Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreichs Allianzversuche 1,363 bis 1.370

berechtigt gewesen, auf Österreichs und Italiens Beistand zu rechnen, so sei das
eitel Phantasie, eitel Flunkerei gewesen.

Dieser Ansicht hat sich im wesentlichen Herr von Petersdorff angeschlossen,
wä'hrend Oncken und Delbrück aus dem bis jetzt vorliegenden Material eine
ganz entgegengesetzte Auffassung gewonnen haben. Nach ihnen hat Napoleon
mit großer Berechnung den Krieg vorbereitet und Bundesgenossen dafür zu ge¬
winnen gesucht, er hat auch bei Österreich und Italien den besten Willen dazu
gefunden, und die Verabredungen sind bis zu dem Punkte geführt worden, wo
der Kaiser die absolute Gewißheit zu haben glaubte, in jedem Augenblick das
Bündnis vollends zum Abschluß bringen zu können. Die militärischen Ver¬
handlungen, die der Erzherzog Albrecht im Frühjahr 1870 in Paris und dann
der General Lebrun in Wien führten, hatten einen Angriffskrieg zum Zweck,
der für das Frühjahr 1871 in Aussicht genommen war. Der nach dem plötzlichen
Kriegsausbruch zwischen Österreich und Italien vereinbarte Neutralitütsvcrtrag
sollte die Vorstufe zu einem aktiven Kriegsbündnis sein, und nur die raschen
schlüge, die anfangs August von den deutsche" Heeren geführt wurden, ver¬
hinderten die Ausführung des vereinbarten Kriegsplans.

Eine erneute sorgfältige Prüfung des bis jetzt zutage gekommnen Materials
hat Professor W. Busch in Tübingen vorgenommen (1900) und ist dabei zu
Ergebnissen gelangt, die eine Art Mittelweg sind zwischen diesen sich schroff
widersprechenden Ansichten. Nach Busch hat allerdings Kaiser Napoleon ein
Kriegsbündnis mit Österreich und Italien betrieben, und beide Mächte haben
es auch am guten Willen nicht fehlen lassen, nur suchte Beust den Losbruch
möglichst hinauszuziehn, weil Österreich mit innern Schwierigkeiten zu kämpfen
hatte und nichts weniger als kriegsbereit war, auch den Wunsch hatte, daß zum
Anlaß des Kriegs nicht eine Frage nationaldeutscher Politik gemacht würde.
Als das eigentliche Hindernis für den Abschluß des Dreibunds erwies sich aber
die römische Frage: die Italiener verlangten den Abzug der Franzosen aus dem
Römischen, was der Kaiser, beeinflußt von seiner klerikalen Umgebung, ver¬
weigerte. Diese Verhandlungen endigten mit den Briefen, die im September
1869 zwischen den drei Monarchen gewechselt wurden, und die nur ein Schein¬
abschluß waren, eher eiuen Rückzug bedeuteten, als daß sie ernsthafte Verbind¬
lichkeiten begründet hätten. Auch den militärischen Besprechungen, die im Früh¬
jahr 1870 in Paris und in Wien stattfanden, mißt Busch geringe Bedeutung
bei, sie seien ohne aggressive Absicht lediglich akademischer Art gewesen. Als
dann die Hvhenzvllernkandidatur für den spanischen Thron plötzlich die Welt
überraschte, habe Beust seine retardierende Politik fortgesetzt, dringend zuni Frieden
geraten und eine tätige Kooperation verweigert. Anders aber, nachdem der
Krieg entschieden war. Jetzt habe er in Anknüpfung an die frühern Besprechungen
seine Hilfe zugesagt und zunächst, um Zeit für die Rüstungen zu gewinnen, mit
Italien den Neutralitätsvertrag abgeschlossen, der den Dreibund vorbereite" sollte,
inzwischen das Hindernis der römischen Frage zu beseitigen versucht, und nur


Frankreichs Allianzversuche 1,363 bis 1.370

berechtigt gewesen, auf Österreichs und Italiens Beistand zu rechnen, so sei das
eitel Phantasie, eitel Flunkerei gewesen.

Dieser Ansicht hat sich im wesentlichen Herr von Petersdorff angeschlossen,
wä'hrend Oncken und Delbrück aus dem bis jetzt vorliegenden Material eine
ganz entgegengesetzte Auffassung gewonnen haben. Nach ihnen hat Napoleon
mit großer Berechnung den Krieg vorbereitet und Bundesgenossen dafür zu ge¬
winnen gesucht, er hat auch bei Österreich und Italien den besten Willen dazu
gefunden, und die Verabredungen sind bis zu dem Punkte geführt worden, wo
der Kaiser die absolute Gewißheit zu haben glaubte, in jedem Augenblick das
Bündnis vollends zum Abschluß bringen zu können. Die militärischen Ver¬
handlungen, die der Erzherzog Albrecht im Frühjahr 1870 in Paris und dann
der General Lebrun in Wien führten, hatten einen Angriffskrieg zum Zweck,
der für das Frühjahr 1871 in Aussicht genommen war. Der nach dem plötzlichen
Kriegsausbruch zwischen Österreich und Italien vereinbarte Neutralitütsvcrtrag
sollte die Vorstufe zu einem aktiven Kriegsbündnis sein, und nur die raschen
schlüge, die anfangs August von den deutsche» Heeren geführt wurden, ver¬
hinderten die Ausführung des vereinbarten Kriegsplans.

Eine erneute sorgfältige Prüfung des bis jetzt zutage gekommnen Materials
hat Professor W. Busch in Tübingen vorgenommen (1900) und ist dabei zu
Ergebnissen gelangt, die eine Art Mittelweg sind zwischen diesen sich schroff
widersprechenden Ansichten. Nach Busch hat allerdings Kaiser Napoleon ein
Kriegsbündnis mit Österreich und Italien betrieben, und beide Mächte haben
es auch am guten Willen nicht fehlen lassen, nur suchte Beust den Losbruch
möglichst hinauszuziehn, weil Österreich mit innern Schwierigkeiten zu kämpfen
hatte und nichts weniger als kriegsbereit war, auch den Wunsch hatte, daß zum
Anlaß des Kriegs nicht eine Frage nationaldeutscher Politik gemacht würde.
Als das eigentliche Hindernis für den Abschluß des Dreibunds erwies sich aber
die römische Frage: die Italiener verlangten den Abzug der Franzosen aus dem
Römischen, was der Kaiser, beeinflußt von seiner klerikalen Umgebung, ver¬
weigerte. Diese Verhandlungen endigten mit den Briefen, die im September
1869 zwischen den drei Monarchen gewechselt wurden, und die nur ein Schein¬
abschluß waren, eher eiuen Rückzug bedeuteten, als daß sie ernsthafte Verbind¬
lichkeiten begründet hätten. Auch den militärischen Besprechungen, die im Früh¬
jahr 1870 in Paris und in Wien stattfanden, mißt Busch geringe Bedeutung
bei, sie seien ohne aggressive Absicht lediglich akademischer Art gewesen. Als
dann die Hvhenzvllernkandidatur für den spanischen Thron plötzlich die Welt
überraschte, habe Beust seine retardierende Politik fortgesetzt, dringend zuni Frieden
geraten und eine tätige Kooperation verweigert. Anders aber, nachdem der
Krieg entschieden war. Jetzt habe er in Anknüpfung an die frühern Besprechungen
seine Hilfe zugesagt und zunächst, um Zeit für die Rüstungen zu gewinnen, mit
Italien den Neutralitätsvertrag abgeschlossen, der den Dreibund vorbereite» sollte,
inzwischen das Hindernis der römischen Frage zu beseitigen versucht, und nur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302720"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreichs Allianzversuche 1,363 bis 1.370</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> berechtigt gewesen, auf Österreichs und Italiens Beistand zu rechnen, so sei das<lb/>
eitel Phantasie, eitel Flunkerei gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42"> Dieser Ansicht hat sich im wesentlichen Herr von Petersdorff angeschlossen,<lb/>
wä'hrend Oncken und Delbrück aus dem bis jetzt vorliegenden Material eine<lb/>
ganz entgegengesetzte Auffassung gewonnen haben. Nach ihnen hat Napoleon<lb/>
mit großer Berechnung den Krieg vorbereitet und Bundesgenossen dafür zu ge¬<lb/>
winnen gesucht, er hat auch bei Österreich und Italien den besten Willen dazu<lb/>
gefunden, und die Verabredungen sind bis zu dem Punkte geführt worden, wo<lb/>
der Kaiser die absolute Gewißheit zu haben glaubte, in jedem Augenblick das<lb/>
Bündnis vollends zum Abschluß bringen zu können. Die militärischen Ver¬<lb/>
handlungen, die der Erzherzog Albrecht im Frühjahr 1870 in Paris und dann<lb/>
der General Lebrun in Wien führten, hatten einen Angriffskrieg zum Zweck,<lb/>
der für das Frühjahr 1871 in Aussicht genommen war. Der nach dem plötzlichen<lb/>
Kriegsausbruch zwischen Österreich und Italien vereinbarte Neutralitütsvcrtrag<lb/>
sollte die Vorstufe zu einem aktiven Kriegsbündnis sein, und nur die raschen<lb/>
schlüge, die anfangs August von den deutsche» Heeren geführt wurden, ver¬<lb/>
hinderten die Ausführung des vereinbarten Kriegsplans.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_43" next="#ID_44"> Eine erneute sorgfältige Prüfung des bis jetzt zutage gekommnen Materials<lb/>
hat Professor W. Busch in Tübingen vorgenommen (1900) und ist dabei zu<lb/>
Ergebnissen gelangt, die eine Art Mittelweg sind zwischen diesen sich schroff<lb/>
widersprechenden Ansichten. Nach Busch hat allerdings Kaiser Napoleon ein<lb/>
Kriegsbündnis mit Österreich und Italien betrieben, und beide Mächte haben<lb/>
es auch am guten Willen nicht fehlen lassen, nur suchte Beust den Losbruch<lb/>
möglichst hinauszuziehn, weil Österreich mit innern Schwierigkeiten zu kämpfen<lb/>
hatte und nichts weniger als kriegsbereit war, auch den Wunsch hatte, daß zum<lb/>
Anlaß des Kriegs nicht eine Frage nationaldeutscher Politik gemacht würde.<lb/>
Als das eigentliche Hindernis für den Abschluß des Dreibunds erwies sich aber<lb/>
die römische Frage: die Italiener verlangten den Abzug der Franzosen aus dem<lb/>
Römischen, was der Kaiser, beeinflußt von seiner klerikalen Umgebung, ver¬<lb/>
weigerte. Diese Verhandlungen endigten mit den Briefen, die im September<lb/>
1869 zwischen den drei Monarchen gewechselt wurden, und die nur ein Schein¬<lb/>
abschluß waren, eher eiuen Rückzug bedeuteten, als daß sie ernsthafte Verbind¬<lb/>
lichkeiten begründet hätten. Auch den militärischen Besprechungen, die im Früh¬<lb/>
jahr 1870 in Paris und in Wien stattfanden, mißt Busch geringe Bedeutung<lb/>
bei, sie seien ohne aggressive Absicht lediglich akademischer Art gewesen. Als<lb/>
dann die Hvhenzvllernkandidatur für den spanischen Thron plötzlich die Welt<lb/>
überraschte, habe Beust seine retardierende Politik fortgesetzt, dringend zuni Frieden<lb/>
geraten und eine tätige Kooperation verweigert. Anders aber, nachdem der<lb/>
Krieg entschieden war. Jetzt habe er in Anknüpfung an die frühern Besprechungen<lb/>
seine Hilfe zugesagt und zunächst, um Zeit für die Rüstungen zu gewinnen, mit<lb/>
Italien den Neutralitätsvertrag abgeschlossen, der den Dreibund vorbereite» sollte,<lb/>
inzwischen das Hindernis der römischen Frage zu beseitigen versucht, und nur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] Frankreichs Allianzversuche 1,363 bis 1.370 berechtigt gewesen, auf Österreichs und Italiens Beistand zu rechnen, so sei das eitel Phantasie, eitel Flunkerei gewesen. Dieser Ansicht hat sich im wesentlichen Herr von Petersdorff angeschlossen, wä'hrend Oncken und Delbrück aus dem bis jetzt vorliegenden Material eine ganz entgegengesetzte Auffassung gewonnen haben. Nach ihnen hat Napoleon mit großer Berechnung den Krieg vorbereitet und Bundesgenossen dafür zu ge¬ winnen gesucht, er hat auch bei Österreich und Italien den besten Willen dazu gefunden, und die Verabredungen sind bis zu dem Punkte geführt worden, wo der Kaiser die absolute Gewißheit zu haben glaubte, in jedem Augenblick das Bündnis vollends zum Abschluß bringen zu können. Die militärischen Ver¬ handlungen, die der Erzherzog Albrecht im Frühjahr 1870 in Paris und dann der General Lebrun in Wien führten, hatten einen Angriffskrieg zum Zweck, der für das Frühjahr 1871 in Aussicht genommen war. Der nach dem plötzlichen Kriegsausbruch zwischen Österreich und Italien vereinbarte Neutralitütsvcrtrag sollte die Vorstufe zu einem aktiven Kriegsbündnis sein, und nur die raschen schlüge, die anfangs August von den deutsche» Heeren geführt wurden, ver¬ hinderten die Ausführung des vereinbarten Kriegsplans. Eine erneute sorgfältige Prüfung des bis jetzt zutage gekommnen Materials hat Professor W. Busch in Tübingen vorgenommen (1900) und ist dabei zu Ergebnissen gelangt, die eine Art Mittelweg sind zwischen diesen sich schroff widersprechenden Ansichten. Nach Busch hat allerdings Kaiser Napoleon ein Kriegsbündnis mit Österreich und Italien betrieben, und beide Mächte haben es auch am guten Willen nicht fehlen lassen, nur suchte Beust den Losbruch möglichst hinauszuziehn, weil Österreich mit innern Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und nichts weniger als kriegsbereit war, auch den Wunsch hatte, daß zum Anlaß des Kriegs nicht eine Frage nationaldeutscher Politik gemacht würde. Als das eigentliche Hindernis für den Abschluß des Dreibunds erwies sich aber die römische Frage: die Italiener verlangten den Abzug der Franzosen aus dem Römischen, was der Kaiser, beeinflußt von seiner klerikalen Umgebung, ver¬ weigerte. Diese Verhandlungen endigten mit den Briefen, die im September 1869 zwischen den drei Monarchen gewechselt wurden, und die nur ein Schein¬ abschluß waren, eher eiuen Rückzug bedeuteten, als daß sie ernsthafte Verbind¬ lichkeiten begründet hätten. Auch den militärischen Besprechungen, die im Früh¬ jahr 1870 in Paris und in Wien stattfanden, mißt Busch geringe Bedeutung bei, sie seien ohne aggressive Absicht lediglich akademischer Art gewesen. Als dann die Hvhenzvllernkandidatur für den spanischen Thron plötzlich die Welt überraschte, habe Beust seine retardierende Politik fortgesetzt, dringend zuni Frieden geraten und eine tätige Kooperation verweigert. Anders aber, nachdem der Krieg entschieden war. Jetzt habe er in Anknüpfung an die frühern Besprechungen seine Hilfe zugesagt und zunächst, um Zeit für die Rüstungen zu gewinnen, mit Italien den Neutralitätsvertrag abgeschlossen, der den Dreibund vorbereite» sollte, inzwischen das Hindernis der römischen Frage zu beseitigen versucht, und nur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/18>, abgerufen am 14.05.2024.