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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Prediger in Nöten

Jetzt ist alles aus, sagte Owlett gefaßt. Macht alle, daß ihr hinunter kommt,
ehe sie merken, daß wir hier sind, und haltet euch bereit für den nächsten Marsch.
Ich werde lieber hier bleiben, bis es dunkel wird; sie könnten mich sonst in Verdacht
haben, weils mein Grund und Boden ist. Sobald es schummrig wird, stoße ich
zu euch.

Und ich? sagte Lizzy.

Sehen Sie, bitte, nach den Vorsteckern und Schrauben; danach gehen Sie ins
Haus, und kümmern Sie sich um nichts weiter. Das übrige besorgen unsre Jungens.

Die Leiter wurde hinunter gelassen, und alle, außer Owlett, kletterten hinab;
die Männer schlichen einer nach dem andern hinten um die Kirche herum, und jeder
ging an sein Geschäft. Lizzy schritt dreist die Straße entlang, der Prediger dicht
hinter ihr.

Sie gehn ins Haus, Frau Newberry? sagte er.
"

Sie merkte aus der Anrede "Frau Newberry, daß die Kluft zwischen ihnen
noch weiter geworden war.

Ich gehe nicht nach Hause, sagte sie. Ich habe erst noch etwas zu tun.
Martha Sara wird Ihnen Ihren Tee besorgen.

O, deshalb meine ich nicht, sagte Stockdale. Was können Sie noch in dieser
gottlosen Angelegenheit zu tun haben?

Nur eine Kleinigkeit, sagte sie.

Was ist es? Ich will mit Ihnen gehn.

Nein, ich gehe allein. Wollen Sie, bitte, ins Haus gehn. In einer knappen
Stunde bin ich wieder da.

Sie werden sich doch nicht in Gefahr begeben, Lizzy? rief der junge Mann
mit wiedererwachter Zärtlichkeit.

Durchaus nicht -- nicht der Rede wert, antwortete sie und ging nach dem
Dorfkreuz hinunter.

Stockdale trat durch die Gartentür ein, blieb stehn und sah zu. Die Zoll¬
mannschaften waren noch unter den Obstbäumen beschäftigt, und er fühlte sich
schließlich versucht, hineinzugehn und ihr Verfahren zu beobachten. Beim Näher¬
kommen sah er, daß der geheime Keller, von dessen Vorhandensein er keine Ahnung
gehabt hatte, aus Balken gebildet war, die man einen Fuß unter der Oberfläche
quer herüber gelegt und mit Rasen bedeckt hatte.

Die Zollbeamten warfen einen Blick in Stockdales freundliches, sanftes Gesicht,
hielten ihn augenscheinlich für erhaben über jeden Verdacht und fuhren in ihrer
Arbeit fort. Sobald alle Fässer herausgeholt waren, rissen sie den Rasen auf,
zogen die Balken heraus und zerbrachen die seitlichen Stützen, bis der Keller voll¬
ständig demoliert und halb verschüttet war. Der Apfelbaum blieb mit in die Luft
gestreckten Wurzeln liegen. Dies Loch aber, das seinerzeit so viel geschmuggelte Waren
geborgen hatte, wurde nie wieder ganz zugeschüttet, weder damals noch später, und
eine Senkung im Rasen macht die Stelle kenntlich bis auf den heutigen Tag.

(Schluß folgt)




Grenzboten III 190728
Der Prediger in Nöten

Jetzt ist alles aus, sagte Owlett gefaßt. Macht alle, daß ihr hinunter kommt,
ehe sie merken, daß wir hier sind, und haltet euch bereit für den nächsten Marsch.
Ich werde lieber hier bleiben, bis es dunkel wird; sie könnten mich sonst in Verdacht
haben, weils mein Grund und Boden ist. Sobald es schummrig wird, stoße ich
zu euch.

Und ich? sagte Lizzy.

Sehen Sie, bitte, nach den Vorsteckern und Schrauben; danach gehen Sie ins
Haus, und kümmern Sie sich um nichts weiter. Das übrige besorgen unsre Jungens.

Die Leiter wurde hinunter gelassen, und alle, außer Owlett, kletterten hinab;
die Männer schlichen einer nach dem andern hinten um die Kirche herum, und jeder
ging an sein Geschäft. Lizzy schritt dreist die Straße entlang, der Prediger dicht
hinter ihr.

Sie gehn ins Haus, Frau Newberry? sagte er.
"

Sie merkte aus der Anrede „Frau Newberry, daß die Kluft zwischen ihnen
noch weiter geworden war.

Ich gehe nicht nach Hause, sagte sie. Ich habe erst noch etwas zu tun.
Martha Sara wird Ihnen Ihren Tee besorgen.

O, deshalb meine ich nicht, sagte Stockdale. Was können Sie noch in dieser
gottlosen Angelegenheit zu tun haben?

Nur eine Kleinigkeit, sagte sie.

Was ist es? Ich will mit Ihnen gehn.

Nein, ich gehe allein. Wollen Sie, bitte, ins Haus gehn. In einer knappen
Stunde bin ich wieder da.

Sie werden sich doch nicht in Gefahr begeben, Lizzy? rief der junge Mann
mit wiedererwachter Zärtlichkeit.

Durchaus nicht — nicht der Rede wert, antwortete sie und ging nach dem
Dorfkreuz hinunter.

Stockdale trat durch die Gartentür ein, blieb stehn und sah zu. Die Zoll¬
mannschaften waren noch unter den Obstbäumen beschäftigt, und er fühlte sich
schließlich versucht, hineinzugehn und ihr Verfahren zu beobachten. Beim Näher¬
kommen sah er, daß der geheime Keller, von dessen Vorhandensein er keine Ahnung
gehabt hatte, aus Balken gebildet war, die man einen Fuß unter der Oberfläche
quer herüber gelegt und mit Rasen bedeckt hatte.

Die Zollbeamten warfen einen Blick in Stockdales freundliches, sanftes Gesicht,
hielten ihn augenscheinlich für erhaben über jeden Verdacht und fuhren in ihrer
Arbeit fort. Sobald alle Fässer herausgeholt waren, rissen sie den Rasen auf,
zogen die Balken heraus und zerbrachen die seitlichen Stützen, bis der Keller voll¬
ständig demoliert und halb verschüttet war. Der Apfelbaum blieb mit in die Luft
gestreckten Wurzeln liegen. Dies Loch aber, das seinerzeit so viel geschmuggelte Waren
geborgen hatte, wurde nie wieder ganz zugeschüttet, weder damals noch später, und
eine Senkung im Rasen macht die Stelle kenntlich bis auf den heutigen Tag.

(Schluß folgt)




Grenzboten III 190728
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/217>, abgerufen am 14.05.2024.