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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

für die Offensive angesehen worden ist. Dies beweist am besten der Umstand,
daß die Nachricht von dem siegreichen Ausgang der Schlacht wie ein elektrischer
Schlag durch ganz Europa zündete; und in das brechende Auge des englischen
Staatsmannes, dessen Lebensaufgabe die Bekämpfung Napoleons gewesen war,
fielen die ersten versengenden Strahlen der Sonne von Austerlitz, die, blutigrot
im Osten aufgehend, zehn Jahre lang über Europa schwebte, bis sie im Westen
bei Waterloo versank. Wie in der Durchführung seiner Schlachten, so leistete
Napoleon auch Großes in der Ausnutzung errungner Vorteile. Friedrichs des
Großen strategische Verfolgungen nach Hohenfriedberg und Zorndorf waren
fast ganz unwirksam und sind nicht zu vergleichen mit dem Ritt des Prinzen
Murat, der uach der Schlacht bei Jena und Auerstüdt bis Warschau 188 Meilen
in 45 Tagen zurücklegte lind dadurch eine feindliche Armee in allen ihren
Teilen auflöste und wehrlos machte. Es ist dieses die großartigste Ausnutzung
eines Schlachtensieges, den die Kriegsgeschichte kennt, und der an vernichtender
Wirkung lange nicht erreicht wird durch die Verfolgung unsrer Kavallerie nach
den Schlachten von Wörth, Beaumont oder Le Mans.

Ob Napoleon einem Gegner wie Moltke gegenüber mit demselben Glück
gekämpft haben würde, entzieht sich natürlich unsrer Beurteilung. Soviel aber
können wir ohne Selbstüberhebung sagen, daß die planmüßigen und exakten
Anordnungen, wie sie von der deutschen Heeresleitung zur Einleitung der
Schlachten von Königgrütz und von Sedan getroffen worden sind, und das
zielbewußte Ansetzen der Truppen in den beiden Schlachten, wie an dem Tage
von Gravelotte und Se. Privat, taktische Erfolge waren, die denen Napoleons
ebenbürtig zur Seite gesetzt werden können.

Wenn wir nun so aus der kurzen Darstellung der kriegsgeschichtlichen
Ereignisse die Überzeugung gewonnen haben, daß Friedrich der Große, Napoleon
und Moltke in ihrer Kriegführung fast denselben taktischen und strategischen
Anschauungen folgten, die weniger im System, häufiger dagegen in der Situation
voneinander abwichen, so erscheint es schwer, ja fast unmöglich, den Wert des
Errungnen gemeinsam abzuwägen und die Persönlichkeiten selbst ihrer Größe
nach zu klassifizieren. Will man aber trotz aller scheinbaren Unmöglichkeiten
den Versuch wagen, sich von dem innern Wert und der Größe der drei Feld¬
herren zu überzeugen und namentlich zu erfahren, wer der tüchtigere Feldherr
war, Friedrich der Große oder Napoleon, so muß man ihre Eigenschaften auch
als Staatsmann mit in das Bereich der Erwägungen ziehen, ehe man das
Endurteil sprechen darf.

Friedrich der Große, an der Spitze eines kleinen Staates, der, von den
übrigen nur durch einige Zweige der Verwaltung ausgezeichnet, an Territorial¬
macht aber bedeutend schwächer war als sie alle, konnte kein Alexander werden
und würde sich als Karl der Zwölfte, wie jener ins Bodenlose fallend, das
Haupt zerschellt haben. Daher in klarer Übersicht der Verhältnisse in seiner
Kriegführung die verhaltene Kraft, die immer im Gleichgewichte schwebt, es
nie an Nachdruck fehlen läßt, sich im entscheidenden Augenblick bis zum un¬
möglich Geglaubten steigert und im nächsten Moment ruhig dahingleitet, um


Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

für die Offensive angesehen worden ist. Dies beweist am besten der Umstand,
daß die Nachricht von dem siegreichen Ausgang der Schlacht wie ein elektrischer
Schlag durch ganz Europa zündete; und in das brechende Auge des englischen
Staatsmannes, dessen Lebensaufgabe die Bekämpfung Napoleons gewesen war,
fielen die ersten versengenden Strahlen der Sonne von Austerlitz, die, blutigrot
im Osten aufgehend, zehn Jahre lang über Europa schwebte, bis sie im Westen
bei Waterloo versank. Wie in der Durchführung seiner Schlachten, so leistete
Napoleon auch Großes in der Ausnutzung errungner Vorteile. Friedrichs des
Großen strategische Verfolgungen nach Hohenfriedberg und Zorndorf waren
fast ganz unwirksam und sind nicht zu vergleichen mit dem Ritt des Prinzen
Murat, der uach der Schlacht bei Jena und Auerstüdt bis Warschau 188 Meilen
in 45 Tagen zurücklegte lind dadurch eine feindliche Armee in allen ihren
Teilen auflöste und wehrlos machte. Es ist dieses die großartigste Ausnutzung
eines Schlachtensieges, den die Kriegsgeschichte kennt, und der an vernichtender
Wirkung lange nicht erreicht wird durch die Verfolgung unsrer Kavallerie nach
den Schlachten von Wörth, Beaumont oder Le Mans.

Ob Napoleon einem Gegner wie Moltke gegenüber mit demselben Glück
gekämpft haben würde, entzieht sich natürlich unsrer Beurteilung. Soviel aber
können wir ohne Selbstüberhebung sagen, daß die planmüßigen und exakten
Anordnungen, wie sie von der deutschen Heeresleitung zur Einleitung der
Schlachten von Königgrütz und von Sedan getroffen worden sind, und das
zielbewußte Ansetzen der Truppen in den beiden Schlachten, wie an dem Tage
von Gravelotte und Se. Privat, taktische Erfolge waren, die denen Napoleons
ebenbürtig zur Seite gesetzt werden können.

Wenn wir nun so aus der kurzen Darstellung der kriegsgeschichtlichen
Ereignisse die Überzeugung gewonnen haben, daß Friedrich der Große, Napoleon
und Moltke in ihrer Kriegführung fast denselben taktischen und strategischen
Anschauungen folgten, die weniger im System, häufiger dagegen in der Situation
voneinander abwichen, so erscheint es schwer, ja fast unmöglich, den Wert des
Errungnen gemeinsam abzuwägen und die Persönlichkeiten selbst ihrer Größe
nach zu klassifizieren. Will man aber trotz aller scheinbaren Unmöglichkeiten
den Versuch wagen, sich von dem innern Wert und der Größe der drei Feld¬
herren zu überzeugen und namentlich zu erfahren, wer der tüchtigere Feldherr
war, Friedrich der Große oder Napoleon, so muß man ihre Eigenschaften auch
als Staatsmann mit in das Bereich der Erwägungen ziehen, ehe man das
Endurteil sprechen darf.

Friedrich der Große, an der Spitze eines kleinen Staates, der, von den
übrigen nur durch einige Zweige der Verwaltung ausgezeichnet, an Territorial¬
macht aber bedeutend schwächer war als sie alle, konnte kein Alexander werden
und würde sich als Karl der Zwölfte, wie jener ins Bodenlose fallend, das
Haupt zerschellt haben. Daher in klarer Übersicht der Verhältnisse in seiner
Kriegführung die verhaltene Kraft, die immer im Gleichgewichte schwebt, es
nie an Nachdruck fehlen läßt, sich im entscheidenden Augenblick bis zum un¬
möglich Geglaubten steigert und im nächsten Moment ruhig dahingleitet, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/700>, abgerufen am 12.06.2024.