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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Ladiz

Zwischen den Dünen liegt eine Zigeunerhütte, aufgeführt aus alten
Lumpen, Aloeblätteru und rostigen Blechplatten. Ein zehnjähriger kleiner
Bursche in bloßem Hemde kommt auf uns zu und bettelt, während er mit
den Nägeln lange weiße Striemen in die schwarzbraune Haut der Lende kratzt,
die von zahlreichen Jnsektenbissen in Form kleiner aufgeworfner Krater mit
einem roten Funken in der Mitte besät ist. So oft er uns aufgeben will,
spornt ihn ein altes Weib unten aus dem Dorf in einer sonderbar gellenden
Sprache von neuem an.

Die Straße, die wir gehn, bestätigt ausnahmsweise das bekannte Sprich¬
wort und führt wahrhaftig bis nach Rom. Sie läuft über Sevilla - Sala-
manca-Südfrankreich und ist in ihrer ganzen Länge von Römern angelegt.
Noch zeugt ihr seither teilweise ergänztes Mauerwerk von römischer Geschicklich-
keit. Allmählich erweitert sich die Sandzunge und wird zu einer flachen
nackten Marschgegend mit Kannten, die an Zahl und Breite zunehmen, bis sie
zuletzt den größten Teil des Terrains bilden. Zwischen den Kannten ist die
schwarze Erde von vielen Hufen und Füßen zu einem einzigen ausgetretnen
Geleise zusammengeknetet; man folgt ihm wie dem Ariadnefaden und gerät
tiefer und tiefer in das Labyrinth magerer Jnselchen, auf denen das Vieh
weidet, und da und dort eine weiße Pyramide aufragt. Zu allen Seiten,
soweit das Auge reicht, erstreckt sich dieses Land, das mit seineu Kannten,
seinem Vieh und den seltsamen Pyramiden einem sauern Marschboden gleicht,
in dem ein Nomadenvolk gehaust und, plötzlich verjagt, seine Hunderte von
Zelten zurückgelassen hat. Näher besehen erinnern die Pyramiden an schmutzigen
Schnee, und kostet man von ihnen, so erweist es sich, daß sie aus Salz
bestehen.

Diese anscheinend unfruchtbare Gegend ist eine von Spaniens großen un¬
erschöpflichen Quellen des Reichtums -- es sind die Salzgärten von San
Fernando. Dies ganze Wirrwarr von Kanalstückm, das mehrere Quadrat¬
meilen bedeckt, ist durch schmale Schleusen mit den langen Hauptkanälen ver¬
bunden, die ihrerseits mit dem Meere in Verbindung stehn, sodaß bei Eintritt
des Hochwassers jeder Deich gefüllt werden kann. Nun zur Winterszeit ruht
die Arbeit, und die Salzteiche füllen und leeren sich viermal des Tages von
selbst, je nach Ebbe und Flut. Im Mai aber, wenn die Sonne heiß bäckt
und mehrere Monate lang kein Regen fällt, beginnt die Salzbereitung; das
Seewasser wird eingeschlossen und steht 4 bis 5 Viertelellen hoch in den
Deichen. Im Laufe von zehn Tagen verdampft es vollständig und hinterläßt
am Grunde der Deiche eine zwei Zoll dicke Salzschicht, die an Wieseneis er¬
innert, unter dem das Wasser teilweise versickert ist.

Ist die Kristallisierung zu Ende, so wird das Salz zusammengeschaufelt,
auf Esel geladen und bei den großen Kannten pyramidenförmig aufgestapelt,
von wo flache Prasum es hinausführen zu den Schiffen in der Bucht. Die
Arbeit erinnert den Nordländer auffallend an das Schneeschippen auf einer Eis¬
bahn und bildet einen eigentümlichen Kontrast zu der tropischen Sonne.


Ladiz

Zwischen den Dünen liegt eine Zigeunerhütte, aufgeführt aus alten
Lumpen, Aloeblätteru und rostigen Blechplatten. Ein zehnjähriger kleiner
Bursche in bloßem Hemde kommt auf uns zu und bettelt, während er mit
den Nägeln lange weiße Striemen in die schwarzbraune Haut der Lende kratzt,
die von zahlreichen Jnsektenbissen in Form kleiner aufgeworfner Krater mit
einem roten Funken in der Mitte besät ist. So oft er uns aufgeben will,
spornt ihn ein altes Weib unten aus dem Dorf in einer sonderbar gellenden
Sprache von neuem an.

Die Straße, die wir gehn, bestätigt ausnahmsweise das bekannte Sprich¬
wort und führt wahrhaftig bis nach Rom. Sie läuft über Sevilla - Sala-
manca-Südfrankreich und ist in ihrer ganzen Länge von Römern angelegt.
Noch zeugt ihr seither teilweise ergänztes Mauerwerk von römischer Geschicklich-
keit. Allmählich erweitert sich die Sandzunge und wird zu einer flachen
nackten Marschgegend mit Kannten, die an Zahl und Breite zunehmen, bis sie
zuletzt den größten Teil des Terrains bilden. Zwischen den Kannten ist die
schwarze Erde von vielen Hufen und Füßen zu einem einzigen ausgetretnen
Geleise zusammengeknetet; man folgt ihm wie dem Ariadnefaden und gerät
tiefer und tiefer in das Labyrinth magerer Jnselchen, auf denen das Vieh
weidet, und da und dort eine weiße Pyramide aufragt. Zu allen Seiten,
soweit das Auge reicht, erstreckt sich dieses Land, das mit seineu Kannten,
seinem Vieh und den seltsamen Pyramiden einem sauern Marschboden gleicht,
in dem ein Nomadenvolk gehaust und, plötzlich verjagt, seine Hunderte von
Zelten zurückgelassen hat. Näher besehen erinnern die Pyramiden an schmutzigen
Schnee, und kostet man von ihnen, so erweist es sich, daß sie aus Salz
bestehen.

Diese anscheinend unfruchtbare Gegend ist eine von Spaniens großen un¬
erschöpflichen Quellen des Reichtums — es sind die Salzgärten von San
Fernando. Dies ganze Wirrwarr von Kanalstückm, das mehrere Quadrat¬
meilen bedeckt, ist durch schmale Schleusen mit den langen Hauptkanälen ver¬
bunden, die ihrerseits mit dem Meere in Verbindung stehn, sodaß bei Eintritt
des Hochwassers jeder Deich gefüllt werden kann. Nun zur Winterszeit ruht
die Arbeit, und die Salzteiche füllen und leeren sich viermal des Tages von
selbst, je nach Ebbe und Flut. Im Mai aber, wenn die Sonne heiß bäckt
und mehrere Monate lang kein Regen fällt, beginnt die Salzbereitung; das
Seewasser wird eingeschlossen und steht 4 bis 5 Viertelellen hoch in den
Deichen. Im Laufe von zehn Tagen verdampft es vollständig und hinterläßt
am Grunde der Deiche eine zwei Zoll dicke Salzschicht, die an Wieseneis er¬
innert, unter dem das Wasser teilweise versickert ist.

Ist die Kristallisierung zu Ende, so wird das Salz zusammengeschaufelt,
auf Esel geladen und bei den großen Kannten pyramidenförmig aufgestapelt,
von wo flache Prasum es hinausführen zu den Schiffen in der Bucht. Die
Arbeit erinnert den Nordländer auffallend an das Schneeschippen auf einer Eis¬
bahn und bildet einen eigentümlichen Kontrast zu der tropischen Sonne.


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[0535] Ladiz Zwischen den Dünen liegt eine Zigeunerhütte, aufgeführt aus alten Lumpen, Aloeblätteru und rostigen Blechplatten. Ein zehnjähriger kleiner Bursche in bloßem Hemde kommt auf uns zu und bettelt, während er mit den Nägeln lange weiße Striemen in die schwarzbraune Haut der Lende kratzt, die von zahlreichen Jnsektenbissen in Form kleiner aufgeworfner Krater mit einem roten Funken in der Mitte besät ist. So oft er uns aufgeben will, spornt ihn ein altes Weib unten aus dem Dorf in einer sonderbar gellenden Sprache von neuem an. Die Straße, die wir gehn, bestätigt ausnahmsweise das bekannte Sprich¬ wort und führt wahrhaftig bis nach Rom. Sie läuft über Sevilla - Sala- manca-Südfrankreich und ist in ihrer ganzen Länge von Römern angelegt. Noch zeugt ihr seither teilweise ergänztes Mauerwerk von römischer Geschicklich- keit. Allmählich erweitert sich die Sandzunge und wird zu einer flachen nackten Marschgegend mit Kannten, die an Zahl und Breite zunehmen, bis sie zuletzt den größten Teil des Terrains bilden. Zwischen den Kannten ist die schwarze Erde von vielen Hufen und Füßen zu einem einzigen ausgetretnen Geleise zusammengeknetet; man folgt ihm wie dem Ariadnefaden und gerät tiefer und tiefer in das Labyrinth magerer Jnselchen, auf denen das Vieh weidet, und da und dort eine weiße Pyramide aufragt. Zu allen Seiten, soweit das Auge reicht, erstreckt sich dieses Land, das mit seineu Kannten, seinem Vieh und den seltsamen Pyramiden einem sauern Marschboden gleicht, in dem ein Nomadenvolk gehaust und, plötzlich verjagt, seine Hunderte von Zelten zurückgelassen hat. Näher besehen erinnern die Pyramiden an schmutzigen Schnee, und kostet man von ihnen, so erweist es sich, daß sie aus Salz bestehen. Diese anscheinend unfruchtbare Gegend ist eine von Spaniens großen un¬ erschöpflichen Quellen des Reichtums — es sind die Salzgärten von San Fernando. Dies ganze Wirrwarr von Kanalstückm, das mehrere Quadrat¬ meilen bedeckt, ist durch schmale Schleusen mit den langen Hauptkanälen ver¬ bunden, die ihrerseits mit dem Meere in Verbindung stehn, sodaß bei Eintritt des Hochwassers jeder Deich gefüllt werden kann. Nun zur Winterszeit ruht die Arbeit, und die Salzteiche füllen und leeren sich viermal des Tages von selbst, je nach Ebbe und Flut. Im Mai aber, wenn die Sonne heiß bäckt und mehrere Monate lang kein Regen fällt, beginnt die Salzbereitung; das Seewasser wird eingeschlossen und steht 4 bis 5 Viertelellen hoch in den Deichen. Im Laufe von zehn Tagen verdampft es vollständig und hinterläßt am Grunde der Deiche eine zwei Zoll dicke Salzschicht, die an Wieseneis er¬ innert, unter dem das Wasser teilweise versickert ist. Ist die Kristallisierung zu Ende, so wird das Salz zusammengeschaufelt, auf Esel geladen und bei den großen Kannten pyramidenförmig aufgestapelt, von wo flache Prasum es hinausführen zu den Schiffen in der Bucht. Die Arbeit erinnert den Nordländer auffallend an das Schneeschippen auf einer Eis¬ bahn und bildet einen eigentümlichen Kontrast zu der tropischen Sonne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/535>, abgerufen am 14.05.2024.