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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

Volke neues Land, So klingt, bemerkt der Verfasser, unsre größte nationale
Dichtung aus in einer Verklärung der Arbeit:

Solch ein Getümmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdentagen ,
Nicht in Äonen untergehn.
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick,

Die Schlußworte des Verfassers lauten: "Der Weise des Altertums sah
das Glück in der abstrakten Betrachtung der Welt, der Weise des Mittelalters
in dem Vorgefühl himmlischer Freuden, der Weise der Neuzeit sieht es in der
geistigen Leitung mechanischer Arbeitskraft, Wer hat am tiefsten geschaut?"
Das nach Inhalt und Form ausgezeichnete Werk bildet eine so reiche Fund¬
grube kulturgeschichtlicher Tatsachen, die uns hier vielfach in einem ganz neuen
Licht entgegentreten, daß jeder Leser auf hohe Freude und fruchtbarste Be¬
l Urre Graeser ehrung rechnen darf.




Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

von Hans Gerhard Graf
1

aure Wochen, frohe Feste -- diese einfache Schlußweisheit von
Goethes Ballade "Der Schatzgräber" darf ich wohl getrost über
diese Zeilen schreiben. Denn ein Fest, ein frohes, bedeutet es
allezeit, wenn wir in Dichters Lande gehn, um den Dichter zu
verstehn. Und daß es "saure" Wochen, saure Monde waren.
die der frohen Ausfahrt vorhergingen, wird nicht minder wahr sein. Denn
ein andres fürwahr ist es: Goethes Briefe, wie sie uns die große Weimarer
Ausgabe Band auf Band, wohlgeordnet und säuberlich gedruckt, vorlegt, als
Laie oder Forscher lesen und genießen; ein andres: die ehren- und dornen¬
volle Pflicht haben, den kritischen Apparat, die sogenannten "Lesarten" eines
solchen Bandes herzustellen. ^Allerdings kommt es jederzeit allein auf den
Geist an, in dem man etwas betreibt, und so kann auch eine an sich gering¬
fügigste, ja scheinbar unnötige Kleinarbeit, indem wir sie wahrhaft Großem
dienstbar machen, geadelt werden. Dennoch, sobald wir überzeugt sind, daß
das Ergebnis einer mehrere Wochen in Anspruch nehmenden, mühevollen


Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

Volke neues Land, So klingt, bemerkt der Verfasser, unsre größte nationale
Dichtung aus in einer Verklärung der Arbeit:

Solch ein Getümmel möcht ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdentagen ,
Nicht in Äonen untergehn.
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick,

Die Schlußworte des Verfassers lauten: „Der Weise des Altertums sah
das Glück in der abstrakten Betrachtung der Welt, der Weise des Mittelalters
in dem Vorgefühl himmlischer Freuden, der Weise der Neuzeit sieht es in der
geistigen Leitung mechanischer Arbeitskraft, Wer hat am tiefsten geschaut?"
Das nach Inhalt und Form ausgezeichnete Werk bildet eine so reiche Fund¬
grube kulturgeschichtlicher Tatsachen, die uns hier vielfach in einem ganz neuen
Licht entgegentreten, daß jeder Leser auf hohe Freude und fruchtbarste Be¬
l Urre Graeser ehrung rechnen darf.




Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

von Hans Gerhard Graf
1

aure Wochen, frohe Feste — diese einfache Schlußweisheit von
Goethes Ballade „Der Schatzgräber" darf ich wohl getrost über
diese Zeilen schreiben. Denn ein Fest, ein frohes, bedeutet es
allezeit, wenn wir in Dichters Lande gehn, um den Dichter zu
verstehn. Und daß es „saure" Wochen, saure Monde waren.
die der frohen Ausfahrt vorhergingen, wird nicht minder wahr sein. Denn
ein andres fürwahr ist es: Goethes Briefe, wie sie uns die große Weimarer
Ausgabe Band auf Band, wohlgeordnet und säuberlich gedruckt, vorlegt, als
Laie oder Forscher lesen und genießen; ein andres: die ehren- und dornen¬
volle Pflicht haben, den kritischen Apparat, die sogenannten „Lesarten" eines
solchen Bandes herzustellen. ^Allerdings kommt es jederzeit allein auf den
Geist an, in dem man etwas betreibt, und so kann auch eine an sich gering¬
fügigste, ja scheinbar unnötige Kleinarbeit, indem wir sie wahrhaft Großem
dienstbar machen, geadelt werden. Dennoch, sobald wir überzeugt sind, daß
das Ergebnis einer mehrere Wochen in Anspruch nehmenden, mühevollen


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[0021] Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen Volke neues Land, So klingt, bemerkt der Verfasser, unsre größte nationale Dichtung aus in einer Verklärung der Arbeit: Solch ein Getümmel möcht ich sehn, Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn. Zum Augenblicke dürft ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! Es kann die Spur von meinen Erdentagen , Nicht in Äonen untergehn. Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß ich jetzt den höchsten Augenblick, Die Schlußworte des Verfassers lauten: „Der Weise des Altertums sah das Glück in der abstrakten Betrachtung der Welt, der Weise des Mittelalters in dem Vorgefühl himmlischer Freuden, der Weise der Neuzeit sieht es in der geistigen Leitung mechanischer Arbeitskraft, Wer hat am tiefsten geschaut?" Das nach Inhalt und Form ausgezeichnete Werk bildet eine so reiche Fund¬ grube kulturgeschichtlicher Tatsachen, die uns hier vielfach in einem ganz neuen Licht entgegentreten, daß jeder Leser auf hohe Freude und fruchtbarste Be¬ l Urre Graeser ehrung rechnen darf. Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen von Hans Gerhard Graf 1 aure Wochen, frohe Feste — diese einfache Schlußweisheit von Goethes Ballade „Der Schatzgräber" darf ich wohl getrost über diese Zeilen schreiben. Denn ein Fest, ein frohes, bedeutet es allezeit, wenn wir in Dichters Lande gehn, um den Dichter zu verstehn. Und daß es „saure" Wochen, saure Monde waren. die der frohen Ausfahrt vorhergingen, wird nicht minder wahr sein. Denn ein andres fürwahr ist es: Goethes Briefe, wie sie uns die große Weimarer Ausgabe Band auf Band, wohlgeordnet und säuberlich gedruckt, vorlegt, als Laie oder Forscher lesen und genießen; ein andres: die ehren- und dornen¬ volle Pflicht haben, den kritischen Apparat, die sogenannten „Lesarten" eines solchen Bandes herzustellen. ^Allerdings kommt es jederzeit allein auf den Geist an, in dem man etwas betreibt, und so kann auch eine an sich gering¬ fügigste, ja scheinbar unnötige Kleinarbeit, indem wir sie wahrhaft Großem dienstbar machen, geadelt werden. Dennoch, sobald wir überzeugt sind, daß das Ergebnis einer mehrere Wochen in Anspruch nehmenden, mühevollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/21>, abgerufen am 18.05.2024.