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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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der König die bezeichneten Persönlichkeiten entlassen werde. Die Denkschrift,
unterzeichnet von vier preußischen Prinzen, dein Prinzen von Oranien, des Königs
Schwager, dem General von Rüchel, dem Staatsminister von Stein und dem
Generalmajor Phull, datiert vom 25. und 31. August, ist durch den Adjutanten
Rüchels, den Hauptmann von Kleist, dem Könige am 2. September zu Char-
lottenburg in einem Augenblick überreicht worden, in dein er sich in den Ge¬
mächern der Königin befand, auf deren Unterstützung gerechnet worden war- Aber
erschreckt vor dem Zorn ihres Gemahls leistet die Königin diese Unterstützung nicht.
Der Augenblick war freilich auch schlecht gewählt. Am 9. August war die Mobil¬
machung ausgesprochen worden, vierzig Kuriere hatten die Befehle in die Pro¬
vinzen getragen, man befand sich fast am Vorabend des Krieges. "Nichts war
dem Könige so widerwärtig, schreibt Hüffer, als ein offner Eingriff in seine freie
Willensbestimmung und ein Benehmen, das nur entfernt der ihm schuldige"
Ehrfurcht zu ermangeln schien. Selbst in dem Verhalten Napoleons hatte er
am bittersten die Nichtachtung seiner persönlichen Würde empfunden." Man
kann danach ermessen, wie der König diesen in Preußen ganz unerhörten Schritt
auffaßte, der in seinen Augen sicherlich noch dadurch erschwert wurde, daß nicht
einer der Prinzen persönlich das Schriftstück überreicht hatte, sondern ein Adjutant
Nüchels damit beauftragt worden war. Rüchel erhielt einen scharfen Verweis,
den Prinzen, seinen Brüdern, gab der König unverhohlen sein Mißfallen zu er¬
kennen, und er verbat sich ein für allemal Zuschriften dieser Art. Der Herzog
von Braunschweig-Oels und der Prinz von Ornnien erhielten kalt abweisende Ant¬
worten, dein Minister von, Stein mußte General Psilli die Unzufriedenheit des
Königs aussprechen. Die Prinzen, die eine Stellung bei der Armee bekleideten,
erhielten Befehl, sich sofort auf ihre Posten zu begeben, dein Prinzen Louis
Ferdinand wurde nicht einmal gestattet, sich vom König oder der Königin persön¬
lich zu verabschieden, als er am 5. September Berlin verließ.

Der König selbst reiste am Abend des 20. September zur Armee ab, nachdem
drei Tage zuvor der Krieg fest beschlossen worden war. In die Zwischenzeit
fällt noch ein Briefwechsel mit dem Kaiser Alexander von Rußland, der im
Fortgange der seit Monaten schwebenden Verhandlungen den König zum Kriege
ermuntert hatte. Der König erwidert am 6. September, er werde sich durch keinen
Versuch Napoleons einschläfern lassen, sondern auf der Verbindung der nord¬
deutschen Fürsten gegenüber dem Rheinbünde und dein Rückzug der französischen
Truppen aus Süddeutschland bestehn. Dn Napoleon voraussichtlich auf diese
Bedingungen nicht eingehn werde, so sei der Krieg gewiß; ein besondrer Ge¬
sandter werde unverzüglich über die von Preußen gewünschten Maßnahmen in
Petersburg das Nähere mitteilen. Aber der Oberst von Krusemark, der diese
Sendung übernehmen sollte, trat erst am 18. September die Reise an, um ein
Hilfsheer von 60000 Mann zu verlangen. Fünf Wochen nach der preußischen
Mobilmachung! Es kaun nicht wundernehmen, daß diese auffällige Nück-
stüudigkeit in der diplomatischen Vorbereitung des Krieges nicht nur die ein-


der König die bezeichneten Persönlichkeiten entlassen werde. Die Denkschrift,
unterzeichnet von vier preußischen Prinzen, dein Prinzen von Oranien, des Königs
Schwager, dem General von Rüchel, dem Staatsminister von Stein und dem
Generalmajor Phull, datiert vom 25. und 31. August, ist durch den Adjutanten
Rüchels, den Hauptmann von Kleist, dem Könige am 2. September zu Char-
lottenburg in einem Augenblick überreicht worden, in dein er sich in den Ge¬
mächern der Königin befand, auf deren Unterstützung gerechnet worden war- Aber
erschreckt vor dem Zorn ihres Gemahls leistet die Königin diese Unterstützung nicht.
Der Augenblick war freilich auch schlecht gewählt. Am 9. August war die Mobil¬
machung ausgesprochen worden, vierzig Kuriere hatten die Befehle in die Pro¬
vinzen getragen, man befand sich fast am Vorabend des Krieges. „Nichts war
dem Könige so widerwärtig, schreibt Hüffer, als ein offner Eingriff in seine freie
Willensbestimmung und ein Benehmen, das nur entfernt der ihm schuldige»
Ehrfurcht zu ermangeln schien. Selbst in dem Verhalten Napoleons hatte er
am bittersten die Nichtachtung seiner persönlichen Würde empfunden." Man
kann danach ermessen, wie der König diesen in Preußen ganz unerhörten Schritt
auffaßte, der in seinen Augen sicherlich noch dadurch erschwert wurde, daß nicht
einer der Prinzen persönlich das Schriftstück überreicht hatte, sondern ein Adjutant
Nüchels damit beauftragt worden war. Rüchel erhielt einen scharfen Verweis,
den Prinzen, seinen Brüdern, gab der König unverhohlen sein Mißfallen zu er¬
kennen, und er verbat sich ein für allemal Zuschriften dieser Art. Der Herzog
von Braunschweig-Oels und der Prinz von Ornnien erhielten kalt abweisende Ant¬
worten, dein Minister von, Stein mußte General Psilli die Unzufriedenheit des
Königs aussprechen. Die Prinzen, die eine Stellung bei der Armee bekleideten,
erhielten Befehl, sich sofort auf ihre Posten zu begeben, dein Prinzen Louis
Ferdinand wurde nicht einmal gestattet, sich vom König oder der Königin persön¬
lich zu verabschieden, als er am 5. September Berlin verließ.

Der König selbst reiste am Abend des 20. September zur Armee ab, nachdem
drei Tage zuvor der Krieg fest beschlossen worden war. In die Zwischenzeit
fällt noch ein Briefwechsel mit dem Kaiser Alexander von Rußland, der im
Fortgange der seit Monaten schwebenden Verhandlungen den König zum Kriege
ermuntert hatte. Der König erwidert am 6. September, er werde sich durch keinen
Versuch Napoleons einschläfern lassen, sondern auf der Verbindung der nord¬
deutschen Fürsten gegenüber dem Rheinbünde und dein Rückzug der französischen
Truppen aus Süddeutschland bestehn. Dn Napoleon voraussichtlich auf diese
Bedingungen nicht eingehn werde, so sei der Krieg gewiß; ein besondrer Ge¬
sandter werde unverzüglich über die von Preußen gewünschten Maßnahmen in
Petersburg das Nähere mitteilen. Aber der Oberst von Krusemark, der diese
Sendung übernehmen sollte, trat erst am 18. September die Reise an, um ein
Hilfsheer von 60000 Mann zu verlangen. Fünf Wochen nach der preußischen
Mobilmachung! Es kaun nicht wundernehmen, daß diese auffällige Nück-
stüudigkeit in der diplomatischen Vorbereitung des Krieges nicht nur die ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/80>, abgerufen am 31.05.2024.