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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^370

war es ausgeschlossen, beiß der eine Staat ein Bündnis einging, in das nicht
auch der andre einbezogen wurde. Die napoleonische Politik erkannte richtig,
daß sie, um deren gegenseitiges Mißtrauen aufzuheben, beide zugleich für sich
gewinnen mußte. Dadurch wurde freilich die Alliauzverhandluug verwickelter.
Es waren mannigfaltigere Interessen in Einklang zu bringen. War an dem
einen Ende die Sache geglückt, so konnte am andern der Faden wieder abreißen.
Man hat aber durchweg den Eindruck, daß der Schwerpunkt der ganzen von
Napoleon eingeleiteten Aktion im Verhältnis zu Osterreich lag. Der Freund¬
schaft wie der Kriegslust Viktor Emanuels war der Kaiser sicher, und den
Widerstand, den der König voraussichtlich im eignen Lande fand, konnte man
jederzeit, noch im letzten Augenblick -- so hoffte man wenigstens --, durch
Zugeständnisse oder Vertröstungen in der römischen Frage überwinden. Die
Hauptsache war, zu wissen, wie man in Wien die Eröffnungen aufnehmen würde,
die auf eine gemeinsame Politik gegen das plötzlich zu so unerwünschter Stärke
gelangte Preußen zielten.

In Frankreich ist die Schlacht bei Königgrätz wie eine eigne Niederlage
empfunden worden. Der Kaiser sah sich in seinen Berechnungen getäuscht, seine
Vermittlung beim Friedensschluß war abgelehnt worden, nichts von dem er¬
hofften Gewinn war ihm zugefallen, und so sah er sich gegenüber seinem eignen
Volke bloßgestellt, das, wie die erhitzten Reden im Gesetzgebenden Körper zeigten,
ebenfalls die preußischen Siege als eine Demütigung empfand und sich von den
Wortführern leicht in eine Stimmung bringen ließ, die sich bis zu dem Ruf:
Rache für Sadvwa! steigerte. Rache für Scidowa -- oder zum mindesten ein
auos an Preußen, wenn es sich über die Bestimmungen des Prager Friedens
hinwegsetzen und trunken von seinen Erfolgen die Hand über den Main hinüber¬
strecken wollte. Damit ergab sich von selbst eine Interessengemeinschaft mit
Wien, wo Königgrätz den gleichen Stachel eingedrückt hatte. Wie man in Wien
damals dachte, das sagte ja beredter als alles andre die Berufung des Herrn
von Beiist zum Kanzler des Reichs. Der in den deutschen Fragen als zähester und
intrigantester Gegner Preußens bewährte Staatsmann an der Spitze der öster¬
reichischen Monarchie, das war ein Programm, das laut für sich selber sprach.
Wollte man aber weitere Fortschritte der deutschen Einheit verhindern, so war
keine Zeit zu verlieren. Der abermalige Mißerfolg, den der Kaiser Napoleon in
der Luxemburger Frage erlitt, war um so schmerzhafter, als zugleich die Bündnis¬
verträge zwischen dem Norddeutschen Bunde und den süddeutschen Staaten be¬
kannt gemacht wurden.

Binnen zwei Jahren, meinte Thiers, werde sich Österreich wieder so weit
erholt haben, daß man gemeinsame Hand anlegen könne, den Ehrgeiz Preußens
zu zügeln. Vorerst galt es für Österreich, um freie Hand zu gewinnen, noch
zwei Bedingungen zu erledigen, die Aussöhnung mit Ungarn und die Sicher¬
stellung gegen Italien. Jene gelang durch die dualistische Einrichtung der
Monarchie, diese war die Aufgabe Napoleons, den: es nicht allzuschwer wurde,


Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^370

war es ausgeschlossen, beiß der eine Staat ein Bündnis einging, in das nicht
auch der andre einbezogen wurde. Die napoleonische Politik erkannte richtig,
daß sie, um deren gegenseitiges Mißtrauen aufzuheben, beide zugleich für sich
gewinnen mußte. Dadurch wurde freilich die Alliauzverhandluug verwickelter.
Es waren mannigfaltigere Interessen in Einklang zu bringen. War an dem
einen Ende die Sache geglückt, so konnte am andern der Faden wieder abreißen.
Man hat aber durchweg den Eindruck, daß der Schwerpunkt der ganzen von
Napoleon eingeleiteten Aktion im Verhältnis zu Osterreich lag. Der Freund¬
schaft wie der Kriegslust Viktor Emanuels war der Kaiser sicher, und den
Widerstand, den der König voraussichtlich im eignen Lande fand, konnte man
jederzeit, noch im letzten Augenblick — so hoffte man wenigstens —, durch
Zugeständnisse oder Vertröstungen in der römischen Frage überwinden. Die
Hauptsache war, zu wissen, wie man in Wien die Eröffnungen aufnehmen würde,
die auf eine gemeinsame Politik gegen das plötzlich zu so unerwünschter Stärke
gelangte Preußen zielten.

In Frankreich ist die Schlacht bei Königgrätz wie eine eigne Niederlage
empfunden worden. Der Kaiser sah sich in seinen Berechnungen getäuscht, seine
Vermittlung beim Friedensschluß war abgelehnt worden, nichts von dem er¬
hofften Gewinn war ihm zugefallen, und so sah er sich gegenüber seinem eignen
Volke bloßgestellt, das, wie die erhitzten Reden im Gesetzgebenden Körper zeigten,
ebenfalls die preußischen Siege als eine Demütigung empfand und sich von den
Wortführern leicht in eine Stimmung bringen ließ, die sich bis zu dem Ruf:
Rache für Sadvwa! steigerte. Rache für Scidowa — oder zum mindesten ein
auos an Preußen, wenn es sich über die Bestimmungen des Prager Friedens
hinwegsetzen und trunken von seinen Erfolgen die Hand über den Main hinüber¬
strecken wollte. Damit ergab sich von selbst eine Interessengemeinschaft mit
Wien, wo Königgrätz den gleichen Stachel eingedrückt hatte. Wie man in Wien
damals dachte, das sagte ja beredter als alles andre die Berufung des Herrn
von Beiist zum Kanzler des Reichs. Der in den deutschen Fragen als zähester und
intrigantester Gegner Preußens bewährte Staatsmann an der Spitze der öster¬
reichischen Monarchie, das war ein Programm, das laut für sich selber sprach.
Wollte man aber weitere Fortschritte der deutschen Einheit verhindern, so war
keine Zeit zu verlieren. Der abermalige Mißerfolg, den der Kaiser Napoleon in
der Luxemburger Frage erlitt, war um so schmerzhafter, als zugleich die Bündnis¬
verträge zwischen dem Norddeutschen Bunde und den süddeutschen Staaten be¬
kannt gemacht wurden.

Binnen zwei Jahren, meinte Thiers, werde sich Österreich wieder so weit
erholt haben, daß man gemeinsame Hand anlegen könne, den Ehrgeiz Preußens
zu zügeln. Vorerst galt es für Österreich, um freie Hand zu gewinnen, noch
zwei Bedingungen zu erledigen, die Aussöhnung mit Ungarn und die Sicher¬
stellung gegen Italien. Jene gelang durch die dualistische Einrichtung der
Monarchie, diese war die Aufgabe Napoleons, den: es nicht allzuschwer wurde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/20>, abgerufen am 14.05.2024.