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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

ohne Hypothesen zu lösen. Die Physik und Chemie, die exakte Wissenschaften
sind, was die Biologie nicht ist, und deren Ergebnisse darum viel fester stehen,
als die der Biologie jemals stehn werden, haben ihre bewunderungswürdigen
technischen Leistungen vollbracht mit Hilfe von lauter hypothetischen Wesen, deren
wirkliche Existenz durch die Erfahrung nicht nachgewiesen werden kann: Äther,
Atome, Moleküle, Elektronen, Ionen. Wie könnte da die Philosophie ihre die
Wirklichkeit überschreitende Aufgabe, die letzten Gründe und den innersten Zu¬
sammenhang der Wirklichkeit aufzuspüren, hypothesenfrei lösen? Endlich fordert
die philosophische Vernunft zwar die Zurückführung der Erscheinungen auf einen
letzten Grund (und außer dem hypothetischen Wesen, das die Religion Gott
nennt, ist bis jetzt kein solcher gefunden worden), nicht dagegen die Zurückführung
aller innerweltlichen Substanzen auf eine Substanz. Wie sich die Philosophie
den Zusammenhang etwaiger verschiedner Substanzen mit der Weltursache oder
dem Weltgrunde denken will, das ist ihre Sache; die Naturwissenschaft hat, wenn
sie verschiedne Substanzen oder Erscheinungen, die auf verschiedne Substanzen
deuten, vorfindet, diese Tatsache einfach anzuerkennen. Sie strebt nach Verein¬
fachung, das ist richtig, und es wäre ein philosophischer Gewinn -- ob auch
einer für die Praxis, der die Naturwissenschaften zunächst zu dienen haben, kann
man im voraus nicht wissen --, wenn es der Chemie gelänge, ihre Elemente,
deren Zahl sich durch Entdeckung neuer immer noch mehrt, auf eins zurückzu¬
führen; aber solange es nicht gelingt, hat sie die Vielheit der Elemente einfach
anzuerkennen. Also Verworn hat zwar dreifach Unrecht, aber Haeckel gegenüber,
der sich einbildet, den Geist aus der Materie erklärt und so den materialistischen
Monismus verwirklicht zu haben, hat er entschieden Recht, und es ist ihm un¬
bedingt beizupflichten, wenn er schreibt: "Man muß radikaler vorgehn und die
ganze materialistische Anschauung bis auf die Grundlage hinab preisgeben, wenn
man zu einer monistischen Weltanschauung gelangen will." Er konstruiert
darum seinen Psychomonismus. "Der Gegensatz zwischen Körperwelt und Psyche
existiert in Wirklichkeit gar nicht; denn die ganze Körperwelt ist nur Inhalt
der Psyche. Es gibt überhaupt nur Eins, das'ist der reiche Inhalt der Psyche."
Nun, das haben andre Leute, wie Leibniz, Fichte, Hegel und Lotze, vor ihm
schon gesagt. Während es nur stumpfsinnigen Burschen von schwacher Denkkraft
einfallen kann, den Geist aus der Materie heraus destillieren zu wollen, drängt
sich dem wirklichen Denker die Tatsache auf, daß sein eigner Bewußtseinsinhalt
das einzige ist, von dessen Vorhandensein er wirklich überzeugt sein muß, und
für den ersten Augenblick erscheint es ihm nicht undenkbar, daß die gesamte
Außenwelt nur sein Traum sei. Bei genauerer Überlegung findet er dann
freilich, daß sich sein waches Leben von einem Traume deutlich unterscheidet,
daß seinem Bewußtsein der wechselnde Inhalt von außen aufgedrängt wird -- daß
dieser von draußen kommt, bezweifelt er am wenigsten, wenn er eine Ohrfeige
kriegt --, und daß der regelmäßige, gesetzmüßige Ablauf gewisser Reihen von
Erscheinungen, die ganz unabhängig von ihm und oft sehr gegen seinen Willen


Naturwissenschaft und Theismus

ohne Hypothesen zu lösen. Die Physik und Chemie, die exakte Wissenschaften
sind, was die Biologie nicht ist, und deren Ergebnisse darum viel fester stehen,
als die der Biologie jemals stehn werden, haben ihre bewunderungswürdigen
technischen Leistungen vollbracht mit Hilfe von lauter hypothetischen Wesen, deren
wirkliche Existenz durch die Erfahrung nicht nachgewiesen werden kann: Äther,
Atome, Moleküle, Elektronen, Ionen. Wie könnte da die Philosophie ihre die
Wirklichkeit überschreitende Aufgabe, die letzten Gründe und den innersten Zu¬
sammenhang der Wirklichkeit aufzuspüren, hypothesenfrei lösen? Endlich fordert
die philosophische Vernunft zwar die Zurückführung der Erscheinungen auf einen
letzten Grund (und außer dem hypothetischen Wesen, das die Religion Gott
nennt, ist bis jetzt kein solcher gefunden worden), nicht dagegen die Zurückführung
aller innerweltlichen Substanzen auf eine Substanz. Wie sich die Philosophie
den Zusammenhang etwaiger verschiedner Substanzen mit der Weltursache oder
dem Weltgrunde denken will, das ist ihre Sache; die Naturwissenschaft hat, wenn
sie verschiedne Substanzen oder Erscheinungen, die auf verschiedne Substanzen
deuten, vorfindet, diese Tatsache einfach anzuerkennen. Sie strebt nach Verein¬
fachung, das ist richtig, und es wäre ein philosophischer Gewinn — ob auch
einer für die Praxis, der die Naturwissenschaften zunächst zu dienen haben, kann
man im voraus nicht wissen —, wenn es der Chemie gelänge, ihre Elemente,
deren Zahl sich durch Entdeckung neuer immer noch mehrt, auf eins zurückzu¬
führen; aber solange es nicht gelingt, hat sie die Vielheit der Elemente einfach
anzuerkennen. Also Verworn hat zwar dreifach Unrecht, aber Haeckel gegenüber,
der sich einbildet, den Geist aus der Materie erklärt und so den materialistischen
Monismus verwirklicht zu haben, hat er entschieden Recht, und es ist ihm un¬
bedingt beizupflichten, wenn er schreibt: „Man muß radikaler vorgehn und die
ganze materialistische Anschauung bis auf die Grundlage hinab preisgeben, wenn
man zu einer monistischen Weltanschauung gelangen will." Er konstruiert
darum seinen Psychomonismus. „Der Gegensatz zwischen Körperwelt und Psyche
existiert in Wirklichkeit gar nicht; denn die ganze Körperwelt ist nur Inhalt
der Psyche. Es gibt überhaupt nur Eins, das'ist der reiche Inhalt der Psyche."
Nun, das haben andre Leute, wie Leibniz, Fichte, Hegel und Lotze, vor ihm
schon gesagt. Während es nur stumpfsinnigen Burschen von schwacher Denkkraft
einfallen kann, den Geist aus der Materie heraus destillieren zu wollen, drängt
sich dem wirklichen Denker die Tatsache auf, daß sein eigner Bewußtseinsinhalt
das einzige ist, von dessen Vorhandensein er wirklich überzeugt sein muß, und
für den ersten Augenblick erscheint es ihm nicht undenkbar, daß die gesamte
Außenwelt nur sein Traum sei. Bei genauerer Überlegung findet er dann
freilich, daß sich sein waches Leben von einem Traume deutlich unterscheidet,
daß seinem Bewußtsein der wechselnde Inhalt von außen aufgedrängt wird — daß
dieser von draußen kommt, bezweifelt er am wenigsten, wenn er eine Ohrfeige
kriegt —, und daß der regelmäßige, gesetzmüßige Ablauf gewisser Reihen von
Erscheinungen, die ganz unabhängig von ihm und oft sehr gegen seinen Willen


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[0135] Naturwissenschaft und Theismus ohne Hypothesen zu lösen. Die Physik und Chemie, die exakte Wissenschaften sind, was die Biologie nicht ist, und deren Ergebnisse darum viel fester stehen, als die der Biologie jemals stehn werden, haben ihre bewunderungswürdigen technischen Leistungen vollbracht mit Hilfe von lauter hypothetischen Wesen, deren wirkliche Existenz durch die Erfahrung nicht nachgewiesen werden kann: Äther, Atome, Moleküle, Elektronen, Ionen. Wie könnte da die Philosophie ihre die Wirklichkeit überschreitende Aufgabe, die letzten Gründe und den innersten Zu¬ sammenhang der Wirklichkeit aufzuspüren, hypothesenfrei lösen? Endlich fordert die philosophische Vernunft zwar die Zurückführung der Erscheinungen auf einen letzten Grund (und außer dem hypothetischen Wesen, das die Religion Gott nennt, ist bis jetzt kein solcher gefunden worden), nicht dagegen die Zurückführung aller innerweltlichen Substanzen auf eine Substanz. Wie sich die Philosophie den Zusammenhang etwaiger verschiedner Substanzen mit der Weltursache oder dem Weltgrunde denken will, das ist ihre Sache; die Naturwissenschaft hat, wenn sie verschiedne Substanzen oder Erscheinungen, die auf verschiedne Substanzen deuten, vorfindet, diese Tatsache einfach anzuerkennen. Sie strebt nach Verein¬ fachung, das ist richtig, und es wäre ein philosophischer Gewinn — ob auch einer für die Praxis, der die Naturwissenschaften zunächst zu dienen haben, kann man im voraus nicht wissen —, wenn es der Chemie gelänge, ihre Elemente, deren Zahl sich durch Entdeckung neuer immer noch mehrt, auf eins zurückzu¬ führen; aber solange es nicht gelingt, hat sie die Vielheit der Elemente einfach anzuerkennen. Also Verworn hat zwar dreifach Unrecht, aber Haeckel gegenüber, der sich einbildet, den Geist aus der Materie erklärt und so den materialistischen Monismus verwirklicht zu haben, hat er entschieden Recht, und es ist ihm un¬ bedingt beizupflichten, wenn er schreibt: „Man muß radikaler vorgehn und die ganze materialistische Anschauung bis auf die Grundlage hinab preisgeben, wenn man zu einer monistischen Weltanschauung gelangen will." Er konstruiert darum seinen Psychomonismus. „Der Gegensatz zwischen Körperwelt und Psyche existiert in Wirklichkeit gar nicht; denn die ganze Körperwelt ist nur Inhalt der Psyche. Es gibt überhaupt nur Eins, das'ist der reiche Inhalt der Psyche." Nun, das haben andre Leute, wie Leibniz, Fichte, Hegel und Lotze, vor ihm schon gesagt. Während es nur stumpfsinnigen Burschen von schwacher Denkkraft einfallen kann, den Geist aus der Materie heraus destillieren zu wollen, drängt sich dem wirklichen Denker die Tatsache auf, daß sein eigner Bewußtseinsinhalt das einzige ist, von dessen Vorhandensein er wirklich überzeugt sein muß, und für den ersten Augenblick erscheint es ihm nicht undenkbar, daß die gesamte Außenwelt nur sein Traum sei. Bei genauerer Überlegung findet er dann freilich, daß sich sein waches Leben von einem Traume deutlich unterscheidet, daß seinem Bewußtsein der wechselnde Inhalt von außen aufgedrängt wird — daß dieser von draußen kommt, bezweifelt er am wenigsten, wenn er eine Ohrfeige kriegt —, und daß der regelmäßige, gesetzmüßige Ablauf gewisser Reihen von Erscheinungen, die ganz unabhängig von ihm und oft sehr gegen seinen Willen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/135>, abgerufen am 30.05.2024.