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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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durch schmale Meerengen und stromaufwärts durch die Flüsse, löscht ein wenig
da und ein wenig dort, setzt so weit wie möglich jeden Hafen in direkte Ver¬
bindung mit der großen Welt, vermeidet Umladung, Zwischenhändler, Stapel-
Plätze. Und damit war Cadiz als Handelsstadt im Grunde fertig. Ihren
letzten Rest erhielt die Stadt, als Spanien 1898 seine Kolonien und sie hier¬
durch ihre Bedeutung als Ein- und Ansschiffnngsplatz zwischen diesen und dein
Mutterlande verlor.

Die Stadt ist in den letzten dreißig Jahren von 100000 auf etwa
65000 Einwohner herabgegangen, die nun von einem stillen Wiederkänen der
Erinnerungen vergangner Größe leben. Sie hat keine häufigere Zugver¬
bindung mit der Außenwelt als eine jütländische Landstation von 200 Ein¬
wohnern; täglich kommt ein Postzug an, mit einer regelmäßigen Verspätung
von zwei Stunden. Die Madrider Morgenblätter sind erst am Abend des
nächsten Tages in Cadiz und kommen, soweit sie abonniere sind, infolge der
Verspätung des Pvstzugs den Lesern selten vor dem Morgen des dritten Tages
zu Händen.

In Cadiz fließt das Leben still dahin. Die Stadt wirkt wie ein feines
altes Lächeln, von weißen Locken eingefaßt, wie eine weiße Haube, die hinter
einem altväterischen Blumentopfe hervornickt; es gibt große Partien der Stadt,
in denen man wandelt wie auf verschlossenen Villeuwegen, wo verabschiedete
Priester und Lehrer ihre Zufluchtsstätte haben -- solch ein friedlicher Schimmer
umwebt die Häuser, solch eine vegetative Ruhe erfüllt alle Lebensäußerungen.
Hier gibt es keine klingelnde, brummende, nervenqnälende elektrische Straßen¬
bahn, keinen Chor krähender Fabrikpfeifen, keine rasselnden Arbeitskarren.
Das ewige Zittern der Luft, das die moderne Stadt kennzeichnet, das unauf¬
hörliche Vibrieren des Bodens und der Mauern, der aufreizende Wespenton
von Millionen klirrender Dinge, das Menschengewoge -- all dies gibt es nicht
in Cadiz, dessen einzelne Laute weit hinaus hörbar sind wie in einem Dorfe
auf freiem Lande.

Der Caditcmer sitzt innerhalb seiner vier Wände und hält seine Stadt
für die lebhafteste in ganz Andalusien, so natürlich erscheint ihm die Stille.
Cafes und Plätze -- diese natürlichen Sammelstätten des Südländers --
stehn leer, die Promenaden mit ihrer entzückenden Vegetation liegen un¬
genützt. Nur im Volke, das sich überall und uuter allen Verhältnissen gleich
bleibt, regt sich dasselbe bunte Leben wie allerwärts, gard und lärmt es wie
überall.

Von allen Seiten wird Cadiz vom Meere begrenzt, das die Stadt wie
ein Eisenbart dicht umklammert und sie gehindert hat, während des Zustroms
der Aufschwungsperioden ihre Grenzen zu erweitern. Steil über dem Wasser
erhebt sich die hohe Bastion und läuft wie eine gekrümmte Riesenschlange rund
um die Stadt; in ihrem Magen rumort die Artillerie, auf ihrem Rücken läuft
die herrlichste menschenleere Promenade, breit wie eine Landstraße und mit
alten Feldkanonen geschmückt, die mit Ofenschwärze gebürstet werden. Auf der


«Ladiz

durch schmale Meerengen und stromaufwärts durch die Flüsse, löscht ein wenig
da und ein wenig dort, setzt so weit wie möglich jeden Hafen in direkte Ver¬
bindung mit der großen Welt, vermeidet Umladung, Zwischenhändler, Stapel-
Plätze. Und damit war Cadiz als Handelsstadt im Grunde fertig. Ihren
letzten Rest erhielt die Stadt, als Spanien 1898 seine Kolonien und sie hier¬
durch ihre Bedeutung als Ein- und Ansschiffnngsplatz zwischen diesen und dein
Mutterlande verlor.

Die Stadt ist in den letzten dreißig Jahren von 100000 auf etwa
65000 Einwohner herabgegangen, die nun von einem stillen Wiederkänen der
Erinnerungen vergangner Größe leben. Sie hat keine häufigere Zugver¬
bindung mit der Außenwelt als eine jütländische Landstation von 200 Ein¬
wohnern; täglich kommt ein Postzug an, mit einer regelmäßigen Verspätung
von zwei Stunden. Die Madrider Morgenblätter sind erst am Abend des
nächsten Tages in Cadiz und kommen, soweit sie abonniere sind, infolge der
Verspätung des Pvstzugs den Lesern selten vor dem Morgen des dritten Tages
zu Händen.

In Cadiz fließt das Leben still dahin. Die Stadt wirkt wie ein feines
altes Lächeln, von weißen Locken eingefaßt, wie eine weiße Haube, die hinter
einem altväterischen Blumentopfe hervornickt; es gibt große Partien der Stadt,
in denen man wandelt wie auf verschlossenen Villeuwegen, wo verabschiedete
Priester und Lehrer ihre Zufluchtsstätte haben — solch ein friedlicher Schimmer
umwebt die Häuser, solch eine vegetative Ruhe erfüllt alle Lebensäußerungen.
Hier gibt es keine klingelnde, brummende, nervenqnälende elektrische Straßen¬
bahn, keinen Chor krähender Fabrikpfeifen, keine rasselnden Arbeitskarren.
Das ewige Zittern der Luft, das die moderne Stadt kennzeichnet, das unauf¬
hörliche Vibrieren des Bodens und der Mauern, der aufreizende Wespenton
von Millionen klirrender Dinge, das Menschengewoge — all dies gibt es nicht
in Cadiz, dessen einzelne Laute weit hinaus hörbar sind wie in einem Dorfe
auf freiem Lande.

Der Caditcmer sitzt innerhalb seiner vier Wände und hält seine Stadt
für die lebhafteste in ganz Andalusien, so natürlich erscheint ihm die Stille.
Cafes und Plätze — diese natürlichen Sammelstätten des Südländers —
stehn leer, die Promenaden mit ihrer entzückenden Vegetation liegen un¬
genützt. Nur im Volke, das sich überall und uuter allen Verhältnissen gleich
bleibt, regt sich dasselbe bunte Leben wie allerwärts, gard und lärmt es wie
überall.

Von allen Seiten wird Cadiz vom Meere begrenzt, das die Stadt wie
ein Eisenbart dicht umklammert und sie gehindert hat, während des Zustroms
der Aufschwungsperioden ihre Grenzen zu erweitern. Steil über dem Wasser
erhebt sich die hohe Bastion und läuft wie eine gekrümmte Riesenschlange rund
um die Stadt; in ihrem Magen rumort die Artillerie, auf ihrem Rücken läuft
die herrlichste menschenleere Promenade, breit wie eine Landstraße und mit
alten Feldkanonen geschmückt, die mit Ofenschwärze gebürstet werden. Auf der


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[0533] «Ladiz durch schmale Meerengen und stromaufwärts durch die Flüsse, löscht ein wenig da und ein wenig dort, setzt so weit wie möglich jeden Hafen in direkte Ver¬ bindung mit der großen Welt, vermeidet Umladung, Zwischenhändler, Stapel- Plätze. Und damit war Cadiz als Handelsstadt im Grunde fertig. Ihren letzten Rest erhielt die Stadt, als Spanien 1898 seine Kolonien und sie hier¬ durch ihre Bedeutung als Ein- und Ansschiffnngsplatz zwischen diesen und dein Mutterlande verlor. Die Stadt ist in den letzten dreißig Jahren von 100000 auf etwa 65000 Einwohner herabgegangen, die nun von einem stillen Wiederkänen der Erinnerungen vergangner Größe leben. Sie hat keine häufigere Zugver¬ bindung mit der Außenwelt als eine jütländische Landstation von 200 Ein¬ wohnern; täglich kommt ein Postzug an, mit einer regelmäßigen Verspätung von zwei Stunden. Die Madrider Morgenblätter sind erst am Abend des nächsten Tages in Cadiz und kommen, soweit sie abonniere sind, infolge der Verspätung des Pvstzugs den Lesern selten vor dem Morgen des dritten Tages zu Händen. In Cadiz fließt das Leben still dahin. Die Stadt wirkt wie ein feines altes Lächeln, von weißen Locken eingefaßt, wie eine weiße Haube, die hinter einem altväterischen Blumentopfe hervornickt; es gibt große Partien der Stadt, in denen man wandelt wie auf verschlossenen Villeuwegen, wo verabschiedete Priester und Lehrer ihre Zufluchtsstätte haben — solch ein friedlicher Schimmer umwebt die Häuser, solch eine vegetative Ruhe erfüllt alle Lebensäußerungen. Hier gibt es keine klingelnde, brummende, nervenqnälende elektrische Straßen¬ bahn, keinen Chor krähender Fabrikpfeifen, keine rasselnden Arbeitskarren. Das ewige Zittern der Luft, das die moderne Stadt kennzeichnet, das unauf¬ hörliche Vibrieren des Bodens und der Mauern, der aufreizende Wespenton von Millionen klirrender Dinge, das Menschengewoge — all dies gibt es nicht in Cadiz, dessen einzelne Laute weit hinaus hörbar sind wie in einem Dorfe auf freiem Lande. Der Caditcmer sitzt innerhalb seiner vier Wände und hält seine Stadt für die lebhafteste in ganz Andalusien, so natürlich erscheint ihm die Stille. Cafes und Plätze — diese natürlichen Sammelstätten des Südländers — stehn leer, die Promenaden mit ihrer entzückenden Vegetation liegen un¬ genützt. Nur im Volke, das sich überall und uuter allen Verhältnissen gleich bleibt, regt sich dasselbe bunte Leben wie allerwärts, gard und lärmt es wie überall. Von allen Seiten wird Cadiz vom Meere begrenzt, das die Stadt wie ein Eisenbart dicht umklammert und sie gehindert hat, während des Zustroms der Aufschwungsperioden ihre Grenzen zu erweitern. Steil über dem Wasser erhebt sich die hohe Bastion und läuft wie eine gekrümmte Riesenschlange rund um die Stadt; in ihrem Magen rumort die Artillerie, auf ihrem Rücken läuft die herrlichste menschenleere Promenade, breit wie eine Landstraße und mit alten Feldkanonen geschmückt, die mit Ofenschwärze gebürstet werden. Auf der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/533>, abgerufen am 08.06.2024.