Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

künftigen dissentierenden Elements, sondern die Festigung der monarchischen Ge¬
walt, der kaiserlichen Macht. König Wilhelm hat, das ist zwar bestritten worden,
ist aber dennoch authentisch, in dem Kaisertitel ursprünglich nur "den Charakter¬
major" gesehen, das heißt eine Form ohne Inhalt, unter Verringerung der
Preußischen Königsmacht. Nicht die Kaiserwürde an sich war es, der er wider¬
strebte, sondern die geringe Machtfülle, die ihm die Verfassung zu bieten schien.
Er glaubte, nach so glorreichen Erfolgen als König von Preußen stark und
mächtig genug zu sein, sich und seinen Staat an der Spitze Deutschlands zu
behaupten, und war deshalb wenig geneigt, eine Minderung von königlicher
Macht gegen äußere Formen einzutauschen. Er hielt von jeher mehr auf das
Wesen der Dinge als auf ihren Schein. Bismarck dagegen und ebenso der
Großherzog von Baden waren überzeugt, daß in dem kaiserlichen Titel, aller¬
dings je nach der Persönlichkeit seines Trägers, eine außerordentliche Ent¬
wicklungsfähigkeit enthalten sei, und daß gerade König Wilhelm bei seinen
Herrschereigenschaften und bei der allgemeinen großen Verehrung, die Deutsch¬
land ihm zollte, wie kein andrer Fürst berufen sein würde, diesem Kaisertitel
Inhalt und Gepräge zu geben.

Es ist ein nicht genug zu preisendes Glück in der Geschichte jener großen
Zeit, daß der Staatsmann, der berufen war, die Geschicke Deutschlands zu formen
und der neuen Verfassung ihr höchstes Kleinod einzufügen, in diesen letzten An¬
schauungen durchweg mit dem Fürsten einverstanden war, der diesen Ausgang
seit langen Jahren im Herzen trug und, opferbereit wie kein zweiter, für seine
Verwirklichung unausgesetzt tätig gewesen ist. Gewiß waren eine Zeit lang die
Wege des süddeutschen Fürsten und des preußischen Ministers weit auseinander¬
gegangen, auseinandergegangen deshalb, weil der Großherzog die Verwirklichung
des Reichsgedankens durch ein liberales, Deutschland moralisch eroberndes
Preußen wünschte, während Bismarck die Bedingung der Führung Deutschlands
durch Preußen in einem starken preußischen Königtum sah, dessen Machtfülle
nicht durch parlamentarische Majoritäten beeinträchtigt werden durfte, weil deren
Parteizwecke nur geeignet waren, den preußischen Staat von seinen großen
Zielen abzulenken. Nach 1866 sind beide Männer aber wohl schließlich doch
in dem Gedanken übereinstimmend gewesen, daß die Vollendung der deutschen
Einheit das Werk einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Frankreich sein
werde. Der Großherzog arbeitete unablässig darauf hin, daß Baden im ge¬
gebnen Augenblick seinem Anteil an dieser Aufgabe gewachsen sein möge. Des¬
halb wünschte er sein Land in das Gefüge des Nordhundes einzugliedern. Er
wollte der Isolierung und der Zwangslage von 1866 nicht zum zweitenmal
ausgesetzt sein. Bismarck dagegen erachtete es für das Gebot einer weisen
Politik, Frankreich nicht vorzeitig den Anlaß zu einem Kriege zu geben, nament¬
lich nicht, bevor die Militürvcrfasfung des Nordhundes ihre Früchte zeitigen
könne, aber er hielt zugleich darauf, sich das Gesetz der bewaffneten Ent¬
scheidung nicht von Frankreich vorschreiben zu lassen. Deshalb konnte und


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

künftigen dissentierenden Elements, sondern die Festigung der monarchischen Ge¬
walt, der kaiserlichen Macht. König Wilhelm hat, das ist zwar bestritten worden,
ist aber dennoch authentisch, in dem Kaisertitel ursprünglich nur „den Charakter¬
major" gesehen, das heißt eine Form ohne Inhalt, unter Verringerung der
Preußischen Königsmacht. Nicht die Kaiserwürde an sich war es, der er wider¬
strebte, sondern die geringe Machtfülle, die ihm die Verfassung zu bieten schien.
Er glaubte, nach so glorreichen Erfolgen als König von Preußen stark und
mächtig genug zu sein, sich und seinen Staat an der Spitze Deutschlands zu
behaupten, und war deshalb wenig geneigt, eine Minderung von königlicher
Macht gegen äußere Formen einzutauschen. Er hielt von jeher mehr auf das
Wesen der Dinge als auf ihren Schein. Bismarck dagegen und ebenso der
Großherzog von Baden waren überzeugt, daß in dem kaiserlichen Titel, aller¬
dings je nach der Persönlichkeit seines Trägers, eine außerordentliche Ent¬
wicklungsfähigkeit enthalten sei, und daß gerade König Wilhelm bei seinen
Herrschereigenschaften und bei der allgemeinen großen Verehrung, die Deutsch¬
land ihm zollte, wie kein andrer Fürst berufen sein würde, diesem Kaisertitel
Inhalt und Gepräge zu geben.

Es ist ein nicht genug zu preisendes Glück in der Geschichte jener großen
Zeit, daß der Staatsmann, der berufen war, die Geschicke Deutschlands zu formen
und der neuen Verfassung ihr höchstes Kleinod einzufügen, in diesen letzten An¬
schauungen durchweg mit dem Fürsten einverstanden war, der diesen Ausgang
seit langen Jahren im Herzen trug und, opferbereit wie kein zweiter, für seine
Verwirklichung unausgesetzt tätig gewesen ist. Gewiß waren eine Zeit lang die
Wege des süddeutschen Fürsten und des preußischen Ministers weit auseinander¬
gegangen, auseinandergegangen deshalb, weil der Großherzog die Verwirklichung
des Reichsgedankens durch ein liberales, Deutschland moralisch eroberndes
Preußen wünschte, während Bismarck die Bedingung der Führung Deutschlands
durch Preußen in einem starken preußischen Königtum sah, dessen Machtfülle
nicht durch parlamentarische Majoritäten beeinträchtigt werden durfte, weil deren
Parteizwecke nur geeignet waren, den preußischen Staat von seinen großen
Zielen abzulenken. Nach 1866 sind beide Männer aber wohl schließlich doch
in dem Gedanken übereinstimmend gewesen, daß die Vollendung der deutschen
Einheit das Werk einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Frankreich sein
werde. Der Großherzog arbeitete unablässig darauf hin, daß Baden im ge¬
gebnen Augenblick seinem Anteil an dieser Aufgabe gewachsen sein möge. Des¬
halb wünschte er sein Land in das Gefüge des Nordhundes einzugliedern. Er
wollte der Isolierung und der Zwangslage von 1866 nicht zum zweitenmal
ausgesetzt sein. Bismarck dagegen erachtete es für das Gebot einer weisen
Politik, Frankreich nicht vorzeitig den Anlaß zu einem Kriege zu geben, nament¬
lich nicht, bevor die Militürvcrfasfung des Nordhundes ihre Früchte zeitigen
könne, aber er hielt zugleich darauf, sich das Gesetz der bewaffneten Ent¬
scheidung nicht von Frankreich vorschreiben zu lassen. Deshalb konnte und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300582"/>
          <fw type="header" place="top"> Großherzog Friedrich von Baden in Versailles</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_261" prev="#ID_260"> künftigen dissentierenden Elements, sondern die Festigung der monarchischen Ge¬<lb/>
walt, der kaiserlichen Macht. König Wilhelm hat, das ist zwar bestritten worden,<lb/>
ist aber dennoch authentisch, in dem Kaisertitel ursprünglich nur &#x201E;den Charakter¬<lb/>
major" gesehen, das heißt eine Form ohne Inhalt, unter Verringerung der<lb/>
Preußischen Königsmacht. Nicht die Kaiserwürde an sich war es, der er wider¬<lb/>
strebte, sondern die geringe Machtfülle, die ihm die Verfassung zu bieten schien.<lb/>
Er glaubte, nach so glorreichen Erfolgen als König von Preußen stark und<lb/>
mächtig genug zu sein, sich und seinen Staat an der Spitze Deutschlands zu<lb/>
behaupten, und war deshalb wenig geneigt, eine Minderung von königlicher<lb/>
Macht gegen äußere Formen einzutauschen. Er hielt von jeher mehr auf das<lb/>
Wesen der Dinge als auf ihren Schein. Bismarck dagegen und ebenso der<lb/>
Großherzog von Baden waren überzeugt, daß in dem kaiserlichen Titel, aller¬<lb/>
dings je nach der Persönlichkeit seines Trägers, eine außerordentliche Ent¬<lb/>
wicklungsfähigkeit enthalten sei, und daß gerade König Wilhelm bei seinen<lb/>
Herrschereigenschaften und bei der allgemeinen großen Verehrung, die Deutsch¬<lb/>
land ihm zollte, wie kein andrer Fürst berufen sein würde, diesem Kaisertitel<lb/>
Inhalt und Gepräge zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_262" next="#ID_263"> Es ist ein nicht genug zu preisendes Glück in der Geschichte jener großen<lb/>
Zeit, daß der Staatsmann, der berufen war, die Geschicke Deutschlands zu formen<lb/>
und der neuen Verfassung ihr höchstes Kleinod einzufügen, in diesen letzten An¬<lb/>
schauungen durchweg mit dem Fürsten einverstanden war, der diesen Ausgang<lb/>
seit langen Jahren im Herzen trug und, opferbereit wie kein zweiter, für seine<lb/>
Verwirklichung unausgesetzt tätig gewesen ist. Gewiß waren eine Zeit lang die<lb/>
Wege des süddeutschen Fürsten und des preußischen Ministers weit auseinander¬<lb/>
gegangen, auseinandergegangen deshalb, weil der Großherzog die Verwirklichung<lb/>
des Reichsgedankens durch ein liberales, Deutschland moralisch eroberndes<lb/>
Preußen wünschte, während Bismarck die Bedingung der Führung Deutschlands<lb/>
durch Preußen in einem starken preußischen Königtum sah, dessen Machtfülle<lb/>
nicht durch parlamentarische Majoritäten beeinträchtigt werden durfte, weil deren<lb/>
Parteizwecke nur geeignet waren, den preußischen Staat von seinen großen<lb/>
Zielen abzulenken. Nach 1866 sind beide Männer aber wohl schließlich doch<lb/>
in dem Gedanken übereinstimmend gewesen, daß die Vollendung der deutschen<lb/>
Einheit das Werk einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Frankreich sein<lb/>
werde. Der Großherzog arbeitete unablässig darauf hin, daß Baden im ge¬<lb/>
gebnen Augenblick seinem Anteil an dieser Aufgabe gewachsen sein möge. Des¬<lb/>
halb wünschte er sein Land in das Gefüge des Nordhundes einzugliedern. Er<lb/>
wollte der Isolierung und der Zwangslage von 1866 nicht zum zweitenmal<lb/>
ausgesetzt sein. Bismarck dagegen erachtete es für das Gebot einer weisen<lb/>
Politik, Frankreich nicht vorzeitig den Anlaß zu einem Kriege zu geben, nament¬<lb/>
lich nicht, bevor die Militürvcrfasfung des Nordhundes ihre Früchte zeitigen<lb/>
könne, aber er hielt zugleich darauf, sich das Gesetz der bewaffneten Ent¬<lb/>
scheidung nicht von Frankreich vorschreiben zu lassen.  Deshalb konnte und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles künftigen dissentierenden Elements, sondern die Festigung der monarchischen Ge¬ walt, der kaiserlichen Macht. König Wilhelm hat, das ist zwar bestritten worden, ist aber dennoch authentisch, in dem Kaisertitel ursprünglich nur „den Charakter¬ major" gesehen, das heißt eine Form ohne Inhalt, unter Verringerung der Preußischen Königsmacht. Nicht die Kaiserwürde an sich war es, der er wider¬ strebte, sondern die geringe Machtfülle, die ihm die Verfassung zu bieten schien. Er glaubte, nach so glorreichen Erfolgen als König von Preußen stark und mächtig genug zu sein, sich und seinen Staat an der Spitze Deutschlands zu behaupten, und war deshalb wenig geneigt, eine Minderung von königlicher Macht gegen äußere Formen einzutauschen. Er hielt von jeher mehr auf das Wesen der Dinge als auf ihren Schein. Bismarck dagegen und ebenso der Großherzog von Baden waren überzeugt, daß in dem kaiserlichen Titel, aller¬ dings je nach der Persönlichkeit seines Trägers, eine außerordentliche Ent¬ wicklungsfähigkeit enthalten sei, und daß gerade König Wilhelm bei seinen Herrschereigenschaften und bei der allgemeinen großen Verehrung, die Deutsch¬ land ihm zollte, wie kein andrer Fürst berufen sein würde, diesem Kaisertitel Inhalt und Gepräge zu geben. Es ist ein nicht genug zu preisendes Glück in der Geschichte jener großen Zeit, daß der Staatsmann, der berufen war, die Geschicke Deutschlands zu formen und der neuen Verfassung ihr höchstes Kleinod einzufügen, in diesen letzten An¬ schauungen durchweg mit dem Fürsten einverstanden war, der diesen Ausgang seit langen Jahren im Herzen trug und, opferbereit wie kein zweiter, für seine Verwirklichung unausgesetzt tätig gewesen ist. Gewiß waren eine Zeit lang die Wege des süddeutschen Fürsten und des preußischen Ministers weit auseinander¬ gegangen, auseinandergegangen deshalb, weil der Großherzog die Verwirklichung des Reichsgedankens durch ein liberales, Deutschland moralisch eroberndes Preußen wünschte, während Bismarck die Bedingung der Führung Deutschlands durch Preußen in einem starken preußischen Königtum sah, dessen Machtfülle nicht durch parlamentarische Majoritäten beeinträchtigt werden durfte, weil deren Parteizwecke nur geeignet waren, den preußischen Staat von seinen großen Zielen abzulenken. Nach 1866 sind beide Männer aber wohl schließlich doch in dem Gedanken übereinstimmend gewesen, daß die Vollendung der deutschen Einheit das Werk einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Frankreich sein werde. Der Großherzog arbeitete unablässig darauf hin, daß Baden im ge¬ gebnen Augenblick seinem Anteil an dieser Aufgabe gewachsen sein möge. Des¬ halb wünschte er sein Land in das Gefüge des Nordhundes einzugliedern. Er wollte der Isolierung und der Zwangslage von 1866 nicht zum zweitenmal ausgesetzt sein. Bismarck dagegen erachtete es für das Gebot einer weisen Politik, Frankreich nicht vorzeitig den Anlaß zu einem Kriege zu geben, nament¬ lich nicht, bevor die Militürvcrfasfung des Nordhundes ihre Früchte zeitigen könne, aber er hielt zugleich darauf, sich das Gesetz der bewaffneten Ent¬ scheidung nicht von Frankreich vorschreiben zu lassen. Deshalb konnte und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/83>, abgerufen am 15.05.2024.