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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Burgenzauber

Von Wundern der Tapferkeit, Ausdauer, aber auch von feigem Verrat und
köstlichen Stücken von allerlei List, um dem Belagerer den Glauben beizubringen,
als wimmle die Burg, obwohl sie in Wirklichkeit stark mitgenommen ist, noch
von Verteidigern und Lebensmitteln: ein Ziegenbock wird an den Zinnen gezeigt
oder Brot den Burgberg hinabgerollt, Krebse mit Lichtern auf dem Rücken
täuschen zur Nachtzeit dem Feinde einen Angriff vor. Fällt dann die Burg, so
ziehen die Frauen zum Belagerer um die Gnade bittend, mit "dem Liebsten"
abziehen zu dürfen, und wie sie die gegebne Zustimmung zu deuten wissen, ist
durch die Sage der Weiber von Weinsberg ja männiglich bekannt. Wer aber
Abzug nicht wünscht, oder in Haft gehalten wird, für den bleibt immer noch
ein kühner Sprung mit dem Pferd über den Graben übrig, wie ihn Eckelein
von Gailingen in Nürnberg und anderwärts andre getan haben, deren beim
Aufspringen entstandne Hufspur von dem modernen Asphaltarbeiter mit besondrer
Pietät "erhalten" wird.

Man kann begreifen, daß mancher lieber so in die grausige Tiefe sprang,
als dem Verlies der Burg einen Besuch für längere Dauer abzustatten, dem
Raum, von dem Adelbert von Chamisso singt:

Auch hier rankt die Sage ums Gitter, fürchterliches weiß sie von den Schreck¬
nissen der dunkeln, feuchten Tiefe zu berichten, aber durch die Züge der Grau¬
samkeit, durch Hunger, Marter und Pein in den Armen der "eisernen Jung¬
frau" dringt ein Lichtstrahl, wenn die Befreier nahen, wenn Blondels Lied wie
süßer Lebens- und Heimatklang ertönt, wenn dem Gefangnen im Brot einge¬
backen eine Feile und ein Brecheisen entgegenfällt und den Weg zur goldnen
Freiheit bahnen hilft, den womöglich noch eines liebeverheißenden Frauenblicks
strahlender Glanz erhellt. Eine stattliche Reihe solcher Erzählungen schmückt den
deutschen Sagenkranz mit den anmutigsten Zügen deutscher Treue in guten und
bösen Tagen.

So sehen wir die Sage vordringen bis in die Tiefen des Burgbaues.
Unterirdische Gänge, oft meilenlang, sind eines ihrer Lieblingsgebilde, sei es,
daß man durch sie zur Kirche, sei es an den Fuß des Burgberges gelangt,
dem belagernden Feinde zum Hohn. Auch die Brunnen sind für den Sagen¬
forscher unerschöpflich, wenn auch ihre Tiefe längst versandet und versteint dem
modernen Menschen prosaisch entgegenschaut. Hier Hausen Geister, nixenartige
Gestalten entsteigen ihnen zur Nachtzeit, hier klagt die Seele der Kinder des
verstorbnen Burgherrn, die der von der Mutter verschmähte böse Freier, um sich
SU rächen, in die Tiefe geworfen hat. Ja sogar ein so hoher Herr, wie Kaiser
Karl der Große, muß sich bequemen, vom Volk in den Brennen der Nürnberger
Burg versetzt zu werden.


Burgenzauber

Von Wundern der Tapferkeit, Ausdauer, aber auch von feigem Verrat und
köstlichen Stücken von allerlei List, um dem Belagerer den Glauben beizubringen,
als wimmle die Burg, obwohl sie in Wirklichkeit stark mitgenommen ist, noch
von Verteidigern und Lebensmitteln: ein Ziegenbock wird an den Zinnen gezeigt
oder Brot den Burgberg hinabgerollt, Krebse mit Lichtern auf dem Rücken
täuschen zur Nachtzeit dem Feinde einen Angriff vor. Fällt dann die Burg, so
ziehen die Frauen zum Belagerer um die Gnade bittend, mit „dem Liebsten"
abziehen zu dürfen, und wie sie die gegebne Zustimmung zu deuten wissen, ist
durch die Sage der Weiber von Weinsberg ja männiglich bekannt. Wer aber
Abzug nicht wünscht, oder in Haft gehalten wird, für den bleibt immer noch
ein kühner Sprung mit dem Pferd über den Graben übrig, wie ihn Eckelein
von Gailingen in Nürnberg und anderwärts andre getan haben, deren beim
Aufspringen entstandne Hufspur von dem modernen Asphaltarbeiter mit besondrer
Pietät „erhalten" wird.

Man kann begreifen, daß mancher lieber so in die grausige Tiefe sprang,
als dem Verlies der Burg einen Besuch für längere Dauer abzustatten, dem
Raum, von dem Adelbert von Chamisso singt:

Auch hier rankt die Sage ums Gitter, fürchterliches weiß sie von den Schreck¬
nissen der dunkeln, feuchten Tiefe zu berichten, aber durch die Züge der Grau¬
samkeit, durch Hunger, Marter und Pein in den Armen der „eisernen Jung¬
frau" dringt ein Lichtstrahl, wenn die Befreier nahen, wenn Blondels Lied wie
süßer Lebens- und Heimatklang ertönt, wenn dem Gefangnen im Brot einge¬
backen eine Feile und ein Brecheisen entgegenfällt und den Weg zur goldnen
Freiheit bahnen hilft, den womöglich noch eines liebeverheißenden Frauenblicks
strahlender Glanz erhellt. Eine stattliche Reihe solcher Erzählungen schmückt den
deutschen Sagenkranz mit den anmutigsten Zügen deutscher Treue in guten und
bösen Tagen.

So sehen wir die Sage vordringen bis in die Tiefen des Burgbaues.
Unterirdische Gänge, oft meilenlang, sind eines ihrer Lieblingsgebilde, sei es,
daß man durch sie zur Kirche, sei es an den Fuß des Burgberges gelangt,
dem belagernden Feinde zum Hohn. Auch die Brunnen sind für den Sagen¬
forscher unerschöpflich, wenn auch ihre Tiefe längst versandet und versteint dem
modernen Menschen prosaisch entgegenschaut. Hier Hausen Geister, nixenartige
Gestalten entsteigen ihnen zur Nachtzeit, hier klagt die Seele der Kinder des
verstorbnen Burgherrn, die der von der Mutter verschmähte böse Freier, um sich
SU rächen, in die Tiefe geworfen hat. Ja sogar ein so hoher Herr, wie Kaiser
Karl der Große, muß sich bequemen, vom Volk in den Brennen der Nürnberger
Burg versetzt zu werden.


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[0463] Burgenzauber Von Wundern der Tapferkeit, Ausdauer, aber auch von feigem Verrat und köstlichen Stücken von allerlei List, um dem Belagerer den Glauben beizubringen, als wimmle die Burg, obwohl sie in Wirklichkeit stark mitgenommen ist, noch von Verteidigern und Lebensmitteln: ein Ziegenbock wird an den Zinnen gezeigt oder Brot den Burgberg hinabgerollt, Krebse mit Lichtern auf dem Rücken täuschen zur Nachtzeit dem Feinde einen Angriff vor. Fällt dann die Burg, so ziehen die Frauen zum Belagerer um die Gnade bittend, mit „dem Liebsten" abziehen zu dürfen, und wie sie die gegebne Zustimmung zu deuten wissen, ist durch die Sage der Weiber von Weinsberg ja männiglich bekannt. Wer aber Abzug nicht wünscht, oder in Haft gehalten wird, für den bleibt immer noch ein kühner Sprung mit dem Pferd über den Graben übrig, wie ihn Eckelein von Gailingen in Nürnberg und anderwärts andre getan haben, deren beim Aufspringen entstandne Hufspur von dem modernen Asphaltarbeiter mit besondrer Pietät „erhalten" wird. Man kann begreifen, daß mancher lieber so in die grausige Tiefe sprang, als dem Verlies der Burg einen Besuch für längere Dauer abzustatten, dem Raum, von dem Adelbert von Chamisso singt: Auch hier rankt die Sage ums Gitter, fürchterliches weiß sie von den Schreck¬ nissen der dunkeln, feuchten Tiefe zu berichten, aber durch die Züge der Grau¬ samkeit, durch Hunger, Marter und Pein in den Armen der „eisernen Jung¬ frau" dringt ein Lichtstrahl, wenn die Befreier nahen, wenn Blondels Lied wie süßer Lebens- und Heimatklang ertönt, wenn dem Gefangnen im Brot einge¬ backen eine Feile und ein Brecheisen entgegenfällt und den Weg zur goldnen Freiheit bahnen hilft, den womöglich noch eines liebeverheißenden Frauenblicks strahlender Glanz erhellt. Eine stattliche Reihe solcher Erzählungen schmückt den deutschen Sagenkranz mit den anmutigsten Zügen deutscher Treue in guten und bösen Tagen. So sehen wir die Sage vordringen bis in die Tiefen des Burgbaues. Unterirdische Gänge, oft meilenlang, sind eines ihrer Lieblingsgebilde, sei es, daß man durch sie zur Kirche, sei es an den Fuß des Burgberges gelangt, dem belagernden Feinde zum Hohn. Auch die Brunnen sind für den Sagen¬ forscher unerschöpflich, wenn auch ihre Tiefe längst versandet und versteint dem modernen Menschen prosaisch entgegenschaut. Hier Hausen Geister, nixenartige Gestalten entsteigen ihnen zur Nachtzeit, hier klagt die Seele der Kinder des verstorbnen Burgherrn, die der von der Mutter verschmähte böse Freier, um sich SU rächen, in die Tiefe geworfen hat. Ja sogar ein so hoher Herr, wie Kaiser Karl der Große, muß sich bequemen, vom Volk in den Brennen der Nürnberger Burg versetzt zu werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/463>, abgerufen am 29.05.2024.