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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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geweihten Persönlichkeiten, sondern darüber hinaus weitere Kreise mit tiefem
Mißtrauen und nur allzu berechtigter Besorgnis erfüllte. Lombard, der dem
König in das Hauptquartier nach Naumburg gefolgt war, empfing den Auf¬
trag, den Absagebrief an Napoleon und das Kriegsmanifest zu verfassen. Das
Schreiben, das Lombard für den König entwarf, war allerdings weder dem
Zweck noch der Lage entsprechend, eine Mischung von Vorwürfen. Bewunderung,
ja Zärtlichkeit. Hüffer sagt dazu: ..ein verratner Freund, eine verlassene Ge¬
liebte könnten in solchem Tone dem Ungetreuen schreiben. Beinahe alles ist
wahr, manches schön und treffend im Ausdruck, aber es klingt sonderbar un
Munde eines Fürsten und paßt am wenigsten für den, an den es gerichtet
war." Napoleon hat später über das Schreiben gespottet, in Briefen an
Talleyrand, an die Rheinbundfürsten und sogar in einem Bulletin nannte er
es ein schlechtes Pamphlet, zwanzig Seiten lang, eine Rhapsodie, aus englischen
Zeitungen abgeschrieben, er habe es nicht einmal ganz gelesen. Das auffallendste
ist. daß es gar keine Forderung ausspricht, sondern in seiner Schilderung von
Gefühlen und in der Bewunderung Napoleons seinen Abschluß findet. Es ist
nicht ein Absagebrief, unmittelbar vor Beginn einer welterschütternden Fehde
geschrieben, sondern eine ausgestreckte Hand, die da erwartet, daß der andre
Teil sie noch ergreifen werde. Gentz, der auf Einladung von Haugwitz am
3. Oktober aus Wien im Hauptquartier Naumburg eingetroffen war. um auf
dessen Wunsch die preußische Politik mit seiner Feder zu unterstützen, sollte
mit Lombard das von diesem in französischer Sprache abgefaßte Kriegsmanifest
durchgehn und es ins Deutsche übertragen. Das Manifest suchte durch eine Reihe
von Beispielen zu beweisen, daß die französische Politik seit fünfzehn Jahren
eine Geißel der Menschheit gewesen, und kam zu dem Schluß, daß der König
nach langen Geduldsproben nicht ferner zögern dürfe, die Waffen zu ergreifen,
um seine Monarchie vor dem sie bedrohenden Schicksal zu bewahren und das
unglückliche Deutschland von dem Joch, unter dem es erliege, zu befreien. Ungemein
charakteristisch für die Handhabung der Regierungsgeschäfte ist es, daß wenigstens
nach den Mitteilungen von Gentz, ein so wichtiges und verantwortungsreiches
Schriftstück ganz allein von Lombard und Gentz bearbeitet wurde. Gentz schreibt
wörtlich: "Weder der König noch Graf Haugwitz noch sonst jemand wurde
dabei irgendwie zu Rate gezogen, denn das Manifest blieb gerade so, wie es
aus unsern Händen hervorgegangen war. und der König hat es nicht einmal
wiedergesehen, bevor es gedruckt und veröffentlicht wurde." Die Beratung war
Abends neun Uhr beendet, Gentz verwandte die ganze Nacht darauf, es ins
Deutsche zu übertragen. Am 3. Oktober wurde es in Weimar gedruckt, und vom
10. Oktober ab gelangte es an die Öffentlichkeit.




Grenzboten IV 1906 10
Jena

geweihten Persönlichkeiten, sondern darüber hinaus weitere Kreise mit tiefem
Mißtrauen und nur allzu berechtigter Besorgnis erfüllte. Lombard, der dem
König in das Hauptquartier nach Naumburg gefolgt war, empfing den Auf¬
trag, den Absagebrief an Napoleon und das Kriegsmanifest zu verfassen. Das
Schreiben, das Lombard für den König entwarf, war allerdings weder dem
Zweck noch der Lage entsprechend, eine Mischung von Vorwürfen. Bewunderung,
ja Zärtlichkeit. Hüffer sagt dazu: ..ein verratner Freund, eine verlassene Ge¬
liebte könnten in solchem Tone dem Ungetreuen schreiben. Beinahe alles ist
wahr, manches schön und treffend im Ausdruck, aber es klingt sonderbar un
Munde eines Fürsten und paßt am wenigsten für den, an den es gerichtet
war." Napoleon hat später über das Schreiben gespottet, in Briefen an
Talleyrand, an die Rheinbundfürsten und sogar in einem Bulletin nannte er
es ein schlechtes Pamphlet, zwanzig Seiten lang, eine Rhapsodie, aus englischen
Zeitungen abgeschrieben, er habe es nicht einmal ganz gelesen. Das auffallendste
ist. daß es gar keine Forderung ausspricht, sondern in seiner Schilderung von
Gefühlen und in der Bewunderung Napoleons seinen Abschluß findet. Es ist
nicht ein Absagebrief, unmittelbar vor Beginn einer welterschütternden Fehde
geschrieben, sondern eine ausgestreckte Hand, die da erwartet, daß der andre
Teil sie noch ergreifen werde. Gentz, der auf Einladung von Haugwitz am
3. Oktober aus Wien im Hauptquartier Naumburg eingetroffen war. um auf
dessen Wunsch die preußische Politik mit seiner Feder zu unterstützen, sollte
mit Lombard das von diesem in französischer Sprache abgefaßte Kriegsmanifest
durchgehn und es ins Deutsche übertragen. Das Manifest suchte durch eine Reihe
von Beispielen zu beweisen, daß die französische Politik seit fünfzehn Jahren
eine Geißel der Menschheit gewesen, und kam zu dem Schluß, daß der König
nach langen Geduldsproben nicht ferner zögern dürfe, die Waffen zu ergreifen,
um seine Monarchie vor dem sie bedrohenden Schicksal zu bewahren und das
unglückliche Deutschland von dem Joch, unter dem es erliege, zu befreien. Ungemein
charakteristisch für die Handhabung der Regierungsgeschäfte ist es, daß wenigstens
nach den Mitteilungen von Gentz, ein so wichtiges und verantwortungsreiches
Schriftstück ganz allein von Lombard und Gentz bearbeitet wurde. Gentz schreibt
wörtlich: „Weder der König noch Graf Haugwitz noch sonst jemand wurde
dabei irgendwie zu Rate gezogen, denn das Manifest blieb gerade so, wie es
aus unsern Händen hervorgegangen war. und der König hat es nicht einmal
wiedergesehen, bevor es gedruckt und veröffentlicht wurde." Die Beratung war
Abends neun Uhr beendet, Gentz verwandte die ganze Nacht darauf, es ins
Deutsche zu übertragen. Am 3. Oktober wurde es in Weimar gedruckt, und vom
10. Oktober ab gelangte es an die Öffentlichkeit.




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[0081] Jena geweihten Persönlichkeiten, sondern darüber hinaus weitere Kreise mit tiefem Mißtrauen und nur allzu berechtigter Besorgnis erfüllte. Lombard, der dem König in das Hauptquartier nach Naumburg gefolgt war, empfing den Auf¬ trag, den Absagebrief an Napoleon und das Kriegsmanifest zu verfassen. Das Schreiben, das Lombard für den König entwarf, war allerdings weder dem Zweck noch der Lage entsprechend, eine Mischung von Vorwürfen. Bewunderung, ja Zärtlichkeit. Hüffer sagt dazu: ..ein verratner Freund, eine verlassene Ge¬ liebte könnten in solchem Tone dem Ungetreuen schreiben. Beinahe alles ist wahr, manches schön und treffend im Ausdruck, aber es klingt sonderbar un Munde eines Fürsten und paßt am wenigsten für den, an den es gerichtet war." Napoleon hat später über das Schreiben gespottet, in Briefen an Talleyrand, an die Rheinbundfürsten und sogar in einem Bulletin nannte er es ein schlechtes Pamphlet, zwanzig Seiten lang, eine Rhapsodie, aus englischen Zeitungen abgeschrieben, er habe es nicht einmal ganz gelesen. Das auffallendste ist. daß es gar keine Forderung ausspricht, sondern in seiner Schilderung von Gefühlen und in der Bewunderung Napoleons seinen Abschluß findet. Es ist nicht ein Absagebrief, unmittelbar vor Beginn einer welterschütternden Fehde geschrieben, sondern eine ausgestreckte Hand, die da erwartet, daß der andre Teil sie noch ergreifen werde. Gentz, der auf Einladung von Haugwitz am 3. Oktober aus Wien im Hauptquartier Naumburg eingetroffen war. um auf dessen Wunsch die preußische Politik mit seiner Feder zu unterstützen, sollte mit Lombard das von diesem in französischer Sprache abgefaßte Kriegsmanifest durchgehn und es ins Deutsche übertragen. Das Manifest suchte durch eine Reihe von Beispielen zu beweisen, daß die französische Politik seit fünfzehn Jahren eine Geißel der Menschheit gewesen, und kam zu dem Schluß, daß der König nach langen Geduldsproben nicht ferner zögern dürfe, die Waffen zu ergreifen, um seine Monarchie vor dem sie bedrohenden Schicksal zu bewahren und das unglückliche Deutschland von dem Joch, unter dem es erliege, zu befreien. Ungemein charakteristisch für die Handhabung der Regierungsgeschäfte ist es, daß wenigstens nach den Mitteilungen von Gentz, ein so wichtiges und verantwortungsreiches Schriftstück ganz allein von Lombard und Gentz bearbeitet wurde. Gentz schreibt wörtlich: „Weder der König noch Graf Haugwitz noch sonst jemand wurde dabei irgendwie zu Rate gezogen, denn das Manifest blieb gerade so, wie es aus unsern Händen hervorgegangen war. und der König hat es nicht einmal wiedergesehen, bevor es gedruckt und veröffentlicht wurde." Die Beratung war Abends neun Uhr beendet, Gentz verwandte die ganze Nacht darauf, es ins Deutsche zu übertragen. Am 3. Oktober wurde es in Weimar gedruckt, und vom 10. Oktober ab gelangte es an die Öffentlichkeit. Grenzboten IV 1906 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/81>, abgerufen am 15.05.2024.