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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland in französischer Beleuchtung

Speicher, Krame und Gleisanlagen genügen den modernen Anforderungen des
Seeverkehrs. In allen Konkurrenzhäfen Hamburgs, insbesondre in London, sind
dagegen zahlreiche veraltete Anlagen zu finden. Trotz der großen Entwicklung
des Londoner Dockwesens sind heutzutage die Einrichtungen der meisten Docks
als unmodern zu bezeichnen und verdanken ihren Verkehr nur der eminenten
Kapitalkraft der City. Die Schleusentore der Londoner Docks haben viel zu
kleine Abmessungen. Die Kommunikation mit der Eisenbahn fehlt an vielen
Stellen. Die Entladung der Schiffe erfolgt in der Regel durch Schiffswinden
oder durch Menschenhand. Nur große Lasten werden durch hydraulische Kräue
gehoben. Die durch Winden auf Deck beförderten Waren werden von hier
aus durch Arbeiter ans Ufer getragen, gerollt oder geschoben. Die Folge der
modernem Hafenanlagen ist, daß Hamburg in der Statistik London immer näher
rückt und es wahrscheinlich in absehbarer Zeit überflügeln wird. Wie im Kriege
die bessere Waffe (1866 das preußische Zündnadelgewehr, 1870 das deutsche
Artilleriegeschütz) ein wichtiger Rechenfaktor ist, so übt im Handelskampfe die
Vollkommenheit der technischen Verkehrseinrichtungen einen nicht hoch genug
zu bewertenden Einfluß auf die Konkurrenzkraft aus.

Die geographische Lage Hamburgs im Vergleich zu der seiner Konkurrenten
ist im allgemeinen nicht günstig, da Hamburg von sämtlichen westlich liegenden
Gebieten des Welthandels bedeutend weiter entfernt ist als die andern Seehäfen
und deshalb die Seeschiffe hin und zurück zu einer um ungefähr zwei Tage
längern Seereise nötigt. Dagegen wird Hamburgs nähere Lage zu den östlichen
Ländern nach Vervollkommnung und zweigleisigem Ausbau der sibirischen Eisen¬
bahn wahrscheinlich einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung seines Handels
ausüben, da der sehr zukunftsreiche transsibirische Handel aller Voraussicht nach
Hamburg als den nächsten immer eisfreien Seehafen aufsuchen wird. Übrigens
ist die geographische Lage Hamburgs, von einem andern Standpunkte be¬
trachtet, sogar günstig zu nennen, denn Hamburg liegt 112 Kilometer, dagegen
Amsterdam 25, Rotterdam 31, Antwerpen 75 Kilometer vom Meere entfernt.
Je weiter aber die den Weltverkehr vermittelnden großen Seeschiffe ins Binnen¬
land fahren können, desto geringer stellen sich auch infolge der relativ kürzern
Eisenbahnstrecke die Frachtkosten, und auch der Gesamtpreis der Waren wird
dann infolge der geringern Spesen, die auf ihnen lasten, indirekt herab¬
gemindert. Fast ebenso wichtig wie die Lage zum Meere sind die Verbindungen
eines Seehafens mit dem Hinterkante. Die Häfen, die einen direkten Um¬
schlag der Güter zwischen Seeschiff und Fluß- oder Küstenschiff gestatten, sind
von vornherein günstiger gestellt als Häfen, die nur die Umladung auf Eisen¬
bahnen ermöglichen. Insofern ist Hamburg außerordentlich bevorzugt, da es
nicht nur den gewaltigen Elbstrom beherrscht, sondern auch den Kaiser-Wilhelms-
Kanal fast allein für sich monopolisiert hat. Dagegen würde die geplante
Weiterführung des Rhein-Weser-Leine-Kanals bis zur Elbe für Hamburg
voraussichtlich sehr nachteilige Folgen haben. Bürgermeister Burchard hat Huret


Deutschland in französischer Beleuchtung

Speicher, Krame und Gleisanlagen genügen den modernen Anforderungen des
Seeverkehrs. In allen Konkurrenzhäfen Hamburgs, insbesondre in London, sind
dagegen zahlreiche veraltete Anlagen zu finden. Trotz der großen Entwicklung
des Londoner Dockwesens sind heutzutage die Einrichtungen der meisten Docks
als unmodern zu bezeichnen und verdanken ihren Verkehr nur der eminenten
Kapitalkraft der City. Die Schleusentore der Londoner Docks haben viel zu
kleine Abmessungen. Die Kommunikation mit der Eisenbahn fehlt an vielen
Stellen. Die Entladung der Schiffe erfolgt in der Regel durch Schiffswinden
oder durch Menschenhand. Nur große Lasten werden durch hydraulische Kräue
gehoben. Die durch Winden auf Deck beförderten Waren werden von hier
aus durch Arbeiter ans Ufer getragen, gerollt oder geschoben. Die Folge der
modernem Hafenanlagen ist, daß Hamburg in der Statistik London immer näher
rückt und es wahrscheinlich in absehbarer Zeit überflügeln wird. Wie im Kriege
die bessere Waffe (1866 das preußische Zündnadelgewehr, 1870 das deutsche
Artilleriegeschütz) ein wichtiger Rechenfaktor ist, so übt im Handelskampfe die
Vollkommenheit der technischen Verkehrseinrichtungen einen nicht hoch genug
zu bewertenden Einfluß auf die Konkurrenzkraft aus.

Die geographische Lage Hamburgs im Vergleich zu der seiner Konkurrenten
ist im allgemeinen nicht günstig, da Hamburg von sämtlichen westlich liegenden
Gebieten des Welthandels bedeutend weiter entfernt ist als die andern Seehäfen
und deshalb die Seeschiffe hin und zurück zu einer um ungefähr zwei Tage
längern Seereise nötigt. Dagegen wird Hamburgs nähere Lage zu den östlichen
Ländern nach Vervollkommnung und zweigleisigem Ausbau der sibirischen Eisen¬
bahn wahrscheinlich einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung seines Handels
ausüben, da der sehr zukunftsreiche transsibirische Handel aller Voraussicht nach
Hamburg als den nächsten immer eisfreien Seehafen aufsuchen wird. Übrigens
ist die geographische Lage Hamburgs, von einem andern Standpunkte be¬
trachtet, sogar günstig zu nennen, denn Hamburg liegt 112 Kilometer, dagegen
Amsterdam 25, Rotterdam 31, Antwerpen 75 Kilometer vom Meere entfernt.
Je weiter aber die den Weltverkehr vermittelnden großen Seeschiffe ins Binnen¬
land fahren können, desto geringer stellen sich auch infolge der relativ kürzern
Eisenbahnstrecke die Frachtkosten, und auch der Gesamtpreis der Waren wird
dann infolge der geringern Spesen, die auf ihnen lasten, indirekt herab¬
gemindert. Fast ebenso wichtig wie die Lage zum Meere sind die Verbindungen
eines Seehafens mit dem Hinterkante. Die Häfen, die einen direkten Um¬
schlag der Güter zwischen Seeschiff und Fluß- oder Küstenschiff gestatten, sind
von vornherein günstiger gestellt als Häfen, die nur die Umladung auf Eisen¬
bahnen ermöglichen. Insofern ist Hamburg außerordentlich bevorzugt, da es
nicht nur den gewaltigen Elbstrom beherrscht, sondern auch den Kaiser-Wilhelms-
Kanal fast allein für sich monopolisiert hat. Dagegen würde die geplante
Weiterführung des Rhein-Weser-Leine-Kanals bis zur Elbe für Hamburg
voraussichtlich sehr nachteilige Folgen haben. Bürgermeister Burchard hat Huret


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[0355] Deutschland in französischer Beleuchtung Speicher, Krame und Gleisanlagen genügen den modernen Anforderungen des Seeverkehrs. In allen Konkurrenzhäfen Hamburgs, insbesondre in London, sind dagegen zahlreiche veraltete Anlagen zu finden. Trotz der großen Entwicklung des Londoner Dockwesens sind heutzutage die Einrichtungen der meisten Docks als unmodern zu bezeichnen und verdanken ihren Verkehr nur der eminenten Kapitalkraft der City. Die Schleusentore der Londoner Docks haben viel zu kleine Abmessungen. Die Kommunikation mit der Eisenbahn fehlt an vielen Stellen. Die Entladung der Schiffe erfolgt in der Regel durch Schiffswinden oder durch Menschenhand. Nur große Lasten werden durch hydraulische Kräue gehoben. Die durch Winden auf Deck beförderten Waren werden von hier aus durch Arbeiter ans Ufer getragen, gerollt oder geschoben. Die Folge der modernem Hafenanlagen ist, daß Hamburg in der Statistik London immer näher rückt und es wahrscheinlich in absehbarer Zeit überflügeln wird. Wie im Kriege die bessere Waffe (1866 das preußische Zündnadelgewehr, 1870 das deutsche Artilleriegeschütz) ein wichtiger Rechenfaktor ist, so übt im Handelskampfe die Vollkommenheit der technischen Verkehrseinrichtungen einen nicht hoch genug zu bewertenden Einfluß auf die Konkurrenzkraft aus. Die geographische Lage Hamburgs im Vergleich zu der seiner Konkurrenten ist im allgemeinen nicht günstig, da Hamburg von sämtlichen westlich liegenden Gebieten des Welthandels bedeutend weiter entfernt ist als die andern Seehäfen und deshalb die Seeschiffe hin und zurück zu einer um ungefähr zwei Tage längern Seereise nötigt. Dagegen wird Hamburgs nähere Lage zu den östlichen Ländern nach Vervollkommnung und zweigleisigem Ausbau der sibirischen Eisen¬ bahn wahrscheinlich einen günstigen Einfluß auf die Entwicklung seines Handels ausüben, da der sehr zukunftsreiche transsibirische Handel aller Voraussicht nach Hamburg als den nächsten immer eisfreien Seehafen aufsuchen wird. Übrigens ist die geographische Lage Hamburgs, von einem andern Standpunkte be¬ trachtet, sogar günstig zu nennen, denn Hamburg liegt 112 Kilometer, dagegen Amsterdam 25, Rotterdam 31, Antwerpen 75 Kilometer vom Meere entfernt. Je weiter aber die den Weltverkehr vermittelnden großen Seeschiffe ins Binnen¬ land fahren können, desto geringer stellen sich auch infolge der relativ kürzern Eisenbahnstrecke die Frachtkosten, und auch der Gesamtpreis der Waren wird dann infolge der geringern Spesen, die auf ihnen lasten, indirekt herab¬ gemindert. Fast ebenso wichtig wie die Lage zum Meere sind die Verbindungen eines Seehafens mit dem Hinterkante. Die Häfen, die einen direkten Um¬ schlag der Güter zwischen Seeschiff und Fluß- oder Küstenschiff gestatten, sind von vornherein günstiger gestellt als Häfen, die nur die Umladung auf Eisen¬ bahnen ermöglichen. Insofern ist Hamburg außerordentlich bevorzugt, da es nicht nur den gewaltigen Elbstrom beherrscht, sondern auch den Kaiser-Wilhelms- Kanal fast allein für sich monopolisiert hat. Dagegen würde die geplante Weiterführung des Rhein-Weser-Leine-Kanals bis zur Elbe für Hamburg voraussichtlich sehr nachteilige Folgen haben. Bürgermeister Burchard hat Huret

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/355>, abgerufen am 10.06.2024.