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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

Sonne, v) Eine bestimmte Masse des Planeten, e) Die schräge Stellung der
Achse, ä) Das Vorwiegen des Wassers, e) Die Verteilung von Wasser und
Land, k) Die Beständigkeit dieser Verteilung. Die genügende Dichtigkeit
und geeignete Zusammensetzung der Atmosphäre. n) Ein günstiger Gehalt von
Staub in der Luft, i) Die Luftelektrizitüt. 8. Diese verwickelten Bedingungen
zeigt sonst kein Planet unsers Sonnensystems, dagegen zeigt jeder eine Eigen¬
tümlichkeit, die ihn zur Wiege des Lebens ungeeignet macht. 9. Nur bei sehr
wenigen Sternen ist es möglich, daß sie lebentragende Planeten besitzen, aber
daß bei diesen dann alle Bedingungen jfür die Erzeugung höhern Lebensj so
wie bei der Erde zusammentreffen, ist höchst unwahrscheinlich. 10. Die
Strahlungen der Sterne haben vielleicht eine wichtige Bedeutung für die Ent¬
wicklung des Lebens auf der Erde. Durch die Anordnung des gestirnten
Universums ist eine große Stabilität gewährleistet, und unser Sonnensystem
befindet sich dort, wo am ersten eine ruhige und lange andauernde Entwicklung
möglich war und ist. Das wichtigste Ergebnis der ganzen Arbeit ist nun aber,
daß der Mensch als der Gipfel des bewußten Lebens sich in dem ganzen un¬
geheuern Weltall nur hier auf der Erde entwickelt hat und entwickeln konnte.
Beweise dagegen, ja auch nur irgendwelche Gründe, die es unwahrscheinlich
machten, gibt es nicht. Ist es so, nun, dann ist das Universum zu dem
einzigen Zweck entstanden, daß hier auf der Erde Menschen werden könnten,
zahllose Scharen lebender, vernünftiger, mit Sittlichkeit und Geist ausgestatteter
Wesen mit unbegrenzten Lebens- und Glücksmöglichkeiten. Ist das unsinniger,
als daß man komplizierte Maschinen herstellt, um winzige Stecknadeln, Dinge
von ganz geringem Wert, herzustellen?" Gehirnschwund infolge hohen Alters,
wird Haeckel dekretiert haben, falls er das Buch gelesen hat; das vermutet auch
Denuert. Dieselbe Diagnose hat ja Haeckel gewonnen bei Kant, K. E. von Baer,
Virchow und Wundt.

Dann macht uns Dennert mit zwei deutschen Forschern bekannt, die, reli¬
giöser Vorurteile unverdächtig, den materialistischen Monismus bekämpfen. Der
Physiolog? Verworn meint, die Hypothese seines hochverehrten Lehrers und
Freundes Haeckel, daß "Plastidule" (kleinste organische Massen) beseelt seien,
scheine ihm die Forderung, die der Naturforscher stellen müsse, nicht ganz zu
erfüllen. Denn sie trage ja nur den Dualismus von Körper und Geist oder
Seele in die kleinsten Weltelemente hinein, anstatt ihn aufzuheben; eine wirklich
monistische Erklärung dagegen, wie sie von der Naturforschung gefordert werde,
müsse "die Dinge in hypothesenfreier Weise auf ein einziges bekanntes Prinzip"
zurückführen. Dieser Satz enthält zwar einen dreifachen Irrtum, denn erstens
ist es nicht die Naturwissenschaft, sondern die Philosophie, die das fordert. Die
Naturwissenschaft hat keine andre Aufgabe, als die materielle Welt, ihre Er¬
scheinungen und Veränderungen richtig zu beschreiben, ihre Kausalzusammenhänge
aufzudecken und die Gesetze zu ergründen, nach denen die verschiednen Arten
von Veränderungen verlaufen. Zweitens vermag sie nicht einmal diese Aufgabe


Naturwissenschaft und Theismus

Sonne, v) Eine bestimmte Masse des Planeten, e) Die schräge Stellung der
Achse, ä) Das Vorwiegen des Wassers, e) Die Verteilung von Wasser und
Land, k) Die Beständigkeit dieser Verteilung. Die genügende Dichtigkeit
und geeignete Zusammensetzung der Atmosphäre. n) Ein günstiger Gehalt von
Staub in der Luft, i) Die Luftelektrizitüt. 8. Diese verwickelten Bedingungen
zeigt sonst kein Planet unsers Sonnensystems, dagegen zeigt jeder eine Eigen¬
tümlichkeit, die ihn zur Wiege des Lebens ungeeignet macht. 9. Nur bei sehr
wenigen Sternen ist es möglich, daß sie lebentragende Planeten besitzen, aber
daß bei diesen dann alle Bedingungen jfür die Erzeugung höhern Lebensj so
wie bei der Erde zusammentreffen, ist höchst unwahrscheinlich. 10. Die
Strahlungen der Sterne haben vielleicht eine wichtige Bedeutung für die Ent¬
wicklung des Lebens auf der Erde. Durch die Anordnung des gestirnten
Universums ist eine große Stabilität gewährleistet, und unser Sonnensystem
befindet sich dort, wo am ersten eine ruhige und lange andauernde Entwicklung
möglich war und ist. Das wichtigste Ergebnis der ganzen Arbeit ist nun aber,
daß der Mensch als der Gipfel des bewußten Lebens sich in dem ganzen un¬
geheuern Weltall nur hier auf der Erde entwickelt hat und entwickeln konnte.
Beweise dagegen, ja auch nur irgendwelche Gründe, die es unwahrscheinlich
machten, gibt es nicht. Ist es so, nun, dann ist das Universum zu dem
einzigen Zweck entstanden, daß hier auf der Erde Menschen werden könnten,
zahllose Scharen lebender, vernünftiger, mit Sittlichkeit und Geist ausgestatteter
Wesen mit unbegrenzten Lebens- und Glücksmöglichkeiten. Ist das unsinniger,
als daß man komplizierte Maschinen herstellt, um winzige Stecknadeln, Dinge
von ganz geringem Wert, herzustellen?" Gehirnschwund infolge hohen Alters,
wird Haeckel dekretiert haben, falls er das Buch gelesen hat; das vermutet auch
Denuert. Dieselbe Diagnose hat ja Haeckel gewonnen bei Kant, K. E. von Baer,
Virchow und Wundt.

Dann macht uns Dennert mit zwei deutschen Forschern bekannt, die, reli¬
giöser Vorurteile unverdächtig, den materialistischen Monismus bekämpfen. Der
Physiolog? Verworn meint, die Hypothese seines hochverehrten Lehrers und
Freundes Haeckel, daß „Plastidule" (kleinste organische Massen) beseelt seien,
scheine ihm die Forderung, die der Naturforscher stellen müsse, nicht ganz zu
erfüllen. Denn sie trage ja nur den Dualismus von Körper und Geist oder
Seele in die kleinsten Weltelemente hinein, anstatt ihn aufzuheben; eine wirklich
monistische Erklärung dagegen, wie sie von der Naturforschung gefordert werde,
müsse „die Dinge in hypothesenfreier Weise auf ein einziges bekanntes Prinzip"
zurückführen. Dieser Satz enthält zwar einen dreifachen Irrtum, denn erstens
ist es nicht die Naturwissenschaft, sondern die Philosophie, die das fordert. Die
Naturwissenschaft hat keine andre Aufgabe, als die materielle Welt, ihre Er¬
scheinungen und Veränderungen richtig zu beschreiben, ihre Kausalzusammenhänge
aufzudecken und die Gesetze zu ergründen, nach denen die verschiednen Arten
von Veränderungen verlaufen. Zweitens vermag sie nicht einmal diese Aufgabe


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[0134] Naturwissenschaft und Theismus Sonne, v) Eine bestimmte Masse des Planeten, e) Die schräge Stellung der Achse, ä) Das Vorwiegen des Wassers, e) Die Verteilung von Wasser und Land, k) Die Beständigkeit dieser Verteilung. Die genügende Dichtigkeit und geeignete Zusammensetzung der Atmosphäre. n) Ein günstiger Gehalt von Staub in der Luft, i) Die Luftelektrizitüt. 8. Diese verwickelten Bedingungen zeigt sonst kein Planet unsers Sonnensystems, dagegen zeigt jeder eine Eigen¬ tümlichkeit, die ihn zur Wiege des Lebens ungeeignet macht. 9. Nur bei sehr wenigen Sternen ist es möglich, daß sie lebentragende Planeten besitzen, aber daß bei diesen dann alle Bedingungen jfür die Erzeugung höhern Lebensj so wie bei der Erde zusammentreffen, ist höchst unwahrscheinlich. 10. Die Strahlungen der Sterne haben vielleicht eine wichtige Bedeutung für die Ent¬ wicklung des Lebens auf der Erde. Durch die Anordnung des gestirnten Universums ist eine große Stabilität gewährleistet, und unser Sonnensystem befindet sich dort, wo am ersten eine ruhige und lange andauernde Entwicklung möglich war und ist. Das wichtigste Ergebnis der ganzen Arbeit ist nun aber, daß der Mensch als der Gipfel des bewußten Lebens sich in dem ganzen un¬ geheuern Weltall nur hier auf der Erde entwickelt hat und entwickeln konnte. Beweise dagegen, ja auch nur irgendwelche Gründe, die es unwahrscheinlich machten, gibt es nicht. Ist es so, nun, dann ist das Universum zu dem einzigen Zweck entstanden, daß hier auf der Erde Menschen werden könnten, zahllose Scharen lebender, vernünftiger, mit Sittlichkeit und Geist ausgestatteter Wesen mit unbegrenzten Lebens- und Glücksmöglichkeiten. Ist das unsinniger, als daß man komplizierte Maschinen herstellt, um winzige Stecknadeln, Dinge von ganz geringem Wert, herzustellen?" Gehirnschwund infolge hohen Alters, wird Haeckel dekretiert haben, falls er das Buch gelesen hat; das vermutet auch Denuert. Dieselbe Diagnose hat ja Haeckel gewonnen bei Kant, K. E. von Baer, Virchow und Wundt. Dann macht uns Dennert mit zwei deutschen Forschern bekannt, die, reli¬ giöser Vorurteile unverdächtig, den materialistischen Monismus bekämpfen. Der Physiolog? Verworn meint, die Hypothese seines hochverehrten Lehrers und Freundes Haeckel, daß „Plastidule" (kleinste organische Massen) beseelt seien, scheine ihm die Forderung, die der Naturforscher stellen müsse, nicht ganz zu erfüllen. Denn sie trage ja nur den Dualismus von Körper und Geist oder Seele in die kleinsten Weltelemente hinein, anstatt ihn aufzuheben; eine wirklich monistische Erklärung dagegen, wie sie von der Naturforschung gefordert werde, müsse „die Dinge in hypothesenfreier Weise auf ein einziges bekanntes Prinzip" zurückführen. Dieser Satz enthält zwar einen dreifachen Irrtum, denn erstens ist es nicht die Naturwissenschaft, sondern die Philosophie, die das fordert. Die Naturwissenschaft hat keine andre Aufgabe, als die materielle Welt, ihre Er¬ scheinungen und Veränderungen richtig zu beschreiben, ihre Kausalzusammenhänge aufzudecken und die Gesetze zu ergründen, nach denen die verschiednen Arten von Veränderungen verlaufen. Zweitens vermag sie nicht einmal diese Aufgabe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/134>, abgerufen am 30.05.2024.