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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzauber

Sie umrankt den Namen und die Entstehungsgeschichte der Burg, indem
sie erklärt, was dem schlichten Volksverstande die Namendeutung zu sein scheint.
"Wart Berg, du sollst mir Burg werden" läßt sie den Landgrafen ausrufen,
da er den Berg bei Eisenach erspäht und passend zum Burgbau findet. Wir
haben es hier mit einer völlig abgegrenzten, reichbesetzten Gruppe von Sagen¬
gebilden zu tun, und es ist nur zu wünschen, daß die zweifellos richtigere
Etymologie nach sprachwissenschaftlichen Grnndsützen nicht den Klang der ein¬
fachen, einfältigen Auslegung der Burgmauer durch das ungelehrte Volk für
immer verwehen läßt. Auch die einzelnen Bauteile der Burg zieht die Sage
in ihren Kreis, indem sie für deren An- und Urraum eine plausible Erklärung
zu schaffen sucht und "Schwalbennest, Seltenleer, Trutz, weiße Rübe, blauer
Storch, Hungerturm" zu deuten sich bemüht.

Aber nicht nur den unbelebten Stein und das tote Metall bespricht sie.
Das gesamte Leben der Burgherren und -mannen, wie es sich in edeln oder
schurkenhaften Taten äußert, spiegelt sich in ihren Überlieferungen. Vor allem
rohe, fleischliche Lust der Ritter führt sie vor, meist und gern mit dem be¬
friedigenden Ausgang, daß den Übeltäter die Strafe des Himmels ereilt. Und
daneben strahlt in der Sage wieder das reine Glück der Ehe des Burgherrn
und seiner Gattin. Liebliche Kinder blühen heran, treue Diener und Mannen
bewachen das Haus als der schönste und beste Wall. Aber die Stunde der
Trübsal kommt auch hier über den Burgweg zu den Menschen. Verleumdung
vergiftet des Burgherrn Herz, er zeiht die Gattin der Untreue, und Tod oder
finsterer Kerker harrt ihrer, sie muß untergehn, wenn nicht ein treuer Diener,
ein Rabe oder sonst ein Retter Speise und Trank bringt, bis ihre Unschuld
an den Tag kommt. Da ist es wohl der Burgkaplan, dem die Sage die
traurige Rolle des Intriganten zuweist. Auch Ammen und Mägde läßt sie
neben der höchsten Treue die Züge der häßlichsten Falschheit an sich tragen.
Standhaftigkeit und Unterliegen der Burgfrau, deren Herr ins Gelobte Land
oder in Fehde gezogen ist, und auf die ein andrer in verbotner Leidenschaft
ein lüstern Auge geworfen hat, ist ein äußerst beliebtes und vielseitig ver¬
arbeitetes Sagenmotiv. Oder wenn jahrelang keine Kunde vom Eheliebsten
kam, macht sich die harrende Gattin auf, um im Heiligen Lande den Geliebten
zu suchen, ihn verkleidet zu befreien und unerkannt über die Zugbrücke der
heimischen Burg zu geleiten.

Auch vor der Doppelehe scheut sie nicht zurück, wenn der Herr im fernen
Osten einer Türkin Herz und Hand geschenkt hat, ein Vorkommnis, das vor
allem in der Sage des Grafen von Gleichen seinen, auch anderwärts vor¬
kommenden Ausdruck findet. Friedlich, heißt es dann, lebten die beiden Frauen
nebeneinander noch lange Zeit.

Aber solche friedliche Tage erfuhren auf den Burgen oft schnelle und
gründliche Trübung. Nicht umsonst spähte der Wächter bei Tag und bei Nacht,
ob nicht Gefahr drohe, Belagerung, Mord und Brand. Dann berichtet die Sage


Burgenzauber

Sie umrankt den Namen und die Entstehungsgeschichte der Burg, indem
sie erklärt, was dem schlichten Volksverstande die Namendeutung zu sein scheint.
„Wart Berg, du sollst mir Burg werden" läßt sie den Landgrafen ausrufen,
da er den Berg bei Eisenach erspäht und passend zum Burgbau findet. Wir
haben es hier mit einer völlig abgegrenzten, reichbesetzten Gruppe von Sagen¬
gebilden zu tun, und es ist nur zu wünschen, daß die zweifellos richtigere
Etymologie nach sprachwissenschaftlichen Grnndsützen nicht den Klang der ein¬
fachen, einfältigen Auslegung der Burgmauer durch das ungelehrte Volk für
immer verwehen läßt. Auch die einzelnen Bauteile der Burg zieht die Sage
in ihren Kreis, indem sie für deren An- und Urraum eine plausible Erklärung
zu schaffen sucht und „Schwalbennest, Seltenleer, Trutz, weiße Rübe, blauer
Storch, Hungerturm" zu deuten sich bemüht.

Aber nicht nur den unbelebten Stein und das tote Metall bespricht sie.
Das gesamte Leben der Burgherren und -mannen, wie es sich in edeln oder
schurkenhaften Taten äußert, spiegelt sich in ihren Überlieferungen. Vor allem
rohe, fleischliche Lust der Ritter führt sie vor, meist und gern mit dem be¬
friedigenden Ausgang, daß den Übeltäter die Strafe des Himmels ereilt. Und
daneben strahlt in der Sage wieder das reine Glück der Ehe des Burgherrn
und seiner Gattin. Liebliche Kinder blühen heran, treue Diener und Mannen
bewachen das Haus als der schönste und beste Wall. Aber die Stunde der
Trübsal kommt auch hier über den Burgweg zu den Menschen. Verleumdung
vergiftet des Burgherrn Herz, er zeiht die Gattin der Untreue, und Tod oder
finsterer Kerker harrt ihrer, sie muß untergehn, wenn nicht ein treuer Diener,
ein Rabe oder sonst ein Retter Speise und Trank bringt, bis ihre Unschuld
an den Tag kommt. Da ist es wohl der Burgkaplan, dem die Sage die
traurige Rolle des Intriganten zuweist. Auch Ammen und Mägde läßt sie
neben der höchsten Treue die Züge der häßlichsten Falschheit an sich tragen.
Standhaftigkeit und Unterliegen der Burgfrau, deren Herr ins Gelobte Land
oder in Fehde gezogen ist, und auf die ein andrer in verbotner Leidenschaft
ein lüstern Auge geworfen hat, ist ein äußerst beliebtes und vielseitig ver¬
arbeitetes Sagenmotiv. Oder wenn jahrelang keine Kunde vom Eheliebsten
kam, macht sich die harrende Gattin auf, um im Heiligen Lande den Geliebten
zu suchen, ihn verkleidet zu befreien und unerkannt über die Zugbrücke der
heimischen Burg zu geleiten.

Auch vor der Doppelehe scheut sie nicht zurück, wenn der Herr im fernen
Osten einer Türkin Herz und Hand geschenkt hat, ein Vorkommnis, das vor
allem in der Sage des Grafen von Gleichen seinen, auch anderwärts vor¬
kommenden Ausdruck findet. Friedlich, heißt es dann, lebten die beiden Frauen
nebeneinander noch lange Zeit.

Aber solche friedliche Tage erfuhren auf den Burgen oft schnelle und
gründliche Trübung. Nicht umsonst spähte der Wächter bei Tag und bei Nacht,
ob nicht Gefahr drohe, Belagerung, Mord und Brand. Dann berichtet die Sage


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[0462] Burgenzauber Sie umrankt den Namen und die Entstehungsgeschichte der Burg, indem sie erklärt, was dem schlichten Volksverstande die Namendeutung zu sein scheint. „Wart Berg, du sollst mir Burg werden" läßt sie den Landgrafen ausrufen, da er den Berg bei Eisenach erspäht und passend zum Burgbau findet. Wir haben es hier mit einer völlig abgegrenzten, reichbesetzten Gruppe von Sagen¬ gebilden zu tun, und es ist nur zu wünschen, daß die zweifellos richtigere Etymologie nach sprachwissenschaftlichen Grnndsützen nicht den Klang der ein¬ fachen, einfältigen Auslegung der Burgmauer durch das ungelehrte Volk für immer verwehen läßt. Auch die einzelnen Bauteile der Burg zieht die Sage in ihren Kreis, indem sie für deren An- und Urraum eine plausible Erklärung zu schaffen sucht und „Schwalbennest, Seltenleer, Trutz, weiße Rübe, blauer Storch, Hungerturm" zu deuten sich bemüht. Aber nicht nur den unbelebten Stein und das tote Metall bespricht sie. Das gesamte Leben der Burgherren und -mannen, wie es sich in edeln oder schurkenhaften Taten äußert, spiegelt sich in ihren Überlieferungen. Vor allem rohe, fleischliche Lust der Ritter führt sie vor, meist und gern mit dem be¬ friedigenden Ausgang, daß den Übeltäter die Strafe des Himmels ereilt. Und daneben strahlt in der Sage wieder das reine Glück der Ehe des Burgherrn und seiner Gattin. Liebliche Kinder blühen heran, treue Diener und Mannen bewachen das Haus als der schönste und beste Wall. Aber die Stunde der Trübsal kommt auch hier über den Burgweg zu den Menschen. Verleumdung vergiftet des Burgherrn Herz, er zeiht die Gattin der Untreue, und Tod oder finsterer Kerker harrt ihrer, sie muß untergehn, wenn nicht ein treuer Diener, ein Rabe oder sonst ein Retter Speise und Trank bringt, bis ihre Unschuld an den Tag kommt. Da ist es wohl der Burgkaplan, dem die Sage die traurige Rolle des Intriganten zuweist. Auch Ammen und Mägde läßt sie neben der höchsten Treue die Züge der häßlichsten Falschheit an sich tragen. Standhaftigkeit und Unterliegen der Burgfrau, deren Herr ins Gelobte Land oder in Fehde gezogen ist, und auf die ein andrer in verbotner Leidenschaft ein lüstern Auge geworfen hat, ist ein äußerst beliebtes und vielseitig ver¬ arbeitetes Sagenmotiv. Oder wenn jahrelang keine Kunde vom Eheliebsten kam, macht sich die harrende Gattin auf, um im Heiligen Lande den Geliebten zu suchen, ihn verkleidet zu befreien und unerkannt über die Zugbrücke der heimischen Burg zu geleiten. Auch vor der Doppelehe scheut sie nicht zurück, wenn der Herr im fernen Osten einer Türkin Herz und Hand geschenkt hat, ein Vorkommnis, das vor allem in der Sage des Grafen von Gleichen seinen, auch anderwärts vor¬ kommenden Ausdruck findet. Friedlich, heißt es dann, lebten die beiden Frauen nebeneinander noch lange Zeit. Aber solche friedliche Tage erfuhren auf den Burgen oft schnelle und gründliche Trübung. Nicht umsonst spähte der Wächter bei Tag und bei Nacht, ob nicht Gefahr drohe, Belagerung, Mord und Brand. Dann berichtet die Sage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/462>, abgerufen am 15.05.2024.