Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die moderne chinesische Armee

Ncuangeworbne muß sich verpflichten, drei Jahre aktiv bei der Fahne zu dienen,
dann wird er zur Reserve entlassen, in der er sieben Jahre bleibt, und erhält
als Reservist eine monatliche Pension von einem Tael, die er sich aus der
Kreiskasse seines Wohnsitzes unter Vorlegung seiner Dienstpapiere abzuholen hat.
So kennt die Negierung stets den Aufenthalt aller Reservisten und kann sie im
Bedarfsfalle leicht einziehen.

Was den Offizierersatz anlangt, so hat er in letzter Zeit bedeutende
Änderungen erfahren, die, allmählich durchgeführt, gute Resultate zeitigen und
auf die Kriegstüchtigkeit des Heeres vorteilhaft einwirken können.

Früher, noch bis zum Jahre 1900, war der Ersatz der in der Front
stehenden Offiziere höchst mangelhaft. Man bevorzugte Tschi-jeu-Bannerleute
zu den Stellen als Vorgesetzte, die eine Reihe von Jahren dem Heere angehört
hatten, sich nichts besondres zuschulden kommen ließen und in Besitz einer kleinen
Summe Geldes gelangt waren, die genügte, um eine "Stelle" zu erhalten.
Sie brauchten weder schreiben noch lesen zu können und hatten bei ihren
Prüfungen nur eine gewisse Fertigkeit in einigen praktisch-militärischen Übungen
nachzuweisen, die einer ganz alten Zeit entstammten. Die Examina, in Peking
oder in den Provinzialhauptstädten abgehalten, bestanden früher:

1. im Bogenspannen (KrmA),
2. im Säbelfechten ohne Gegner (äg.o),
3. im Steinheben und -stoßen (seti),
4. im Bogenschießen zu Pferde (eng. allen),
5. im Bogenschießen zu Fuß (pu älen).

Hierbei hatte der zu Prüfende nur eine gewisse, durch Übung erlangte
Körperkraft und etwas Geschicklichkeit zu zeigen, theoretische Fragen kamen nicht
zur Erörterung.

Waren diese Exerzitien bestanden, und die nötige Summe Geldes in die
richtigen Hände geflossen, so wurde der Geprüfte Offizier (von-grau) und hatte
sich weitern Prüfungen zu unterwerfen oder mußte sich im Kampfe auszeichnen,
wenn er befördert werden wollte.

Nach den letzthin erlassenen Edikten des Kaisers und den neuen Vorschriften
des Kriegsministeriums, das mit allem Eifer und mit tatkräftiger japanischer
Unterstützung Reorganisationen durchführt, sind die Bedingungen, deren Er-
füllung zum Offizier befähigt, andre geworden. Der Offizieraspirant muß aus
guter Familie sein, gutes körperliches Ebenmaß und die nötigen Kräfte haben,
um Anstrengungen ertragen zu können; ihm soll so viel Selbstbeherrschung an¬
erzogen sein, daß er Entbehrungen, die der Krieg mit sich bringt, erträgt und
seinen Untergebnen ein tüchtiges Vorbild bleibt.

Es ist nicht notwendig, daß er schon in den Reihen des Heeres gedient
hat, er muß aber die obengenannten Fähigkeiten nachweisen, um in eine Militür-
schule eintreten zu können. In diesen Militärschulen, von denen es bis jetzt je
eine in zwanzig Provinzen mit zusammen mehr als fünftausend Zöglingen


Die moderne chinesische Armee

Ncuangeworbne muß sich verpflichten, drei Jahre aktiv bei der Fahne zu dienen,
dann wird er zur Reserve entlassen, in der er sieben Jahre bleibt, und erhält
als Reservist eine monatliche Pension von einem Tael, die er sich aus der
Kreiskasse seines Wohnsitzes unter Vorlegung seiner Dienstpapiere abzuholen hat.
So kennt die Negierung stets den Aufenthalt aller Reservisten und kann sie im
Bedarfsfalle leicht einziehen.

Was den Offizierersatz anlangt, so hat er in letzter Zeit bedeutende
Änderungen erfahren, die, allmählich durchgeführt, gute Resultate zeitigen und
auf die Kriegstüchtigkeit des Heeres vorteilhaft einwirken können.

Früher, noch bis zum Jahre 1900, war der Ersatz der in der Front
stehenden Offiziere höchst mangelhaft. Man bevorzugte Tschi-jeu-Bannerleute
zu den Stellen als Vorgesetzte, die eine Reihe von Jahren dem Heere angehört
hatten, sich nichts besondres zuschulden kommen ließen und in Besitz einer kleinen
Summe Geldes gelangt waren, die genügte, um eine „Stelle" zu erhalten.
Sie brauchten weder schreiben noch lesen zu können und hatten bei ihren
Prüfungen nur eine gewisse Fertigkeit in einigen praktisch-militärischen Übungen
nachzuweisen, die einer ganz alten Zeit entstammten. Die Examina, in Peking
oder in den Provinzialhauptstädten abgehalten, bestanden früher:

1. im Bogenspannen (KrmA),
2. im Säbelfechten ohne Gegner (äg.o),
3. im Steinheben und -stoßen (seti),
4. im Bogenschießen zu Pferde (eng. allen),
5. im Bogenschießen zu Fuß (pu älen).

Hierbei hatte der zu Prüfende nur eine gewisse, durch Übung erlangte
Körperkraft und etwas Geschicklichkeit zu zeigen, theoretische Fragen kamen nicht
zur Erörterung.

Waren diese Exerzitien bestanden, und die nötige Summe Geldes in die
richtigen Hände geflossen, so wurde der Geprüfte Offizier (von-grau) und hatte
sich weitern Prüfungen zu unterwerfen oder mußte sich im Kampfe auszeichnen,
wenn er befördert werden wollte.

Nach den letzthin erlassenen Edikten des Kaisers und den neuen Vorschriften
des Kriegsministeriums, das mit allem Eifer und mit tatkräftiger japanischer
Unterstützung Reorganisationen durchführt, sind die Bedingungen, deren Er-
füllung zum Offizier befähigt, andre geworden. Der Offizieraspirant muß aus
guter Familie sein, gutes körperliches Ebenmaß und die nötigen Kräfte haben,
um Anstrengungen ertragen zu können; ihm soll so viel Selbstbeherrschung an¬
erzogen sein, daß er Entbehrungen, die der Krieg mit sich bringt, erträgt und
seinen Untergebnen ein tüchtiges Vorbild bleibt.

Es ist nicht notwendig, daß er schon in den Reihen des Heeres gedient
hat, er muß aber die obengenannten Fähigkeiten nachweisen, um in eine Militür-
schule eintreten zu können. In diesen Militärschulen, von denen es bis jetzt je
eine in zwanzig Provinzen mit zusammen mehr als fünftausend Zöglingen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302818"/>
          <fw type="header" place="top"> Die moderne chinesische Armee</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_475" prev="#ID_474"> Ncuangeworbne muß sich verpflichten, drei Jahre aktiv bei der Fahne zu dienen,<lb/>
dann wird er zur Reserve entlassen, in der er sieben Jahre bleibt, und erhält<lb/>
als Reservist eine monatliche Pension von einem Tael, die er sich aus der<lb/>
Kreiskasse seines Wohnsitzes unter Vorlegung seiner Dienstpapiere abzuholen hat.<lb/>
So kennt die Negierung stets den Aufenthalt aller Reservisten und kann sie im<lb/>
Bedarfsfalle leicht einziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_476"> Was den Offizierersatz anlangt, so hat er in letzter Zeit bedeutende<lb/>
Änderungen erfahren, die, allmählich durchgeführt, gute Resultate zeitigen und<lb/>
auf die Kriegstüchtigkeit des Heeres vorteilhaft einwirken können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_477"> Früher, noch bis zum Jahre 1900, war der Ersatz der in der Front<lb/>
stehenden Offiziere höchst mangelhaft. Man bevorzugte Tschi-jeu-Bannerleute<lb/>
zu den Stellen als Vorgesetzte, die eine Reihe von Jahren dem Heere angehört<lb/>
hatten, sich nichts besondres zuschulden kommen ließen und in Besitz einer kleinen<lb/>
Summe Geldes gelangt waren, die genügte, um eine &#x201E;Stelle" zu erhalten.<lb/>
Sie brauchten weder schreiben noch lesen zu können und hatten bei ihren<lb/>
Prüfungen nur eine gewisse Fertigkeit in einigen praktisch-militärischen Übungen<lb/>
nachzuweisen, die einer ganz alten Zeit entstammten. Die Examina, in Peking<lb/>
oder in den Provinzialhauptstädten abgehalten, bestanden früher:</p><lb/>
          <list>
            <item> 1. im Bogenspannen (KrmA),</item>
            <item> 2. im Säbelfechten ohne Gegner (äg.o),</item>
            <item> 3. im Steinheben und -stoßen (seti),</item>
            <item> 4. im Bogenschießen zu Pferde (eng. allen),</item>
            <item> 5. im Bogenschießen zu Fuß (pu älen).</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_478"> Hierbei hatte der zu Prüfende nur eine gewisse, durch Übung erlangte<lb/>
Körperkraft und etwas Geschicklichkeit zu zeigen, theoretische Fragen kamen nicht<lb/>
zur Erörterung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_479"> Waren diese Exerzitien bestanden, und die nötige Summe Geldes in die<lb/>
richtigen Hände geflossen, so wurde der Geprüfte Offizier (von-grau) und hatte<lb/>
sich weitern Prüfungen zu unterwerfen oder mußte sich im Kampfe auszeichnen,<lb/>
wenn er befördert werden wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_480"> Nach den letzthin erlassenen Edikten des Kaisers und den neuen Vorschriften<lb/>
des Kriegsministeriums, das mit allem Eifer und mit tatkräftiger japanischer<lb/>
Unterstützung Reorganisationen durchführt, sind die Bedingungen, deren Er-<lb/>
füllung zum Offizier befähigt, andre geworden. Der Offizieraspirant muß aus<lb/>
guter Familie sein, gutes körperliches Ebenmaß und die nötigen Kräfte haben,<lb/>
um Anstrengungen ertragen zu können; ihm soll so viel Selbstbeherrschung an¬<lb/>
erzogen sein, daß er Entbehrungen, die der Krieg mit sich bringt, erträgt und<lb/>
seinen Untergebnen ein tüchtiges Vorbild bleibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_481" next="#ID_482"> Es ist nicht notwendig, daß er schon in den Reihen des Heeres gedient<lb/>
hat, er muß aber die obengenannten Fähigkeiten nachweisen, um in eine Militür-<lb/>
schule eintreten zu können. In diesen Militärschulen, von denen es bis jetzt je<lb/>
eine in zwanzig Provinzen mit zusammen mehr als fünftausend Zöglingen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] Die moderne chinesische Armee Ncuangeworbne muß sich verpflichten, drei Jahre aktiv bei der Fahne zu dienen, dann wird er zur Reserve entlassen, in der er sieben Jahre bleibt, und erhält als Reservist eine monatliche Pension von einem Tael, die er sich aus der Kreiskasse seines Wohnsitzes unter Vorlegung seiner Dienstpapiere abzuholen hat. So kennt die Negierung stets den Aufenthalt aller Reservisten und kann sie im Bedarfsfalle leicht einziehen. Was den Offizierersatz anlangt, so hat er in letzter Zeit bedeutende Änderungen erfahren, die, allmählich durchgeführt, gute Resultate zeitigen und auf die Kriegstüchtigkeit des Heeres vorteilhaft einwirken können. Früher, noch bis zum Jahre 1900, war der Ersatz der in der Front stehenden Offiziere höchst mangelhaft. Man bevorzugte Tschi-jeu-Bannerleute zu den Stellen als Vorgesetzte, die eine Reihe von Jahren dem Heere angehört hatten, sich nichts besondres zuschulden kommen ließen und in Besitz einer kleinen Summe Geldes gelangt waren, die genügte, um eine „Stelle" zu erhalten. Sie brauchten weder schreiben noch lesen zu können und hatten bei ihren Prüfungen nur eine gewisse Fertigkeit in einigen praktisch-militärischen Übungen nachzuweisen, die einer ganz alten Zeit entstammten. Die Examina, in Peking oder in den Provinzialhauptstädten abgehalten, bestanden früher: 1. im Bogenspannen (KrmA), 2. im Säbelfechten ohne Gegner (äg.o), 3. im Steinheben und -stoßen (seti), 4. im Bogenschießen zu Pferde (eng. allen), 5. im Bogenschießen zu Fuß (pu älen). Hierbei hatte der zu Prüfende nur eine gewisse, durch Übung erlangte Körperkraft und etwas Geschicklichkeit zu zeigen, theoretische Fragen kamen nicht zur Erörterung. Waren diese Exerzitien bestanden, und die nötige Summe Geldes in die richtigen Hände geflossen, so wurde der Geprüfte Offizier (von-grau) und hatte sich weitern Prüfungen zu unterwerfen oder mußte sich im Kampfe auszeichnen, wenn er befördert werden wollte. Nach den letzthin erlassenen Edikten des Kaisers und den neuen Vorschriften des Kriegsministeriums, das mit allem Eifer und mit tatkräftiger japanischer Unterstützung Reorganisationen durchführt, sind die Bedingungen, deren Er- füllung zum Offizier befähigt, andre geworden. Der Offizieraspirant muß aus guter Familie sein, gutes körperliches Ebenmaß und die nötigen Kräfte haben, um Anstrengungen ertragen zu können; ihm soll so viel Selbstbeherrschung an¬ erzogen sein, daß er Entbehrungen, die der Krieg mit sich bringt, erträgt und seinen Untergebnen ein tüchtiges Vorbild bleibt. Es ist nicht notwendig, daß er schon in den Reihen des Heeres gedient hat, er muß aber die obengenannten Fähigkeiten nachweisen, um in eine Militür- schule eintreten zu können. In diesen Militärschulen, von denen es bis jetzt je eine in zwanzig Provinzen mit zusammen mehr als fünftausend Zöglingen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/116
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/116>, abgerufen am 30.05.2024.