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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Antiquar

Tisch, auf dem eine Gipsnachbildung der Laokoongruppe stand, und sah über ein
aufgeschlagnes Buch hinweg den Beschauer mit sinnig-gedankenvollen Ausdruck an.

Numero zwei, Frau Minna Krause, bekannte sich zu einem Alter von vier¬
unddreißig Jahren; sie war die Witwe eines Buchdruckereibesitzers (vier Handpressen,
zwei Tiegeldruckpressen, zwei Accidenzmaschinen von König und Bauer), in der
Korrespondenz erfahren, mit buchhändlerischen Verhältnissen nicht ganz unbekannt
und nebenbei eine perfekte Köchin. Sie konnte ihren herzensgute", vor vierzehn
Monaten verstorbnen Mann immer noch nicht vergessen, war aber im übrigen
heitern Gemüts und hatte eine unbezähmbare Leidenschaft für gute Lektüre. Ihre
Druckerei wurde durch einen tüchtigen Faktor geleitet, sie selbst war völlig unab¬
hängig und jederzeit zu einer persönlichen Vorstellung bereit. Auf dem Bilde
(Kabinettformat) präsentierte sie sich als eine untersetzte üppige Blondine mit
lachenden Augen, Stumpfnäschen und "Wuschelkopf".

Den sehr verschiedenartigen Reizen, die mit Hilfe dieser beiden Offerten auf
ihn einstürmten, war Herr Polykarp Seyler nicht gewachsen. Er hätte sich gern
kurzerhand für eine der beiden Schönen entschieden, aber wenn er die Stirnlöckchen
gegen den Wuschelkopf, den sinnig-gedankenvollen Blick gegen die lachenden Augen,
die Rente gegen die Accideuzmaschinen, die vornehme Schlankheit gegen die verlockende
Fülle, den Laokoon gegen die Passion für gute Lektüre abwog, so hielten alle diese
Vorzüge einander die Wage, und er war nach mehrfach wiederholter reiflicher Er¬
wägung, welcher der beiden Konkurrentinnen er die Palme zuerkennen solle, so klug
wie zuvor. Käthchen, die ihm aus seinem Dilemma helfen sollte, hielt mit ihrem
Urteil vorsichtig zurück und meinte, der Onkel solle sich bei seiner Wahl einzig und
allein durch die Stimme seines Herzens leiten lassen.

Unserm Freunde blieb also nichts weiter übrig, als seine beiden Kandidatinnen
zu einem Rendezvous zu bestellen und so aus deu Coeurdamen zunächst Treffdamen
zu machen, wobei er freilich Gefahr lief, eine davon, indem er sich für die andre
entschied, schließlich in eine Pikdame zu verwandeln. Aus seiner Anonymität heraus¬
zutreten beabsichtigte er zunächst nicht, und mehr als ein paar Nachmittagstunden
auf die Introduktion seines Liebesfrühlings verwenden mochte er auch nicht, dazu
war ihm die Zeit zu kostbar, und außerdem war der Andrang der Kunden jetzt
immer so groß, daß Seyler eigentlich keine Minute abkömmlich war. Er fand
deshalb den Ausweg, Fräulein Rosalie auf nächsten Mittwoch, Nachmittags vier
Uhr, und Frau Minna auf denselben Tag, fünf Uhr, nach Neichenbachs Hof zu
bestellen. Jede sollte langsam durch deu Hof promenieren und als Erkennungszeichen
ein weißes Taschentuch in der Hand tragen. Der Herr, der ihre Bekanntschaft zu
machen wünschte, werde ebenfalls an einem weißen Taschentuch kenntlich sein.

Der Mittwoch kam, und mit ihm pünktlich um vier Fräulein Rosalie Schott.
Der Antiquar hatte einen Kunden, der ihn aufzuhalten drohte, geschwinder, als es
sonst seine Art war, abgefertigt, stand nun, das Weiße Taschentuch in der Hand,
vor Aufregung zitternd hinter den Kupferstichen seines Schaufensters und musterte
mit Falkenblick alle Vertreterinnen des schönen Geschlechts, die den langen, schmalen
Hof passierten. Da plötzlich tauchte das ersehnte Erkennungszeichen auf, getragen
von einer Dame, die keine andre als Fräulein Rosalie sein konnte, die aber noch
ein gut Teil schlanker, um nicht zu sagen: magerer und eckiger war, als man nach
der Photographie hätte annehmen können. Sie wandelte so stolz, würdevoll und
siegesbewußt dahin, als schmücke der väterliche Kronenorden auch ihre jungfräuliche
Brust; in ihrem Antlitz war jedoch, was Seyler durchaus erklärlich fand, in diesem
Augenblick von dem sinnig-gedankenvollen Ausdruck, der ihn auf dem Bilde so be¬
zaubert hatte, nicht viel zu bemerken. Sie sah weder nach rechts noch nach links


Der Antiquar

Tisch, auf dem eine Gipsnachbildung der Laokoongruppe stand, und sah über ein
aufgeschlagnes Buch hinweg den Beschauer mit sinnig-gedankenvollen Ausdruck an.

Numero zwei, Frau Minna Krause, bekannte sich zu einem Alter von vier¬
unddreißig Jahren; sie war die Witwe eines Buchdruckereibesitzers (vier Handpressen,
zwei Tiegeldruckpressen, zwei Accidenzmaschinen von König und Bauer), in der
Korrespondenz erfahren, mit buchhändlerischen Verhältnissen nicht ganz unbekannt
und nebenbei eine perfekte Köchin. Sie konnte ihren herzensgute», vor vierzehn
Monaten verstorbnen Mann immer noch nicht vergessen, war aber im übrigen
heitern Gemüts und hatte eine unbezähmbare Leidenschaft für gute Lektüre. Ihre
Druckerei wurde durch einen tüchtigen Faktor geleitet, sie selbst war völlig unab¬
hängig und jederzeit zu einer persönlichen Vorstellung bereit. Auf dem Bilde
(Kabinettformat) präsentierte sie sich als eine untersetzte üppige Blondine mit
lachenden Augen, Stumpfnäschen und „Wuschelkopf".

Den sehr verschiedenartigen Reizen, die mit Hilfe dieser beiden Offerten auf
ihn einstürmten, war Herr Polykarp Seyler nicht gewachsen. Er hätte sich gern
kurzerhand für eine der beiden Schönen entschieden, aber wenn er die Stirnlöckchen
gegen den Wuschelkopf, den sinnig-gedankenvollen Blick gegen die lachenden Augen,
die Rente gegen die Accideuzmaschinen, die vornehme Schlankheit gegen die verlockende
Fülle, den Laokoon gegen die Passion für gute Lektüre abwog, so hielten alle diese
Vorzüge einander die Wage, und er war nach mehrfach wiederholter reiflicher Er¬
wägung, welcher der beiden Konkurrentinnen er die Palme zuerkennen solle, so klug
wie zuvor. Käthchen, die ihm aus seinem Dilemma helfen sollte, hielt mit ihrem
Urteil vorsichtig zurück und meinte, der Onkel solle sich bei seiner Wahl einzig und
allein durch die Stimme seines Herzens leiten lassen.

Unserm Freunde blieb also nichts weiter übrig, als seine beiden Kandidatinnen
zu einem Rendezvous zu bestellen und so aus deu Coeurdamen zunächst Treffdamen
zu machen, wobei er freilich Gefahr lief, eine davon, indem er sich für die andre
entschied, schließlich in eine Pikdame zu verwandeln. Aus seiner Anonymität heraus¬
zutreten beabsichtigte er zunächst nicht, und mehr als ein paar Nachmittagstunden
auf die Introduktion seines Liebesfrühlings verwenden mochte er auch nicht, dazu
war ihm die Zeit zu kostbar, und außerdem war der Andrang der Kunden jetzt
immer so groß, daß Seyler eigentlich keine Minute abkömmlich war. Er fand
deshalb den Ausweg, Fräulein Rosalie auf nächsten Mittwoch, Nachmittags vier
Uhr, und Frau Minna auf denselben Tag, fünf Uhr, nach Neichenbachs Hof zu
bestellen. Jede sollte langsam durch deu Hof promenieren und als Erkennungszeichen
ein weißes Taschentuch in der Hand tragen. Der Herr, der ihre Bekanntschaft zu
machen wünschte, werde ebenfalls an einem weißen Taschentuch kenntlich sein.

Der Mittwoch kam, und mit ihm pünktlich um vier Fräulein Rosalie Schott.
Der Antiquar hatte einen Kunden, der ihn aufzuhalten drohte, geschwinder, als es
sonst seine Art war, abgefertigt, stand nun, das Weiße Taschentuch in der Hand,
vor Aufregung zitternd hinter den Kupferstichen seines Schaufensters und musterte
mit Falkenblick alle Vertreterinnen des schönen Geschlechts, die den langen, schmalen
Hof passierten. Da plötzlich tauchte das ersehnte Erkennungszeichen auf, getragen
von einer Dame, die keine andre als Fräulein Rosalie sein konnte, die aber noch
ein gut Teil schlanker, um nicht zu sagen: magerer und eckiger war, als man nach
der Photographie hätte annehmen können. Sie wandelte so stolz, würdevoll und
siegesbewußt dahin, als schmücke der väterliche Kronenorden auch ihre jungfräuliche
Brust; in ihrem Antlitz war jedoch, was Seyler durchaus erklärlich fand, in diesem
Augenblick von dem sinnig-gedankenvollen Ausdruck, der ihn auf dem Bilde so be¬
zaubert hatte, nicht viel zu bemerken. Sie sah weder nach rechts noch nach links


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[0432] Der Antiquar Tisch, auf dem eine Gipsnachbildung der Laokoongruppe stand, und sah über ein aufgeschlagnes Buch hinweg den Beschauer mit sinnig-gedankenvollen Ausdruck an. Numero zwei, Frau Minna Krause, bekannte sich zu einem Alter von vier¬ unddreißig Jahren; sie war die Witwe eines Buchdruckereibesitzers (vier Handpressen, zwei Tiegeldruckpressen, zwei Accidenzmaschinen von König und Bauer), in der Korrespondenz erfahren, mit buchhändlerischen Verhältnissen nicht ganz unbekannt und nebenbei eine perfekte Köchin. Sie konnte ihren herzensgute», vor vierzehn Monaten verstorbnen Mann immer noch nicht vergessen, war aber im übrigen heitern Gemüts und hatte eine unbezähmbare Leidenschaft für gute Lektüre. Ihre Druckerei wurde durch einen tüchtigen Faktor geleitet, sie selbst war völlig unab¬ hängig und jederzeit zu einer persönlichen Vorstellung bereit. Auf dem Bilde (Kabinettformat) präsentierte sie sich als eine untersetzte üppige Blondine mit lachenden Augen, Stumpfnäschen und „Wuschelkopf". Den sehr verschiedenartigen Reizen, die mit Hilfe dieser beiden Offerten auf ihn einstürmten, war Herr Polykarp Seyler nicht gewachsen. Er hätte sich gern kurzerhand für eine der beiden Schönen entschieden, aber wenn er die Stirnlöckchen gegen den Wuschelkopf, den sinnig-gedankenvollen Blick gegen die lachenden Augen, die Rente gegen die Accideuzmaschinen, die vornehme Schlankheit gegen die verlockende Fülle, den Laokoon gegen die Passion für gute Lektüre abwog, so hielten alle diese Vorzüge einander die Wage, und er war nach mehrfach wiederholter reiflicher Er¬ wägung, welcher der beiden Konkurrentinnen er die Palme zuerkennen solle, so klug wie zuvor. Käthchen, die ihm aus seinem Dilemma helfen sollte, hielt mit ihrem Urteil vorsichtig zurück und meinte, der Onkel solle sich bei seiner Wahl einzig und allein durch die Stimme seines Herzens leiten lassen. Unserm Freunde blieb also nichts weiter übrig, als seine beiden Kandidatinnen zu einem Rendezvous zu bestellen und so aus deu Coeurdamen zunächst Treffdamen zu machen, wobei er freilich Gefahr lief, eine davon, indem er sich für die andre entschied, schließlich in eine Pikdame zu verwandeln. Aus seiner Anonymität heraus¬ zutreten beabsichtigte er zunächst nicht, und mehr als ein paar Nachmittagstunden auf die Introduktion seines Liebesfrühlings verwenden mochte er auch nicht, dazu war ihm die Zeit zu kostbar, und außerdem war der Andrang der Kunden jetzt immer so groß, daß Seyler eigentlich keine Minute abkömmlich war. Er fand deshalb den Ausweg, Fräulein Rosalie auf nächsten Mittwoch, Nachmittags vier Uhr, und Frau Minna auf denselben Tag, fünf Uhr, nach Neichenbachs Hof zu bestellen. Jede sollte langsam durch deu Hof promenieren und als Erkennungszeichen ein weißes Taschentuch in der Hand tragen. Der Herr, der ihre Bekanntschaft zu machen wünschte, werde ebenfalls an einem weißen Taschentuch kenntlich sein. Der Mittwoch kam, und mit ihm pünktlich um vier Fräulein Rosalie Schott. Der Antiquar hatte einen Kunden, der ihn aufzuhalten drohte, geschwinder, als es sonst seine Art war, abgefertigt, stand nun, das Weiße Taschentuch in der Hand, vor Aufregung zitternd hinter den Kupferstichen seines Schaufensters und musterte mit Falkenblick alle Vertreterinnen des schönen Geschlechts, die den langen, schmalen Hof passierten. Da plötzlich tauchte das ersehnte Erkennungszeichen auf, getragen von einer Dame, die keine andre als Fräulein Rosalie sein konnte, die aber noch ein gut Teil schlanker, um nicht zu sagen: magerer und eckiger war, als man nach der Photographie hätte annehmen können. Sie wandelte so stolz, würdevoll und siegesbewußt dahin, als schmücke der väterliche Kronenorden auch ihre jungfräuliche Brust; in ihrem Antlitz war jedoch, was Seyler durchaus erklärlich fand, in diesem Augenblick von dem sinnig-gedankenvollen Ausdruck, der ihn auf dem Bilde so be¬ zaubert hatte, nicht viel zu bemerken. Sie sah weder nach rechts noch nach links

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/432>, abgerufen am 29.05.2024.