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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

wollte er im Juli 1870 vor einer französischen Drohung nicht zurückweichen,
sondern hielt daran fest, daß sobald Frankreich herausfordernd mit dem Kriege
drohe, Deutschland ihn führen müsse. Vom Tage des Kriegsausbruchs an waren
daher neben den militärischen Zielen auch die politischen fest ins Auge gefaßt
worden, wenngleich es dem Kanzler auch da noch als ein Gebot der Klugheit
erschien, zunächst durchgreifende militärische Entscheidungen abzuwarten, bevor
er sich den nationalen Zielen öffentlich zuwandte. In Konsequenz dieses Ge¬
dankens wollte er die Reichsoberhauptfrage nicht von Preußen aus, sondern
möglichst von dem größten süddeutschen Staat angeregt wissen, sowohl um den
Anschein nicht aufkommen zu lassen, als ob der Krieg nur im Interesse der
Erhöhung Preußens geführt worden sei, als auch um dem künftigen Reichs¬
oberhaupte, das doch nicht "das Präsidium" bleiben konnte, die breiteste Grund¬
lage der Popularität und des unbedingten freiwilligen Einverständnisses aller
deutschen Fürsten zu sichern. Deshalb wünschte er in dieser Frage eine fürst¬
liche Initiative Bayerns, die Preußen nicht nehmen konnte, und für die er nicht
einmal direkte Hinweise geben mochte. Der Großherzog wiederum sah es als
sein Recht und seine Pflicht an, selber eine Initiative zu ergreifen, die er bei
Bayern nur schwer vorauszusetzen vermochte, aber sein Eintreten für die Her¬
stellung der Kaiserwürde ist dennoch auch in München nicht ohne Erfolg und
für die Entschließungen des Königs Ludwig wesentlich mitbestimmend gewesen.

Aus der Geschichte der Versailler Verhandlungen wissen wir, daß die
bayrischen Unterhändler von Anfang an damit rechneten, das Anerbieten der
Kaiserwürde als einen Preis für bayrische Vorzugsrechte zu verwerten. Bei
der Abreise von München waren sie aber doch wohl nicht vorbereitet gewesen,
in Versailles und im gesamten Feldlager einer so ausgesprochnen " Kaiser" -
Stimmung zu begegnen. Sie trat dem Grafen Bray auch in der ersten Unter¬
redung mit Bismarck entgegen. Schon am Tage nach seiner Ankunft in Ver¬
sailles konnte er über seine erste Unterredung mit dem Bundeskanzler nach
München berichten: "Aus Graf Bismarcks Äußerungen geht deutlich hervor,
daß die Absicht, dem neuen Bunde den Namen Reich, dessen Präsidenten den
Namen Kaiser zu geben, hier mit entschiedner Vorliebe behandelt wird." Bray
schließt daraus sowie aus dem weitern Hinweise Bismarcks auf eine wünschens¬
werte Initiative der Fürsten, an ihrer Spitze der König von Bayern, daß
Preußen vieles konzedieren werde, wenn ihm in diesem Punkte entsprochen
werde. Hier liege der Schwerpunkt der Situation, und damit sei der Preis
bezeichnet, um den Konzessionen reellerer Art erlangt werden könnten. Graf
Bray darf somit das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, Kaiser und Reich
zum Gegenstande des Handelns und Bictens für bayrische Vorzugsrechte ge¬
macht zu haben. Über die Bereitwilligkeit Preußens, berechtigten bayrischen
Wünschen entgegenzukommen, wird er ja ohnehin nicht im Zweifel gewesen sein.
Aber das Verhalten der bayrischen Bevollmächtigten war anfänglich ein solches,
daß Bismarck und Delbrück, wie wir gesehen haben, es vorzogen, zunächst die


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

wollte er im Juli 1870 vor einer französischen Drohung nicht zurückweichen,
sondern hielt daran fest, daß sobald Frankreich herausfordernd mit dem Kriege
drohe, Deutschland ihn führen müsse. Vom Tage des Kriegsausbruchs an waren
daher neben den militärischen Zielen auch die politischen fest ins Auge gefaßt
worden, wenngleich es dem Kanzler auch da noch als ein Gebot der Klugheit
erschien, zunächst durchgreifende militärische Entscheidungen abzuwarten, bevor
er sich den nationalen Zielen öffentlich zuwandte. In Konsequenz dieses Ge¬
dankens wollte er die Reichsoberhauptfrage nicht von Preußen aus, sondern
möglichst von dem größten süddeutschen Staat angeregt wissen, sowohl um den
Anschein nicht aufkommen zu lassen, als ob der Krieg nur im Interesse der
Erhöhung Preußens geführt worden sei, als auch um dem künftigen Reichs¬
oberhaupte, das doch nicht „das Präsidium" bleiben konnte, die breiteste Grund¬
lage der Popularität und des unbedingten freiwilligen Einverständnisses aller
deutschen Fürsten zu sichern. Deshalb wünschte er in dieser Frage eine fürst¬
liche Initiative Bayerns, die Preußen nicht nehmen konnte, und für die er nicht
einmal direkte Hinweise geben mochte. Der Großherzog wiederum sah es als
sein Recht und seine Pflicht an, selber eine Initiative zu ergreifen, die er bei
Bayern nur schwer vorauszusetzen vermochte, aber sein Eintreten für die Her¬
stellung der Kaiserwürde ist dennoch auch in München nicht ohne Erfolg und
für die Entschließungen des Königs Ludwig wesentlich mitbestimmend gewesen.

Aus der Geschichte der Versailler Verhandlungen wissen wir, daß die
bayrischen Unterhändler von Anfang an damit rechneten, das Anerbieten der
Kaiserwürde als einen Preis für bayrische Vorzugsrechte zu verwerten. Bei
der Abreise von München waren sie aber doch wohl nicht vorbereitet gewesen,
in Versailles und im gesamten Feldlager einer so ausgesprochnen „ Kaiser" -
Stimmung zu begegnen. Sie trat dem Grafen Bray auch in der ersten Unter¬
redung mit Bismarck entgegen. Schon am Tage nach seiner Ankunft in Ver¬
sailles konnte er über seine erste Unterredung mit dem Bundeskanzler nach
München berichten: „Aus Graf Bismarcks Äußerungen geht deutlich hervor,
daß die Absicht, dem neuen Bunde den Namen Reich, dessen Präsidenten den
Namen Kaiser zu geben, hier mit entschiedner Vorliebe behandelt wird." Bray
schließt daraus sowie aus dem weitern Hinweise Bismarcks auf eine wünschens¬
werte Initiative der Fürsten, an ihrer Spitze der König von Bayern, daß
Preußen vieles konzedieren werde, wenn ihm in diesem Punkte entsprochen
werde. Hier liege der Schwerpunkt der Situation, und damit sei der Preis
bezeichnet, um den Konzessionen reellerer Art erlangt werden könnten. Graf
Bray darf somit das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, Kaiser und Reich
zum Gegenstande des Handelns und Bictens für bayrische Vorzugsrechte ge¬
macht zu haben. Über die Bereitwilligkeit Preußens, berechtigten bayrischen
Wünschen entgegenzukommen, wird er ja ohnehin nicht im Zweifel gewesen sein.
Aber das Verhalten der bayrischen Bevollmächtigten war anfänglich ein solches,
daß Bismarck und Delbrück, wie wir gesehen haben, es vorzogen, zunächst die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/84>, abgerufen am 04.06.2024.