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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Literarische Rundschau
So tranken sie sich Lethe. Traumhaft netzte
Kaum ihren Frieden grüßendes Gemurmel,
Als nickten ihnen bange Spiegelbilder
Im Scheine schwankenden Asphodelos!
Doch Pallas streute, herrlich helmbuschflatternd,
Auf ihrem Pfad mattroten Mohnes Zauber
Und silbertauige Narzissenpracht,
Und während Nacht und Schweigen sich vertieften,
Auf Blumen schwebten sie aus Traum und Trauer,
Im Blicke heilige Klarheit, Hand in Hand
Vorüber an den Klüften der Verdammten
Geradeswegs ins leuchtendste Gefilde
Elnsiums.

Daneben finden sich Stücke titanischer Natur in das knappste Kleid ge¬
preßt und Balladen von starkem Gehalt, nicht ohne Humor, freilich auch nicht
ohne Unausgeglichenheiten. Jedenfalls aber ist Tielo ein Dichter, der in der
Gegenwart auf eignen Füßen steht, und von dem wir Vedentendes zu erwarten
haben. Der Band enthält von Anfang bis zu Ende nichts, was bloß klappert,
nchts, was nur gereimt worden wäre um des Reimes willen, ohne innern
Zwang.

Das Beste habe ich mir hente bis zuletzt aufgehoben. Richard Dehmel
seine gesammelten Werke in zehn wohlfeilen Bänden (bei S. Fischer in
Berlin) erscheinen. Es liegen bis jetzt drei vor, die die Gedichtsammlungen
"Erlösungen", "Aber die Liebe", "Weib und Welt" enthalten. Was zuerst Be¬
wunderung verdient, ist der Bienenfleiß, mit dem Dehmel hier die alten
Sammlungen umgearbeitet, in manchen Gedichten Zeile für Zeile geändert und
gewandelt hat. Es ist doch wahrlich ein Zeichen hoher künstlerischer Vor¬
nehmheit, wenn man sich noch in so schafsensfrohen Jahren nicht mit dein
Abdruck alter Auflagen begnügt, sondern immer wieder felle und bessert, um
sein Werk reiner und reiner zu gestalten. So wird es gewiß nötig sein, wenn
alle zehn Bände vorliegen, und das ist für das Jahr 1909 versprochen worden,
sich die bisherige Lebensarbeit dieses Dichters ganz von neuem zu vergegen¬
wärtigen. Heute genüge ein Hinweis. Die Zeit ist ja vorbei, wo Dehmel
co Besitz ganz enger Kreise war, der von Fernstehenden teils absichtlich ge¬
mieden, teils belächelt wurde. Immer weiter ist die Erkenntnis gedrungen, in
alle Lager der Literaturgeschichte und der Kritik, soweit beide ernst zu nehmen
sind, und zu Kunstfreunden aller Art, an denen das materiell aufsteigende
Deutschland doch schließlich auch reicher wird: die Erkenntnis, daß in diesem
Dichter so viel von der besondern Art und Größe unsrer Zeit lebt wie in
keinem andern. Dehmel ist der stärkste Gestalter (denn auch der Lyriker ge¬
staltet) seiner Generation. Ich glaube, daß aus seinen Werken einmal nicht
nur der künftige Literaturhistoriker, sondern insbesondre der Historiker der
Psychologie, der künftige Kulturforscher, lernen werden, was an unsrer Zeit
das Eigentümliche, das Große war. Es gibt für mich kaum eine komischere


Grenzboten III 1907 "8
Literarische Rundschau
So tranken sie sich Lethe. Traumhaft netzte
Kaum ihren Frieden grüßendes Gemurmel,
Als nickten ihnen bange Spiegelbilder
Im Scheine schwankenden Asphodelos!
Doch Pallas streute, herrlich helmbuschflatternd,
Auf ihrem Pfad mattroten Mohnes Zauber
Und silbertauige Narzissenpracht,
Und während Nacht und Schweigen sich vertieften,
Auf Blumen schwebten sie aus Traum und Trauer,
Im Blicke heilige Klarheit, Hand in Hand
Vorüber an den Klüften der Verdammten
Geradeswegs ins leuchtendste Gefilde
Elnsiums.

Daneben finden sich Stücke titanischer Natur in das knappste Kleid ge¬
preßt und Balladen von starkem Gehalt, nicht ohne Humor, freilich auch nicht
ohne Unausgeglichenheiten. Jedenfalls aber ist Tielo ein Dichter, der in der
Gegenwart auf eignen Füßen steht, und von dem wir Vedentendes zu erwarten
haben. Der Band enthält von Anfang bis zu Ende nichts, was bloß klappert,
nchts, was nur gereimt worden wäre um des Reimes willen, ohne innern
Zwang.

Das Beste habe ich mir hente bis zuletzt aufgehoben. Richard Dehmel
seine gesammelten Werke in zehn wohlfeilen Bänden (bei S. Fischer in
Berlin) erscheinen. Es liegen bis jetzt drei vor, die die Gedichtsammlungen
»Erlösungen", „Aber die Liebe", „Weib und Welt" enthalten. Was zuerst Be¬
wunderung verdient, ist der Bienenfleiß, mit dem Dehmel hier die alten
Sammlungen umgearbeitet, in manchen Gedichten Zeile für Zeile geändert und
gewandelt hat. Es ist doch wahrlich ein Zeichen hoher künstlerischer Vor¬
nehmheit, wenn man sich noch in so schafsensfrohen Jahren nicht mit dein
Abdruck alter Auflagen begnügt, sondern immer wieder felle und bessert, um
sein Werk reiner und reiner zu gestalten. So wird es gewiß nötig sein, wenn
alle zehn Bände vorliegen, und das ist für das Jahr 1909 versprochen worden,
sich die bisherige Lebensarbeit dieses Dichters ganz von neuem zu vergegen¬
wärtigen. Heute genüge ein Hinweis. Die Zeit ist ja vorbei, wo Dehmel
co Besitz ganz enger Kreise war, der von Fernstehenden teils absichtlich ge¬
mieden, teils belächelt wurde. Immer weiter ist die Erkenntnis gedrungen, in
alle Lager der Literaturgeschichte und der Kritik, soweit beide ernst zu nehmen
sind, und zu Kunstfreunden aller Art, an denen das materiell aufsteigende
Deutschland doch schließlich auch reicher wird: die Erkenntnis, daß in diesem
Dichter so viel von der besondern Art und Größe unsrer Zeit lebt wie in
keinem andern. Dehmel ist der stärkste Gestalter (denn auch der Lyriker ge¬
staltet) seiner Generation. Ich glaube, daß aus seinen Werken einmal nicht
nur der künftige Literaturhistoriker, sondern insbesondre der Historiker der
Psychologie, der künftige Kulturforscher, lernen werden, was an unsrer Zeit
das Eigentümliche, das Große war. Es gibt für mich kaum eine komischere


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[0529] Literarische Rundschau So tranken sie sich Lethe. Traumhaft netzte Kaum ihren Frieden grüßendes Gemurmel, Als nickten ihnen bange Spiegelbilder Im Scheine schwankenden Asphodelos! Doch Pallas streute, herrlich helmbuschflatternd, Auf ihrem Pfad mattroten Mohnes Zauber Und silbertauige Narzissenpracht, Und während Nacht und Schweigen sich vertieften, Auf Blumen schwebten sie aus Traum und Trauer, Im Blicke heilige Klarheit, Hand in Hand Vorüber an den Klüften der Verdammten Geradeswegs ins leuchtendste Gefilde Elnsiums. Daneben finden sich Stücke titanischer Natur in das knappste Kleid ge¬ preßt und Balladen von starkem Gehalt, nicht ohne Humor, freilich auch nicht ohne Unausgeglichenheiten. Jedenfalls aber ist Tielo ein Dichter, der in der Gegenwart auf eignen Füßen steht, und von dem wir Vedentendes zu erwarten haben. Der Band enthält von Anfang bis zu Ende nichts, was bloß klappert, nchts, was nur gereimt worden wäre um des Reimes willen, ohne innern Zwang. Das Beste habe ich mir hente bis zuletzt aufgehoben. Richard Dehmel seine gesammelten Werke in zehn wohlfeilen Bänden (bei S. Fischer in Berlin) erscheinen. Es liegen bis jetzt drei vor, die die Gedichtsammlungen »Erlösungen", „Aber die Liebe", „Weib und Welt" enthalten. Was zuerst Be¬ wunderung verdient, ist der Bienenfleiß, mit dem Dehmel hier die alten Sammlungen umgearbeitet, in manchen Gedichten Zeile für Zeile geändert und gewandelt hat. Es ist doch wahrlich ein Zeichen hoher künstlerischer Vor¬ nehmheit, wenn man sich noch in so schafsensfrohen Jahren nicht mit dein Abdruck alter Auflagen begnügt, sondern immer wieder felle und bessert, um sein Werk reiner und reiner zu gestalten. So wird es gewiß nötig sein, wenn alle zehn Bände vorliegen, und das ist für das Jahr 1909 versprochen worden, sich die bisherige Lebensarbeit dieses Dichters ganz von neuem zu vergegen¬ wärtigen. Heute genüge ein Hinweis. Die Zeit ist ja vorbei, wo Dehmel co Besitz ganz enger Kreise war, der von Fernstehenden teils absichtlich ge¬ mieden, teils belächelt wurde. Immer weiter ist die Erkenntnis gedrungen, in alle Lager der Literaturgeschichte und der Kritik, soweit beide ernst zu nehmen sind, und zu Kunstfreunden aller Art, an denen das materiell aufsteigende Deutschland doch schließlich auch reicher wird: die Erkenntnis, daß in diesem Dichter so viel von der besondern Art und Größe unsrer Zeit lebt wie in keinem andern. Dehmel ist der stärkste Gestalter (denn auch der Lyriker ge¬ staltet) seiner Generation. Ich glaube, daß aus seinen Werken einmal nicht nur der künftige Literaturhistoriker, sondern insbesondre der Historiker der Psychologie, der künftige Kulturforscher, lernen werden, was an unsrer Zeit das Eigentümliche, das Große war. Es gibt für mich kaum eine komischere Grenzboten III 1907 «8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/529>, abgerufen am 08.06.2024.