Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Amerikanische Stimmen zur zweiten Ljcmger Uonferenz

Eine der Hauptkontroversen, die sich aus dem russisch-japanischen Kriege
ergeben haben, ist die des Beginns der Feindseligkeiten. Das Vorgehen
einer Regierung, die ohne Notifikation den Krieg begann, konnte vor dein
russisch-japanischen Konflikt durch eine Reihe von Präzedenzfällen gerechtfertigt
erscheinen. Die förmliche Kriegserklärung wurde als ein Überbleibsel aus der
Zeit des Rittertums behandelt, wo die Herausforderung in zeremonieller Weise
durch einen Herold in das Lager des Gegners gesandt wurde. Schon Hugo
Grotius erklärte eine solche Formalität für überflüssig. Nach deu Angaben
des Oberst Maurice sollen hundertuudzehn von hundertundzwanzig Kriegen in
dem Zeitraum von 1700 bis 1870 ohne Kriegserklärung begonnen haben.

Nach der seltsamen Kriegseröffnung durch die Japaner hat die öffentliche
Meinung der Welt die Frage auch einer erneuten Prüfung unterzogen und
ist zu dem Resultat gekommen, daß der Beginn eines Krieges durch Über¬
raschung unvereinbar sei mit der Rücksichtnahme, die ein Staat dem andern
schulde. Mr. Roberts ist der Ansicht, daß Deutschlands Stellung deutlich zu¬
gunsten einer Kriegserklärung vor Beginn der Feindseligkeiten sei. Der schwierige
Punkt sei der Zwischenraum, der zwischen der Erklärung und dem Augriff
verstreichen müsse. Unmittelbar nach der Erklärung den Krieg zu beginnen
würde auch eine Überraschung sein; während kein Staat gewillt sein würde,
sich des Vorteils zu begeben, seine Kriegsbereitschaft schnell auszunutzen.

Die Legung von Seculum, die im russisch-japanischen Kriege zum ersten¬
mal in größerm Maßstab zur Anwendung gekommen sind, hat sich als über¬
aus nachteilig für die Handelsschiffe erwiesen, die auch jetzt noch im Golf von
Petschili durch losgerissene Seculum gefährdet werden. Mr. Roberts meint,
die Schwierigkeit liege darin, den Gebrauch von Seculum auf gewissen be¬
lebten internationalen Handelswegen auszuschließen. Die deutsche Ansicht sei,
daß die russische Praxis, wonach neutralen Regierungen modifiziert werde, in
welchen Gewässern Minen verwandt würden, zu einem Grundsatz des Völker¬
rechts gemacht, und ferner, daß die kriegführenden Mächte verpflichtet werden
müßten, alle festen und schwimmenden Minen sofort nach Aufhören des
Krieges zu beseitigen. Die Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe
wird ebenfalls im Haag behandelt werden. Diese Frage wurde aktuell, als
die russischen Kriegsschiffe Petersburg und Smolensk von der freiwilligen Flotte
im Schwarzen Meer die Dardanellen als Handelsschiffe passiert, dann aber
aus hoher See die Kriegsflagge gehißt und das britische Schiff Malacca ge¬
kapert hatten. Der Protest Englands stützte sich darauf, daß diese Schiffe
entweder Kriegsschiffe wären und als solche die Dardanellen nicht hätten
passieren dürfen, oder wenn sie die Dardanellen als Handelsschiffe durchfahren
hätten, nicht in Kriegsschiffe hätten umgewandelt werden dürfen.

Deutschland beabsichtigt, wie Mr. Roberts mitteilt, die Ansicht zu ver¬
treten, daß in den Fällen, wo ein Handelsschiff in ein Kriegsschiff umgewandelt
worden ist, ein solches Schiff während der ganzen Kriegsperiode ein Kriegs-


Amerikanische Stimmen zur zweiten Ljcmger Uonferenz

Eine der Hauptkontroversen, die sich aus dem russisch-japanischen Kriege
ergeben haben, ist die des Beginns der Feindseligkeiten. Das Vorgehen
einer Regierung, die ohne Notifikation den Krieg begann, konnte vor dein
russisch-japanischen Konflikt durch eine Reihe von Präzedenzfällen gerechtfertigt
erscheinen. Die förmliche Kriegserklärung wurde als ein Überbleibsel aus der
Zeit des Rittertums behandelt, wo die Herausforderung in zeremonieller Weise
durch einen Herold in das Lager des Gegners gesandt wurde. Schon Hugo
Grotius erklärte eine solche Formalität für überflüssig. Nach deu Angaben
des Oberst Maurice sollen hundertuudzehn von hundertundzwanzig Kriegen in
dem Zeitraum von 1700 bis 1870 ohne Kriegserklärung begonnen haben.

Nach der seltsamen Kriegseröffnung durch die Japaner hat die öffentliche
Meinung der Welt die Frage auch einer erneuten Prüfung unterzogen und
ist zu dem Resultat gekommen, daß der Beginn eines Krieges durch Über¬
raschung unvereinbar sei mit der Rücksichtnahme, die ein Staat dem andern
schulde. Mr. Roberts ist der Ansicht, daß Deutschlands Stellung deutlich zu¬
gunsten einer Kriegserklärung vor Beginn der Feindseligkeiten sei. Der schwierige
Punkt sei der Zwischenraum, der zwischen der Erklärung und dem Augriff
verstreichen müsse. Unmittelbar nach der Erklärung den Krieg zu beginnen
würde auch eine Überraschung sein; während kein Staat gewillt sein würde,
sich des Vorteils zu begeben, seine Kriegsbereitschaft schnell auszunutzen.

Die Legung von Seculum, die im russisch-japanischen Kriege zum ersten¬
mal in größerm Maßstab zur Anwendung gekommen sind, hat sich als über¬
aus nachteilig für die Handelsschiffe erwiesen, die auch jetzt noch im Golf von
Petschili durch losgerissene Seculum gefährdet werden. Mr. Roberts meint,
die Schwierigkeit liege darin, den Gebrauch von Seculum auf gewissen be¬
lebten internationalen Handelswegen auszuschließen. Die deutsche Ansicht sei,
daß die russische Praxis, wonach neutralen Regierungen modifiziert werde, in
welchen Gewässern Minen verwandt würden, zu einem Grundsatz des Völker¬
rechts gemacht, und ferner, daß die kriegführenden Mächte verpflichtet werden
müßten, alle festen und schwimmenden Minen sofort nach Aufhören des
Krieges zu beseitigen. Die Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe
wird ebenfalls im Haag behandelt werden. Diese Frage wurde aktuell, als
die russischen Kriegsschiffe Petersburg und Smolensk von der freiwilligen Flotte
im Schwarzen Meer die Dardanellen als Handelsschiffe passiert, dann aber
aus hoher See die Kriegsflagge gehißt und das britische Schiff Malacca ge¬
kapert hatten. Der Protest Englands stützte sich darauf, daß diese Schiffe
entweder Kriegsschiffe wären und als solche die Dardanellen nicht hätten
passieren dürfen, oder wenn sie die Dardanellen als Handelsschiffe durchfahren
hätten, nicht in Kriegsschiffe hätten umgewandelt werden dürfen.

Deutschland beabsichtigt, wie Mr. Roberts mitteilt, die Ansicht zu ver¬
treten, daß in den Fällen, wo ein Handelsschiff in ein Kriegsschiff umgewandelt
worden ist, ein solches Schiff während der ganzen Kriegsperiode ein Kriegs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302714"/>
          <fw type="header" place="top"> Amerikanische Stimmen zur zweiten Ljcmger Uonferenz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_13"> Eine der Hauptkontroversen, die sich aus dem russisch-japanischen Kriege<lb/>
ergeben haben, ist die des Beginns der Feindseligkeiten. Das Vorgehen<lb/>
einer Regierung, die ohne Notifikation den Krieg begann, konnte vor dein<lb/>
russisch-japanischen Konflikt durch eine Reihe von Präzedenzfällen gerechtfertigt<lb/>
erscheinen. Die förmliche Kriegserklärung wurde als ein Überbleibsel aus der<lb/>
Zeit des Rittertums behandelt, wo die Herausforderung in zeremonieller Weise<lb/>
durch einen Herold in das Lager des Gegners gesandt wurde. Schon Hugo<lb/>
Grotius erklärte eine solche Formalität für überflüssig. Nach deu Angaben<lb/>
des Oberst Maurice sollen hundertuudzehn von hundertundzwanzig Kriegen in<lb/>
dem Zeitraum von 1700 bis 1870 ohne Kriegserklärung begonnen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_14"> Nach der seltsamen Kriegseröffnung durch die Japaner hat die öffentliche<lb/>
Meinung der Welt die Frage auch einer erneuten Prüfung unterzogen und<lb/>
ist zu dem Resultat gekommen, daß der Beginn eines Krieges durch Über¬<lb/>
raschung unvereinbar sei mit der Rücksichtnahme, die ein Staat dem andern<lb/>
schulde. Mr. Roberts ist der Ansicht, daß Deutschlands Stellung deutlich zu¬<lb/>
gunsten einer Kriegserklärung vor Beginn der Feindseligkeiten sei. Der schwierige<lb/>
Punkt sei der Zwischenraum, der zwischen der Erklärung und dem Augriff<lb/>
verstreichen müsse. Unmittelbar nach der Erklärung den Krieg zu beginnen<lb/>
würde auch eine Überraschung sein; während kein Staat gewillt sein würde,<lb/>
sich des Vorteils zu begeben, seine Kriegsbereitschaft schnell auszunutzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_15"> Die Legung von Seculum, die im russisch-japanischen Kriege zum ersten¬<lb/>
mal in größerm Maßstab zur Anwendung gekommen sind, hat sich als über¬<lb/>
aus nachteilig für die Handelsschiffe erwiesen, die auch jetzt noch im Golf von<lb/>
Petschili durch losgerissene Seculum gefährdet werden. Mr. Roberts meint,<lb/>
die Schwierigkeit liege darin, den Gebrauch von Seculum auf gewissen be¬<lb/>
lebten internationalen Handelswegen auszuschließen. Die deutsche Ansicht sei,<lb/>
daß die russische Praxis, wonach neutralen Regierungen modifiziert werde, in<lb/>
welchen Gewässern Minen verwandt würden, zu einem Grundsatz des Völker¬<lb/>
rechts gemacht, und ferner, daß die kriegführenden Mächte verpflichtet werden<lb/>
müßten, alle festen und schwimmenden Minen sofort nach Aufhören des<lb/>
Krieges zu beseitigen. Die Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe<lb/>
wird ebenfalls im Haag behandelt werden. Diese Frage wurde aktuell, als<lb/>
die russischen Kriegsschiffe Petersburg und Smolensk von der freiwilligen Flotte<lb/>
im Schwarzen Meer die Dardanellen als Handelsschiffe passiert, dann aber<lb/>
aus hoher See die Kriegsflagge gehißt und das britische Schiff Malacca ge¬<lb/>
kapert hatten. Der Protest Englands stützte sich darauf, daß diese Schiffe<lb/>
entweder Kriegsschiffe wären und als solche die Dardanellen nicht hätten<lb/>
passieren dürfen, oder wenn sie die Dardanellen als Handelsschiffe durchfahren<lb/>
hätten, nicht in Kriegsschiffe hätten umgewandelt werden dürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Deutschland beabsichtigt, wie Mr. Roberts mitteilt, die Ansicht zu ver¬<lb/>
treten, daß in den Fällen, wo ein Handelsschiff in ein Kriegsschiff umgewandelt<lb/>
worden ist, ein solches Schiff während der ganzen Kriegsperiode ein Kriegs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] Amerikanische Stimmen zur zweiten Ljcmger Uonferenz Eine der Hauptkontroversen, die sich aus dem russisch-japanischen Kriege ergeben haben, ist die des Beginns der Feindseligkeiten. Das Vorgehen einer Regierung, die ohne Notifikation den Krieg begann, konnte vor dein russisch-japanischen Konflikt durch eine Reihe von Präzedenzfällen gerechtfertigt erscheinen. Die förmliche Kriegserklärung wurde als ein Überbleibsel aus der Zeit des Rittertums behandelt, wo die Herausforderung in zeremonieller Weise durch einen Herold in das Lager des Gegners gesandt wurde. Schon Hugo Grotius erklärte eine solche Formalität für überflüssig. Nach deu Angaben des Oberst Maurice sollen hundertuudzehn von hundertundzwanzig Kriegen in dem Zeitraum von 1700 bis 1870 ohne Kriegserklärung begonnen haben. Nach der seltsamen Kriegseröffnung durch die Japaner hat die öffentliche Meinung der Welt die Frage auch einer erneuten Prüfung unterzogen und ist zu dem Resultat gekommen, daß der Beginn eines Krieges durch Über¬ raschung unvereinbar sei mit der Rücksichtnahme, die ein Staat dem andern schulde. Mr. Roberts ist der Ansicht, daß Deutschlands Stellung deutlich zu¬ gunsten einer Kriegserklärung vor Beginn der Feindseligkeiten sei. Der schwierige Punkt sei der Zwischenraum, der zwischen der Erklärung und dem Augriff verstreichen müsse. Unmittelbar nach der Erklärung den Krieg zu beginnen würde auch eine Überraschung sein; während kein Staat gewillt sein würde, sich des Vorteils zu begeben, seine Kriegsbereitschaft schnell auszunutzen. Die Legung von Seculum, die im russisch-japanischen Kriege zum ersten¬ mal in größerm Maßstab zur Anwendung gekommen sind, hat sich als über¬ aus nachteilig für die Handelsschiffe erwiesen, die auch jetzt noch im Golf von Petschili durch losgerissene Seculum gefährdet werden. Mr. Roberts meint, die Schwierigkeit liege darin, den Gebrauch von Seculum auf gewissen be¬ lebten internationalen Handelswegen auszuschließen. Die deutsche Ansicht sei, daß die russische Praxis, wonach neutralen Regierungen modifiziert werde, in welchen Gewässern Minen verwandt würden, zu einem Grundsatz des Völker¬ rechts gemacht, und ferner, daß die kriegführenden Mächte verpflichtet werden müßten, alle festen und schwimmenden Minen sofort nach Aufhören des Krieges zu beseitigen. Die Umwandlung von Handelsschiffen in Kriegsschiffe wird ebenfalls im Haag behandelt werden. Diese Frage wurde aktuell, als die russischen Kriegsschiffe Petersburg und Smolensk von der freiwilligen Flotte im Schwarzen Meer die Dardanellen als Handelsschiffe passiert, dann aber aus hoher See die Kriegsflagge gehißt und das britische Schiff Malacca ge¬ kapert hatten. Der Protest Englands stützte sich darauf, daß diese Schiffe entweder Kriegsschiffe wären und als solche die Dardanellen nicht hätten passieren dürfen, oder wenn sie die Dardanellen als Handelsschiffe durchfahren hätten, nicht in Kriegsschiffe hätten umgewandelt werden dürfen. Deutschland beabsichtigt, wie Mr. Roberts mitteilt, die Ansicht zu ver¬ treten, daß in den Fällen, wo ein Handelsschiff in ein Kriegsschiff umgewandelt worden ist, ein solches Schiff während der ganzen Kriegsperiode ein Kriegs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/12>, abgerufen am 14.05.2024.