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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Vie Selbständigkeitsbeweguttg in Indien

Mitglied: "Wir, die Moslems von Indien, haben keine politische Gemeinschaft
mit dem Sultan der Türkei." Obgleich das buchstäblich richtig war, demon¬
strierte die Versammlung doch derart gegen ihn, daß sie bis auf den letzten
Mann den Saal verließ. Ein mohammedanischer Schriftsteller, Mohammed
Barakatella, schrieb der Aso?o?K 8un folgendes: "Der Sultan der Türkei
ist durchaus berechtigt, den Heiligen Krieg (Jehad) zu erklären, sei es zum
Schutze der heiligen Statten des Islam oder zur Unterstützung der Moslims,
die nicht unter moslimischer Negierung stehn. Abdul Hamid hat dem Welt¬
frieden einen großen Dienst geleistet, als er davon Abstand nahm, wegen des
Grenzstreites am Sinai den Jehad gegen England zu erklären."

Viele Engländer wollen oder wollten nicht anerkennen, daß diese An¬
zeichen doch etwas Bedrohliches bedeuteten. "Viel Rederei, das ist alles",
so lautete 1902 ein bezeichnendes Wort. Noch am 2. Januar 1907 sagte die
1im63: "Wir haben Indien durch das Schwert gewonnen, und in letzter Linie
halten wir es durch das Schwert; es ist gut für die dünne Schicht höher ge¬
bildeter Leute, die allein auf dem Hindukougreß vom Dezember 1902 vertreten
ist, daß die britischen Schwerter zwischen ihnen und ihren heimatlichen Feinden
stehn. Das ist die Grundtatsache in der ganzen Situation, die alle Ansprüche
auf volles Selbstregiment in Indien absurd macht." Auch wir glauben, daß
man aus den Vorkommnissen, auch den allerletzten, noch nicht gleich zu schließen
braucht, daß die Inder einen ernstlichen Aufstand wagen, geschweige denn, daß
er gelingt -- doch muß man die Gesamtheit der Dinge übersehen.

Dazu gehört als Umstand allerersten Ranges der Eindruck, den der Sieg
Japans über Rußland auf alle asiatischen Volker, namentlich auch auf das
indische gemacht hat. Viele Jahrzehnte lang haben die Engländer den Indern
von der Bedrohung ihres Landes durch die Russen erzählt. Der Zar halte
zahlreiche Armeen von militärisch überaus tüchtigen Soldaten, Kosaken und
andern bereit. Er treffe durch die Eroberung Turkestans, Merws und des
Landes der Telle-Turkmenen, sodann namentlich durch seiue Eisenbahnbauten
Vorkehrungen, um Einfälle nach Indien zu machen, sei es über Afghanistan
oder über die Pamirs. Nur durch eine große und starke Armee und durch
Befestigung aller Hochgebirgspässe könne man der Gefahr begegnen. Indien
bedürfe des Schutzes Englands, um vor einem solchen namenlosen Unglück
bewahrt zu bleiben. Und nun? Nun hat das japanische Volk, das mit seinen
50 Millionen Einwohnern nur den sechsten Teil des indischen Volkes zählt,
den gefürchteten Feind so schwer aufs Haupt geschlagen, daß er für längere
Zeit kampfunfähig ist. Ihr Engländer, die ihr die Russen fürchtet, wollt ein
Volk wie das indische beherrschen? Wie stark seid ihr denn? 43 Millionen,
während Rußland, das die Japaner besiegt haben, 131 Millionen zählte.
Alles, was an Europäern in Indien lebt, übersteigt nicht 270000 Köpfe,
Frauen, Kinder, Nichtsoldciten eingerechnet. Wo habt ihr die ungeheuern
Armeen, wie sie Rußland nach der Mandschurei schicken konnte, und die dort


Vie Selbständigkeitsbeweguttg in Indien

Mitglied: „Wir, die Moslems von Indien, haben keine politische Gemeinschaft
mit dem Sultan der Türkei." Obgleich das buchstäblich richtig war, demon¬
strierte die Versammlung doch derart gegen ihn, daß sie bis auf den letzten
Mann den Saal verließ. Ein mohammedanischer Schriftsteller, Mohammed
Barakatella, schrieb der Aso?o?K 8un folgendes: „Der Sultan der Türkei
ist durchaus berechtigt, den Heiligen Krieg (Jehad) zu erklären, sei es zum
Schutze der heiligen Statten des Islam oder zur Unterstützung der Moslims,
die nicht unter moslimischer Negierung stehn. Abdul Hamid hat dem Welt¬
frieden einen großen Dienst geleistet, als er davon Abstand nahm, wegen des
Grenzstreites am Sinai den Jehad gegen England zu erklären."

Viele Engländer wollen oder wollten nicht anerkennen, daß diese An¬
zeichen doch etwas Bedrohliches bedeuteten. „Viel Rederei, das ist alles",
so lautete 1902 ein bezeichnendes Wort. Noch am 2. Januar 1907 sagte die
1im63: „Wir haben Indien durch das Schwert gewonnen, und in letzter Linie
halten wir es durch das Schwert; es ist gut für die dünne Schicht höher ge¬
bildeter Leute, die allein auf dem Hindukougreß vom Dezember 1902 vertreten
ist, daß die britischen Schwerter zwischen ihnen und ihren heimatlichen Feinden
stehn. Das ist die Grundtatsache in der ganzen Situation, die alle Ansprüche
auf volles Selbstregiment in Indien absurd macht." Auch wir glauben, daß
man aus den Vorkommnissen, auch den allerletzten, noch nicht gleich zu schließen
braucht, daß die Inder einen ernstlichen Aufstand wagen, geschweige denn, daß
er gelingt — doch muß man die Gesamtheit der Dinge übersehen.

Dazu gehört als Umstand allerersten Ranges der Eindruck, den der Sieg
Japans über Rußland auf alle asiatischen Volker, namentlich auch auf das
indische gemacht hat. Viele Jahrzehnte lang haben die Engländer den Indern
von der Bedrohung ihres Landes durch die Russen erzählt. Der Zar halte
zahlreiche Armeen von militärisch überaus tüchtigen Soldaten, Kosaken und
andern bereit. Er treffe durch die Eroberung Turkestans, Merws und des
Landes der Telle-Turkmenen, sodann namentlich durch seiue Eisenbahnbauten
Vorkehrungen, um Einfälle nach Indien zu machen, sei es über Afghanistan
oder über die Pamirs. Nur durch eine große und starke Armee und durch
Befestigung aller Hochgebirgspässe könne man der Gefahr begegnen. Indien
bedürfe des Schutzes Englands, um vor einem solchen namenlosen Unglück
bewahrt zu bleiben. Und nun? Nun hat das japanische Volk, das mit seinen
50 Millionen Einwohnern nur den sechsten Teil des indischen Volkes zählt,
den gefürchteten Feind so schwer aufs Haupt geschlagen, daß er für längere
Zeit kampfunfähig ist. Ihr Engländer, die ihr die Russen fürchtet, wollt ein
Volk wie das indische beherrschen? Wie stark seid ihr denn? 43 Millionen,
während Rußland, das die Japaner besiegt haben, 131 Millionen zählte.
Alles, was an Europäern in Indien lebt, übersteigt nicht 270000 Köpfe,
Frauen, Kinder, Nichtsoldciten eingerechnet. Wo habt ihr die ungeheuern
Armeen, wie sie Rußland nach der Mandschurei schicken konnte, und die dort


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[0502] Vie Selbständigkeitsbeweguttg in Indien Mitglied: „Wir, die Moslems von Indien, haben keine politische Gemeinschaft mit dem Sultan der Türkei." Obgleich das buchstäblich richtig war, demon¬ strierte die Versammlung doch derart gegen ihn, daß sie bis auf den letzten Mann den Saal verließ. Ein mohammedanischer Schriftsteller, Mohammed Barakatella, schrieb der Aso?o?K 8un folgendes: „Der Sultan der Türkei ist durchaus berechtigt, den Heiligen Krieg (Jehad) zu erklären, sei es zum Schutze der heiligen Statten des Islam oder zur Unterstützung der Moslims, die nicht unter moslimischer Negierung stehn. Abdul Hamid hat dem Welt¬ frieden einen großen Dienst geleistet, als er davon Abstand nahm, wegen des Grenzstreites am Sinai den Jehad gegen England zu erklären." Viele Engländer wollen oder wollten nicht anerkennen, daß diese An¬ zeichen doch etwas Bedrohliches bedeuteten. „Viel Rederei, das ist alles", so lautete 1902 ein bezeichnendes Wort. Noch am 2. Januar 1907 sagte die 1im63: „Wir haben Indien durch das Schwert gewonnen, und in letzter Linie halten wir es durch das Schwert; es ist gut für die dünne Schicht höher ge¬ bildeter Leute, die allein auf dem Hindukougreß vom Dezember 1902 vertreten ist, daß die britischen Schwerter zwischen ihnen und ihren heimatlichen Feinden stehn. Das ist die Grundtatsache in der ganzen Situation, die alle Ansprüche auf volles Selbstregiment in Indien absurd macht." Auch wir glauben, daß man aus den Vorkommnissen, auch den allerletzten, noch nicht gleich zu schließen braucht, daß die Inder einen ernstlichen Aufstand wagen, geschweige denn, daß er gelingt — doch muß man die Gesamtheit der Dinge übersehen. Dazu gehört als Umstand allerersten Ranges der Eindruck, den der Sieg Japans über Rußland auf alle asiatischen Volker, namentlich auch auf das indische gemacht hat. Viele Jahrzehnte lang haben die Engländer den Indern von der Bedrohung ihres Landes durch die Russen erzählt. Der Zar halte zahlreiche Armeen von militärisch überaus tüchtigen Soldaten, Kosaken und andern bereit. Er treffe durch die Eroberung Turkestans, Merws und des Landes der Telle-Turkmenen, sodann namentlich durch seiue Eisenbahnbauten Vorkehrungen, um Einfälle nach Indien zu machen, sei es über Afghanistan oder über die Pamirs. Nur durch eine große und starke Armee und durch Befestigung aller Hochgebirgspässe könne man der Gefahr begegnen. Indien bedürfe des Schutzes Englands, um vor einem solchen namenlosen Unglück bewahrt zu bleiben. Und nun? Nun hat das japanische Volk, das mit seinen 50 Millionen Einwohnern nur den sechsten Teil des indischen Volkes zählt, den gefürchteten Feind so schwer aufs Haupt geschlagen, daß er für längere Zeit kampfunfähig ist. Ihr Engländer, die ihr die Russen fürchtet, wollt ein Volk wie das indische beherrschen? Wie stark seid ihr denn? 43 Millionen, während Rußland, das die Japaner besiegt haben, 131 Millionen zählte. Alles, was an Europäern in Indien lebt, übersteigt nicht 270000 Köpfe, Frauen, Kinder, Nichtsoldciten eingerechnet. Wo habt ihr die ungeheuern Armeen, wie sie Rußland nach der Mandschurei schicken konnte, und die dort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/502>, abgerufen am 09.06.2024.