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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Aber freilich, wer soll eine solche Aufgabe losen? Von vornherein wird
niemand, der die verschiednen Verhandlungen des Landtags über die Neuordnung
des höhern Verwaltungsdienstes von den sechziger und siebziger Jahren an
verfolgt hat, zweifelhaft sein, daß aus der Volksvertretung heraus die Besserung
nicht kommen wird. Ebensowenig wird er aber zweifeln können, daß der Land¬
tag einem abgerundeten, logisch und sachgemäß aufgebauten Vorschlag der Regie¬
rung keine Schwierigkeiten machen würde. Aber da haperts. Die höhere Bureau¬
kratie wird nie imstande sein, einen solchen Vorschlag zu machen; dafür ist sie
viel zu sehr mit Juristen durchsetzt und in unmittelbarer weiterer Folge dieses
Umstands viel zu uneinig unter sich. Diese Uneinigkeit, das muß endlich einmal
vor dem Lande gesagt werden, ist der wirkliche und einzige Grund, der bisher
verhindert hat, daß einmal ganze Arbeit gemacht werden konnte. Sonst würde
zweifellos der treffliche Mann, der bisher an der Spitze des Ressorts des Innern
stand, etwas andres zustande gebracht haben als das Gesetz vom 10. August
1906. An einer umfassenden Neuregelung der Vor- und Ausbildung für den
höhern Verwaltungsdienst würden mindestens vier Ministerien beteiligt sein, die
des Innern, der Finanzen, des Kultus und der Justiz, vielleicht sogar noch das
Landwirtschaftsnnnisterium. Eine solche Vielheit von Ministerien unter einen
Hut zu bringen, ist heutzutage schier unmöglich. Es ist also der alte Krebs¬
schaden am Körper des preußischen Staats, der Krieg der Departements, wie
Treitschke sagt, der Nessortpartikularismus, wie man es schamhaft in den beteiligten
Kreisen selbst nennt, der hier sozusagen im Mittelpunkt des Staatslebens die
Gesundung verhindert.

Da bleibt denn nur die Hoffnung, daß sich ein Mann finde, der mehr
Macht hat als die Bureaukratie und das große Werk in die Hand nehme.
Und möge eine gnädige Vorsehung ihn uns bald schenken. Die größte Gefahr
ist im Verzug. Wer kann wissen, ob nicht die preußischen Verwaltungsbeamten
schon in kurzem vor die Aufgabe gestellt sein werden, die ihre Vorgänger in
den Jahren nach dem siebenjährigen Krieg und nach den Befreiungskriegen zu
lösen hatten, einen durch einen Kampf auf Leben und Tod bis in die tiefsten
Wurzeln seines Daseins und seiner Kraft erschütterten und erschöpften Staat
wieder aufzurichten? Und werden wir dazu ebenso befähigt sein wie jene?
Wenn uns aber eine solche Schickung erspart bleiben sollte, dann droht der
innern Verwaltung das Schicksal ihrer jüngern Schwester, der Kolonialverwaltung,
ein Zusammenbruch von innen heraus, wenn nicht bald eine gründliche Änderung
kommt. Das ist die Überzeugung aller Verwaltungsbeamten, die bekümmerten
Herzens die Entwicklung des höhern Verwaltungsdienstes in den letzten Jahr¬
zehnten verfolgt haben-




Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

Aber freilich, wer soll eine solche Aufgabe losen? Von vornherein wird
niemand, der die verschiednen Verhandlungen des Landtags über die Neuordnung
des höhern Verwaltungsdienstes von den sechziger und siebziger Jahren an
verfolgt hat, zweifelhaft sein, daß aus der Volksvertretung heraus die Besserung
nicht kommen wird. Ebensowenig wird er aber zweifeln können, daß der Land¬
tag einem abgerundeten, logisch und sachgemäß aufgebauten Vorschlag der Regie¬
rung keine Schwierigkeiten machen würde. Aber da haperts. Die höhere Bureau¬
kratie wird nie imstande sein, einen solchen Vorschlag zu machen; dafür ist sie
viel zu sehr mit Juristen durchsetzt und in unmittelbarer weiterer Folge dieses
Umstands viel zu uneinig unter sich. Diese Uneinigkeit, das muß endlich einmal
vor dem Lande gesagt werden, ist der wirkliche und einzige Grund, der bisher
verhindert hat, daß einmal ganze Arbeit gemacht werden konnte. Sonst würde
zweifellos der treffliche Mann, der bisher an der Spitze des Ressorts des Innern
stand, etwas andres zustande gebracht haben als das Gesetz vom 10. August
1906. An einer umfassenden Neuregelung der Vor- und Ausbildung für den
höhern Verwaltungsdienst würden mindestens vier Ministerien beteiligt sein, die
des Innern, der Finanzen, des Kultus und der Justiz, vielleicht sogar noch das
Landwirtschaftsnnnisterium. Eine solche Vielheit von Ministerien unter einen
Hut zu bringen, ist heutzutage schier unmöglich. Es ist also der alte Krebs¬
schaden am Körper des preußischen Staats, der Krieg der Departements, wie
Treitschke sagt, der Nessortpartikularismus, wie man es schamhaft in den beteiligten
Kreisen selbst nennt, der hier sozusagen im Mittelpunkt des Staatslebens die
Gesundung verhindert.

Da bleibt denn nur die Hoffnung, daß sich ein Mann finde, der mehr
Macht hat als die Bureaukratie und das große Werk in die Hand nehme.
Und möge eine gnädige Vorsehung ihn uns bald schenken. Die größte Gefahr
ist im Verzug. Wer kann wissen, ob nicht die preußischen Verwaltungsbeamten
schon in kurzem vor die Aufgabe gestellt sein werden, die ihre Vorgänger in
den Jahren nach dem siebenjährigen Krieg und nach den Befreiungskriegen zu
lösen hatten, einen durch einen Kampf auf Leben und Tod bis in die tiefsten
Wurzeln seines Daseins und seiner Kraft erschütterten und erschöpften Staat
wieder aufzurichten? Und werden wir dazu ebenso befähigt sein wie jene?
Wenn uns aber eine solche Schickung erspart bleiben sollte, dann droht der
innern Verwaltung das Schicksal ihrer jüngern Schwester, der Kolonialverwaltung,
ein Zusammenbruch von innen heraus, wenn nicht bald eine gründliche Änderung
kommt. Das ist die Überzeugung aller Verwaltungsbeamten, die bekümmerten
Herzens die Entwicklung des höhern Verwaltungsdienstes in den letzten Jahr¬
zehnten verfolgt haben-




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[0244] Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen Aber freilich, wer soll eine solche Aufgabe losen? Von vornherein wird niemand, der die verschiednen Verhandlungen des Landtags über die Neuordnung des höhern Verwaltungsdienstes von den sechziger und siebziger Jahren an verfolgt hat, zweifelhaft sein, daß aus der Volksvertretung heraus die Besserung nicht kommen wird. Ebensowenig wird er aber zweifeln können, daß der Land¬ tag einem abgerundeten, logisch und sachgemäß aufgebauten Vorschlag der Regie¬ rung keine Schwierigkeiten machen würde. Aber da haperts. Die höhere Bureau¬ kratie wird nie imstande sein, einen solchen Vorschlag zu machen; dafür ist sie viel zu sehr mit Juristen durchsetzt und in unmittelbarer weiterer Folge dieses Umstands viel zu uneinig unter sich. Diese Uneinigkeit, das muß endlich einmal vor dem Lande gesagt werden, ist der wirkliche und einzige Grund, der bisher verhindert hat, daß einmal ganze Arbeit gemacht werden konnte. Sonst würde zweifellos der treffliche Mann, der bisher an der Spitze des Ressorts des Innern stand, etwas andres zustande gebracht haben als das Gesetz vom 10. August 1906. An einer umfassenden Neuregelung der Vor- und Ausbildung für den höhern Verwaltungsdienst würden mindestens vier Ministerien beteiligt sein, die des Innern, der Finanzen, des Kultus und der Justiz, vielleicht sogar noch das Landwirtschaftsnnnisterium. Eine solche Vielheit von Ministerien unter einen Hut zu bringen, ist heutzutage schier unmöglich. Es ist also der alte Krebs¬ schaden am Körper des preußischen Staats, der Krieg der Departements, wie Treitschke sagt, der Nessortpartikularismus, wie man es schamhaft in den beteiligten Kreisen selbst nennt, der hier sozusagen im Mittelpunkt des Staatslebens die Gesundung verhindert. Da bleibt denn nur die Hoffnung, daß sich ein Mann finde, der mehr Macht hat als die Bureaukratie und das große Werk in die Hand nehme. Und möge eine gnädige Vorsehung ihn uns bald schenken. Die größte Gefahr ist im Verzug. Wer kann wissen, ob nicht die preußischen Verwaltungsbeamten schon in kurzem vor die Aufgabe gestellt sein werden, die ihre Vorgänger in den Jahren nach dem siebenjährigen Krieg und nach den Befreiungskriegen zu lösen hatten, einen durch einen Kampf auf Leben und Tod bis in die tiefsten Wurzeln seines Daseins und seiner Kraft erschütterten und erschöpften Staat wieder aufzurichten? Und werden wir dazu ebenso befähigt sein wie jene? Wenn uns aber eine solche Schickung erspart bleiben sollte, dann droht der innern Verwaltung das Schicksal ihrer jüngern Schwester, der Kolonialverwaltung, ein Zusammenbruch von innen heraus, wenn nicht bald eine gründliche Änderung kommt. Das ist die Überzeugung aller Verwaltungsbeamten, die bekümmerten Herzens die Entwicklung des höhern Verwaltungsdienstes in den letzten Jahr¬ zehnten verfolgt haben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/244>, abgerufen am 16.05.2024.