steinmar und Neidhart von Reuental. Steinmar stellt der Zartheit
der Modelyrik teils eine absichtlich recht derbe, teils eine bekannte Wendungen
übertreibende und ins Lächerliche ziehende Weise entgegen. Sein Herbstlicd
zeigt die erste Art. Nachdem er erst Minnesang und Minne von sich gewiesen
(ich. vsis vol, W i8t ein altss rnkre, Äg,2 ein arme8 rninnerlin ist reokt ein
warteräre), preist er die Genüsse des Herbstes in den üppigsten Farben. Er
fordert den Wirt auf:

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Uinsn finna ion xi'iss.

Die andre Art, die an sich boshafter ist, zeigen Bilder wie die bekannten: vor
Minneschrecken laues ich mich, wie eine Ente tauchet sich, die schnelle Falken
jagen in einem Bache; oder: wie ein sperriges, schreiendes Ferkel in einem Sacke,
so gebärde sich sein Herz in der Brust. Ähnlich spottend sagt ein Gedrut: hätt


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[0605] Minnesang und Satire interessant, und wie edle Perlen ziehen sich durch das ganze hindurch die „Büchlein", Liebeslieder, die er der Geliebten zusendet. Man kann sich dem Reiz ihrer Innigkeit und Schlichtheit nicht entziehen. Um so schlimmer ist das andre. Was er alles getan haben will, um die Liebe der spröden Dame zu gewinnen, deren Gemahl natürlich so wenig eine Rolle spielt wie die „herzliebe" Gemahlin Ulrichs, das berechtigt uus, sein Werk als unbeabsichtigte Satire zu bezeichnen. Und wenn sich schließlich sein Schwager glücklich preist, in ihm den vollkommensten Liebenden gesehen zu haben, können wir uns jedenfalls hier des Lächelns nicht erwehren. Das zweite Werk ist der Teuerdank, hinter dem die Autorität des letzten Ritters, des Kaisers Maximilian steht. Das ist eine höchst trockne, jeder Poesie bare allegorische Verherrlichung der Ritteridenle, der das Leben des Kaisers selbst zugrunde liegt. Ein Pfaffe, Melchior Pfinzing. hat das Werk offenbar nach kaiserlicher Inspiration gedichtet und mochte ordentlich stolz sein auf die Menge von Moral, die er in seinem Buche niedergelegt hat, ohne zu merken, daß es darob zur Satire wurde. Unter den Lyrikern, die bewußt dem überzarten Minnesang mit seinen IsWeKön blicken unä Aros^lioder riuve einen Gegensang an die Seite stellten, ragen zwei besonders hervor, die zwei verschiedne Richtungen der Satire ver¬ körpern, Steinmar und Neidhart von Reuental. Steinmar stellt der Zartheit der Modelyrik teils eine absichtlich recht derbe, teils eine bekannte Wendungen übertreibende und ins Lächerliche ziehende Weise entgegen. Sein Herbstlicd zeigt die erste Art. Nachdem er erst Minnesang und Minne von sich gewiesen (ich. vsis vol, W i8t ein altss rnkre, Äg,2 ein arme8 rninnerlin ist reokt ein warteräre), preist er die Genüsse des Herbstes in den üppigsten Farben. Er fordert den Wirt auf: LvÄü <1u un« gist, äas vüi'of vol. b»s, ain in^n ma,of sol, as,ü in uns ohl'as sin liiiM, nah AöMn ufm trunlcs sin durst. g,I»s rauon von sinsr brunst unä ass avr rasn, ol-Spiess, 6^2 ör vssns, as>-i ör kasts IsoKs, svkstts, ä^IZ äsr multa uns als sin anotsks srnsolm . . . ^Vn't, äuron inioü sin stiÄ2S ßÄt, äMut sonaLo uns s-Uhr M, rnanöASi' Iianus spi^s. viuos, usr vol ti-ibs sin rat moi'vt ut avr stiÄlZv xefe. Uinsn finna ion xi'iss. Die andre Art, die an sich boshafter ist, zeigen Bilder wie die bekannten: vor Minneschrecken laues ich mich, wie eine Ente tauchet sich, die schnelle Falken jagen in einem Bache; oder: wie ein sperriges, schreiendes Ferkel in einem Sacke, so gebärde sich sein Herz in der Brust. Ähnlich spottend sagt ein Gedrut: hätt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/605>, abgerufen am 12.06.2024.