Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nie militärischen Machtmittel der Japaner

von vornherein für ganz unwahrscheinlich gehalten. Der zwar siegreiche Kampf
mit Rußland hat doch auch Japan schwere Wunden geschlagen und die finanziellen
Kräfte des Reiches fast bis aufs äußerste erschöpft. Das Land bedarf dringend
der Ruhe, um seine innern Angelegenheiten, die unter den Unruhen des Krieges
sichtbar gelitten haben, wieder in Ordnung zu bringen und die militärischen
Erfahrungen des Feldzuges allmählich ins Praktische zu übersetzen. Zu einem
Kriege gehört aber auch Geld. Und da hat die jüngste Reise des klugen
Finanzagenten Takashi nach London zur Sondierung des europäischen Geld¬
markts und zur Aufnahme einer Anleihe von 250 Millionen Mu gezeigt, daß
sogar die Taschen des verbündeten Albion zugeknöpft und wenig Aussichten zur
Erlangung des gewünschten Kredits vorhanden sind. Das dürfte auch ein
Grund sein, daß es Japan bei seinen Differenzen mit Amerika gegenwärtig nicht
zum äußersten kommen lassen wird. Auch darf bei der Beurteilung der Gesamtlage
nicht übersehen werden, daß die Beziehungen Japans zu Rußland uoch immer
nicht gerade die besten sind, und daß die Erledigung der Fischereistreitigkeiten
an den ostasiatischen Küsten ans größere Schwierigkeiten stößt, als wohl auf
beiden Seiten erwartet worden ist. Also eine weitere Veranlassung für die
japanische Regierung, sich mit Heer und Flotte nicht übereilt oder gar unüberlegt
in neue kriegerische Unternehmungen zu stürzen.

Aber auf der andern Seite darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß,
wenn jetzt der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Japan gütlich
beigelegt worden ist, unsers Erachtens der entstandne Riß nur vorübergehend
zugedeckt ist. Denn der Widerwille der weißen Rasse in den Vereinigten Staaten
gegen die gelbe Einwanderung hat schon so tief Wurzel gefaßt und ist schon
wiederholt so scharf zum Ausdruck gekommen, daß eine Entscheidung durch die
Waffen fast unvermeidlich und nur eine Frage der Zeit zu sein scheint. Diese
den Japanern schon seit lange gekommne Erkenntnis ist auch mit die Veranlassung,
daß sie große Heeresreformen vorbereiten. Aber über diese fehlt es bis jetzt an
durchaus zuverlässigen und erschöpfenden Nachrichten. Angaben, die bald hier,
bald dort in der Presse veröffentlicht worden sind, geben nur ein unvollständiges
Bild. Die Gründe für diese lückenhaften Mitteilungen sind verschiedner Art. Erstens
liebt es Japan überhaupt, sich in seinen militärischen Einrichtungen und Ma߬
nahmen von der Außenwelt abzuschließen, nachdem es durch die fremden Militär¬
missionen erreicht hat, was es erreichen wollte. So war es schon vor dem
Kriege; die Geheimhaltung nahm dann während der Operationen in hohem
Grade zu, und sie wird jetzt im Frieden mit großem Geschick weiter fortgesetzt.
Dagegen bleibt zu berücksichtigen und ist tatsächlich festgestellt worden, daß
der Tod des erst kurze Zeit als Chef des Generalstabes im Amt gewesnen
Generals Kodama in: Juni vorigen Jahres die Beratungen über die Heeres¬
reformen ins Stocken gebracht hat. Sie dürften auch heute noch nicht ganz
abgeschlossen sein, weil nach den letzten Nachrichten die unter dem General
Baron Rishi, Generalinspektenr des Militärerziehnngs- und Bildungswesens, aus


Nie militärischen Machtmittel der Japaner

von vornherein für ganz unwahrscheinlich gehalten. Der zwar siegreiche Kampf
mit Rußland hat doch auch Japan schwere Wunden geschlagen und die finanziellen
Kräfte des Reiches fast bis aufs äußerste erschöpft. Das Land bedarf dringend
der Ruhe, um seine innern Angelegenheiten, die unter den Unruhen des Krieges
sichtbar gelitten haben, wieder in Ordnung zu bringen und die militärischen
Erfahrungen des Feldzuges allmählich ins Praktische zu übersetzen. Zu einem
Kriege gehört aber auch Geld. Und da hat die jüngste Reise des klugen
Finanzagenten Takashi nach London zur Sondierung des europäischen Geld¬
markts und zur Aufnahme einer Anleihe von 250 Millionen Mu gezeigt, daß
sogar die Taschen des verbündeten Albion zugeknöpft und wenig Aussichten zur
Erlangung des gewünschten Kredits vorhanden sind. Das dürfte auch ein
Grund sein, daß es Japan bei seinen Differenzen mit Amerika gegenwärtig nicht
zum äußersten kommen lassen wird. Auch darf bei der Beurteilung der Gesamtlage
nicht übersehen werden, daß die Beziehungen Japans zu Rußland uoch immer
nicht gerade die besten sind, und daß die Erledigung der Fischereistreitigkeiten
an den ostasiatischen Küsten ans größere Schwierigkeiten stößt, als wohl auf
beiden Seiten erwartet worden ist. Also eine weitere Veranlassung für die
japanische Regierung, sich mit Heer und Flotte nicht übereilt oder gar unüberlegt
in neue kriegerische Unternehmungen zu stürzen.

Aber auf der andern Seite darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß,
wenn jetzt der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Japan gütlich
beigelegt worden ist, unsers Erachtens der entstandne Riß nur vorübergehend
zugedeckt ist. Denn der Widerwille der weißen Rasse in den Vereinigten Staaten
gegen die gelbe Einwanderung hat schon so tief Wurzel gefaßt und ist schon
wiederholt so scharf zum Ausdruck gekommen, daß eine Entscheidung durch die
Waffen fast unvermeidlich und nur eine Frage der Zeit zu sein scheint. Diese
den Japanern schon seit lange gekommne Erkenntnis ist auch mit die Veranlassung,
daß sie große Heeresreformen vorbereiten. Aber über diese fehlt es bis jetzt an
durchaus zuverlässigen und erschöpfenden Nachrichten. Angaben, die bald hier,
bald dort in der Presse veröffentlicht worden sind, geben nur ein unvollständiges
Bild. Die Gründe für diese lückenhaften Mitteilungen sind verschiedner Art. Erstens
liebt es Japan überhaupt, sich in seinen militärischen Einrichtungen und Ma߬
nahmen von der Außenwelt abzuschließen, nachdem es durch die fremden Militär¬
missionen erreicht hat, was es erreichen wollte. So war es schon vor dem
Kriege; die Geheimhaltung nahm dann während der Operationen in hohem
Grade zu, und sie wird jetzt im Frieden mit großem Geschick weiter fortgesetzt.
Dagegen bleibt zu berücksichtigen und ist tatsächlich festgestellt worden, daß
der Tod des erst kurze Zeit als Chef des Generalstabes im Amt gewesnen
Generals Kodama in: Juni vorigen Jahres die Beratungen über die Heeres¬
reformen ins Stocken gebracht hat. Sie dürften auch heute noch nicht ganz
abgeschlossen sein, weil nach den letzten Nachrichten die unter dem General
Baron Rishi, Generalinspektenr des Militärerziehnngs- und Bildungswesens, aus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301648"/>
          <fw type="header" place="top"> Nie militärischen Machtmittel der Japaner</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1489" prev="#ID_1488"> von vornherein für ganz unwahrscheinlich gehalten. Der zwar siegreiche Kampf<lb/>
mit Rußland hat doch auch Japan schwere Wunden geschlagen und die finanziellen<lb/>
Kräfte des Reiches fast bis aufs äußerste erschöpft. Das Land bedarf dringend<lb/>
der Ruhe, um seine innern Angelegenheiten, die unter den Unruhen des Krieges<lb/>
sichtbar gelitten haben, wieder in Ordnung zu bringen und die militärischen<lb/>
Erfahrungen des Feldzuges allmählich ins Praktische zu übersetzen. Zu einem<lb/>
Kriege gehört aber auch Geld. Und da hat die jüngste Reise des klugen<lb/>
Finanzagenten Takashi nach London zur Sondierung des europäischen Geld¬<lb/>
markts und zur Aufnahme einer Anleihe von 250 Millionen Mu gezeigt, daß<lb/>
sogar die Taschen des verbündeten Albion zugeknöpft und wenig Aussichten zur<lb/>
Erlangung des gewünschten Kredits vorhanden sind. Das dürfte auch ein<lb/>
Grund sein, daß es Japan bei seinen Differenzen mit Amerika gegenwärtig nicht<lb/>
zum äußersten kommen lassen wird. Auch darf bei der Beurteilung der Gesamtlage<lb/>
nicht übersehen werden, daß die Beziehungen Japans zu Rußland uoch immer<lb/>
nicht gerade die besten sind, und daß die Erledigung der Fischereistreitigkeiten<lb/>
an den ostasiatischen Küsten ans größere Schwierigkeiten stößt, als wohl auf<lb/>
beiden Seiten erwartet worden ist. Also eine weitere Veranlassung für die<lb/>
japanische Regierung, sich mit Heer und Flotte nicht übereilt oder gar unüberlegt<lb/>
in neue kriegerische Unternehmungen zu stürzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1490" next="#ID_1491"> Aber auf der andern Seite darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß,<lb/>
wenn jetzt der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Japan gütlich<lb/>
beigelegt worden ist, unsers Erachtens der entstandne Riß nur vorübergehend<lb/>
zugedeckt ist. Denn der Widerwille der weißen Rasse in den Vereinigten Staaten<lb/>
gegen die gelbe Einwanderung hat schon so tief Wurzel gefaßt und ist schon<lb/>
wiederholt so scharf zum Ausdruck gekommen, daß eine Entscheidung durch die<lb/>
Waffen fast unvermeidlich und nur eine Frage der Zeit zu sein scheint. Diese<lb/>
den Japanern schon seit lange gekommne Erkenntnis ist auch mit die Veranlassung,<lb/>
daß sie große Heeresreformen vorbereiten. Aber über diese fehlt es bis jetzt an<lb/>
durchaus zuverlässigen und erschöpfenden Nachrichten. Angaben, die bald hier,<lb/>
bald dort in der Presse veröffentlicht worden sind, geben nur ein unvollständiges<lb/>
Bild. Die Gründe für diese lückenhaften Mitteilungen sind verschiedner Art. Erstens<lb/>
liebt es Japan überhaupt, sich in seinen militärischen Einrichtungen und Ma߬<lb/>
nahmen von der Außenwelt abzuschließen, nachdem es durch die fremden Militär¬<lb/>
missionen erreicht hat, was es erreichen wollte. So war es schon vor dem<lb/>
Kriege; die Geheimhaltung nahm dann während der Operationen in hohem<lb/>
Grade zu, und sie wird jetzt im Frieden mit großem Geschick weiter fortgesetzt.<lb/>
Dagegen bleibt zu berücksichtigen und ist tatsächlich festgestellt worden, daß<lb/>
der Tod des erst kurze Zeit als Chef des Generalstabes im Amt gewesnen<lb/>
Generals Kodama in: Juni vorigen Jahres die Beratungen über die Heeres¬<lb/>
reformen ins Stocken gebracht hat. Sie dürften auch heute noch nicht ganz<lb/>
abgeschlossen sein, weil nach den letzten Nachrichten die unter dem General<lb/>
Baron Rishi, Generalinspektenr des Militärerziehnngs- und Bildungswesens, aus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0394] Nie militärischen Machtmittel der Japaner von vornherein für ganz unwahrscheinlich gehalten. Der zwar siegreiche Kampf mit Rußland hat doch auch Japan schwere Wunden geschlagen und die finanziellen Kräfte des Reiches fast bis aufs äußerste erschöpft. Das Land bedarf dringend der Ruhe, um seine innern Angelegenheiten, die unter den Unruhen des Krieges sichtbar gelitten haben, wieder in Ordnung zu bringen und die militärischen Erfahrungen des Feldzuges allmählich ins Praktische zu übersetzen. Zu einem Kriege gehört aber auch Geld. Und da hat die jüngste Reise des klugen Finanzagenten Takashi nach London zur Sondierung des europäischen Geld¬ markts und zur Aufnahme einer Anleihe von 250 Millionen Mu gezeigt, daß sogar die Taschen des verbündeten Albion zugeknöpft und wenig Aussichten zur Erlangung des gewünschten Kredits vorhanden sind. Das dürfte auch ein Grund sein, daß es Japan bei seinen Differenzen mit Amerika gegenwärtig nicht zum äußersten kommen lassen wird. Auch darf bei der Beurteilung der Gesamtlage nicht übersehen werden, daß die Beziehungen Japans zu Rußland uoch immer nicht gerade die besten sind, und daß die Erledigung der Fischereistreitigkeiten an den ostasiatischen Küsten ans größere Schwierigkeiten stößt, als wohl auf beiden Seiten erwartet worden ist. Also eine weitere Veranlassung für die japanische Regierung, sich mit Heer und Flotte nicht übereilt oder gar unüberlegt in neue kriegerische Unternehmungen zu stürzen. Aber auf der andern Seite darf nicht aus dem Auge verloren werden, daß, wenn jetzt der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Japan gütlich beigelegt worden ist, unsers Erachtens der entstandne Riß nur vorübergehend zugedeckt ist. Denn der Widerwille der weißen Rasse in den Vereinigten Staaten gegen die gelbe Einwanderung hat schon so tief Wurzel gefaßt und ist schon wiederholt so scharf zum Ausdruck gekommen, daß eine Entscheidung durch die Waffen fast unvermeidlich und nur eine Frage der Zeit zu sein scheint. Diese den Japanern schon seit lange gekommne Erkenntnis ist auch mit die Veranlassung, daß sie große Heeresreformen vorbereiten. Aber über diese fehlt es bis jetzt an durchaus zuverlässigen und erschöpfenden Nachrichten. Angaben, die bald hier, bald dort in der Presse veröffentlicht worden sind, geben nur ein unvollständiges Bild. Die Gründe für diese lückenhaften Mitteilungen sind verschiedner Art. Erstens liebt es Japan überhaupt, sich in seinen militärischen Einrichtungen und Ma߬ nahmen von der Außenwelt abzuschließen, nachdem es durch die fremden Militär¬ missionen erreicht hat, was es erreichen wollte. So war es schon vor dem Kriege; die Geheimhaltung nahm dann während der Operationen in hohem Grade zu, und sie wird jetzt im Frieden mit großem Geschick weiter fortgesetzt. Dagegen bleibt zu berücksichtigen und ist tatsächlich festgestellt worden, daß der Tod des erst kurze Zeit als Chef des Generalstabes im Amt gewesnen Generals Kodama in: Juni vorigen Jahres die Beratungen über die Heeres¬ reformen ins Stocken gebracht hat. Sie dürften auch heute noch nicht ganz abgeschlossen sein, weil nach den letzten Nachrichten die unter dem General Baron Rishi, Generalinspektenr des Militärerziehnngs- und Bildungswesens, aus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/394
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/394>, abgerufen am 16.05.2024.