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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Technik als Rulturmacht

queues Leben und gelangte in Kunst und Wissenschaft zu hoher Kultur; aber
ihr Gefühlsleben blieb kalt und unfruchtbar, und eine solche Zeit konnte zwar
in der Kunst und im kalten Denken vieles geben, "doch läßt sich nicht an ihrem
Busen ruhn". Fünfhundert Jahre später fand die römische Kulturblüte statt;
aber auch sie konnte die Schranken nicht besiegen, die durch die Unfreiheit der
großen Mehrzahl der Bevölkerung aufgerichtet waren. So sehr wir über die
Leistungen des Altertums staunen, so fehlt ihm doch der so unendlich fruchtbare
Segen der Technik, dessen sich erst das Mittelalter erfreuen durfte. Griechische
Philosophie und Kunst, römische Architektur und römisches Recht haben einen
Teil des modernen Geistes geboren; dennoch blieb die Kultur in engen Schranken
befangen, weil es noch keine höhere Technik verstanden hatte, der anorganischen
Welt bewegende Kräfte zu entnehmen. Dagegen hatte das Mittelalter in der
Bearbeitung der Metalle, im Bauwesen, namentlich aber in dem Ersatz mensch¬
licher Arbeitskraft durch Tiere, Luft und Wasser, große Fortschritte zu ver¬
zeichnen, und deren notwendigste und vornehmste Folge war das Aufhören der
Sklaverei. Denn nicht gesetzliche Vorschriften und religiöse Einflüsse haben diese
beseitigt, sondern allein die veränderten Arbeitsmittel der Technik. Nur die
Bauern blieben in Unfreiheit, weil auf den" Lande die Technik nicht oder nur
unvollkommen angewandt werden konnte. Aber von allen Formen der Be-
tätigung des menschlichen Geistes hatte im Mittelalter allein die Technik einen
nennenswerten Fortschritt aufzuweisen, und zwar nicht erst durch die Hilfe der
Naturwissenschaft, da diese erst im sechzehnten Jahrhundert erwachte. Durch die
Jahrhunderte langsam vorwärtsschreitend zeigt uns sodann der Verfasser, wie
sich überall derselbe Vorgang wiederholt: Vergeistigung der menschlichen Arbeit
durch die Technik, infolgedessen Vermehrung der politischen und der persönlichen
Freiheit, Vertiefung des seelischen Lebens und Veredlung der Kultur. Aber
diesen Grundvorgang hat der Verfasser mit einer so großen Fülle von Tat¬
sachen aus dem politischen und sozialen Leben der Völker, namentlich auch des
deutschen Volkes, umsponnen, daß es nicht möglich ist, einzelne Fäden aus diesem
Gewebe herauszuziehn, ohne die kunstvollen Kulturgeschichtsbilder, die wir hier
vor uns haben, zu schädigen. Als Deutsche werden wir dieser Verherrlichung
der Technik noch freudiger beistimmen, da wir ihr auch den politischen Auf¬
schwung unsers Volkes verdanken. Denn die Technik und ihre Gefolgschaften
drängten zu einer einheitlichen Verwaltung im Deutschen Reich und haben zu
dessen Neugründung mehr beigetragen als alle Ideale und die unklare Deutsch¬
tümelei.

Am Schlüsse seines Buches erinnert der Verfasser an die herrliche Ver¬
klärung der Arbeit im zweiten Teile des Faust. Als Goethe, gemäß der Ab¬
machung zwischen Faust und Mephisto zu Beginn der Tragödie, schließlich den
Augenblick finden will, zu dem Faust sagen würde: "Verweile doch, du bist
so schön", weiß er keine bessere Lösung als durch die technische Arbeit im
Dienste der Allgemeinheit. Faust bäumt das Meer zurück und schafft dem


Die Technik als Rulturmacht

queues Leben und gelangte in Kunst und Wissenschaft zu hoher Kultur; aber
ihr Gefühlsleben blieb kalt und unfruchtbar, und eine solche Zeit konnte zwar
in der Kunst und im kalten Denken vieles geben, „doch läßt sich nicht an ihrem
Busen ruhn". Fünfhundert Jahre später fand die römische Kulturblüte statt;
aber auch sie konnte die Schranken nicht besiegen, die durch die Unfreiheit der
großen Mehrzahl der Bevölkerung aufgerichtet waren. So sehr wir über die
Leistungen des Altertums staunen, so fehlt ihm doch der so unendlich fruchtbare
Segen der Technik, dessen sich erst das Mittelalter erfreuen durfte. Griechische
Philosophie und Kunst, römische Architektur und römisches Recht haben einen
Teil des modernen Geistes geboren; dennoch blieb die Kultur in engen Schranken
befangen, weil es noch keine höhere Technik verstanden hatte, der anorganischen
Welt bewegende Kräfte zu entnehmen. Dagegen hatte das Mittelalter in der
Bearbeitung der Metalle, im Bauwesen, namentlich aber in dem Ersatz mensch¬
licher Arbeitskraft durch Tiere, Luft und Wasser, große Fortschritte zu ver¬
zeichnen, und deren notwendigste und vornehmste Folge war das Aufhören der
Sklaverei. Denn nicht gesetzliche Vorschriften und religiöse Einflüsse haben diese
beseitigt, sondern allein die veränderten Arbeitsmittel der Technik. Nur die
Bauern blieben in Unfreiheit, weil auf den« Lande die Technik nicht oder nur
unvollkommen angewandt werden konnte. Aber von allen Formen der Be-
tätigung des menschlichen Geistes hatte im Mittelalter allein die Technik einen
nennenswerten Fortschritt aufzuweisen, und zwar nicht erst durch die Hilfe der
Naturwissenschaft, da diese erst im sechzehnten Jahrhundert erwachte. Durch die
Jahrhunderte langsam vorwärtsschreitend zeigt uns sodann der Verfasser, wie
sich überall derselbe Vorgang wiederholt: Vergeistigung der menschlichen Arbeit
durch die Technik, infolgedessen Vermehrung der politischen und der persönlichen
Freiheit, Vertiefung des seelischen Lebens und Veredlung der Kultur. Aber
diesen Grundvorgang hat der Verfasser mit einer so großen Fülle von Tat¬
sachen aus dem politischen und sozialen Leben der Völker, namentlich auch des
deutschen Volkes, umsponnen, daß es nicht möglich ist, einzelne Fäden aus diesem
Gewebe herauszuziehn, ohne die kunstvollen Kulturgeschichtsbilder, die wir hier
vor uns haben, zu schädigen. Als Deutsche werden wir dieser Verherrlichung
der Technik noch freudiger beistimmen, da wir ihr auch den politischen Auf¬
schwung unsers Volkes verdanken. Denn die Technik und ihre Gefolgschaften
drängten zu einer einheitlichen Verwaltung im Deutschen Reich und haben zu
dessen Neugründung mehr beigetragen als alle Ideale und die unklare Deutsch¬
tümelei.

Am Schlüsse seines Buches erinnert der Verfasser an die herrliche Ver¬
klärung der Arbeit im zweiten Teile des Faust. Als Goethe, gemäß der Ab¬
machung zwischen Faust und Mephisto zu Beginn der Tragödie, schließlich den
Augenblick finden will, zu dem Faust sagen würde: „Verweile doch, du bist
so schön", weiß er keine bessere Lösung als durch die technische Arbeit im
Dienste der Allgemeinheit. Faust bäumt das Meer zurück und schafft dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/20>, abgerufen am 18.05.2024.