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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Wohnzimmer

schon an sich eine Quelle des Genusses für den Besucher. Möchten nur recht
viele solche im edelsten Sinne Stil- und stimmungsvolle Räume entstehn.

Unsre Wohnung aber soll unsrer Person entsprechen und ihr allein
dienen.

Nun ist keine Persönlichkeit ganz söUmaäo; wir sind alle Glieder zwischen
Vorfahren und Nachkommen. Früher fand das deutlichen Ausdruck in Wohnung
und Kleidung. Dem letztern hat "die Mode" ein Ende gemacht, und aus
einem Extrem ist ein andres geworden: früher gingen Enkel und Urenkel nach
dem Schnitt ihrer Ahnen gekleidet, einerlei, ob er ihnen saß und zusagte; jetzt
hat man sich jedes Jahr anders zu kleiden, einerlei, ob einem das Alte besser
Paßt und gefällt! In der Wohnung aber sich von Besitz und Gebrauch der
Voreltern völlig loszulösen wirkt unvornehm und auch unheimatlich. Was
ist heimeliger als die Stuben der Großeltern mit ihren hellen eingelegten
Möbeln, Silhouetten in glattem Rahmen an der Wand? oder dem gediegnen
Mahagonigerät mit seinem warmen Farbton, gehoben durch bronzene Beschläge,
Uhren, Leuchter? Und warum ist das alles so traulich? Weil es der deutliche
und entsprechende Ausdruck jener Zeit und jener Menschen war, und weil es
solid, aus schönem Material gearbeitet war. Darum überdauerte es Generationen,
und zu den übrigen Vorzügen kommt noch der Zauber der Erinnerung -- ein
wahrlich nicht zu unterschätzendes Moment bei dem Heimatgefühl, das man
in seinen vier Wänden sucht. Die spätere Zeit dagegen -- unruhiger, un¬
solider, geschmackloser -- sah mehr auf neuen und vielen als auf einfachen
und zweckmüßigen Hausrat. Jeder wollte alles haben wie sein Nachbar,
deshalb waren zeitweilig alle Wohnungen mit Plüschsofas, Vertikows und
Büfetts überschwemmt. Nach zwanzig, dreißig Jahren verloren diese schlecht
und rasch gearbeiteten billigen Sachen Ansehen und Gebrauchsfähigkeit; die
Kinder waren dann froh, wenn sie den alten Kram los wurden, und -- fingen
das Stück von vorn an.

Diese Art, "die Mode" auch über das weitere Kleid, unsre Wohnung,
herrschen zu lassen, ist also ebenso unpraktisch wie häßlich und unvornehm.
Sie wird nur vermieden, wenn bei Neueinrichtungen oder -anschaffungen nicht
alles "neu" sein soll und also nicht einfach nach stilgerechten Katalog ver¬
fahren wird; sondern wenn man zunächst von alten Stücken behält, was
brauchbar und in sich stilvoll ist; es ist nicht Geschmack, sondern Geschmack¬
losigkeit, sie wegzutun, bloß weil sie "altmodisch" sind. Vor allem aber
sollte man darauf sehen, daß jedes neue Stück, das man anschafft, in schönem
Holz und einfachen Linien hergestellt sei und seinen eigensten Zweck möglichst
vollkommen erfüllt. Damit ist der Grund zu einer wahrhaft harmonischen
und schönen Einrichtung gelegt. Denn was ist schließlich Stil und Schönheit
bei einem Möbel? Man könnte sagen Aufrichtigkeit, daß es seinen Zweck
erfüllt und nichts andres vorstellen will, als es ist. Ein Schrank zum Bei¬
spiel ist ein Ding, das zum Aufbewahren von Kleidern oder Geschirr oder


Unsre Wohnzimmer

schon an sich eine Quelle des Genusses für den Besucher. Möchten nur recht
viele solche im edelsten Sinne Stil- und stimmungsvolle Räume entstehn.

Unsre Wohnung aber soll unsrer Person entsprechen und ihr allein
dienen.

Nun ist keine Persönlichkeit ganz söUmaäo; wir sind alle Glieder zwischen
Vorfahren und Nachkommen. Früher fand das deutlichen Ausdruck in Wohnung
und Kleidung. Dem letztern hat „die Mode" ein Ende gemacht, und aus
einem Extrem ist ein andres geworden: früher gingen Enkel und Urenkel nach
dem Schnitt ihrer Ahnen gekleidet, einerlei, ob er ihnen saß und zusagte; jetzt
hat man sich jedes Jahr anders zu kleiden, einerlei, ob einem das Alte besser
Paßt und gefällt! In der Wohnung aber sich von Besitz und Gebrauch der
Voreltern völlig loszulösen wirkt unvornehm und auch unheimatlich. Was
ist heimeliger als die Stuben der Großeltern mit ihren hellen eingelegten
Möbeln, Silhouetten in glattem Rahmen an der Wand? oder dem gediegnen
Mahagonigerät mit seinem warmen Farbton, gehoben durch bronzene Beschläge,
Uhren, Leuchter? Und warum ist das alles so traulich? Weil es der deutliche
und entsprechende Ausdruck jener Zeit und jener Menschen war, und weil es
solid, aus schönem Material gearbeitet war. Darum überdauerte es Generationen,
und zu den übrigen Vorzügen kommt noch der Zauber der Erinnerung — ein
wahrlich nicht zu unterschätzendes Moment bei dem Heimatgefühl, das man
in seinen vier Wänden sucht. Die spätere Zeit dagegen — unruhiger, un¬
solider, geschmackloser — sah mehr auf neuen und vielen als auf einfachen
und zweckmüßigen Hausrat. Jeder wollte alles haben wie sein Nachbar,
deshalb waren zeitweilig alle Wohnungen mit Plüschsofas, Vertikows und
Büfetts überschwemmt. Nach zwanzig, dreißig Jahren verloren diese schlecht
und rasch gearbeiteten billigen Sachen Ansehen und Gebrauchsfähigkeit; die
Kinder waren dann froh, wenn sie den alten Kram los wurden, und — fingen
das Stück von vorn an.

Diese Art, „die Mode" auch über das weitere Kleid, unsre Wohnung,
herrschen zu lassen, ist also ebenso unpraktisch wie häßlich und unvornehm.
Sie wird nur vermieden, wenn bei Neueinrichtungen oder -anschaffungen nicht
alles „neu" sein soll und also nicht einfach nach stilgerechten Katalog ver¬
fahren wird; sondern wenn man zunächst von alten Stücken behält, was
brauchbar und in sich stilvoll ist; es ist nicht Geschmack, sondern Geschmack¬
losigkeit, sie wegzutun, bloß weil sie „altmodisch" sind. Vor allem aber
sollte man darauf sehen, daß jedes neue Stück, das man anschafft, in schönem
Holz und einfachen Linien hergestellt sei und seinen eigensten Zweck möglichst
vollkommen erfüllt. Damit ist der Grund zu einer wahrhaft harmonischen
und schönen Einrichtung gelegt. Denn was ist schließlich Stil und Schönheit
bei einem Möbel? Man könnte sagen Aufrichtigkeit, daß es seinen Zweck
erfüllt und nichts andres vorstellen will, als es ist. Ein Schrank zum Bei¬
spiel ist ein Ding, das zum Aufbewahren von Kleidern oder Geschirr oder


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[0361] Unsre Wohnzimmer schon an sich eine Quelle des Genusses für den Besucher. Möchten nur recht viele solche im edelsten Sinne Stil- und stimmungsvolle Räume entstehn. Unsre Wohnung aber soll unsrer Person entsprechen und ihr allein dienen. Nun ist keine Persönlichkeit ganz söUmaäo; wir sind alle Glieder zwischen Vorfahren und Nachkommen. Früher fand das deutlichen Ausdruck in Wohnung und Kleidung. Dem letztern hat „die Mode" ein Ende gemacht, und aus einem Extrem ist ein andres geworden: früher gingen Enkel und Urenkel nach dem Schnitt ihrer Ahnen gekleidet, einerlei, ob er ihnen saß und zusagte; jetzt hat man sich jedes Jahr anders zu kleiden, einerlei, ob einem das Alte besser Paßt und gefällt! In der Wohnung aber sich von Besitz und Gebrauch der Voreltern völlig loszulösen wirkt unvornehm und auch unheimatlich. Was ist heimeliger als die Stuben der Großeltern mit ihren hellen eingelegten Möbeln, Silhouetten in glattem Rahmen an der Wand? oder dem gediegnen Mahagonigerät mit seinem warmen Farbton, gehoben durch bronzene Beschläge, Uhren, Leuchter? Und warum ist das alles so traulich? Weil es der deutliche und entsprechende Ausdruck jener Zeit und jener Menschen war, und weil es solid, aus schönem Material gearbeitet war. Darum überdauerte es Generationen, und zu den übrigen Vorzügen kommt noch der Zauber der Erinnerung — ein wahrlich nicht zu unterschätzendes Moment bei dem Heimatgefühl, das man in seinen vier Wänden sucht. Die spätere Zeit dagegen — unruhiger, un¬ solider, geschmackloser — sah mehr auf neuen und vielen als auf einfachen und zweckmüßigen Hausrat. Jeder wollte alles haben wie sein Nachbar, deshalb waren zeitweilig alle Wohnungen mit Plüschsofas, Vertikows und Büfetts überschwemmt. Nach zwanzig, dreißig Jahren verloren diese schlecht und rasch gearbeiteten billigen Sachen Ansehen und Gebrauchsfähigkeit; die Kinder waren dann froh, wenn sie den alten Kram los wurden, und — fingen das Stück von vorn an. Diese Art, „die Mode" auch über das weitere Kleid, unsre Wohnung, herrschen zu lassen, ist also ebenso unpraktisch wie häßlich und unvornehm. Sie wird nur vermieden, wenn bei Neueinrichtungen oder -anschaffungen nicht alles „neu" sein soll und also nicht einfach nach stilgerechten Katalog ver¬ fahren wird; sondern wenn man zunächst von alten Stücken behält, was brauchbar und in sich stilvoll ist; es ist nicht Geschmack, sondern Geschmack¬ losigkeit, sie wegzutun, bloß weil sie „altmodisch" sind. Vor allem aber sollte man darauf sehen, daß jedes neue Stück, das man anschafft, in schönem Holz und einfachen Linien hergestellt sei und seinen eigensten Zweck möglichst vollkommen erfüllt. Damit ist der Grund zu einer wahrhaft harmonischen und schönen Einrichtung gelegt. Denn was ist schließlich Stil und Schönheit bei einem Möbel? Man könnte sagen Aufrichtigkeit, daß es seinen Zweck erfüllt und nichts andres vorstellen will, als es ist. Ein Schrank zum Bei¬ spiel ist ein Ding, das zum Aufbewahren von Kleidern oder Geschirr oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/361>, abgerufen am 31.05.2024.