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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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pfarrergestalten in neuern Dichterwerken

Schon rein Physisch ist dieser Priester unmöglich, ebenso unmöglich ist seine innere
Entwicklung. Die ganze Arbeit ist sehr flüchtig hingeworfen, die Charakteristik
des Priesters läßt jede Sorgfalt vermissen. Ein heldenhafter Zug ist neben den
andern gesetzt, unbekümmert darum, ob das Ganze einheitlich wird oder nicht.
naturwahr ist nur zweierlei in dem Buche. Erstens die Schilderung des Hoch-
gebirgslebens, sodann die Zeichnung des in Aberglauben und Äußerlichkeiten ver-
sunkner Volks.

Tief angelegt, psychologisch wundervoll begründet ist die edle Kaplangestalt,
die uns Edles Gräfin Salburg in dem Roman Golgatha zeichnet (Dresden,
Reißner, 1903. 3. Aufl. 423 S. 4 Mark). Nicht von dem einen Golgatha im
Heiligen Lande ist die Rede, sondern davon, daß so viele Menschen heute ihr
Golgatha finden, wo ihnen ihr Kreuz aufgerichtet wird. Ergreifend ist ge¬
schildert, wie der Kleesammtoni, des Pricsterfeindes Sohn, von der fanatischen
Mutter zum Geistlichen gelobt und gezwungen wird, wie er heimatlos wird
und vor Heimweh fast vergeht. Auch als Priester behält er die alte Bauern¬
ehrlichkeit, darum wird er dem weltmännischen Bischof Abauer unbequem. Der
weiß den Toni fein zu strafen, er sendet ihn als Kaplan in die Heimat und
macht ihm so die Heimat zur Hölle, denn er soll seinen Vater bekehren. Viel
Not ist daheim. Die alte Grafenfamilie hat den: Juden Herzfell weichen
müssen; Irene aber, des Grafen Tochter, hat ihr Golgatha gefunden: um die
Familie zu retten, hat sie den Juden zum Manne genommen und leidet seelisch
unsagbare Schmerzen. Der Simmerlbauer hat sein Golgatha gefunden, der
Jude hat ihm den Hof genommen, auf dem die Väter viele hundert Jahre ge¬
sessen haben. Der Defizientenpriester, der einst ein berühmter Gelehrter ge¬
wesen war, aber des Bischofs Zorn gereizt hatte und nun als seine letzte
Gemeinde die Armenhäusler in Tonis Heimat versorgt, hat auch sein Golgatha
gefunden. Toni ist sein dankbarer Schüler, an Tonis Mut richtet sich der
kampfesmüde Alte auf und stirbt dann glücklich, denn "es war der Mühe wert,
für solch eine Menschheit zu leben". Auch Toni findet ein schweres Golgatha.
Vergeblich sucht er mit dem Vater Frieden, die Seinen suchen ihn unmöglich
zu machen, der Pfarrer, unter den er gestellt ist, haßt ihn, weil er statt der
Partie nur dem Glauben dienen will. Bei einer edel gedachten Tat muß Toni
schuldig werden durch den eignen Vater, so muß er fallen als Opfer des
fanatisierten Volks. "Es war wieder Einer den Kreuzweg gegangen empor
zur ewigen Schädelstätte: Golgatha, auf der die Großen der Menschheit als
Opfer liegen."

Der bedeutsame Roman gewährt uns einen tiefen Blick in die Gewissens¬
nöte eines frommen, treuen Priesters, der sich nicht beugt, der lieber ehrlich
kämpfend untergeht. Die Verfasserin hat offenbar vielfach Gelegenheit gehabt,
Priesterleid kennen zu lernen. Das bezeugt auch ihr andrer Roman: Das
Priesterhaus (Dresden. Reißner, 1903. 200 S. 3 Mary. Es ist ein Buch von
herzerschütternder Tragik, man hat oft die Empfindung, als würde einem die


pfarrergestalten in neuern Dichterwerken

Schon rein Physisch ist dieser Priester unmöglich, ebenso unmöglich ist seine innere
Entwicklung. Die ganze Arbeit ist sehr flüchtig hingeworfen, die Charakteristik
des Priesters läßt jede Sorgfalt vermissen. Ein heldenhafter Zug ist neben den
andern gesetzt, unbekümmert darum, ob das Ganze einheitlich wird oder nicht.
naturwahr ist nur zweierlei in dem Buche. Erstens die Schilderung des Hoch-
gebirgslebens, sodann die Zeichnung des in Aberglauben und Äußerlichkeiten ver-
sunkner Volks.

Tief angelegt, psychologisch wundervoll begründet ist die edle Kaplangestalt,
die uns Edles Gräfin Salburg in dem Roman Golgatha zeichnet (Dresden,
Reißner, 1903. 3. Aufl. 423 S. 4 Mark). Nicht von dem einen Golgatha im
Heiligen Lande ist die Rede, sondern davon, daß so viele Menschen heute ihr
Golgatha finden, wo ihnen ihr Kreuz aufgerichtet wird. Ergreifend ist ge¬
schildert, wie der Kleesammtoni, des Pricsterfeindes Sohn, von der fanatischen
Mutter zum Geistlichen gelobt und gezwungen wird, wie er heimatlos wird
und vor Heimweh fast vergeht. Auch als Priester behält er die alte Bauern¬
ehrlichkeit, darum wird er dem weltmännischen Bischof Abauer unbequem. Der
weiß den Toni fein zu strafen, er sendet ihn als Kaplan in die Heimat und
macht ihm so die Heimat zur Hölle, denn er soll seinen Vater bekehren. Viel
Not ist daheim. Die alte Grafenfamilie hat den: Juden Herzfell weichen
müssen; Irene aber, des Grafen Tochter, hat ihr Golgatha gefunden: um die
Familie zu retten, hat sie den Juden zum Manne genommen und leidet seelisch
unsagbare Schmerzen. Der Simmerlbauer hat sein Golgatha gefunden, der
Jude hat ihm den Hof genommen, auf dem die Väter viele hundert Jahre ge¬
sessen haben. Der Defizientenpriester, der einst ein berühmter Gelehrter ge¬
wesen war, aber des Bischofs Zorn gereizt hatte und nun als seine letzte
Gemeinde die Armenhäusler in Tonis Heimat versorgt, hat auch sein Golgatha
gefunden. Toni ist sein dankbarer Schüler, an Tonis Mut richtet sich der
kampfesmüde Alte auf und stirbt dann glücklich, denn „es war der Mühe wert,
für solch eine Menschheit zu leben". Auch Toni findet ein schweres Golgatha.
Vergeblich sucht er mit dem Vater Frieden, die Seinen suchen ihn unmöglich
zu machen, der Pfarrer, unter den er gestellt ist, haßt ihn, weil er statt der
Partie nur dem Glauben dienen will. Bei einer edel gedachten Tat muß Toni
schuldig werden durch den eignen Vater, so muß er fallen als Opfer des
fanatisierten Volks. „Es war wieder Einer den Kreuzweg gegangen empor
zur ewigen Schädelstätte: Golgatha, auf der die Großen der Menschheit als
Opfer liegen."

Der bedeutsame Roman gewährt uns einen tiefen Blick in die Gewissens¬
nöte eines frommen, treuen Priesters, der sich nicht beugt, der lieber ehrlich
kämpfend untergeht. Die Verfasserin hat offenbar vielfach Gelegenheit gehabt,
Priesterleid kennen zu lernen. Das bezeugt auch ihr andrer Roman: Das
Priesterhaus (Dresden. Reißner, 1903. 200 S. 3 Mary. Es ist ein Buch von
herzerschütternder Tragik, man hat oft die Empfindung, als würde einem die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/363>, abgerufen am 20.05.2024.