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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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pfarrergestalten In neuern Dichterwerken

Kehle zugeschnürt. Eine edle Gestalt sehen wir in dein Pfarrer Ottinger. Er
faßte seine Priesterpslicht einfach aber sympathisch ans, begünstigte keinen
Parteihader. Er übte Kindespflicht, darum entehrte man ihn als Priester.
Ein gemeiner Charakter vernichtet ihn, Bischof Vierfacher; dessen Weg ging
über Menschenunglück und Priesterweihe aufwärts; was er von seinen Unter¬
gebnen fordert, faßt sich zusammen in die Worte: erst Priester, dann Mensch!
Die Sünden des Menschen verzeiht er, die wider die Kirche nicht. Von
niedrig denkenden Priestern hat Ottinger unsagbar zu leiden, da ist nur einer
zu nennen, Sublimer, der ein großer Handelsmann und ein kleiner Priester
ist. Das Entsetzlichste aber muß Ottinger im Priesterstrafhaus erleben, wo
Heuchelei und gemeine Verlogenheit alle Gutgesinnten zertreten. Öttingers
Ende ist der Irrsinn. Das Buch ist eine furchtbare, auf Tatsachen gegründete
Anklage wider eine Richtung in der Kirche, die die besten ihrer Diener seelisch
zugrunde richtet.

Wie ein unantastbarer, selbständiger Charakter schuldig gemacht wird, das
zeigt das bekannte Drama Kapellenberg von Robert Thomalla (Berlin, Schall.
1903. 143 S. 2 Mark). Der edle Priester Milde wird von dem ErzPriester
und andern persönlichen Feinden durch falsche Anklagen zu Fall gebracht. Im
ungerechten Gericht wird er zum Priesterstrafhaus verurteilt. Verwunderlich ist
Psychologisch nnr das eine, daß sich Milde im Gewissen gedrungen fühlt, die
Freiheitsbeschränkung auf sich zu nehmen. Die Überzeugung, daß er für etwas
Gutes kämpfe, hält ihn auf dem Posten, dazu sein Priestereid. Befriedigender
wäre es gewesen, wenn er auf das Priesterkleid verzichtet hätte und im Orte
geblieben wäre als schlichter Christ.

Wenn man mit großer Ergriffenheit die Charaktere der drei zuletzt ge¬
nannten Werke kennen lernt, wird man niemals die Empfindung los, daß lebendige
Erfahrungen zugrunde liegen. Auch nach eignen Erlebnissen schrieb Anton
Ohorn den Roman eines Wissenden "Der Klosterzögling" (Jena, Costenoble,
1905. 3. Auflage. 257 Seiten. 3 Mary. Das ist ein herzergreifendes Bild vom
Klosterleben. Wie werden da so zarte Keime gewaltsam zertreten, wie wird
Heuchelei und Augendienerei großgezogen, wie wenig macht die Sünde Halt an
der Klosterpforte! Wie sich der Klosterzögling herausarbeitet aus der verzweifelten
Lage, geleitet von einem evangelischen Freunde, das zeichnet der Roman, der
viel von Leid und Liebe sagt.

Alle diese Gestalten katholischer Geistlichen zeigen uns edle Männer im
Konflikt mit der starren Macht der Kirche.

Ganz anders ist die Stellung des evangelischen Pfarrers. Von vornherein
ist der evangelische Pfarrer prinzipiell ein Glied der Gemeinde neben andern-
Wenn vor einem halben Jahrhundert im wesentlichen das Amt den Manu trug,
so ist es heute gerade umgekehrt geworden. Heute kommt alles an auf die
Persönlichkeit des Amtsinhabers. Damit hat sich auch ein Umschwung voll¬
zogen in der Behandlung evangelischer Pfarrergestalten in Dichterwerken. Man


pfarrergestalten In neuern Dichterwerken

Kehle zugeschnürt. Eine edle Gestalt sehen wir in dein Pfarrer Ottinger. Er
faßte seine Priesterpslicht einfach aber sympathisch ans, begünstigte keinen
Parteihader. Er übte Kindespflicht, darum entehrte man ihn als Priester.
Ein gemeiner Charakter vernichtet ihn, Bischof Vierfacher; dessen Weg ging
über Menschenunglück und Priesterweihe aufwärts; was er von seinen Unter¬
gebnen fordert, faßt sich zusammen in die Worte: erst Priester, dann Mensch!
Die Sünden des Menschen verzeiht er, die wider die Kirche nicht. Von
niedrig denkenden Priestern hat Ottinger unsagbar zu leiden, da ist nur einer
zu nennen, Sublimer, der ein großer Handelsmann und ein kleiner Priester
ist. Das Entsetzlichste aber muß Ottinger im Priesterstrafhaus erleben, wo
Heuchelei und gemeine Verlogenheit alle Gutgesinnten zertreten. Öttingers
Ende ist der Irrsinn. Das Buch ist eine furchtbare, auf Tatsachen gegründete
Anklage wider eine Richtung in der Kirche, die die besten ihrer Diener seelisch
zugrunde richtet.

Wie ein unantastbarer, selbständiger Charakter schuldig gemacht wird, das
zeigt das bekannte Drama Kapellenberg von Robert Thomalla (Berlin, Schall.
1903. 143 S. 2 Mark). Der edle Priester Milde wird von dem ErzPriester
und andern persönlichen Feinden durch falsche Anklagen zu Fall gebracht. Im
ungerechten Gericht wird er zum Priesterstrafhaus verurteilt. Verwunderlich ist
Psychologisch nnr das eine, daß sich Milde im Gewissen gedrungen fühlt, die
Freiheitsbeschränkung auf sich zu nehmen. Die Überzeugung, daß er für etwas
Gutes kämpfe, hält ihn auf dem Posten, dazu sein Priestereid. Befriedigender
wäre es gewesen, wenn er auf das Priesterkleid verzichtet hätte und im Orte
geblieben wäre als schlichter Christ.

Wenn man mit großer Ergriffenheit die Charaktere der drei zuletzt ge¬
nannten Werke kennen lernt, wird man niemals die Empfindung los, daß lebendige
Erfahrungen zugrunde liegen. Auch nach eignen Erlebnissen schrieb Anton
Ohorn den Roman eines Wissenden „Der Klosterzögling" (Jena, Costenoble,
1905. 3. Auflage. 257 Seiten. 3 Mary. Das ist ein herzergreifendes Bild vom
Klosterleben. Wie werden da so zarte Keime gewaltsam zertreten, wie wird
Heuchelei und Augendienerei großgezogen, wie wenig macht die Sünde Halt an
der Klosterpforte! Wie sich der Klosterzögling herausarbeitet aus der verzweifelten
Lage, geleitet von einem evangelischen Freunde, das zeichnet der Roman, der
viel von Leid und Liebe sagt.

Alle diese Gestalten katholischer Geistlichen zeigen uns edle Männer im
Konflikt mit der starren Macht der Kirche.

Ganz anders ist die Stellung des evangelischen Pfarrers. Von vornherein
ist der evangelische Pfarrer prinzipiell ein Glied der Gemeinde neben andern-
Wenn vor einem halben Jahrhundert im wesentlichen das Amt den Manu trug,
so ist es heute gerade umgekehrt geworden. Heute kommt alles an auf die
Persönlichkeit des Amtsinhabers. Damit hat sich auch ein Umschwung voll¬
zogen in der Behandlung evangelischer Pfarrergestalten in Dichterwerken. Man


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[0364] pfarrergestalten In neuern Dichterwerken Kehle zugeschnürt. Eine edle Gestalt sehen wir in dein Pfarrer Ottinger. Er faßte seine Priesterpslicht einfach aber sympathisch ans, begünstigte keinen Parteihader. Er übte Kindespflicht, darum entehrte man ihn als Priester. Ein gemeiner Charakter vernichtet ihn, Bischof Vierfacher; dessen Weg ging über Menschenunglück und Priesterweihe aufwärts; was er von seinen Unter¬ gebnen fordert, faßt sich zusammen in die Worte: erst Priester, dann Mensch! Die Sünden des Menschen verzeiht er, die wider die Kirche nicht. Von niedrig denkenden Priestern hat Ottinger unsagbar zu leiden, da ist nur einer zu nennen, Sublimer, der ein großer Handelsmann und ein kleiner Priester ist. Das Entsetzlichste aber muß Ottinger im Priesterstrafhaus erleben, wo Heuchelei und gemeine Verlogenheit alle Gutgesinnten zertreten. Öttingers Ende ist der Irrsinn. Das Buch ist eine furchtbare, auf Tatsachen gegründete Anklage wider eine Richtung in der Kirche, die die besten ihrer Diener seelisch zugrunde richtet. Wie ein unantastbarer, selbständiger Charakter schuldig gemacht wird, das zeigt das bekannte Drama Kapellenberg von Robert Thomalla (Berlin, Schall. 1903. 143 S. 2 Mark). Der edle Priester Milde wird von dem ErzPriester und andern persönlichen Feinden durch falsche Anklagen zu Fall gebracht. Im ungerechten Gericht wird er zum Priesterstrafhaus verurteilt. Verwunderlich ist Psychologisch nnr das eine, daß sich Milde im Gewissen gedrungen fühlt, die Freiheitsbeschränkung auf sich zu nehmen. Die Überzeugung, daß er für etwas Gutes kämpfe, hält ihn auf dem Posten, dazu sein Priestereid. Befriedigender wäre es gewesen, wenn er auf das Priesterkleid verzichtet hätte und im Orte geblieben wäre als schlichter Christ. Wenn man mit großer Ergriffenheit die Charaktere der drei zuletzt ge¬ nannten Werke kennen lernt, wird man niemals die Empfindung los, daß lebendige Erfahrungen zugrunde liegen. Auch nach eignen Erlebnissen schrieb Anton Ohorn den Roman eines Wissenden „Der Klosterzögling" (Jena, Costenoble, 1905. 3. Auflage. 257 Seiten. 3 Mary. Das ist ein herzergreifendes Bild vom Klosterleben. Wie werden da so zarte Keime gewaltsam zertreten, wie wird Heuchelei und Augendienerei großgezogen, wie wenig macht die Sünde Halt an der Klosterpforte! Wie sich der Klosterzögling herausarbeitet aus der verzweifelten Lage, geleitet von einem evangelischen Freunde, das zeichnet der Roman, der viel von Leid und Liebe sagt. Alle diese Gestalten katholischer Geistlichen zeigen uns edle Männer im Konflikt mit der starren Macht der Kirche. Ganz anders ist die Stellung des evangelischen Pfarrers. Von vornherein ist der evangelische Pfarrer prinzipiell ein Glied der Gemeinde neben andern- Wenn vor einem halben Jahrhundert im wesentlichen das Amt den Manu trug, so ist es heute gerade umgekehrt geworden. Heute kommt alles an auf die Persönlichkeit des Amtsinhabers. Damit hat sich auch ein Umschwung voll¬ zogen in der Behandlung evangelischer Pfarrergestalten in Dichterwerken. Man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/364>, abgerufen am 14.06.2024.