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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Vrenburg

Vornehmlich zieht er jedoch die ärmere russische Bevölkerung an. Soldaten,
namentlich in der mir von früher vertrauten mit blauen Abzeichen versehenen
Uniform der Orenburger Kasaken. besuchten zahlreich den Fisch- und Fleisch¬
markt, auch zu Pferde mit dem Henkelkorb am Arm; andre ergötzten sich an
den schaurig schönen Bildern der Kriegsereignisse, die in offnen Ständen feil¬
gehalten wurden. Die Läden der elegantem Straßen sind durchaus auf
europäischem Fuße eingerichtet.

Europäisch ist das ganze Treiben auf den Straßen, europäisch der Anblick
der vielen Offiziere und Truppenabteilungen, die, melodisch singend, eine oder
die andre Straße durchziehen. Kasernen und Dienstgebäude der vielen Stäbe,
immer noch einstöckig, verraten ein wenig den Kommißstil der für das praktische
Bedürfnis arbeitenden ersten Zeit der Russenherrschaft nach der Besitzergreifung.
Dennoch ist Taschkend nicht mehr Militärkolonie als etwa unser Metz. Wie
sich hier leben läßt, so ists auch dort nicht übel. Ich bin von dem Bedauern
stark zurückgekommen, das ich für einen nach Taschkend versetzten General, eine
frühere Bekanntschaft, übrig hatte, zumal da sich jetzt nach Angliederung der
neuen Überlandbahn an das europäische Schienennetz eine bequeme Verbindung
mit Moskau ergeben hat.

Taschkend bietet als Residenz des Generalgouverneurs und Sitz einer
Anzahl Militär- und Verwaltungsbehörden im Winter eine rege Geselligkeit.
Mehrere gelehrte Gesellschaften wie eine geographische, archäologische und
technische Gesellschaft bringen geistige Anregung, und drei Zeitungen vertreten
die literarischen Interessen und verbreiteten den Stadtklatsch, da ihnen die Bes¬
tätigung auf politischem Gebiete bisher versagt war. Im Sommer flüchtet
alles, was dazu die Möglichkeit ersieht, in die kühle Sommerfrische Tschinngan
in den Bergen, wo ein Sanatorium für die Truppen des ersten Turkestcm-
Armeekorps eingerichtet ist. Junge Offiziere, die auch in der heißen, windstillen
Sommerzeit an die "Steinstadt" -- das bedeutet Taschkend auf deutsch -- gefesselt
sind, und die gerne mit einer Minderheit von Dienst auskommen können, finden
Taschkend greulich und führen Beschwerde über körperliche Überanstrengung.

Für uns ist die Erinnerung an Taschkend mit einigen persönlichen Er¬
innerungen meist angenehmer Art verwoben. Zunächst kann ich der Gesell¬
schaft Nadjeshda das'Zeugnis ausstellen, daß sie unsre Kollis sicher zur Ab¬
lieferung gebracht hat, und daß sich ihre Beamten durchaus höflich und ent¬
gegenkommend verhielten, als das kostbare Gut zunächst noch nicht zur Stelle
war. Weniger bewährte sich die Post, deren Beamte erst auf sehr energisches
Zureden einige Briefe und Karten für uns fanden. Fast gerührt war das
Wiedersehen mit unserm Generalstabsoffizier aus Geol-tepe. der zu einem
Vortrag und Kriegsrat aus Aschabad auf 1316 Kilometer herüber gefahren und
im Grand Hotel einquartiert war. Das Grand Hotel! Ein merkwürdig lang¬
gezogner Kasten, auf dessen breitem Korridor einige Oleander ein kümmerliches
Dasein fristeten, die Kellner, Stubenfeen und Hausknechte, dazu einige Offiziers-
burschen sämtliche Neinigungsarbeiten verrichteten und eine Unzahl Ssamowars


In Taschkend und auf dem neuen Schienenwege nach Vrenburg

Vornehmlich zieht er jedoch die ärmere russische Bevölkerung an. Soldaten,
namentlich in der mir von früher vertrauten mit blauen Abzeichen versehenen
Uniform der Orenburger Kasaken. besuchten zahlreich den Fisch- und Fleisch¬
markt, auch zu Pferde mit dem Henkelkorb am Arm; andre ergötzten sich an
den schaurig schönen Bildern der Kriegsereignisse, die in offnen Ständen feil¬
gehalten wurden. Die Läden der elegantem Straßen sind durchaus auf
europäischem Fuße eingerichtet.

Europäisch ist das ganze Treiben auf den Straßen, europäisch der Anblick
der vielen Offiziere und Truppenabteilungen, die, melodisch singend, eine oder
die andre Straße durchziehen. Kasernen und Dienstgebäude der vielen Stäbe,
immer noch einstöckig, verraten ein wenig den Kommißstil der für das praktische
Bedürfnis arbeitenden ersten Zeit der Russenherrschaft nach der Besitzergreifung.
Dennoch ist Taschkend nicht mehr Militärkolonie als etwa unser Metz. Wie
sich hier leben läßt, so ists auch dort nicht übel. Ich bin von dem Bedauern
stark zurückgekommen, das ich für einen nach Taschkend versetzten General, eine
frühere Bekanntschaft, übrig hatte, zumal da sich jetzt nach Angliederung der
neuen Überlandbahn an das europäische Schienennetz eine bequeme Verbindung
mit Moskau ergeben hat.

Taschkend bietet als Residenz des Generalgouverneurs und Sitz einer
Anzahl Militär- und Verwaltungsbehörden im Winter eine rege Geselligkeit.
Mehrere gelehrte Gesellschaften wie eine geographische, archäologische und
technische Gesellschaft bringen geistige Anregung, und drei Zeitungen vertreten
die literarischen Interessen und verbreiteten den Stadtklatsch, da ihnen die Bes¬
tätigung auf politischem Gebiete bisher versagt war. Im Sommer flüchtet
alles, was dazu die Möglichkeit ersieht, in die kühle Sommerfrische Tschinngan
in den Bergen, wo ein Sanatorium für die Truppen des ersten Turkestcm-
Armeekorps eingerichtet ist. Junge Offiziere, die auch in der heißen, windstillen
Sommerzeit an die „Steinstadt" — das bedeutet Taschkend auf deutsch — gefesselt
sind, und die gerne mit einer Minderheit von Dienst auskommen können, finden
Taschkend greulich und führen Beschwerde über körperliche Überanstrengung.

Für uns ist die Erinnerung an Taschkend mit einigen persönlichen Er¬
innerungen meist angenehmer Art verwoben. Zunächst kann ich der Gesell¬
schaft Nadjeshda das'Zeugnis ausstellen, daß sie unsre Kollis sicher zur Ab¬
lieferung gebracht hat, und daß sich ihre Beamten durchaus höflich und ent¬
gegenkommend verhielten, als das kostbare Gut zunächst noch nicht zur Stelle
war. Weniger bewährte sich die Post, deren Beamte erst auf sehr energisches
Zureden einige Briefe und Karten für uns fanden. Fast gerührt war das
Wiedersehen mit unserm Generalstabsoffizier aus Geol-tepe. der zu einem
Vortrag und Kriegsrat aus Aschabad auf 1316 Kilometer herüber gefahren und
im Grand Hotel einquartiert war. Das Grand Hotel! Ein merkwürdig lang¬
gezogner Kasten, auf dessen breitem Korridor einige Oleander ein kümmerliches
Dasein fristeten, die Kellner, Stubenfeen und Hausknechte, dazu einige Offiziers-
burschen sämtliche Neinigungsarbeiten verrichteten und eine Unzahl Ssamowars


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/205>, abgerufen am 30.05.2024.