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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten

solchem Haus entsprossenen Herrn nicht zu Verkleinerung des Hauses die väter¬
lichen Titul, Ehren und Würden beizulegen, . . . auch wo dergleichen vorhin
bereits geschehen, solches für null und nichtig anzusehen und zu achten".
Damit war Philippinens Urteil gesprochen. Der Reichshofrat erklärte das
frühere Diplom für entkräftet und entzog ihren Kindern die fürstlichen Rechte.
Vergebens appellierte Anton Ulrich an den Reichstag, auch dieser wies ihn
mit seiner Klage ab. Der bedauernswerte Mann kämpfte jetzt nicht mehr für
die geliebte Gattin, sondern nur noch für seine Söhne. Während der Rechts¬
streit noch schwebte, war Philippine gestorben, und da Anton Ulrich inzwischen
nach dem Ableben seiner Brüder und Neffen alleinregicrender Herzog von
Meiningen geworden war, freuten sich die Vettern von Gotha, Weimar und
Hildburghausen schon auf die schöne Erbschaft. Der eigensinnige Alte aber
spielte ihnen einen argen Streich. Er verheiratete sich trotz seinen dreiund-
sechzig Jahren noch einmal, und diesesmal mit einer wirklichen Prinzessin,
Charlotte Amalie von Hessen - Philippsthal, die ihm zu seinem größten Ver¬
gnügen noch eine stattliche Reihe von Kindern gebar. Doch die Söhne seiner
Jugendgeliebten standen seinem Herzen immer am nächsten, und noch in seinem
Testament machte er den Versuch, ihnen einen gleichmüßigen Anteil an dem
fürstlichen Erbe zu verschaffen. Aber der Neichshofrat verwies ans seine frühern
Entscheidungen und sprach ihnen das Recht der Landesfolge ab. Dagegen
herrschen Anton Ulrichs Nachkommen ans seiner zweiten ebenbürtigen Ehe noch
heute in Meiningen.

Der Artikel 22 der Wahlkapitulation von 1742 ist die erste reichsgesetz¬
liche Bestimmung über fürstliche Unebenbürtigkeit, läßt aber an Klarheit viel
zu wünschen übrig. Was bedeutet der Ausdruck "ohnstreitig notorische Mi߬
heirat"? Schon die Kurfürsten, die die Wahlkapitulation abgefaßt hatten,
empfanden, daß er näher erläutert werden müsse, und empfahlen in einem
Kollcgialschreiben dem neuen Kaiser, ein Reichsgutachten darüber einzufordern.
So rasch aber setzten sich die Räder der Reichsmaschine nicht in Bewegung.
Fünfzig Jahre später wurde in der Wahlkapitulation Leopolds des Zweiten
die Sache noch einmal angeregt, geriet aber sofort wieder in Vergessenheit.
Nur eins ergibt sich deutlich, daß unter allen Umstünden die Ehe eines Reichs¬
standes mit eiuer bürgerlichen Person unter den Begriff der Mißheirat ge¬
hören sollte. Das Reichsgutachten, durch das Anton Ulrichs Berufung ver¬
worfen wurde, läßt darüber keinen Zweifel.

Merkwürdig ist es, daß nun Karl der Siebente sich selbst nicht an seine
Wahlkapitulativn gebunden, sondern, wie schon erwähnt, die Söhne der Kanzlei¬
ratstochter Rüßler zu erbfähige" Fürsten von Bernburg erhoben hat. Sein
Nachfolger, der bei seiner Wahl dieselben Versprechungen hatte eingehn müssen,
berichtigte das Versehen sofort. Der Reichshofrat war jetzt lange nicht mehr
so willfährig wie früher. Als ein Fürst von Nassau-Saarbrücken, der seine
Geliebte, ein früheres Dienstmädchen, geheiratet und vom Kaiser zur Gräfin


Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten

solchem Haus entsprossenen Herrn nicht zu Verkleinerung des Hauses die väter¬
lichen Titul, Ehren und Würden beizulegen, . . . auch wo dergleichen vorhin
bereits geschehen, solches für null und nichtig anzusehen und zu achten".
Damit war Philippinens Urteil gesprochen. Der Reichshofrat erklärte das
frühere Diplom für entkräftet und entzog ihren Kindern die fürstlichen Rechte.
Vergebens appellierte Anton Ulrich an den Reichstag, auch dieser wies ihn
mit seiner Klage ab. Der bedauernswerte Mann kämpfte jetzt nicht mehr für
die geliebte Gattin, sondern nur noch für seine Söhne. Während der Rechts¬
streit noch schwebte, war Philippine gestorben, und da Anton Ulrich inzwischen
nach dem Ableben seiner Brüder und Neffen alleinregicrender Herzog von
Meiningen geworden war, freuten sich die Vettern von Gotha, Weimar und
Hildburghausen schon auf die schöne Erbschaft. Der eigensinnige Alte aber
spielte ihnen einen argen Streich. Er verheiratete sich trotz seinen dreiund-
sechzig Jahren noch einmal, und diesesmal mit einer wirklichen Prinzessin,
Charlotte Amalie von Hessen - Philippsthal, die ihm zu seinem größten Ver¬
gnügen noch eine stattliche Reihe von Kindern gebar. Doch die Söhne seiner
Jugendgeliebten standen seinem Herzen immer am nächsten, und noch in seinem
Testament machte er den Versuch, ihnen einen gleichmüßigen Anteil an dem
fürstlichen Erbe zu verschaffen. Aber der Neichshofrat verwies ans seine frühern
Entscheidungen und sprach ihnen das Recht der Landesfolge ab. Dagegen
herrschen Anton Ulrichs Nachkommen ans seiner zweiten ebenbürtigen Ehe noch
heute in Meiningen.

Der Artikel 22 der Wahlkapitulation von 1742 ist die erste reichsgesetz¬
liche Bestimmung über fürstliche Unebenbürtigkeit, läßt aber an Klarheit viel
zu wünschen übrig. Was bedeutet der Ausdruck „ohnstreitig notorische Mi߬
heirat"? Schon die Kurfürsten, die die Wahlkapitulation abgefaßt hatten,
empfanden, daß er näher erläutert werden müsse, und empfahlen in einem
Kollcgialschreiben dem neuen Kaiser, ein Reichsgutachten darüber einzufordern.
So rasch aber setzten sich die Räder der Reichsmaschine nicht in Bewegung.
Fünfzig Jahre später wurde in der Wahlkapitulation Leopolds des Zweiten
die Sache noch einmal angeregt, geriet aber sofort wieder in Vergessenheit.
Nur eins ergibt sich deutlich, daß unter allen Umstünden die Ehe eines Reichs¬
standes mit eiuer bürgerlichen Person unter den Begriff der Mißheirat ge¬
hören sollte. Das Reichsgutachten, durch das Anton Ulrichs Berufung ver¬
worfen wurde, läßt darüber keinen Zweifel.

Merkwürdig ist es, daß nun Karl der Siebente sich selbst nicht an seine
Wahlkapitulativn gebunden, sondern, wie schon erwähnt, die Söhne der Kanzlei¬
ratstochter Rüßler zu erbfähige» Fürsten von Bernburg erhoben hat. Sein
Nachfolger, der bei seiner Wahl dieselben Versprechungen hatte eingehn müssen,
berichtigte das Versehen sofort. Der Reichshofrat war jetzt lange nicht mehr
so willfährig wie früher. Als ein Fürst von Nassau-Saarbrücken, der seine
Geliebte, ein früheres Dienstmädchen, geheiratet und vom Kaiser zur Gräfin


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[0656] Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten solchem Haus entsprossenen Herrn nicht zu Verkleinerung des Hauses die väter¬ lichen Titul, Ehren und Würden beizulegen, . . . auch wo dergleichen vorhin bereits geschehen, solches für null und nichtig anzusehen und zu achten". Damit war Philippinens Urteil gesprochen. Der Reichshofrat erklärte das frühere Diplom für entkräftet und entzog ihren Kindern die fürstlichen Rechte. Vergebens appellierte Anton Ulrich an den Reichstag, auch dieser wies ihn mit seiner Klage ab. Der bedauernswerte Mann kämpfte jetzt nicht mehr für die geliebte Gattin, sondern nur noch für seine Söhne. Während der Rechts¬ streit noch schwebte, war Philippine gestorben, und da Anton Ulrich inzwischen nach dem Ableben seiner Brüder und Neffen alleinregicrender Herzog von Meiningen geworden war, freuten sich die Vettern von Gotha, Weimar und Hildburghausen schon auf die schöne Erbschaft. Der eigensinnige Alte aber spielte ihnen einen argen Streich. Er verheiratete sich trotz seinen dreiund- sechzig Jahren noch einmal, und diesesmal mit einer wirklichen Prinzessin, Charlotte Amalie von Hessen - Philippsthal, die ihm zu seinem größten Ver¬ gnügen noch eine stattliche Reihe von Kindern gebar. Doch die Söhne seiner Jugendgeliebten standen seinem Herzen immer am nächsten, und noch in seinem Testament machte er den Versuch, ihnen einen gleichmüßigen Anteil an dem fürstlichen Erbe zu verschaffen. Aber der Neichshofrat verwies ans seine frühern Entscheidungen und sprach ihnen das Recht der Landesfolge ab. Dagegen herrschen Anton Ulrichs Nachkommen ans seiner zweiten ebenbürtigen Ehe noch heute in Meiningen. Der Artikel 22 der Wahlkapitulation von 1742 ist die erste reichsgesetz¬ liche Bestimmung über fürstliche Unebenbürtigkeit, läßt aber an Klarheit viel zu wünschen übrig. Was bedeutet der Ausdruck „ohnstreitig notorische Mi߬ heirat"? Schon die Kurfürsten, die die Wahlkapitulation abgefaßt hatten, empfanden, daß er näher erläutert werden müsse, und empfahlen in einem Kollcgialschreiben dem neuen Kaiser, ein Reichsgutachten darüber einzufordern. So rasch aber setzten sich die Räder der Reichsmaschine nicht in Bewegung. Fünfzig Jahre später wurde in der Wahlkapitulation Leopolds des Zweiten die Sache noch einmal angeregt, geriet aber sofort wieder in Vergessenheit. Nur eins ergibt sich deutlich, daß unter allen Umstünden die Ehe eines Reichs¬ standes mit eiuer bürgerlichen Person unter den Begriff der Mißheirat ge¬ hören sollte. Das Reichsgutachten, durch das Anton Ulrichs Berufung ver¬ worfen wurde, läßt darüber keinen Zweifel. Merkwürdig ist es, daß nun Karl der Siebente sich selbst nicht an seine Wahlkapitulativn gebunden, sondern, wie schon erwähnt, die Söhne der Kanzlei¬ ratstochter Rüßler zu erbfähige» Fürsten von Bernburg erhoben hat. Sein Nachfolger, der bei seiner Wahl dieselben Versprechungen hatte eingehn müssen, berichtigte das Versehen sofort. Der Reichshofrat war jetzt lange nicht mehr so willfährig wie früher. Als ein Fürst von Nassau-Saarbrücken, der seine Geliebte, ein früheres Dienstmädchen, geheiratet und vom Kaiser zur Gräfin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/656>, abgerufen am 31.05.2024.