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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversnche ^863 bis ^870

Minister des Auswärtigen, Marquis von Lavalette, ließ er erklären, daß die
Forderungen der Italiener unannehmbar, und daß die Verhandlungen suspendiert
seien; sie würden von Frankreich wieder aufgenommen werden, wenn sie einen
bessern Erfolg versprachen. "So blieb, sagt W. Busch, der Entwurf zum Drei¬
bund unvollzogen, er war einzig an der römischen Frage gescheitert."

Es folgte eine Stockung, eine Sommerpause. Ju diese Zeit füllt eine
schwere Erkrankung des Kaisers, fallen auch die Neuwahlen zum Gesetzgebenden
Körper, deren Ausfall den Kaiser zu einer Änderung der Verfassung in libe¬
ralem Sinn vermochte. Sobald sich der Kaiser wieder erholt hatte, im Sep¬
tember, wurde zwar nicht die offizielle Verhandlung zwischen den Regierungen,
aber der geheime Schriftwechsel zwischen den drei Höfen noch einmal aufge¬
nommen. Die bisherigen Verabredungen sollten zu einem gewissen Abschluß
gebracht, und soweit sie zu einem Ergebnis geführt hatten, sollte dieses gesichert
werden, als Grundlage für eine künftige Verfolgung des Allianzgedankens. Für
den Augenblick hatte es ja keine Eile. Niemand dachte an eine unmittelbar
bevorstehende kriegerische Entwicklung. Um aber das Einvernehmen den Ein¬
wendungen der Gegner, die es in den Ministerien zu Wie" und zu Florenz
gefunden hatte, zu entziehn, beschränkte man sich darauf, die gegenseitigen Ver¬
pflichtungen in Briefen niederzulegen, die zwischen den drei Souveränen aus¬
getauscht wurden. Mit diesen Monarchenbriefen fand das erste Stadium der
Allianzverhandlnng seinen Abschluß.

Welches war der Inhalt dieser streng geheim gehaltnen Briefe? Es liegt
auf der Hand, daß sie sich im allgemeinen auf der Linie des Vorschlags halten
mußten, den Österreich für die Basis des Dreibunds gemacht hatte, denn auf
dieser Basis waren alle drei Mächte bereit gewesen, das Bündnis abzuschließen,
wenn nicht die Auswerfung der römischen Frage dazwischen gekommen wäre.
Beust sagt in seinen Denkwürdigkeiten über diese Briefe: Das Einvernehmen
hatte einen defensiven und vollkommen friedlichen Charakter. In allen diplo¬
matische" Fragen sollte eine gemeinsame Politik stattfinden. Die einzige Ver¬
pflichtung, die daraus folgte, bestand in dem gegenseitigen Versprechen, sich mit
einer dritten Macht nicht ohne Wissen der andern ins Benehmen zu setze".
Das klingt unschuldig genug. Man ist aber über den Inhalt der Mvnarchen-
briefe jetzt näher unterrichtet, seitdem wenigstens einer davon, der des Königs
Viktor Emanuel an den Kaiser Napoleon, vor kurzem ans Licht gekommen ist,
und da dieser Brief meines Wissens in deutschen Publikationen noch nicht auf¬
genommen ist, möge er hier im Wortlaut folgen.


Mein Herr Bruder,

Ich danke Eurer Majestät für den Beweis von Vertrauen, den Sie mir durch
die Mitteilung der Betrachtungen gewährten, die Ihnen dnrch den gegenwärtigen
Zustand Europas eingegeben sind. Die Unsicherheit, die allerwnrts herrscht und
an der Dauerhaftigkeit des Friedens zweifeln läßt, die Besorgnis vor Ereignisse",
die das Gleichgewicht Europas stören könnten, sind geeignet, die Souveräne ernst¬
lich zu beschäftigen, und ich finde es sehr natürlich, daß die, die eine Interessen-


Frankreichs Allianzversnche ^863 bis ^870

Minister des Auswärtigen, Marquis von Lavalette, ließ er erklären, daß die
Forderungen der Italiener unannehmbar, und daß die Verhandlungen suspendiert
seien; sie würden von Frankreich wieder aufgenommen werden, wenn sie einen
bessern Erfolg versprachen. „So blieb, sagt W. Busch, der Entwurf zum Drei¬
bund unvollzogen, er war einzig an der römischen Frage gescheitert."

Es folgte eine Stockung, eine Sommerpause. Ju diese Zeit füllt eine
schwere Erkrankung des Kaisers, fallen auch die Neuwahlen zum Gesetzgebenden
Körper, deren Ausfall den Kaiser zu einer Änderung der Verfassung in libe¬
ralem Sinn vermochte. Sobald sich der Kaiser wieder erholt hatte, im Sep¬
tember, wurde zwar nicht die offizielle Verhandlung zwischen den Regierungen,
aber der geheime Schriftwechsel zwischen den drei Höfen noch einmal aufge¬
nommen. Die bisherigen Verabredungen sollten zu einem gewissen Abschluß
gebracht, und soweit sie zu einem Ergebnis geführt hatten, sollte dieses gesichert
werden, als Grundlage für eine künftige Verfolgung des Allianzgedankens. Für
den Augenblick hatte es ja keine Eile. Niemand dachte an eine unmittelbar
bevorstehende kriegerische Entwicklung. Um aber das Einvernehmen den Ein¬
wendungen der Gegner, die es in den Ministerien zu Wie» und zu Florenz
gefunden hatte, zu entziehn, beschränkte man sich darauf, die gegenseitigen Ver¬
pflichtungen in Briefen niederzulegen, die zwischen den drei Souveränen aus¬
getauscht wurden. Mit diesen Monarchenbriefen fand das erste Stadium der
Allianzverhandlnng seinen Abschluß.

Welches war der Inhalt dieser streng geheim gehaltnen Briefe? Es liegt
auf der Hand, daß sie sich im allgemeinen auf der Linie des Vorschlags halten
mußten, den Österreich für die Basis des Dreibunds gemacht hatte, denn auf
dieser Basis waren alle drei Mächte bereit gewesen, das Bündnis abzuschließen,
wenn nicht die Auswerfung der römischen Frage dazwischen gekommen wäre.
Beust sagt in seinen Denkwürdigkeiten über diese Briefe: Das Einvernehmen
hatte einen defensiven und vollkommen friedlichen Charakter. In allen diplo¬
matische» Fragen sollte eine gemeinsame Politik stattfinden. Die einzige Ver¬
pflichtung, die daraus folgte, bestand in dem gegenseitigen Versprechen, sich mit
einer dritten Macht nicht ohne Wissen der andern ins Benehmen zu setze».
Das klingt unschuldig genug. Man ist aber über den Inhalt der Mvnarchen-
briefe jetzt näher unterrichtet, seitdem wenigstens einer davon, der des Königs
Viktor Emanuel an den Kaiser Napoleon, vor kurzem ans Licht gekommen ist,
und da dieser Brief meines Wissens in deutschen Publikationen noch nicht auf¬
genommen ist, möge er hier im Wortlaut folgen.


Mein Herr Bruder,

Ich danke Eurer Majestät für den Beweis von Vertrauen, den Sie mir durch
die Mitteilung der Betrachtungen gewährten, die Ihnen dnrch den gegenwärtigen
Zustand Europas eingegeben sind. Die Unsicherheit, die allerwnrts herrscht und
an der Dauerhaftigkeit des Friedens zweifeln läßt, die Besorgnis vor Ereignisse»,
die das Gleichgewicht Europas stören könnten, sind geeignet, die Souveräne ernst¬
lich zu beschäftigen, und ich finde es sehr natürlich, daß die, die eine Interessen-


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[0024] Frankreichs Allianzversnche ^863 bis ^870 Minister des Auswärtigen, Marquis von Lavalette, ließ er erklären, daß die Forderungen der Italiener unannehmbar, und daß die Verhandlungen suspendiert seien; sie würden von Frankreich wieder aufgenommen werden, wenn sie einen bessern Erfolg versprachen. „So blieb, sagt W. Busch, der Entwurf zum Drei¬ bund unvollzogen, er war einzig an der römischen Frage gescheitert." Es folgte eine Stockung, eine Sommerpause. Ju diese Zeit füllt eine schwere Erkrankung des Kaisers, fallen auch die Neuwahlen zum Gesetzgebenden Körper, deren Ausfall den Kaiser zu einer Änderung der Verfassung in libe¬ ralem Sinn vermochte. Sobald sich der Kaiser wieder erholt hatte, im Sep¬ tember, wurde zwar nicht die offizielle Verhandlung zwischen den Regierungen, aber der geheime Schriftwechsel zwischen den drei Höfen noch einmal aufge¬ nommen. Die bisherigen Verabredungen sollten zu einem gewissen Abschluß gebracht, und soweit sie zu einem Ergebnis geführt hatten, sollte dieses gesichert werden, als Grundlage für eine künftige Verfolgung des Allianzgedankens. Für den Augenblick hatte es ja keine Eile. Niemand dachte an eine unmittelbar bevorstehende kriegerische Entwicklung. Um aber das Einvernehmen den Ein¬ wendungen der Gegner, die es in den Ministerien zu Wie» und zu Florenz gefunden hatte, zu entziehn, beschränkte man sich darauf, die gegenseitigen Ver¬ pflichtungen in Briefen niederzulegen, die zwischen den drei Souveränen aus¬ getauscht wurden. Mit diesen Monarchenbriefen fand das erste Stadium der Allianzverhandlnng seinen Abschluß. Welches war der Inhalt dieser streng geheim gehaltnen Briefe? Es liegt auf der Hand, daß sie sich im allgemeinen auf der Linie des Vorschlags halten mußten, den Österreich für die Basis des Dreibunds gemacht hatte, denn auf dieser Basis waren alle drei Mächte bereit gewesen, das Bündnis abzuschließen, wenn nicht die Auswerfung der römischen Frage dazwischen gekommen wäre. Beust sagt in seinen Denkwürdigkeiten über diese Briefe: Das Einvernehmen hatte einen defensiven und vollkommen friedlichen Charakter. In allen diplo¬ matische» Fragen sollte eine gemeinsame Politik stattfinden. Die einzige Ver¬ pflichtung, die daraus folgte, bestand in dem gegenseitigen Versprechen, sich mit einer dritten Macht nicht ohne Wissen der andern ins Benehmen zu setze». Das klingt unschuldig genug. Man ist aber über den Inhalt der Mvnarchen- briefe jetzt näher unterrichtet, seitdem wenigstens einer davon, der des Königs Viktor Emanuel an den Kaiser Napoleon, vor kurzem ans Licht gekommen ist, und da dieser Brief meines Wissens in deutschen Publikationen noch nicht auf¬ genommen ist, möge er hier im Wortlaut folgen. Mein Herr Bruder, Ich danke Eurer Majestät für den Beweis von Vertrauen, den Sie mir durch die Mitteilung der Betrachtungen gewährten, die Ihnen dnrch den gegenwärtigen Zustand Europas eingegeben sind. Die Unsicherheit, die allerwnrts herrscht und an der Dauerhaftigkeit des Friedens zweifeln läßt, die Besorgnis vor Ereignisse», die das Gleichgewicht Europas stören könnten, sind geeignet, die Souveräne ernst¬ lich zu beschäftigen, und ich finde es sehr natürlich, daß die, die eine Interessen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/24>, abgerufen am 14.05.2024.