Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Der Antiquar Polykarp heißen Sie? fragte sie. Ein drolliger Name! Mein Erster hieß Wollen Sie denn nicht näher treten, verehrte Frau? Sie werden allerdings Ja, fuhr er fort, sie kam vor einer guten Stunde und sitzt noch immer im Frau Minna Krause hatte nichts dagegen, und so standen sich die beiden Für Seyler hatte die Sache zunächst den Reiz der Neuheit. Nicht, daß ihn Frau Minna Krauses literarische Kenntnisse waren andrer Art. Der Quell, Der Antiquar Polykarp heißen Sie? fragte sie. Ein drolliger Name! Mein Erster hieß Wollen Sie denn nicht näher treten, verehrte Frau? Sie werden allerdings Ja, fuhr er fort, sie kam vor einer guten Stunde und sitzt noch immer im Frau Minna Krause hatte nichts dagegen, und so standen sich die beiden Für Seyler hatte die Sache zunächst den Reiz der Neuheit. Nicht, daß ihn Frau Minna Krauses literarische Kenntnisse waren andrer Art. Der Quell, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0485" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303187"/> <fw type="header" place="top"> Der Antiquar</fw><lb/> <p xml:id="ID_2624"> Polykarp heißen Sie? fragte sie. Ein drolliger Name! Mein Erster hieß<lb/> Oswald. Aber man gewöhnt sich schließlich an alles. Polykarp klingt beinahe wie<lb/> Polykrates. Wissen Sie — der Ring des Polykrates. Den hatten wir in unserm<lb/> Lesebuch.</p><lb/> <p xml:id="ID_2625"> Wollen Sie denn nicht näher treten, verehrte Frau? Sie werden allerdings<lb/> Gesellschaft finden. Meine Nichte und dann noch eine andre junge Dame — eine<lb/> entfernte Verwandte. Der Antiquar konnte seine Verlegenheit doch nicht ganz über¬<lb/> winden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2626"> Ja, fuhr er fort, sie kam vor einer guten Stunde und sitzt noch immer im<lb/> Laden. Das beste wird sein — ja — das beste ist vielleicht, ich stelle Sie auch als<lb/> eine entfernte Verwandte vor, denn sie braucht nicht gleich zu wissen, um was es<lb/> sich handelt. Sie haben doch nichts dagegen?</p><lb/> <p xml:id="ID_2627"> Frau Minna Krause hatte nichts dagegen, und so standen sich die beiden<lb/> „entfernten Verwandten" denn gegenüber. Wenn Fräulein Rosalie von Anfang an<lb/> nicht schüchtern gewesen war, so war es Frau Minna noch weniger. Vielleicht glaubte<lb/> sie es der ihr aufgezwungnen Rolle einer „Verwandten" schuldig zu sein, sich so<lb/> unbefangen zu geben, als ob sie seit Jahr und Tag bei Seyler verkehrt habe. Das<lb/> wirkte anch auf ihre Rivalin ansteckend, die sonst gewiß so zurückhaltend sein mochte,<lb/> wie es der preußische Kronenorden ihres seligen Vaters und der Adel ihrer Gro߬<lb/> mutter verlangten, nun aber in der Betätigung verwandtschaftlicher Gesinnungen nicht<lb/> hinter der jungen Witwe zurückstehen wollte. Käthchen, die wenig an den Umgang<lb/> mit Geschlechtsgenossinnen gewöhnt war, konnte sich eigentlich am wenigsten in die<lb/> Situation finden, sie kam gar nicht aus der Verwunderung heraus und verhielt sich<lb/> so schweigsam wie möglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2628"> Für Seyler hatte die Sache zunächst den Reiz der Neuheit. Nicht, daß ihn<lb/> der Inhalt des sehr lebhaft geführten Gesprächs gerade gefesselt hätte! Ach nein,<lb/> er mußte mehr als einmal nachsichtig lächeln, wenn sich die beiden Damen über<lb/> Polichsche Kostüme, Kramersche Binsen und Ahlemannsche Hüte ereiferten oder darüber<lb/> stritten, ob Herr Demuth oder Herr Merkel der größere Künstler sei. Dabei lehnte<lb/> er an seinem Pult, betrachtete als ein neuer Paris mit Forschermienen unter seiner<lb/> Brille hinweg bald die strengen Züge Rosalie-Atheneus, bald die schwellenden Formen<lb/> Minna-Heras und suchte eine Gelegenheit zu erwischen, den beiden Kandidatinnen<lb/> in xuuczto Literaturkenntnisse ans den Zahn zu fühlen. Als er damit endlich zum<lb/> Ziele kam, entpuppte sich Fräulein Rosalie, deren tiefgründigen Seminardrill siebzehn<lb/> lange Jahre offenbar nichts hatten anhaben können, als eine Dame von achtung¬<lb/> gebietenden pädagogischen Kenntnissen, verbreitete sich wie ein Buch über Pestalozzi,<lb/> die Brüder Zeller, Türk, Blochmann und Diesterweg und legte sich mit anerkennens¬<lb/> werten Eifer für die Tugend als den Endzweck der Erziehung im Sinne Herbarts<lb/> ins Zeug. Dabei versäumte sie nicht, ganz beiläufig andre Gebiete des Wissens zu<lb/> streifen und hier und da vielversprechende Perspektiven in die glitzernden Zauberhöhlen<lb/> ihrer universellen Bildung zu eröffnen. Daß sie gerade vom klassischen Altertum nur<lb/> das Allernotwendigste wußte, du lieber Gott! das war wirklich nicht ihre Schuld.<lb/> Ihre Entwicklung war eben in eine Zeit gefallen, wo man die Notwendigkeit des<lb/> humanistischen Studiums für das weibliche Geschlecht erst zu ahnen begann.</p><lb/> <p xml:id="ID_2629" next="#ID_2630"> Frau Minna Krauses literarische Kenntnisse waren andrer Art. Der Quell,<lb/> aus dem ihr Wissen sprudelte, waren vierzehn Bände Gartenlaube, und das Drei¬<lb/> gestirn, das über ihrer Weltanschauung leuchtete, hieß Marlitt-Heimburg-Werner<lb/> oder mit bürgerlichem Namen John-Behrens-Bürstenbinder. Auch der Geist der<lb/> Antike war ihr nicht ganz fremd, aber er hatte sich ihr im hochgeschürzten Gewände<lb/> der Offenbachschen Muse offenbart, und deshalb verknüpfte sich für sie mit den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0485]
Der Antiquar
Polykarp heißen Sie? fragte sie. Ein drolliger Name! Mein Erster hieß
Oswald. Aber man gewöhnt sich schließlich an alles. Polykarp klingt beinahe wie
Polykrates. Wissen Sie — der Ring des Polykrates. Den hatten wir in unserm
Lesebuch.
Wollen Sie denn nicht näher treten, verehrte Frau? Sie werden allerdings
Gesellschaft finden. Meine Nichte und dann noch eine andre junge Dame — eine
entfernte Verwandte. Der Antiquar konnte seine Verlegenheit doch nicht ganz über¬
winden.
Ja, fuhr er fort, sie kam vor einer guten Stunde und sitzt noch immer im
Laden. Das beste wird sein — ja — das beste ist vielleicht, ich stelle Sie auch als
eine entfernte Verwandte vor, denn sie braucht nicht gleich zu wissen, um was es
sich handelt. Sie haben doch nichts dagegen?
Frau Minna Krause hatte nichts dagegen, und so standen sich die beiden
„entfernten Verwandten" denn gegenüber. Wenn Fräulein Rosalie von Anfang an
nicht schüchtern gewesen war, so war es Frau Minna noch weniger. Vielleicht glaubte
sie es der ihr aufgezwungnen Rolle einer „Verwandten" schuldig zu sein, sich so
unbefangen zu geben, als ob sie seit Jahr und Tag bei Seyler verkehrt habe. Das
wirkte anch auf ihre Rivalin ansteckend, die sonst gewiß so zurückhaltend sein mochte,
wie es der preußische Kronenorden ihres seligen Vaters und der Adel ihrer Gro߬
mutter verlangten, nun aber in der Betätigung verwandtschaftlicher Gesinnungen nicht
hinter der jungen Witwe zurückstehen wollte. Käthchen, die wenig an den Umgang
mit Geschlechtsgenossinnen gewöhnt war, konnte sich eigentlich am wenigsten in die
Situation finden, sie kam gar nicht aus der Verwunderung heraus und verhielt sich
so schweigsam wie möglich.
Für Seyler hatte die Sache zunächst den Reiz der Neuheit. Nicht, daß ihn
der Inhalt des sehr lebhaft geführten Gesprächs gerade gefesselt hätte! Ach nein,
er mußte mehr als einmal nachsichtig lächeln, wenn sich die beiden Damen über
Polichsche Kostüme, Kramersche Binsen und Ahlemannsche Hüte ereiferten oder darüber
stritten, ob Herr Demuth oder Herr Merkel der größere Künstler sei. Dabei lehnte
er an seinem Pult, betrachtete als ein neuer Paris mit Forschermienen unter seiner
Brille hinweg bald die strengen Züge Rosalie-Atheneus, bald die schwellenden Formen
Minna-Heras und suchte eine Gelegenheit zu erwischen, den beiden Kandidatinnen
in xuuczto Literaturkenntnisse ans den Zahn zu fühlen. Als er damit endlich zum
Ziele kam, entpuppte sich Fräulein Rosalie, deren tiefgründigen Seminardrill siebzehn
lange Jahre offenbar nichts hatten anhaben können, als eine Dame von achtung¬
gebietenden pädagogischen Kenntnissen, verbreitete sich wie ein Buch über Pestalozzi,
die Brüder Zeller, Türk, Blochmann und Diesterweg und legte sich mit anerkennens¬
werten Eifer für die Tugend als den Endzweck der Erziehung im Sinne Herbarts
ins Zeug. Dabei versäumte sie nicht, ganz beiläufig andre Gebiete des Wissens zu
streifen und hier und da vielversprechende Perspektiven in die glitzernden Zauberhöhlen
ihrer universellen Bildung zu eröffnen. Daß sie gerade vom klassischen Altertum nur
das Allernotwendigste wußte, du lieber Gott! das war wirklich nicht ihre Schuld.
Ihre Entwicklung war eben in eine Zeit gefallen, wo man die Notwendigkeit des
humanistischen Studiums für das weibliche Geschlecht erst zu ahnen begann.
Frau Minna Krauses literarische Kenntnisse waren andrer Art. Der Quell,
aus dem ihr Wissen sprudelte, waren vierzehn Bände Gartenlaube, und das Drei¬
gestirn, das über ihrer Weltanschauung leuchtete, hieß Marlitt-Heimburg-Werner
oder mit bürgerlichem Namen John-Behrens-Bürstenbinder. Auch der Geist der
Antike war ihr nicht ganz fremd, aber er hatte sich ihr im hochgeschürzten Gewände
der Offenbachschen Muse offenbart, und deshalb verknüpfte sich für sie mit den
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