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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^370

die raschen Siege der deutschen Heere hätten die Verwirklichung des Kriegs¬
bündnisses vereitelt. Es ist vor allem Buschens Verdienst, gezeigt zu haben, wie
wichtig es ist, die einzelnen Abschnitte dieser diplomatischen Sisyphusarbeit zeit¬
lich anseinanderzuhcilten und zugleich den Geheimverkehr der Hauptverschwornen
und den offiziellen Verkehr der Kabinette möglichst zu unterscheiden. In der
Verfolgung des Bnndnisplcms treten deutlich als gesonderte Abschnitte hervor:
die Allianzverhandlungen von 1868 und 1869, die militärischen Sendungen des
Erzherzogs Albrecht und des Generals Lebrun im Frühjahr 1370, dann die
Verhandlungen vom 6. bis 15. Juli d. I., endlich die, die sich von der kriege¬
rischen Entscheidung noch bis in den August hineinzogen.

Wieder ein andres Gesicht gewinnt das heimlich gewöhne Werk in der
neuesten französischen Darstellung. Roms ot Napoleon III, so betitelt sich ein
kürzlich erschienenes Werk, das den Professor an der Universität von Paris
E. Bourgeois und einen seiner Schüler, E. Clermont, zu Verfassern hat. (Paris,
A. Colin, 1907.) Schon der Titel zeigt, daß hier weiter ausgeholt wird. Es
ist die römische Frage, die hier in den Mittelpunkt gestellt und auch zum Angel¬
punkt der Bündnisverhandlungen gemacht wird. Rom, die weltliche Papstmacht,
ist zweimal für Frankreich zum Verhängnis geworden. Louis Napoleon hat,
indem er 1849 den Papst nach Rom zurückführte, sich den Weg zum Kaiser¬
thron gebahnt, und er hat diesen Thron wieder verloren, weil er 1870 den
Italienern Rom vorenthielt und damit den Abschluß eines Bündnisses vereitelte,
das ihn" so gut wie sicher war, und das möglicherweise dein Krieg eine andre
Wendung gegeben hätte. Bourgeois, von dem dieser Teil des Buches herrührt
(Clermont behandelt die römische Expedition von 1849), hat das urkundliche
Material geschickt zusammengestellt, auch um einiges neue aus den Pariser
Archiven bereichert. Scheinbar ohne Lücken reiht er ein Datum ein das andre
und gelangt zu dem Schlußergebnis, daß alles für die Bündnisse vorbereitet
war, daß Napoleon nur zuzugreifen brauchte, daß er nur das eine Wort auszu¬
sprechen hatte, das die Italiener von ihm verlangten, daß er aber dieses Wort
verweigerte und sich damit um die Frucht der gepflogucn Verhandlungen brachte.
Dem Kaiser und seinen Räten wird es zum schweren Vorwurf gemacht, daß sie
sich in den Krieg stürzten ohne die Allianzen, die sie doch haben konnten, wenn
sich nicht die Rücksicht auf die Erhaltung der weltlichen Papstmacht wie ein
lähmendes Gespenst dazwischengestellt hätte.

Daß die römische Frage wirklich bei den Bündnisverhcmdlnngen eine große
Rolle gespielt hat und für sie ein Stein des Anstoßes geworden ist, wird auch
in den andern Darstellungen nicht verkannt: hier ist diese Tatsache mit besondrer
Schärfe und Folgerichtigkeit nachgewiesen worden. Aber auch mit einer Ein¬
seitigkeit, die das Gesamtbild der Vorgänge verschiebt. Es ist doch nicht die
römische Frage allein, an der die Bündnispläne gescheitert sind. Die Teil¬
nahme Italiens war von der Teilnahme Österreichs abhängig, wie umgekehrt.
Bei dem gespannten Verhältnis, das zwischen Österreich und Italien bestand,


Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^370

die raschen Siege der deutschen Heere hätten die Verwirklichung des Kriegs¬
bündnisses vereitelt. Es ist vor allem Buschens Verdienst, gezeigt zu haben, wie
wichtig es ist, die einzelnen Abschnitte dieser diplomatischen Sisyphusarbeit zeit¬
lich anseinanderzuhcilten und zugleich den Geheimverkehr der Hauptverschwornen
und den offiziellen Verkehr der Kabinette möglichst zu unterscheiden. In der
Verfolgung des Bnndnisplcms treten deutlich als gesonderte Abschnitte hervor:
die Allianzverhandlungen von 1868 und 1869, die militärischen Sendungen des
Erzherzogs Albrecht und des Generals Lebrun im Frühjahr 1370, dann die
Verhandlungen vom 6. bis 15. Juli d. I., endlich die, die sich von der kriege¬
rischen Entscheidung noch bis in den August hineinzogen.

Wieder ein andres Gesicht gewinnt das heimlich gewöhne Werk in der
neuesten französischen Darstellung. Roms ot Napoleon III, so betitelt sich ein
kürzlich erschienenes Werk, das den Professor an der Universität von Paris
E. Bourgeois und einen seiner Schüler, E. Clermont, zu Verfassern hat. (Paris,
A. Colin, 1907.) Schon der Titel zeigt, daß hier weiter ausgeholt wird. Es
ist die römische Frage, die hier in den Mittelpunkt gestellt und auch zum Angel¬
punkt der Bündnisverhandlungen gemacht wird. Rom, die weltliche Papstmacht,
ist zweimal für Frankreich zum Verhängnis geworden. Louis Napoleon hat,
indem er 1849 den Papst nach Rom zurückführte, sich den Weg zum Kaiser¬
thron gebahnt, und er hat diesen Thron wieder verloren, weil er 1870 den
Italienern Rom vorenthielt und damit den Abschluß eines Bündnisses vereitelte,
das ihn» so gut wie sicher war, und das möglicherweise dein Krieg eine andre
Wendung gegeben hätte. Bourgeois, von dem dieser Teil des Buches herrührt
(Clermont behandelt die römische Expedition von 1849), hat das urkundliche
Material geschickt zusammengestellt, auch um einiges neue aus den Pariser
Archiven bereichert. Scheinbar ohne Lücken reiht er ein Datum ein das andre
und gelangt zu dem Schlußergebnis, daß alles für die Bündnisse vorbereitet
war, daß Napoleon nur zuzugreifen brauchte, daß er nur das eine Wort auszu¬
sprechen hatte, das die Italiener von ihm verlangten, daß er aber dieses Wort
verweigerte und sich damit um die Frucht der gepflogucn Verhandlungen brachte.
Dem Kaiser und seinen Räten wird es zum schweren Vorwurf gemacht, daß sie
sich in den Krieg stürzten ohne die Allianzen, die sie doch haben konnten, wenn
sich nicht die Rücksicht auf die Erhaltung der weltlichen Papstmacht wie ein
lähmendes Gespenst dazwischengestellt hätte.

Daß die römische Frage wirklich bei den Bündnisverhcmdlnngen eine große
Rolle gespielt hat und für sie ein Stein des Anstoßes geworden ist, wird auch
in den andern Darstellungen nicht verkannt: hier ist diese Tatsache mit besondrer
Schärfe und Folgerichtigkeit nachgewiesen worden. Aber auch mit einer Ein¬
seitigkeit, die das Gesamtbild der Vorgänge verschiebt. Es ist doch nicht die
römische Frage allein, an der die Bündnispläne gescheitert sind. Die Teil¬
nahme Italiens war von der Teilnahme Österreichs abhängig, wie umgekehrt.
Bei dem gespannten Verhältnis, das zwischen Österreich und Italien bestand,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/19>, abgerufen am 13.05.2024.