Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Tünzelfritze Gegenwärtig ist die Fabrikmarke alles, was der Verkäufer auf seinen Waren Unser Rüstzeug dazu ist schwach, wir müssen es uns erst kräftig machen, Tänzelsritze Max Grad von (Fortsetzung) !as junge Mädchen braucht um frühen, hellen Sommermorgen gar Amen! murmelt nebenan die tiefschlafende Alte, im Traume ein Gebet be¬ Tünzelfritze Gegenwärtig ist die Fabrikmarke alles, was der Verkäufer auf seinen Waren Unser Rüstzeug dazu ist schwach, wir müssen es uns erst kräftig machen, Tänzelsritze Max Grad von (Fortsetzung) !as junge Mädchen braucht um frühen, hellen Sommermorgen gar Amen! murmelt nebenan die tiefschlafende Alte, im Traume ein Gebet be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301796"/> <fw type="header" place="top"> Tünzelfritze</fw><lb/> <p xml:id="ID_1993"> Gegenwärtig ist die Fabrikmarke alles, was der Verkäufer auf seinen Waren<lb/> braucht. Es würde aber bald anders werden, wenn sich das Publikum dazu<lb/> verstehe» wollte, sachkundig prüfen zu lerne», was es einkauft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1994"> Unser Rüstzeug dazu ist schwach, wir müssen es uns erst kräftig machen,<lb/> ja eigentlich erst herstellen. Um dem Publikum die reellen Waffen in die Hand<lb/> zu geben, will ich jetzt die Einzelheiten besprechen, die, ohne die Aufgabe zu<lb/> schwierig zu machen, das Publikum instant setzen sollen, den Kampf gegen die<lb/> unechten Farben mit Hoffnung auf Erfolg aufzunehmen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Tänzelsritze<lb/><note type="byline"> Max Grad</note> von<lb/> (Fortsetzung)</head><lb/> <p xml:id="ID_1995"> !as junge Mädchen braucht um frühen, hellen Sommermorgen gar<lb/> nichts mehr, um sich völlig klar zu sein über alles, was sich ereignet<lb/> hatte, und noch mehr über das, was hätte geschehen können, wenn<lb/> Fritz Telemann nicht so glattweg vorgezogen hätte, zur Hochzeit zu<lb/> fahren, statt noch länger mit ihr, die er doch so sehr zu lieben<lb/> ^ schien, zusammen zu sein. Immer enger hätte sich eine Fessel zuge¬<lb/> zogen, die ihr — o sie fühlt es deutlich — statt zum dauernden Rosenband treuer<lb/> Neigung zum rauhen, erbarmungslosen Henkerstrick geworden wäre! Jetzt weis;<lb/> Wine, daß ein zu spät erkanntes, unechtes Gefühl zur fressenden Lebenslüge werden<lb/> kann. Wie traurig, daß man erst herabstürzen muß, um aus dem Zustande einer<lb/> halben Betäubung zu erwachen! Lange hatte Malwine Reichhardt nicht mehr so<lb/> recht gebetet. Aber jetzt — obgleich sie die Hände um die heraufgezognen Knie<lb/> gelegt hat, statt sie zu falten — jetzt betet sie. Inbrünstig! Wie sie meint, so<lb/> inbrünstig, wie fast noch nie vorher in ihrem Leben. Mit jenem Augenblicke,<lb/> da sie die Zärtlichkeiten des Mannes geduldet, seine Küsse erwidert, seine Liebes-<lb/> beteuernngen angehört hatte, fühlte sie sich ihm verbunden als seine Braut, als<lb/> sein künftiges Weib. Und dennoch mußte sie nach so jammervoll kurzer Zeit, da<lb/> sich ihre Lippen kaum voneinander gelöst hatten, schon den deutlichen Beweis er¬<lb/> halten, daß ihm ein lustiger Streich, der Tanz mit Neuen, Fremden und andern,<lb/> denen er vielleicht dieselben Liebesworte zuflüstern würde wie ihr, werter dünkte,<lb/> als mit ihr, der kaum Gefuudnen, in innigem Vereine einige weitere Stunden zu<lb/> verbringen. Jetzt weiß sie, wie seine Liebe beschaffen ist, und wie er sie auffaßt.<lb/> Scham erdrückt sie fast, und heißer Zorn peitscht sie wieder auf. Tänzelfritze! ruft<lb/> das blasse Mädchen leidenschaftlich gegen die kahle» Wände der Kammer. Ja ja!<lb/> Nur Tänzelfritze, Tänzelfritze!</p><lb/> <p xml:id="ID_1996" next="#ID_1997"> Amen! murmelt nebenan die tiefschlafende Alte, im Traume ein Gebet be¬<lb/> schließend. Erst schrickt Wine zusammen und horcht gespannt, aber nichts regt sich<lb/> mehr. Immer Heller wird es ihr vor den Augen, und sie denkt und grübelt weiter.<lb/> Hat sie je ein vernünftiges Wort mit Fritz Telemann gesprochen bei den Dutzende»<lb/> vou Begegnungen, die sie mit ihm gehabt? Hatte er auch nur ein Gespräch auf¬<lb/> kommen lassen, das nur im entferntesten denen glich, die sie daheim mit dem Vater</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0542]
Tünzelfritze
Gegenwärtig ist die Fabrikmarke alles, was der Verkäufer auf seinen Waren
braucht. Es würde aber bald anders werden, wenn sich das Publikum dazu
verstehe» wollte, sachkundig prüfen zu lerne», was es einkauft.
Unser Rüstzeug dazu ist schwach, wir müssen es uns erst kräftig machen,
ja eigentlich erst herstellen. Um dem Publikum die reellen Waffen in die Hand
zu geben, will ich jetzt die Einzelheiten besprechen, die, ohne die Aufgabe zu
schwierig zu machen, das Publikum instant setzen sollen, den Kampf gegen die
unechten Farben mit Hoffnung auf Erfolg aufzunehmen.
Tänzelsritze
Max Grad von
(Fortsetzung)
!as junge Mädchen braucht um frühen, hellen Sommermorgen gar
nichts mehr, um sich völlig klar zu sein über alles, was sich ereignet
hatte, und noch mehr über das, was hätte geschehen können, wenn
Fritz Telemann nicht so glattweg vorgezogen hätte, zur Hochzeit zu
fahren, statt noch länger mit ihr, die er doch so sehr zu lieben
^ schien, zusammen zu sein. Immer enger hätte sich eine Fessel zuge¬
zogen, die ihr — o sie fühlt es deutlich — statt zum dauernden Rosenband treuer
Neigung zum rauhen, erbarmungslosen Henkerstrick geworden wäre! Jetzt weis;
Wine, daß ein zu spät erkanntes, unechtes Gefühl zur fressenden Lebenslüge werden
kann. Wie traurig, daß man erst herabstürzen muß, um aus dem Zustande einer
halben Betäubung zu erwachen! Lange hatte Malwine Reichhardt nicht mehr so
recht gebetet. Aber jetzt — obgleich sie die Hände um die heraufgezognen Knie
gelegt hat, statt sie zu falten — jetzt betet sie. Inbrünstig! Wie sie meint, so
inbrünstig, wie fast noch nie vorher in ihrem Leben. Mit jenem Augenblicke,
da sie die Zärtlichkeiten des Mannes geduldet, seine Küsse erwidert, seine Liebes-
beteuernngen angehört hatte, fühlte sie sich ihm verbunden als seine Braut, als
sein künftiges Weib. Und dennoch mußte sie nach so jammervoll kurzer Zeit, da
sich ihre Lippen kaum voneinander gelöst hatten, schon den deutlichen Beweis er¬
halten, daß ihm ein lustiger Streich, der Tanz mit Neuen, Fremden und andern,
denen er vielleicht dieselben Liebesworte zuflüstern würde wie ihr, werter dünkte,
als mit ihr, der kaum Gefuudnen, in innigem Vereine einige weitere Stunden zu
verbringen. Jetzt weiß sie, wie seine Liebe beschaffen ist, und wie er sie auffaßt.
Scham erdrückt sie fast, und heißer Zorn peitscht sie wieder auf. Tänzelfritze! ruft
das blasse Mädchen leidenschaftlich gegen die kahle» Wände der Kammer. Ja ja!
Nur Tänzelfritze, Tänzelfritze!
Amen! murmelt nebenan die tiefschlafende Alte, im Traume ein Gebet be¬
schließend. Erst schrickt Wine zusammen und horcht gespannt, aber nichts regt sich
mehr. Immer Heller wird es ihr vor den Augen, und sie denkt und grübelt weiter.
Hat sie je ein vernünftiges Wort mit Fritz Telemann gesprochen bei den Dutzende»
vou Begegnungen, die sie mit ihm gehabt? Hatte er auch nur ein Gespräch auf¬
kommen lassen, das nur im entferntesten denen glich, die sie daheim mit dem Vater
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |