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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Amerikanische Stimmen zur zweiten Haager Konferenz

für gerechtfertigt, sich in eine Diskussion über ein Ideal einzulassen, das jenseits
der Grenzen einer gegenwärtig möglichen Abmachung liegt. Außerdem sei all¬
gemein bekannt, das; die britische Diplomatie niemals tütiger gegen Deutschland
gewesen sei als während der letzten Monate. Ihr augenblickliches Ziel scheine zu
sein, Italien vom Dreibunde loszulösen oder doch wenigstens zur Neutralität zu
bewegen. Deutschland habe nur einen einzigen festen Freund im europäischen
Staatensystem, Österreich, und von Deutschland eine Beschränkung seiner mili¬
tärischen Streitkraft in diesem Zeitpunkt zu verlangen, sei gerade so, als ob man
einen Mann, der hinter der Ecke seinen Feind zu treffen erwartet, auffordere,
seinen Revolver abzuliefern. Die englische Diplomatie und die englische Presse
hätten ja vielleicht mit Erfolg im Auslande den Eindruck erweckt, daß Deutschland
nur deshalb nicht die Nüstungsfrage zu diskutieren wünsche, weil es aggressive
Absichten habe, aber das scheine doch weniger nachteilig zu sein, als an einer
unaufrichtigen Debatte teilzunehmen, die doch resultatlos sei und außerdem
die Zeit in Anspruch nehme, und die man viel nützlicher verwenden könne,
um Mittel zu finden, die friedliche Lösung internationaler Streitigkeiten aus-
zudehnen. Mr. Roberts ist jedoch überzeugt, daß die deutsche Regierung,
wenn andre Mächte ein gerechtes und sicheres Schema für die Beschränkung
der Rüstungen finden könnten, dieses sicher einer objektiven Prüfung unter¬
zieh" würde.

Die britische Regierung habe, wie man in Berlin annehme, zwei Haupt¬
gründe, um auf eine Diskussion der Nüstungsfrage zu dringen: erstens würde
Großbritannien, wenn durch einen Zufall die Mächte übereinkommen sollten,
ihre Rüstungen einzustellen, zu einer stündigen Oberherrschaft zur See ge¬
langen, und zweitens würde Großbritannien, wenn eine große Majorität
von Staaten Verbesserungen für den Seekrieg geneigt sein sollten, wie der
Neutralisierung des Privateigentums der Kriegführenden zur See, besser in der
Lage sein, zu sagen, daß, da nun einmal keine Neigung vorhanden sei, die
Rüstungen einzuschränken, der Seekrieg auch möglichst rücksichtslos gegen den
Feind geführt werden müsse.

Nach Mr. Roberts Ansicht sollen viele einflußreiche Personen in Berlin den
Standpunkt vertreten, daß Großbritanniens Abrüstungsvorschlag nicht so sehr
gegen Deutschland wie gegen die Vereinigten Staaten gerichtet sei. Als Grund
dafür werde angegeben, daß England eine dreimal so große Flotte als die
Vereinigten Staaten habe, und daß die Union die einzige Macht in der Welt
sei, die eine ebenso große Flotte wie Großbritannien bauen könne.

Mr. Roberts geht dann zur Erörterung der andern Fragen der Haager
Konferenz über. Bekanntlich ist die Abrüstungsfrage in dem russischen Programm
überhaupt nicht enthalten, sondern erst von England vorgeschlagen worden,
das sich eben alles erlauben zu können glaubt, während es sonst im inter¬
nationalen Verkehr üblich ist, daß der Staat, der zu einer Konferenz einlädt,
allein die einzelnen Progrcunmpnnkte festsetzt.


Amerikanische Stimmen zur zweiten Haager Konferenz

für gerechtfertigt, sich in eine Diskussion über ein Ideal einzulassen, das jenseits
der Grenzen einer gegenwärtig möglichen Abmachung liegt. Außerdem sei all¬
gemein bekannt, das; die britische Diplomatie niemals tütiger gegen Deutschland
gewesen sei als während der letzten Monate. Ihr augenblickliches Ziel scheine zu
sein, Italien vom Dreibunde loszulösen oder doch wenigstens zur Neutralität zu
bewegen. Deutschland habe nur einen einzigen festen Freund im europäischen
Staatensystem, Österreich, und von Deutschland eine Beschränkung seiner mili¬
tärischen Streitkraft in diesem Zeitpunkt zu verlangen, sei gerade so, als ob man
einen Mann, der hinter der Ecke seinen Feind zu treffen erwartet, auffordere,
seinen Revolver abzuliefern. Die englische Diplomatie und die englische Presse
hätten ja vielleicht mit Erfolg im Auslande den Eindruck erweckt, daß Deutschland
nur deshalb nicht die Nüstungsfrage zu diskutieren wünsche, weil es aggressive
Absichten habe, aber das scheine doch weniger nachteilig zu sein, als an einer
unaufrichtigen Debatte teilzunehmen, die doch resultatlos sei und außerdem
die Zeit in Anspruch nehme, und die man viel nützlicher verwenden könne,
um Mittel zu finden, die friedliche Lösung internationaler Streitigkeiten aus-
zudehnen. Mr. Roberts ist jedoch überzeugt, daß die deutsche Regierung,
wenn andre Mächte ein gerechtes und sicheres Schema für die Beschränkung
der Rüstungen finden könnten, dieses sicher einer objektiven Prüfung unter¬
zieh« würde.

Die britische Regierung habe, wie man in Berlin annehme, zwei Haupt¬
gründe, um auf eine Diskussion der Nüstungsfrage zu dringen: erstens würde
Großbritannien, wenn durch einen Zufall die Mächte übereinkommen sollten,
ihre Rüstungen einzustellen, zu einer stündigen Oberherrschaft zur See ge¬
langen, und zweitens würde Großbritannien, wenn eine große Majorität
von Staaten Verbesserungen für den Seekrieg geneigt sein sollten, wie der
Neutralisierung des Privateigentums der Kriegführenden zur See, besser in der
Lage sein, zu sagen, daß, da nun einmal keine Neigung vorhanden sei, die
Rüstungen einzuschränken, der Seekrieg auch möglichst rücksichtslos gegen den
Feind geführt werden müsse.

Nach Mr. Roberts Ansicht sollen viele einflußreiche Personen in Berlin den
Standpunkt vertreten, daß Großbritanniens Abrüstungsvorschlag nicht so sehr
gegen Deutschland wie gegen die Vereinigten Staaten gerichtet sei. Als Grund
dafür werde angegeben, daß England eine dreimal so große Flotte als die
Vereinigten Staaten habe, und daß die Union die einzige Macht in der Welt
sei, die eine ebenso große Flotte wie Großbritannien bauen könne.

Mr. Roberts geht dann zur Erörterung der andern Fragen der Haager
Konferenz über. Bekanntlich ist die Abrüstungsfrage in dem russischen Programm
überhaupt nicht enthalten, sondern erst von England vorgeschlagen worden,
das sich eben alles erlauben zu können glaubt, während es sonst im inter¬
nationalen Verkehr üblich ist, daß der Staat, der zu einer Konferenz einlädt,
allein die einzelnen Progrcunmpnnkte festsetzt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/11>, abgerufen am 14.05.2024.