Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die moderne chinesische Armee

gibt, wird auf die wissenschaftliche Ausbildung Hauptwert gelegt, die praktische
aber nicht vernachlässigt; sie entsprechen in mancher Hinsicht unsern Kadetten¬
korps, ohne jedoch die hier erreichten Resultate zu zeitigen. Mit dem zwanzigsten
Lebensjahre durchschnittlich betritt der Offizieraspirant die Militärschule, wo zunächst
nur einige Fertigkeit im Lesen und Schreiben von ihm verlangt wird. Die
theoretische Ausbildung geht mit der praktischen Hand in Hand. Im ersten Jahre
wird mit den einfachsten Grundsätzen der Waffen- und Schießlehre, mit der Er¬
klärung des modernen Gewehrs begonnen und praktische Übungen im Schießen
mit dem Jnfanteriegewehr vorgenommen. Der Schüler wird ferner in die ersten
Grundsätze des Planzeichnens eingeweiht, das in den höhern Klassen zur Ge-
lündelehre heranwächst. Auch im Rechnen, Lesen und Schreiben wird er geübt.

In den Vorschriften wird besonders hervorgehoben, daß sich die Schüler
eine umfassende Kenntnis von Geschichte und Geographie aneignen sollen, und
zwar nicht nur ihres Heimatlandes, sondern der europäischen Mächte, die eine
besondre Rolle auf der Welttribüne spielen, sei es in bezug auf ihre Leistungen
auf dem Kriegsgebiet, in der Politik oder in Handel und Industrie. Merkwürdiger¬
weise fällt das Studium fremder Sprachen in dem Lehrplan weg, und man
kann wohl vermuten, daß es dem eignen Fleiß und der Neigung des Schülers
überlasten bleibt, sich wenigstens in einer Fremdsprache auszubilden. Schließlich
bestehen die praktischen Übungen im täglichen Exerzieren mit und ohne Gewehr,
in Felddienst, Turnen, Freiübungen und im Schießen. Hierbei ist das japanische
Exerzierreglement zugrunde gelegt, das sich bekanntlich auf dem deutschen auf¬
baut. Lehrer und Exerziermeister sind fast ausschließlich Japaner. Am Schluß
eines jeden Jahres wird eine Art Tentamen (seuo-Kao) abgelegt, je nach dessen
Ausfall der Schüler in eine höhere Klasse versetzt wird. Wenn er sich durch
besonders hervorragende Kenntnisse auszeichnet, bekommt er außerdem eine Geld¬
prämie, die aber acht bis zehn Taels nicht übersteigt.

Sind die sämtlichen Klassen absolviert, und ist das Schulexamen gut
bestanden worden, so hat der Schüler Anwartschaft auf eine Offizierstelle, wird
zum Offizier (vu-Zuan) befördert und nach einem dreimonatigen Urlaub in die
Front eingestellt.

Mit diesem System ist seit kurzer Zeit der Anfang gemacht worden, man
hofft, es werde sich mehr und mehr auswachsen und befestigen und mit der Zeit
einen guten Ersatz an Offizieren schaffen.

Für die weitere Fortbildung der aus den Militärschulen hervorgegangnen
Offiziere ist kürzlich in Peking eine Militärakademie errichtet worden. Neben
dieser Akademie gibt es noch eine besondre Schule für Strategie und Taktik in
der Hauptstadt, an der seit dem Mai 1905 japanische Instrukteure tütig sind.

Außer der Militärakademie und Strategieschule ist vom Armeereorganisations¬
departement noch die Errichtung einer Militärschule in Peking zum ausschlie߬
lichen Besuch durch den chinesischen Adel in Aussicht genommen. Die Kaiserin-
rcgentin hat aus ihrer Schatulle 50000 Taels zu diesem Zweck hergegeben,


Die moderne chinesische Armee

gibt, wird auf die wissenschaftliche Ausbildung Hauptwert gelegt, die praktische
aber nicht vernachlässigt; sie entsprechen in mancher Hinsicht unsern Kadetten¬
korps, ohne jedoch die hier erreichten Resultate zu zeitigen. Mit dem zwanzigsten
Lebensjahre durchschnittlich betritt der Offizieraspirant die Militärschule, wo zunächst
nur einige Fertigkeit im Lesen und Schreiben von ihm verlangt wird. Die
theoretische Ausbildung geht mit der praktischen Hand in Hand. Im ersten Jahre
wird mit den einfachsten Grundsätzen der Waffen- und Schießlehre, mit der Er¬
klärung des modernen Gewehrs begonnen und praktische Übungen im Schießen
mit dem Jnfanteriegewehr vorgenommen. Der Schüler wird ferner in die ersten
Grundsätze des Planzeichnens eingeweiht, das in den höhern Klassen zur Ge-
lündelehre heranwächst. Auch im Rechnen, Lesen und Schreiben wird er geübt.

In den Vorschriften wird besonders hervorgehoben, daß sich die Schüler
eine umfassende Kenntnis von Geschichte und Geographie aneignen sollen, und
zwar nicht nur ihres Heimatlandes, sondern der europäischen Mächte, die eine
besondre Rolle auf der Welttribüne spielen, sei es in bezug auf ihre Leistungen
auf dem Kriegsgebiet, in der Politik oder in Handel und Industrie. Merkwürdiger¬
weise fällt das Studium fremder Sprachen in dem Lehrplan weg, und man
kann wohl vermuten, daß es dem eignen Fleiß und der Neigung des Schülers
überlasten bleibt, sich wenigstens in einer Fremdsprache auszubilden. Schließlich
bestehen die praktischen Übungen im täglichen Exerzieren mit und ohne Gewehr,
in Felddienst, Turnen, Freiübungen und im Schießen. Hierbei ist das japanische
Exerzierreglement zugrunde gelegt, das sich bekanntlich auf dem deutschen auf¬
baut. Lehrer und Exerziermeister sind fast ausschließlich Japaner. Am Schluß
eines jeden Jahres wird eine Art Tentamen (seuo-Kao) abgelegt, je nach dessen
Ausfall der Schüler in eine höhere Klasse versetzt wird. Wenn er sich durch
besonders hervorragende Kenntnisse auszeichnet, bekommt er außerdem eine Geld¬
prämie, die aber acht bis zehn Taels nicht übersteigt.

Sind die sämtlichen Klassen absolviert, und ist das Schulexamen gut
bestanden worden, so hat der Schüler Anwartschaft auf eine Offizierstelle, wird
zum Offizier (vu-Zuan) befördert und nach einem dreimonatigen Urlaub in die
Front eingestellt.

Mit diesem System ist seit kurzer Zeit der Anfang gemacht worden, man
hofft, es werde sich mehr und mehr auswachsen und befestigen und mit der Zeit
einen guten Ersatz an Offizieren schaffen.

Für die weitere Fortbildung der aus den Militärschulen hervorgegangnen
Offiziere ist kürzlich in Peking eine Militärakademie errichtet worden. Neben
dieser Akademie gibt es noch eine besondre Schule für Strategie und Taktik in
der Hauptstadt, an der seit dem Mai 1905 japanische Instrukteure tütig sind.

Außer der Militärakademie und Strategieschule ist vom Armeereorganisations¬
departement noch die Errichtung einer Militärschule in Peking zum ausschlie߬
lichen Besuch durch den chinesischen Adel in Aussicht genommen. Die Kaiserin-
rcgentin hat aus ihrer Schatulle 50000 Taels zu diesem Zweck hergegeben,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302819"/>
          <fw type="header" place="top"> Die moderne chinesische Armee</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_482" prev="#ID_481"> gibt, wird auf die wissenschaftliche Ausbildung Hauptwert gelegt, die praktische<lb/>
aber nicht vernachlässigt; sie entsprechen in mancher Hinsicht unsern Kadetten¬<lb/>
korps, ohne jedoch die hier erreichten Resultate zu zeitigen. Mit dem zwanzigsten<lb/>
Lebensjahre durchschnittlich betritt der Offizieraspirant die Militärschule, wo zunächst<lb/>
nur einige Fertigkeit im Lesen und Schreiben von ihm verlangt wird. Die<lb/>
theoretische Ausbildung geht mit der praktischen Hand in Hand. Im ersten Jahre<lb/>
wird mit den einfachsten Grundsätzen der Waffen- und Schießlehre, mit der Er¬<lb/>
klärung des modernen Gewehrs begonnen und praktische Übungen im Schießen<lb/>
mit dem Jnfanteriegewehr vorgenommen. Der Schüler wird ferner in die ersten<lb/>
Grundsätze des Planzeichnens eingeweiht, das in den höhern Klassen zur Ge-<lb/>
lündelehre heranwächst. Auch im Rechnen, Lesen und Schreiben wird er geübt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_483"> In den Vorschriften wird besonders hervorgehoben, daß sich die Schüler<lb/>
eine umfassende Kenntnis von Geschichte und Geographie aneignen sollen, und<lb/>
zwar nicht nur ihres Heimatlandes, sondern der europäischen Mächte, die eine<lb/>
besondre Rolle auf der Welttribüne spielen, sei es in bezug auf ihre Leistungen<lb/>
auf dem Kriegsgebiet, in der Politik oder in Handel und Industrie. Merkwürdiger¬<lb/>
weise fällt das Studium fremder Sprachen in dem Lehrplan weg, und man<lb/>
kann wohl vermuten, daß es dem eignen Fleiß und der Neigung des Schülers<lb/>
überlasten bleibt, sich wenigstens in einer Fremdsprache auszubilden. Schließlich<lb/>
bestehen die praktischen Übungen im täglichen Exerzieren mit und ohne Gewehr,<lb/>
in Felddienst, Turnen, Freiübungen und im Schießen. Hierbei ist das japanische<lb/>
Exerzierreglement zugrunde gelegt, das sich bekanntlich auf dem deutschen auf¬<lb/>
baut. Lehrer und Exerziermeister sind fast ausschließlich Japaner. Am Schluß<lb/>
eines jeden Jahres wird eine Art Tentamen (seuo-Kao) abgelegt, je nach dessen<lb/>
Ausfall der Schüler in eine höhere Klasse versetzt wird. Wenn er sich durch<lb/>
besonders hervorragende Kenntnisse auszeichnet, bekommt er außerdem eine Geld¬<lb/>
prämie, die aber acht bis zehn Taels nicht übersteigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_484"> Sind die sämtlichen Klassen absolviert, und ist das Schulexamen gut<lb/>
bestanden worden, so hat der Schüler Anwartschaft auf eine Offizierstelle, wird<lb/>
zum Offizier (vu-Zuan) befördert und nach einem dreimonatigen Urlaub in die<lb/>
Front eingestellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_485"> Mit diesem System ist seit kurzer Zeit der Anfang gemacht worden, man<lb/>
hofft, es werde sich mehr und mehr auswachsen und befestigen und mit der Zeit<lb/>
einen guten Ersatz an Offizieren schaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_486"> Für die weitere Fortbildung der aus den Militärschulen hervorgegangnen<lb/>
Offiziere ist kürzlich in Peking eine Militärakademie errichtet worden. Neben<lb/>
dieser Akademie gibt es noch eine besondre Schule für Strategie und Taktik in<lb/>
der Hauptstadt, an der seit dem Mai 1905 japanische Instrukteure tütig sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_487" next="#ID_488"> Außer der Militärakademie und Strategieschule ist vom Armeereorganisations¬<lb/>
departement noch die Errichtung einer Militärschule in Peking zum ausschlie߬<lb/>
lichen Besuch durch den chinesischen Adel in Aussicht genommen. Die Kaiserin-<lb/>
rcgentin hat aus ihrer Schatulle 50000 Taels zu diesem Zweck hergegeben,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] Die moderne chinesische Armee gibt, wird auf die wissenschaftliche Ausbildung Hauptwert gelegt, die praktische aber nicht vernachlässigt; sie entsprechen in mancher Hinsicht unsern Kadetten¬ korps, ohne jedoch die hier erreichten Resultate zu zeitigen. Mit dem zwanzigsten Lebensjahre durchschnittlich betritt der Offizieraspirant die Militärschule, wo zunächst nur einige Fertigkeit im Lesen und Schreiben von ihm verlangt wird. Die theoretische Ausbildung geht mit der praktischen Hand in Hand. Im ersten Jahre wird mit den einfachsten Grundsätzen der Waffen- und Schießlehre, mit der Er¬ klärung des modernen Gewehrs begonnen und praktische Übungen im Schießen mit dem Jnfanteriegewehr vorgenommen. Der Schüler wird ferner in die ersten Grundsätze des Planzeichnens eingeweiht, das in den höhern Klassen zur Ge- lündelehre heranwächst. Auch im Rechnen, Lesen und Schreiben wird er geübt. In den Vorschriften wird besonders hervorgehoben, daß sich die Schüler eine umfassende Kenntnis von Geschichte und Geographie aneignen sollen, und zwar nicht nur ihres Heimatlandes, sondern der europäischen Mächte, die eine besondre Rolle auf der Welttribüne spielen, sei es in bezug auf ihre Leistungen auf dem Kriegsgebiet, in der Politik oder in Handel und Industrie. Merkwürdiger¬ weise fällt das Studium fremder Sprachen in dem Lehrplan weg, und man kann wohl vermuten, daß es dem eignen Fleiß und der Neigung des Schülers überlasten bleibt, sich wenigstens in einer Fremdsprache auszubilden. Schließlich bestehen die praktischen Übungen im täglichen Exerzieren mit und ohne Gewehr, in Felddienst, Turnen, Freiübungen und im Schießen. Hierbei ist das japanische Exerzierreglement zugrunde gelegt, das sich bekanntlich auf dem deutschen auf¬ baut. Lehrer und Exerziermeister sind fast ausschließlich Japaner. Am Schluß eines jeden Jahres wird eine Art Tentamen (seuo-Kao) abgelegt, je nach dessen Ausfall der Schüler in eine höhere Klasse versetzt wird. Wenn er sich durch besonders hervorragende Kenntnisse auszeichnet, bekommt er außerdem eine Geld¬ prämie, die aber acht bis zehn Taels nicht übersteigt. Sind die sämtlichen Klassen absolviert, und ist das Schulexamen gut bestanden worden, so hat der Schüler Anwartschaft auf eine Offizierstelle, wird zum Offizier (vu-Zuan) befördert und nach einem dreimonatigen Urlaub in die Front eingestellt. Mit diesem System ist seit kurzer Zeit der Anfang gemacht worden, man hofft, es werde sich mehr und mehr auswachsen und befestigen und mit der Zeit einen guten Ersatz an Offizieren schaffen. Für die weitere Fortbildung der aus den Militärschulen hervorgegangnen Offiziere ist kürzlich in Peking eine Militärakademie errichtet worden. Neben dieser Akademie gibt es noch eine besondre Schule für Strategie und Taktik in der Hauptstadt, an der seit dem Mai 1905 japanische Instrukteure tütig sind. Außer der Militärakademie und Strategieschule ist vom Armeereorganisations¬ departement noch die Errichtung einer Militärschule in Peking zum ausschlie߬ lichen Besuch durch den chinesischen Adel in Aussicht genommen. Die Kaiserin- rcgentin hat aus ihrer Schatulle 50000 Taels zu diesem Zweck hergegeben,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/117>, abgerufen am 28.05.2024.