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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Jas Lüde des Deutschen Bundestags

Proteste der Bundesversammlung gegen alle diese Austrittscrklärungen blieben
völlig wirkungslos.

Als am 3. Juli die Schlacht bei Königgrätz geschlagen worden war, und
die Preußen gegen Frankfurt am Main vorrückten, wurde unterm 7. Juli von
dort gemeldet, der Bundestag denke ernstlich daran, sich nötigenfalls nach Augs¬
burg zurückzuziehen, der in Aussicht stehende Waffenstillstand solle vorerst die
Verzögerung dieses Beschlusses bewirkt haben. Da es aber zum Waffenstill¬
stande noch nicht kam. wurde am 10. Juli die Bundeskasse aus Frankfurt am
Main fortgeschafft, und am folgenden 11. Juli beschloß die Bundesversammlung
"mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse und um ihre Tätigkeit un¬
gehemmt und ihren Verkehr mit den bundestreuen Regierungen ungestört zu
erhalten", ihren Sitz "provisorisch" nach Augsburg zu verlegen und das beim
Deutschen Bunde beglaubigte diplomatische Korps einzuladen, ihr zu folgen.
Dem Senate der Stadt Frankfurt teilte die Bundesversammlung diesen Beschluß
durch eine Note mit, die mit folgender von gänzlicher Verkennung der damaligen
Lage zeugenden Versicherung schloß: "Die in dieser Versammlung vertretnen
bundestreuen Regierungen werden fest und ungebeugt zur Sache des Vater¬
landes und des Rechts gegen den Sonderbund und Vergewaltigung stehen,
und die Bundesversammlung darf daher im Vertrauen auf den Sieg der guten
Sache die Hoffnung aussprechen, daß in den Mauern dieser an Erinnerungen
deutscher Größe reichen Stadt sich die Vertreter der Fürsten und Völker zusammen¬
finden werden, um Deutschlands Macht und Freiheit dauernd zu begründen."
Zu den "Erinnerungen deutscher Größe", die sich an ihren Namen knüpfen,
darf Frankfurt am Main wohl am wenigsten den Deutschen Bundestag rechnen,
der in ihren Mauern vom 6. November 1816 mit der kurzen Unterbrechung
vom 28. Juni 1848 bis zum 10. Mai 1850 seinen Sitz gehabt und die
Politische Zerrissenheit und Ohnmacht Deutschlands verkörpert hatte.

Anfänglich hatte die Bundesversammlung an eine Verteidigung Frankfurts
gedacht und deshalb am 4. Juli die Anlage passagerer Schanzen um die
Stadt herum beschlossen. In der Bundestagssitzung vom 11. Juli wurde dieser
Beschluß auf Antrag des Vertreters Frankfurts jedoch wieder rückgängig gemacht.
Am 14. Juli verließ die Bundesversammlung ihren Palast in der Eschenhenncr
Gasse zu Frankfurt und kehrte nie wieder dorthin zurück. Am 16. Juli rückten
25000 Preußen unter General Vogel von Falckenstein in die alte Bundes¬
hauptstadt ein. die damit aufhörte, eine Freie Reichsstadt zu sein, und die am
18. Oktober 1866 gänzlich in Preußen einverleibt wurde.

An demselben 14. Juli, an dem der deutsche Rumpfbuudestag Frank¬
furt verließ, teilte der Preußische Staatsanzeiger mit: "Dem Bündnis mit
Preußen, das die gemeinsame Garantie des Besitzstandes und die Verpflichtung
Zur Berufung des Parlaments behufs Vereinbarung der bundesstaatkchen Ver-
s"hör"g auf der Basis der preußischen Grundlage enthält, sind nunmehr mit
Ausnahme von Luxemburg. Meiningen und Reuß-Greiz sämtliche von Preußen


Grenzboten IV 1906
Jas Lüde des Deutschen Bundestags

Proteste der Bundesversammlung gegen alle diese Austrittscrklärungen blieben
völlig wirkungslos.

Als am 3. Juli die Schlacht bei Königgrätz geschlagen worden war, und
die Preußen gegen Frankfurt am Main vorrückten, wurde unterm 7. Juli von
dort gemeldet, der Bundestag denke ernstlich daran, sich nötigenfalls nach Augs¬
burg zurückzuziehen, der in Aussicht stehende Waffenstillstand solle vorerst die
Verzögerung dieses Beschlusses bewirkt haben. Da es aber zum Waffenstill¬
stande noch nicht kam. wurde am 10. Juli die Bundeskasse aus Frankfurt am
Main fortgeschafft, und am folgenden 11. Juli beschloß die Bundesversammlung
»mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse und um ihre Tätigkeit un¬
gehemmt und ihren Verkehr mit den bundestreuen Regierungen ungestört zu
erhalten", ihren Sitz „provisorisch" nach Augsburg zu verlegen und das beim
Deutschen Bunde beglaubigte diplomatische Korps einzuladen, ihr zu folgen.
Dem Senate der Stadt Frankfurt teilte die Bundesversammlung diesen Beschluß
durch eine Note mit, die mit folgender von gänzlicher Verkennung der damaligen
Lage zeugenden Versicherung schloß: „Die in dieser Versammlung vertretnen
bundestreuen Regierungen werden fest und ungebeugt zur Sache des Vater¬
landes und des Rechts gegen den Sonderbund und Vergewaltigung stehen,
und die Bundesversammlung darf daher im Vertrauen auf den Sieg der guten
Sache die Hoffnung aussprechen, daß in den Mauern dieser an Erinnerungen
deutscher Größe reichen Stadt sich die Vertreter der Fürsten und Völker zusammen¬
finden werden, um Deutschlands Macht und Freiheit dauernd zu begründen."
Zu den „Erinnerungen deutscher Größe", die sich an ihren Namen knüpfen,
darf Frankfurt am Main wohl am wenigsten den Deutschen Bundestag rechnen,
der in ihren Mauern vom 6. November 1816 mit der kurzen Unterbrechung
vom 28. Juni 1848 bis zum 10. Mai 1850 seinen Sitz gehabt und die
Politische Zerrissenheit und Ohnmacht Deutschlands verkörpert hatte.

Anfänglich hatte die Bundesversammlung an eine Verteidigung Frankfurts
gedacht und deshalb am 4. Juli die Anlage passagerer Schanzen um die
Stadt herum beschlossen. In der Bundestagssitzung vom 11. Juli wurde dieser
Beschluß auf Antrag des Vertreters Frankfurts jedoch wieder rückgängig gemacht.
Am 14. Juli verließ die Bundesversammlung ihren Palast in der Eschenhenncr
Gasse zu Frankfurt und kehrte nie wieder dorthin zurück. Am 16. Juli rückten
25000 Preußen unter General Vogel von Falckenstein in die alte Bundes¬
hauptstadt ein. die damit aufhörte, eine Freie Reichsstadt zu sein, und die am
18. Oktober 1866 gänzlich in Preußen einverleibt wurde.

An demselben 14. Juli, an dem der deutsche Rumpfbuudestag Frank¬
furt verließ, teilte der Preußische Staatsanzeiger mit: „Dem Bündnis mit
Preußen, das die gemeinsame Garantie des Besitzstandes und die Verpflichtung
Zur Berufung des Parlaments behufs Vereinbarung der bundesstaatkchen Ver-
s"hör»g auf der Basis der preußischen Grundlage enthält, sind nunmehr mit
Ausnahme von Luxemburg. Meiningen und Reuß-Greiz sämtliche von Preußen


Grenzboten IV 1906
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[0643] Jas Lüde des Deutschen Bundestags Proteste der Bundesversammlung gegen alle diese Austrittscrklärungen blieben völlig wirkungslos. Als am 3. Juli die Schlacht bei Königgrätz geschlagen worden war, und die Preußen gegen Frankfurt am Main vorrückten, wurde unterm 7. Juli von dort gemeldet, der Bundestag denke ernstlich daran, sich nötigenfalls nach Augs¬ burg zurückzuziehen, der in Aussicht stehende Waffenstillstand solle vorerst die Verzögerung dieses Beschlusses bewirkt haben. Da es aber zum Waffenstill¬ stande noch nicht kam. wurde am 10. Juli die Bundeskasse aus Frankfurt am Main fortgeschafft, und am folgenden 11. Juli beschloß die Bundesversammlung »mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse und um ihre Tätigkeit un¬ gehemmt und ihren Verkehr mit den bundestreuen Regierungen ungestört zu erhalten", ihren Sitz „provisorisch" nach Augsburg zu verlegen und das beim Deutschen Bunde beglaubigte diplomatische Korps einzuladen, ihr zu folgen. Dem Senate der Stadt Frankfurt teilte die Bundesversammlung diesen Beschluß durch eine Note mit, die mit folgender von gänzlicher Verkennung der damaligen Lage zeugenden Versicherung schloß: „Die in dieser Versammlung vertretnen bundestreuen Regierungen werden fest und ungebeugt zur Sache des Vater¬ landes und des Rechts gegen den Sonderbund und Vergewaltigung stehen, und die Bundesversammlung darf daher im Vertrauen auf den Sieg der guten Sache die Hoffnung aussprechen, daß in den Mauern dieser an Erinnerungen deutscher Größe reichen Stadt sich die Vertreter der Fürsten und Völker zusammen¬ finden werden, um Deutschlands Macht und Freiheit dauernd zu begründen." Zu den „Erinnerungen deutscher Größe", die sich an ihren Namen knüpfen, darf Frankfurt am Main wohl am wenigsten den Deutschen Bundestag rechnen, der in ihren Mauern vom 6. November 1816 mit der kurzen Unterbrechung vom 28. Juni 1848 bis zum 10. Mai 1850 seinen Sitz gehabt und die Politische Zerrissenheit und Ohnmacht Deutschlands verkörpert hatte. Anfänglich hatte die Bundesversammlung an eine Verteidigung Frankfurts gedacht und deshalb am 4. Juli die Anlage passagerer Schanzen um die Stadt herum beschlossen. In der Bundestagssitzung vom 11. Juli wurde dieser Beschluß auf Antrag des Vertreters Frankfurts jedoch wieder rückgängig gemacht. Am 14. Juli verließ die Bundesversammlung ihren Palast in der Eschenhenncr Gasse zu Frankfurt und kehrte nie wieder dorthin zurück. Am 16. Juli rückten 25000 Preußen unter General Vogel von Falckenstein in die alte Bundes¬ hauptstadt ein. die damit aufhörte, eine Freie Reichsstadt zu sein, und die am 18. Oktober 1866 gänzlich in Preußen einverleibt wurde. An demselben 14. Juli, an dem der deutsche Rumpfbuudestag Frank¬ furt verließ, teilte der Preußische Staatsanzeiger mit: „Dem Bündnis mit Preußen, das die gemeinsame Garantie des Besitzstandes und die Verpflichtung Zur Berufung des Parlaments behufs Vereinbarung der bundesstaatkchen Ver- s"hör»g auf der Basis der preußischen Grundlage enthält, sind nunmehr mit Ausnahme von Luxemburg. Meiningen und Reuß-Greiz sämtliche von Preußen Grenzboten IV 1906

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/643>, abgerufen am 15.05.2024.