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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversnche ^863 bis ^870

der auf ein reines Schntzbündnis hinauskam: die drei Mächte sollten sich gegen¬
seitig ihren Besitzstand garantieren und in allen Fragen diplomatisch zusammen¬
gehn; für den Fall eines Krieges behielt sich Österreich ausdrücklich die Neu¬
tralität für dessen Dauer vor.

Als nun im April endlich die gemeinsamen Beratungen begannen, zeigte
sich sofort, daß Rouher die von ihm mit eigner Hand geschriclmen Vorentwürfe,
die eine Defensiv- und Offensivallianz zum Gegenstand hatten und schon Be¬
stimmungen für die Kriegführung und für die Ausnützung des Sieges enthielten,
beiseite legen mußte. Die Österreicher ließen sich nicht von ihrem Standpunkt
abdrängen, und Rouher blieb nichts übrig, als sich diesem anzubequemen.
Eine Schwierigkeit erhob sich aber noch von feiten der Italiener. Menabrea,
der nicht als Ministerpräsident, aber als Generaladjutant des Königs ins
Vertrauen gezogen worden war, stellte jetzt die Forderung, daß die Franzosen
gemäß dem Septembervertrag von 1864 den Kirchenstaat räumen und sich
ebenso zum Grundsatz der Nichteinmischung bekennen sollten, wie Napoleon mich
dem Frieden von Villcifranca von Österreich verlangt hatte. Auch diese Schwierig¬
keit wurde überwunden. Meuabrea, dem viel am Zustandekommen der Allianz
lag, war mit der einfachen Wiederherstellung des Septembervertrags zufrieden,
kraft dessen sich die Italiener verpflichteten, nach dem Abzug der Franzosen
einen Angriff auf Rom weder zu unternehmen noch zu dulden, und er gab sich
sogar zufrieden, als der Kaiser einen Termin für die Abberufung seiner Truppen
anzusetzen sich weigerte und diesen von der Gewährleistung der Sicherheit des
Papstes abhängig zu machen erklärte. Ende Mai brachte Vimereciti aus Florenz,
der damaligen Hauptstadt Italiens, die Einwilligung des Königs zu diesen Zu¬
geständnissen. Die Tripelallianz gemäß dem österreichischen Vorschlag schien
fertig. "Die einzige wahre Schwierigkeit, telegraphierte Vitzthum am 4. Juni
an Beust, war die römische Frage. Wir haben sie durch Geduld überwunden."
Sie war jedoch erst fertig im geheimen Rat der Unterhändler. Nun, wo es
sich um die Ausfertigung eines Staatsvertrags handelte, mußten auch die Kabinette
zur Mitwissenschaft und zur Mitwirkung gezogen werden, jetzt erst erfuhren die
italienischen Minister von der bisher höchst vertraulich behandelten Sache, und
von ihrer Seite erhob sich nun ein ernstlicher nud nicht zu besiegender Wider¬
stand. Nicht zufrieden mit dem magern Zugeständnis in der römischen Frage,
kamen sie auf den ersten Vorschlag Menabreas zurück: Räumung Roms durch
die Franzosen und Erklärung der Nichteinmischung in die römischen Dinge.
Auch verlangten sie, daß das Werk von 1866 nicht angetastet, die deutsche Ein¬
heit nicht zerstört werden dürfe. Wie freilich diese Bedingung, die den Finanz¬
minister Sella zum Urheber hatte, mit den bekannten Absichten der Haupt-
beteiligten vereinbar war, das blieb ein Geheimnis. Der Kaiser war über die
Hartnäckigkeit, womit die Negierung Viktor Emanuels die Hand nach Rom aus¬
streckte, in hohem Grad aufgebracht. Seine klerikale Umgebung hätte niemals
ein solches Zurückweichen vor der italienischen Revolution geduldet. Durch den


Frankreichs Allianzversnche ^863 bis ^870

der auf ein reines Schntzbündnis hinauskam: die drei Mächte sollten sich gegen¬
seitig ihren Besitzstand garantieren und in allen Fragen diplomatisch zusammen¬
gehn; für den Fall eines Krieges behielt sich Österreich ausdrücklich die Neu¬
tralität für dessen Dauer vor.

Als nun im April endlich die gemeinsamen Beratungen begannen, zeigte
sich sofort, daß Rouher die von ihm mit eigner Hand geschriclmen Vorentwürfe,
die eine Defensiv- und Offensivallianz zum Gegenstand hatten und schon Be¬
stimmungen für die Kriegführung und für die Ausnützung des Sieges enthielten,
beiseite legen mußte. Die Österreicher ließen sich nicht von ihrem Standpunkt
abdrängen, und Rouher blieb nichts übrig, als sich diesem anzubequemen.
Eine Schwierigkeit erhob sich aber noch von feiten der Italiener. Menabrea,
der nicht als Ministerpräsident, aber als Generaladjutant des Königs ins
Vertrauen gezogen worden war, stellte jetzt die Forderung, daß die Franzosen
gemäß dem Septembervertrag von 1864 den Kirchenstaat räumen und sich
ebenso zum Grundsatz der Nichteinmischung bekennen sollten, wie Napoleon mich
dem Frieden von Villcifranca von Österreich verlangt hatte. Auch diese Schwierig¬
keit wurde überwunden. Meuabrea, dem viel am Zustandekommen der Allianz
lag, war mit der einfachen Wiederherstellung des Septembervertrags zufrieden,
kraft dessen sich die Italiener verpflichteten, nach dem Abzug der Franzosen
einen Angriff auf Rom weder zu unternehmen noch zu dulden, und er gab sich
sogar zufrieden, als der Kaiser einen Termin für die Abberufung seiner Truppen
anzusetzen sich weigerte und diesen von der Gewährleistung der Sicherheit des
Papstes abhängig zu machen erklärte. Ende Mai brachte Vimereciti aus Florenz,
der damaligen Hauptstadt Italiens, die Einwilligung des Königs zu diesen Zu¬
geständnissen. Die Tripelallianz gemäß dem österreichischen Vorschlag schien
fertig. „Die einzige wahre Schwierigkeit, telegraphierte Vitzthum am 4. Juni
an Beust, war die römische Frage. Wir haben sie durch Geduld überwunden."
Sie war jedoch erst fertig im geheimen Rat der Unterhändler. Nun, wo es
sich um die Ausfertigung eines Staatsvertrags handelte, mußten auch die Kabinette
zur Mitwissenschaft und zur Mitwirkung gezogen werden, jetzt erst erfuhren die
italienischen Minister von der bisher höchst vertraulich behandelten Sache, und
von ihrer Seite erhob sich nun ein ernstlicher nud nicht zu besiegender Wider¬
stand. Nicht zufrieden mit dem magern Zugeständnis in der römischen Frage,
kamen sie auf den ersten Vorschlag Menabreas zurück: Räumung Roms durch
die Franzosen und Erklärung der Nichteinmischung in die römischen Dinge.
Auch verlangten sie, daß das Werk von 1866 nicht angetastet, die deutsche Ein¬
heit nicht zerstört werden dürfe. Wie freilich diese Bedingung, die den Finanz¬
minister Sella zum Urheber hatte, mit den bekannten Absichten der Haupt-
beteiligten vereinbar war, das blieb ein Geheimnis. Der Kaiser war über die
Hartnäckigkeit, womit die Negierung Viktor Emanuels die Hand nach Rom aus¬
streckte, in hohem Grad aufgebracht. Seine klerikale Umgebung hätte niemals
ein solches Zurückweichen vor der italienischen Revolution geduldet. Durch den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/23>, abgerufen am 14.05.2024.